BFH Urteil v. - IV R 3/03

Tarifvergünstigung nach §§ 16, 34 EStG bei Einbringung einer Einzel-Zahnarztpraxis in Gemeinschaftspraxis ohne Übertragung des Eigenlabors

Gesetze: EStG §§ 16, 18, 34; UmwStG § 24

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren im Streitjahr (1993) zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger betrieb bis einschließlich 1992 eine Zahnarztpraxis mit angeschlossenem Dentallabor in Form eines Einzelunternehmens. In dem Labor, das sich im selben Haus wie die Praxis befand, wurden ausschließlich Arbeiten für die eigene Praxis des Klägers erledigt. Die Erlöse der Praxis beliefen sich im Jahr 1992 auf 2 346 956 DM (netto). Davon betrugen die Laborerlöse 672 672 DM. Ihr Anteil an den Gesamtumsätzen belief sich im Mittel der letzten zehn Jahre auf ca. 21 v.H., im Mittel der letzten fünf Jahre auf ca. 26 v.H. Der Kläger ermittelte den Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die auf das Labor entfallenden Anteile am Gewinn wurden nicht ermittelt.

Ende 1992 gründete der Kläger zusammen mit dem Zahnarzt B zum eine Gemeinschaftspraxis. Der Kläger brachte seine Einzelpraxis (ohne Labor) in die Gemeinschaftspraxis ein. Hierbei wurde der Wert der eingebrachten materiellen Wirtschaftsgüter auf 1 070 000 DM und der immaterielle Wert (Praxiswert) mit 480 000 DM angesetzt. In derselben Höhe (1 550 000 DM) hatte der neue Mitgesellschafter eine Barleistung in das Gesellschaftsvermögen zu erbringen.

Die Einbringung vollzog sich in der Weise, dass der Kläger die im Anlagevermögen einschließlich des immateriellen Praxiswertes und in den Vorräten ruhenden stillen Reserven in vollem Umfang aufdeckte. Die Gemeinschaftspraxis erstellte eine dementsprechende Eröffnungsbilanz.

Im Januar 1993 gründeten die Klägerin und die Ehefrau des Mitgesellschafters B eine GmbH. An diese GmbH veräußerte der Kläger die Wirtschaftsgüter des Dentallabors. Im Einzelnen wurden die Geräte und die Ausstattung des Labors, ein gebrauchter PKW sowie verschiedene Verbrauchsgüter auf die GmbH übertragen. Als Kaufpreis stellte der Kläger der GmbH 78 104 DM zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die GmbH übernahm die Angestellten des Klägers, die in dessen Einzelpraxis die Laborarbeiten durchgeführt hatten.

In der Einkommensteuererklärung 1993 erklärten die Kläger u.a. einen Gewinn aus der Einbringung der Einzelpraxis in die Gemeinschaftspraxis in (unstreitiger) Höhe von 1 275 127 DM, den sie als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn i.S. des § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2 EStG behandelten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) stellte sich im Laufe des behördlichen Verfahrens auf den Standpunkt, der Kläger könne die Steuervergünstigung gemäß § 24 Abs. 3 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG), § 34 Abs. 2 EStG nicht in Anspruch nehmen, weil er nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen des Einzelunternehmens in die Gesellschaft eingebracht habe. Da die Labortätigkeit einen nicht unerheblichen Umfang ausgemacht habe, stellten die Wirtschaftsgüter des Labors eine wesentliche Betriebsgrundlage des früheren Einzelunternehmens dar, die nicht auf die Gemeinschaftspraxis übergegangen sei. Außerdem vertrat das FA unter Hinweis auf das (BFHE 171, 100, BStBl II 1993, 641) die Auffassung, die Einbringung des Praxiswertes in die Gemeinschaftspraxis sei umsatzsteuerpflichtig, weil der Praxiswert der Einzelpraxis sowohl auf umsatzsteuerfreie wie auch auf umsatzsteuerpflichtige Umsätze zurückzuführen sei. Die Einsprüche der Kläger wies das FA nach Hinweis auf die Möglichkeit einer Verböserung als unbegründet zurück.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte nur hinsichtlich der Umsatzsteuer Erfolg. Die Entscheidung vom 11 K 1111/96 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 473 veröffentlicht.

