BFH Urteil v. - IX R 58/02

Keine gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften aus VuV, wenn streitig ist, ob Finanzierungskosten als vorab entstandene WK zu berücksichtigen sind

Gesetze: AO § 179 Abs. 1, 2, § 180; EStG § 21

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob für die Jahre 1997 bis 1999 (Streitjahre) Einkünfte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) aus Vermietung und Verpachtung gesondert und einheitlich festzustellen sind.

Die Kläger, zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, sind Miteigentümer zu je 1/2 eines im Jahr 1995 erworbenen Grundstücks, das in den Jahren 1999 bis 2000 mit zwei Doppelhaushälften bebaut wurde. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1996 machten die Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Finanzierungskosten für das Grundstück als (vorab entstandene) Werbungskosten geltend. Diese ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nicht zum Abzug zu, weil ein konkreter wirtschaftlicher Zusammenhang der Aufwendungen mit einer später beabsichtigten Bebauung und Vermietung zu verneinen sei. Die Kläger haben hiergegen weder Einspruch eingelegt noch in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Grundstücks erklärt. Dem ist das FA gefolgt; die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre sind bestandskräftig.

Die Kläger beantragten —zeitgleich mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1999— als Grundstücksgemeinschaft unter Abgabe entsprechender Feststellungserklärungen die Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung für die Streitjahre und machten die Finanzierungskosten für das Grundstück als (vorab entstandene) Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend, die den Klägern als Feststellungsbeteiligten zu je 1/2 zuzurechnen seien. Diese Anträge wurden vom FA durch negativen Feststellungsbescheid für die Streitjahre abgelehnt, da es sich um einen Fall von geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) handele.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 63 veröffentlichten Urteil die Auffassung, zwar lägen die Voraussetzungen der § 179 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 im Streitfall vor. Jedoch entfalle nach § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 das Erfordernis der gesonderten und einheitlichen Feststellung, weil ein Fall von geringer Bedeutung vorliege. Die Einkünfte, die sich in diesen Zeiträumen im Wesentlichen nur aus geltend gemachten Hypothekenzinsen zusammensetzten, seien ohne Schwierigkeiten zu ermitteln und würden zudem nach einem einfachen und feststehenden Schlüssel von 50:50 auf die Kläger verteilt. Auch sei eine einheitliche Rechtsanwendung gesichert, da die Kläger zur Einkommensteuer zusammen veranlagt würden.

Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, das FG habe die Durchführung der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ab 1997 zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um einen Fall von geringer Bedeutung.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG, den Feststellungsbescheid des FA vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, Einkünfte der Kläger aus Vermietung und Verpachtung für die Jahre 1997 bis 1999 erklärungsgemäß gesondert und einheitlich festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

II. 1. Die Revision ist zulässig; ihre Begründung genügt den Anforderungen des § 120 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Ausführungen am Schluss der Revisionsbegründung lassen hinreichend erkennen, dass die Kläger ihr bisheriges Vorbringen anhand der Vorentscheidung überprüft und sich mit ihr auseinander gesetzt haben.

2. Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine gesonderte und einheitliche Feststellung gemäß § 179 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 nicht durchzuführen ist, weil ein Fall von geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 vorliegt.

a) Nach § 179 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 sind u.a. einkommensteuerpflichtige Einkünfte und mit ihnen in Zusammenhang stehende Besteuerungsgrundlagen gesondert und einheitlich festzustellen, wenn an den Einkünften wie im Streitfall mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen zuzurechnen sind.

b) Dies gilt nach § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nicht, wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt, insbesondere weil die Höhe des festgestellten Betrages und die Aufteilung feststehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ein Feststellungsverfahren nur in verfahrensmäßig bedeutsamen Fällen durchgeführt wird (BTDrucks 10/1636, S. 46). Die Vorschrift soll es nach dem Willen des Gesetzgebers den Finanzbehörden ermöglichen, von der Einleitung eines Feststellungsverfahrens abzusehen, wenn es zur einheitlichen Rechtsanwendung und zur Erleichterung des Besteuerungsverfahrens nicht erforderlich ist. Liegen die Voraussetzungen des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 jedoch nicht vor, ist der Erlass eines Feststellungsbescheids zwingend, ohne dass der Finanzbehörde ein Ermessen zusteht (, BFH/NV 2004, 27, unter 2. a, m.w.N.). Deshalb besteht entgegen der Auffassung der Kläger für sie auch kein Wahlrecht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist ein Fall von geringer Bedeutung über den gesetzlich genannten Beispielsfall hinaus auch dann anzunehmen, wenn es sich um einen leicht überschaubaren Sachverhalt handelt, die Ermittlung der Einkünfte hinsichtlich Höhe und Zurechnung verhältnismäßig einfach und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nahezu ausgeschlossen ist (, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom X R 64/92, BFHE 177, 479, BStBl II 1995, 640, unter II. 2.). Die Frage nach der Gefährdung der Einheitlichkeit des Verfahrens lässt sich nicht nur im Einzelfall beantworten; sie kann auch für Gruppen im Wesentlichen gleichgelagerter Fälle entschieden werden (, BFHE 117, 437, BStBl II 1976, 305).

