BFH Urteil v. - VII R 74/04

Aufrechnung des Finanzamts gegen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen aus vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteter Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung

Gesetze: AO §§ 220, 226; UStDV § 48

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Als Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss vom eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin gab der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die Schuldnerin im August 2002 die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Zeitraum Mai 2002 —allerdings nur hinsichtlich der Umsätze im Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 1. bis 16. Mai— ab, woraus sich eine berechnete Umsatzsteuer in Höhe von 33 632,39 € ergab. In dieser vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) angemeldeten Höhe wurde die Forderung später zur Insolvenztabelle festgestellt.

Unter dem übersandte das FA dem Kläger eine Berechnung zur Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Dezember 2002, in der die berechnete Umsatzsteuer (4 444,15 €) mit der von der Schuldnerin im Februar 2002 geleisteten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 (17 758 €) verrechnet wurde, was zu einem Guthaben von 13 313,85 € führte. Unter dem erklärte das FA die Aufrechnung mit seiner Forderung auf Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Mai 2002 in Höhe von 13 313,85 € und erließ zugleich einen entsprechenden Abrechnungsbescheid, wonach der Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2002 in der genannten Höhe durch Aufrechnung erloschen war. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 327 veröffentlichten Gründen ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des FG sei der zur Insolvenzmasse gehörende Erstattungsanspruch, der wirtschaftlich aus einem Guthaben der von der Schuldnerin geleisteten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung bestehe, gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, so dass das FA i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) erst nach Insolvenzeröffnung etwas zur Masse schuldig geworden sei. Die vom FG vertretene Ansicht, dass der Erstattungsanspruch bereits mit der Leistung der Sondervorauszahlung aufschiebend bedingt entstanden sei, finde im Gesetz keine Stütze. Vielmehr entstehe der Erstattungsanspruch erstmals und originär mit dem Wegfall des rechtlichen Grundes für die geleistete Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung, wenn nach der Anrechnung auf die Zahllast des letzten Voranmeldungszeitraums des Besteuerungszeitraums ein Guthaben verbleibe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Abrechnungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass ein nicht durch Aufrechnung erloschener Erstattungsanspruch der Schuldnerin in Höhe von 13 313,85 € festgestellt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es schließt sich der Rechtsauffassung des FG an.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der vom Kläger zugunsten der Insolvenzmasse geltend gemachte Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen ist.

Aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen, die für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), ist davon auszugehen, dass der Schuldnerin für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2002 ein Erstattungsanspruch in Höhe von 13 313,85 € zustand, dass diesem Anspruch eine Steuerinsolvenzforderung gegen die Schuldnerin aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Mai 2002 (Zeitraum 1. bis ) gegenüberstand und dass die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 AO 1977, §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs; zur Aufrechnungsbefugnis im Insolvenzverfahren vgl. § 94 InsO) vorlagen. Hiervon gehen übereinstimmend auch die Beteiligten aus. Es steht ebenfalls fest, dass das FA mit den Steuerforderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgerechnet hat.

1. Waren die zur Aufrechnung sich gegenüberstehenden Forderungen des Schuldners und eines Insolvenzgläubigers bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, ist der Insolvenzgläubiger nach § 95 Abs. 1 InsO auch zur Aufrechnung befugt, wenn die Aufrechnungslage erst während des Insolvenzverfahrens eintritt, weil die aufzurechnende Hauptforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet waren, es sei denn (Satz 3 der Vorschrift), dass die Hauptforderung im Insolvenzverfahren unbedingt und fällig wird, bevor der Insolvenzgläubiger seinen Anspruch einfordern und somit die Aufrechnung mit diesem Anspruch erklären kann. Diese einschränkenden Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO liegen indes im Streitfall nicht vor, da die Gegenforderung des FA früher als der aus dem Voranmeldungszeitraum Dezember 2002 resultierende Steuererstattungsanspruch der Schuldnerin, nämlich bereits mit dem Ende des letzten Tags des betreffenden Voranmeldungszeitraums —hier des — gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) fällig geworden ist (vgl. Senatsurteil vom VII R 45/03, BFHE 205, 409, BStBl II 2004, 815). Dies wird auch von Seiten der Revision nicht in Abrede gestellt.