Gegen die Abweisung der Klage in der Einkommensteuersache richtet sich die Revision der Kläger, die auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützt wird.

Die Kläger beantragen,

das finanzgerichtliche Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom betreffend die Einkommensteuer aufzuheben und den Einkommensteueränderungsbescheid 1993 in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Gewährung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 1 EStG festgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet.

Das Finanzgericht (FG) hat zutreffend entschieden, dass der infolge der Einbringung der Einzelpraxis des Klägers entstandene Gewinn nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Die Vergünstigung des ermäßigten Steuersatzes (§ 34 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung) ist weder unter dem Gesichtspunkt der Betriebsveräußerung oder –aufgabe (§§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 3 Satz 1 EStG) noch unter dem einer Einbringung in eine Personengesellschaft (§ 24 UmwStG) zu gewähren.

1. Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen einer Betriebsveräußerung oder –aufgabe schon deswegen nicht erfüllt sind, weil der Kläger seine zahnärztliche Tätigkeit nicht eingestellt hat (Senatsurteil vom IV R 36/95, BFHE 182, 533, BStBl II 1997, 498).

Auch die Voraussetzungen einer Teilbetriebsveräußerung sind nicht gegeben (, BFHE 173, 163, BStBl II 1994, 352).

2. Entgegen der Auffassung der Kläger lässt sich die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch nicht aus § 24 Abs. 1 und 3 UmwStG i.V.m. §§ 16 Abs. 3, 34 EStG herleiten. Von der Einbringung eines Einzelunternehmens in eine Personengesellschaft kann nur dann die Rede sein, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen werden (Senatsurteil vom IV R 93/85, BFHE 151, 181, BStBl II 1988, 374). Daran fehlt es im Streitfall.

Ob ein Wirtschaftsgut als wesentliche Betriebsgrundlage anzusehen ist, richtet sich im hier interessierenden Zusammenhang nach der sog. funktional-quantitativen Betrachtungsweise. Unter Zugrundelegung der quantitativen Betrachtung zählt ein Wirtschaftsgut zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen, wenn in ihm erhebliche stille Reserven ruhen. Unabhängig vom Vorhandensein stiller Reserven zählen zu den wesentlichen Grundlagen eines Betriebs aber auch diejenigen Wirtschaftsgüter, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und besonderes Gewicht für die Betriebsführung besitzen (vgl. u.a. , BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527, und vom IV R 135/86, BFHE 158, 245, BStBl II 1989, 1014, jeweils m.w.N.); maßgebend ist die Art des Betriebs und die Funktion der einzelnen Wirtschaftsgüter im Betriebsablauf.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob die auf die GmbH übertragenen materiellen Wirtschaftsgüter zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörten. Denn als wesentliche Betriebsgrundlagen kommen auch immaterielle Werte in Betracht, wie z.B. der Geschäftswert und seine Elemente (z.B. örtliche Lage und Wirkungskreis, Personal, Organisation und Geschäftsbeziehungen; , BFHE 181, 452, BStBl II 1997, 236; vom I R 92/84, BFH/NV 1989, 258, und vom IV R 150/78, BFHE 135, 202, BStBl II 1982, 348; Hörger in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 16 EStG Rn. 31 - „Immaterielle Wirtschaftsgüter"; Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr. B 238; ders. in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kompaktkommentar, 4. Aufl., § 16 Rn. 85; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 16 Rz. 104; Stahl in Korn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rz. 36; Stuhrmann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 16 EStG Rz. 106). Darauf, ob diese immateriellen Werte selbständig bilanzierungsfähig sind, kommt es nicht an.