Allein der Umstand, dass die Feststellungsbeteiligten zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute sind, führt hierbei noch nicht zur Annahme eines Falles von geringer Bedeutung (BFH-Urteile in BFHE 177, 479, BStBl II 1995, 640, unter II. 2.; vom IV 190/65, BFHE 99, 513, BStBl II 1970, 730, zu § 215 Abs. 4 Satz 2 der Reichsabgabenordnung RAO). Ein Fall von geringer Bedeutung liegt jedoch regelmäßig dann vor, wenn es um die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Hauses oder einer Eigentumswohnung geht, das zusammen veranlagten Eheleuten je zur Hälfte gehört, und die Ermittlung der Einkünfte von dem FA vorgenommen wird, das auch für eine gesonderte und einheitliche Feststellung zuständig wäre (, BFHE 138, 202, BStBl II 1983, 355, unter 5.; vom VIII R 99/80, juris-Dokument Nr. STRE825032260; in BFHE 117, 437, BStBl II 1976, 305, unter 3. a; , BFHE 119, 22, BStBl II 1976, 596, zu § 215 Abs. 4 Satz 2 RAO); denn die Ermittlung des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten und dessen Zurechnung auf die Beteiligten bereitet in einem solchen Fall regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten. Dies gilt auch in Fällen, in denen die Einkünfte nur aus vorab entstandenen Werbungskosten bestehen (vgl. , BFHE 130, 391, BStBl II 1980, 441, unter B. I. 2.) oder in denen bei im Übrigen gleichen Voraussetzungen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines Hauses zu ermitteln sind, das zusammen zu veranlagenden Eheleuten gemeinsam gehört und von diesen teils zu eigenen Wohnzwecken und teils zu anderen Zwecken genutzt wird (BFH-Beschluss in BFHE 119, 22, BStBl II 1976, 596). Ausgehend davon hat der Senat in ständiger Rechtsprechung über streitige Fragen vorab entstandener Werbungskosten (u.a. , BFHE 183, 75, BStBl II 1997, 610, unter 2.; vom IX R 87/86, BFHE 158, 326, BStBl II 1990, 130), der Einkünfteerzielungsabsicht (u.a. , BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726; vom IX R 59/02, BFHE 202, 566, BStBl II 2003, 806) und der Aufteilung von Werbungskosten in einen abziehbaren und in einen nicht abziehbaren Teil (u.a. , BFHE 202, 171; vom IX R 39/96, BFH/NV 1999, 765) im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung entschieden.

c) Gemessen daran ist das FG im Streitfall zu Recht davon ausgegangen, dass ein Fall von geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 vorliegt. Die geltend gemachten Einkünfte bestehen nach seinen Feststellungen im Wesentlichen nur aus Hypothekenzinsen. Die Frage, ob vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen sind, ist zwar zwischen den Beteiligten streitig; allein dies hindert jedoch wie regelmäßig nicht die Annahme eines Falles von geringer Bedeutung. Besondere Umstände, die im Streitfall zu einer anderen Beurteilung führen könnten, sind nicht ersichtlich.

d) Das FG musste im Streitfall nicht der Frage nachgehen, ob möglicherweise der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1997 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 geändert werden kann, weil die Kläger kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Finanzierungskosten trifft (vgl. dazu , BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131). Auch zu der Frage, ob der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 nach § 174 Abs. 3 AO 1977 geändert werden kann (vgl. dazu , BFH/NV 2001, 151, unter B. II. 1.; , BFH/NV 1999, 449), weil möglicherweise insoweit ein erkennbarer Widerspruch zwischen dem von der Erklärung der Kläger abweichenden negativen Feststellungsbescheid für das Jahr 1999 und der erklärungsgemäßen Nichtberücksichtigung der Einkünfte im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 besteht, musste es nicht Stellung nehmen. Denn hierüber ist im vorliegenden Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung nicht zu befinden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1211
BFH/NV 2004 S. 1211 Nr. 9
RAAAB-24343