2. Die Revision ist vielmehr der Ansicht, dass ein Anspruch der Schuldnerin auf Erstattung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch gar nicht bestanden habe, dass also die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gegeben seien, wonach die Aufrechnung unzulässig ist, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Das FG hat zutreffend geurteilt, dass der Erstattungsanspruch der Schuldnerin einen bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch darstellt, gegen den das FA mit fälligen Gegenforderungen aufrechnen durfte.

a) Für die Frage, ob § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger entgegensteht, ist entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Grunde nach vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Damit wird die Aufrechnung gegen steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 AO 1977 entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich „begründet” sind. Im Insolvenzverfahren des Steuerpflichtigen kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob ein Anspruch zur Insolvenzmasse gehört (vgl. § 35 InsO) oder ob die Forderung eines Gläubigers eine Insolvenzforderung ist (§ 38 InsO), nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Hierfür können auch zivilrechtliche Umstände maßgeblich sein. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO ist, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise „begründet” worden ist, dass der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen muss auch der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung, d.h. die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Schuldners beurteilt werden (ständige Rechtsprechung, , BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; vom VII R 68/92, BFH/NV 1994, 521; vom VII R 47/98, BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423; vom VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323).

Der Senat hat bereits entschieden, dass kein Anlass besteht, diese auf der Grundlage der Vorschriften der Konkursordnung (KO) entwickelte Rechtsprechung unter der Geltung der Insolvenzordnung zu ändern. Der in § 3 Abs. 1 KO verwendete Begriff des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens „begründeten Vermögensanspruchs”, auf den sich die genannten Senatsurteile stützen, findet sich in gleicher Weise in § 38 InsO; es ist kein Grund erkennbar, diesen Begriff nach dem In-Kraft-Treten der InsO anders auszulegen (, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195; vom VII R 75/03, BFHE 208, 296).

b) Danach sind sowohl die Gegenforderung des FA aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung Mai 2002 als auch die Hauptforderung, der Erstattungsanspruch der Schuldnerin aus dem Voranmeldungszeitraum Dezember 2002, zwar im steuerrechtlichen Sinne erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, jedoch insolvenzrechtlich —worauf es hinsichtlich des Aufrechnungsverbots gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ankommt— bereits vor diesem Zeitpunkt begründet worden.

Hinsichtlich der Umsatzsteuerforderung des FA für Mai 2002 ist der Rechtsgrund dadurch gelegt worden, dass die Schuldnerin die betreffenden Lieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt hat, was —soweit die Steuerinsolvenzforderung in Höhe von 33 632,39 € betroffen ist— nach den Feststellungen des FG unstreitig vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte. Der Erstattungsanspruch der Schuldnerin aus dem Voranmeldungszeitraum Dezember 2002 resultiert —wie das FG zutreffend ausgeführt hat und was auch die Revision meint— aus der von der Schuldnerin im Februar 2002 geleisteten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002. Diese Vorauszahlung hat das FA —wie es der Vorschrift des § 48 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung entspricht— im letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG) —hier: Dezember 2002— auf die für diesen Voranmeldungszeitraum berechnete Umsatzsteuer angerechnet. Das danach verbleibende Guthaben in Höhe von 13 313,85 € stellt sich somit i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 als ein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2002 dar (vgl. , BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705; vom V R 21/02, BFHE 200, 156, BStBl II 2003, 39). Der Rechtsgrund für diesen Anspruch ist mit der Leistung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung gelegt worden, denn der Steuerpflichtige erlangt bei Steuervorauszahlungen bereits mit deren Entrichtung einen Erstattungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung; dieser aufschiebend bedingte Anspruch gehört zur Insolvenzmasse, auch wenn die aufschiebende Bedingung erst nach Insolvenzverfahrenseröffnung eintritt (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1987, 707; vom VII R 12/92, BFHE 170, 300, BStBl II 1994, 207; vom VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791; vom VII R 116/94, BFHE 179, 547, BStBl II 1996, 557). Anders als die Revision meint, hat der V. Senat des BFH mit seinem Urteil in BFHE 199, 71, BStBl II 2002, 705 hinsichtlich der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung nicht anders entschieden, sondern hat unter Berufung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgeführt, dass nach der Eröffnung des Konkursverfahrens entstandene Ansprüche auf Erstattung von vor Konkurseröffnung geleisteten Sondervorauszahlungen zur Konkursmasse gehören.

Im Streitfall war der Erstattungsanspruch der Schuldnerin somit insolvenzrechtlich bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden, weshalb § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der erklärten Aufrechnung des FA mit der ebenfalls vor der Insolvenzeröffnung begründeten Gegenforderung nicht entgegensteht.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1745 Nr. 10
HFR 2005 S. 1059 Nr. 11
WAAAB-58215