Das FG hat —auch wenn es das vielleicht nicht ganz deutlich zum Ausdruck gebracht hat— den Beitrag, den das Labor zum Geschäftswert der gesamten Praxis leistete, als wesentliche Betriebsgrundlage der Einzelpraxis angesehen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Gegenstand der Einzelpraxis war sowohl die Ausübung der Zahnheilkunde als auch die Erbringung von zahntechnischen Laborleistungen. Die Zahnarztpraxis hätte zwar auch ohne Labor betrieben werden können, es kommt aber nicht darauf an, wie das Unternehmen hätte betrieben werden können, sondern darauf, wie es betrieben worden ist. Wie der BFH im Urteil in BFHE 171, 100, BStBl II 1993, 641 entschieden hat, gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Praxiswert einer Zahnarztpraxis mit Labor ausschließlich auf der „reinen” zahnärztlichen Tätigkeit beruhe. Vielmehr liege es nahe, dass das Vertrauen des Patienten auf den Zahnarzt, das Grundlage des Praxiswertes sei, sich auch auf die im Labor des Zahnarztes ausgeführten Leistungen erstrecke. Diese Überlegung gilt auch für den Streitfall. Dass das Labor des Klägers, solange es in die Einzelpraxis integriert war, einen Beitrag zu dessen Praxiswert leistete, folgt zudem auch daraus, dass die Laborleistungen den Gewinn der Praxis erhöht haben.

Zur Beantwortung dieser Frage bedurfte es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hiervon sind auch die Kläger selbst ausgegangen, wenn sie in dem an das FA gerichteten Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom vortragen, der Gesamtwert des immateriellen Praxiswertes der Einzelpraxis einschließlich des Eigenlabors müsse mit einem höheren Wert als mit den in der Eröffnungsbilanz der Gemeinschaftspraxis angesetzten 480 000 DM angenommen werden.

Hiermit übereinstimmend haben die Kläger im erstinstanzlichen Verfahren —soweit die Einkommensteuer betroffen war— die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch nur zu der Frage beantragt, ob —wie vom Berichterstatter des FG erwogen— das zahntechnische Labor einen eigenen Geschäftswert besaß, der hätte entnommen und in die GmbH eingelegt werden können.

Allerdings haben die Kläger in der Klagebegründung vom weiter vorgetragen, der auf das Labor entfallende Teil des Geschäftswertes habe sich dadurch, dass in die Gemeinschaftspraxis lediglich die Praxis ohne Labor eingebracht und die dem Labor dienenden körperlichen Gegenstände als einzelne an die von den Ehefrauen der Partner neu gegründete GmbH verkauft worden seien, nicht realisiert und damit verflüchtigt. Das mag zutreffen. Jedenfalls spricht einiges dafür, dass die GmbH angesichts der in mehrfacher Hinsicht bestehenden Abhängigkeit von der Gemeinschaftspraxis keinen nennenswerten Geschäftswert besaß. Darauf kommt es jedoch nicht an. Abzustellen ist auf die wesentlichen Betriebsgrundlagen der Einzelpraxis im Zeitpunkt der Einbringung. Sie umfassten auch den auf das Labor entfallenden unselbständigen Anteil am Geschäftswert. Dieser Anteil wäre —als Bestandteil des gesamten Praxiswertes— von einem gedachten Erwerber vergütet worden, wenn der Kläger die Einzelpraxis zusammen mit dem Labor veräußert hätte. Auch der fiktive Veräußerungspreis i.S. des § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG hätte sich entsprechend erhöht, wenn der Kläger die Einzelpraxis mit dem Labor in die neu gegründete GbR (Gemeinschaftspraxis) eingebracht hätte. Indem der Kläger das nicht getan hat, hat er nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen eingebracht. Der Zweck der Tarifvergünstigung nach §§ 16, 34 EStG besteht darin, die zusammengeballte Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven nicht nach dem progressiven Einkommensteuertarif zu erfassen. Dies ist auch die Rechtfertigung der Steuervergünstigung bei einer Einbringung zum Teilwert i.S. des § 24 Abs. 3 UmwStG, wobei die Vergünstigung in ihrer bis zum geltenden Fassung insoweit über das Ziel hinausschoss, als —wie im Streitfall— auf der Seite des Einbringenden und auf Seiten der aufnehmenden Gesellschaft dieselben Personen Unternehmer oder Mitunternehmer waren (vgl. Begründung zum Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts, BTDrucks 12/5630, S. 80).

Der Senat hat im Hinblick auf den Zweck der §§ 16, 34 EStG die Tarifvergünstigung in solchen Fällen nicht gewährt, in denen aufgrund einer einheitlichen Planung und in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils wesentliche Betriebsgrundlagen ohne Aufdeckung stiller Reserven aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden sind (Senatsurteil vom IV R 18/99, BFHE 193, 116, BStBl II 2001, 229). Ähnlich verhielt es sich im Streitfall. Sollte sich —wie die Kläger vortragen— ein Teil der wesentlichen Betriebsgrundlagen infolge der Nichteinbringung des Labors in die Gemeinschaftspraxis verflüchtigt haben, so ist dies jedenfalls nicht gegen ihren Willen geschehen mit der Folge, dass dieser Teil der wesentlichen Betriebsgrundlagen zwangsläufig für eine Einbringung nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Vielmehr handelte es sich um eine bewusste Gestaltung des Klägers, die —ohne dass es hierauf letztlich ankäme— vermutlich dazu diente, zu vermeiden, dass die Übertragung des immateriellen Unternehmenswertes auf die GbR (Gemeinschaftspraxis) der Umsatzsteuer unterworfen wurde.

Ein anderes Ergebnis wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Beitrag, den das Labor zum Geschäftswert der gesamten Praxis leistete, von untergeordneter Bedeutung gewesen wäre. Der Senat hat mit Urteil vom IV R 14/90 (BFHE 166, 527, BStBl II 1992, 457) entschieden, dass die Fortführung einer freiberuflichen Nebentätigkeit der tarifbegünstigten Veräußerung einer Praxis nicht entgegensteht, wenn diese Nebentätigkeit nur in geringem Umfang ausgeübt worden ist. Als geringfügig hat der Senat dabei eine Tätigkeit angesehen, auf die in den letzten drei Jahren weniger als 10 v.H. der gesamten Einnahmen entfielen. Diese Geringfügigkeitsgrenze ist im Streitfall überschritten. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG machten die Laborerlöse in den letzten fünf Jahren vor der Einbringung 26 v.H. der Gesamterlöse aus. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie hätten dieselben Umsätze erzielt, wenn sie fremde Laborleistungen in Anspruch genommen hätten. Fremde Laborleistungen hätten —anders als die Laborleistungen der eigenen Praxis— keinerlei Deckungsbeiträge für das Unternehmen des Klägers erbracht. Es kann auch nicht mit Erfolg darauf abgestellt werden, dass es sich bei den Laborarbeiten um handwerkliche und damit gegenüber der Ausübung der Zahnheilkunde geringerwertige Tätigkeiten gehandelt habe. Entscheidend ist vielmehr, dass sich der Kläger entschlossen hatte, im Rahmen seiner Einzelpraxis beide Arten von Leistungen zu erbringen. Eine Geringfügigkeitsgrenze, die am Verhältnis der jeweiligen Anteile am Gewinn orientiert wäre, hat der Senat bisher nicht erwogen. Sie stößt dort auf Schwierigkeiten, wo es —wie im Streitfall— an der Zurechenbarkeit der Betriebsausgaben fehlt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 879
BFH/NV 2005 S. 879 Nr. 6
DStR 2005 S. 554 Nr. 13
DStRE 2005 S. 488 Nr. 8
HFR 2005 S. 436
KÖSDI 2005 S. 14505 Nr. 2
PAAAB-43675