Hinzurechnung des hälftigen Kindergelds nach § 36 Abs. 2 EStG auch bei Verzicht auf Ausgleichsanspruch
Gesetze: EStG § 36 Abs. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist unverheiratet. Sein Sohn J (geboren im April 1996) lebte während des Streitjahrs 1999 im Haushalt der Mutter. Das Kindergeld für J wurde im Streitjahr an dessen Mutter ausgezahlt.
Bei der Veranlagung des Klägers für das Streitjahr durch Einkommensteuerbescheid vom berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) einen Kinderfreibetrag in Höhe von 3 456 DM gemäß § 31 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung und rechnete das hälftige Kindergeld in Höhe von 1 500 DM nach § 36 Abs. 2 EStG der Einkommensteuer hinzu.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger geltend machte, das hälftige Kindergeld dürfe bei seiner Veranlagung nicht steuererhöhend berücksichtigt werden, weil es ausschließlich der Mutter des J zugeflossen sei, blieben erfolglos.
In der Urteilsbegründung hat das Finanzgericht (FG) ausgeführt, die Hinzurechnung des hälftigen Kindergelds zur Einkommensteuer sei durch § 36 Abs. 2 EStG geboten. Das Kindergeld sei zwar an die Mutter des Kindes ausgezahlt worden, dem Kläger stehe aber der zivilrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 1612 b des Bürgerliches Gesetzbuchs (BGB) zu. Der Ausgleichsanspruch stehe dem Kindergeld gleich (§ 31 Satz 5 EStG). Es sei unerheblich, ob der Ausgleichsanspruch des Klägers bei der gerichtlichen oder außergerichtlichen Festsetzung des für J zu zahlenden Unterhalts tatsächlich berücksichtigt worden sei oder ob der Kläger auf die Geltendmachung dieses Anspruchs zugunsten der Mutter des J verzichtet habe. Es genüge, dass der Ausgleichsanspruch zu irgend einem Zeitpunkt bestanden habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 31 Satz 5, § 36 Abs. 2 EStG).
Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer 1999 auf 35 349 DM (= 18 073,65 €) herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
FA und FG haben zu Recht entschieden, dass der Einkommensteuer des Klägers das hälftige Kindergeld hinzuzurechnen ist.
1. Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG bewirkt. Kindergeld und Kinderfreibetrag können nach Einführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz (JStG 1996) vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nicht mehr —wie nach früherem Recht — kumulativ, sondern nur noch alternativ in Anspruch genommen werden (BTDrucks 13/1558, 139). Der Kinderfreibetrag ist bei der Einkommensteuerveranlagung abzuziehen, wenn die gebotene Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern nicht in vollem Umfang durch das während des Kalenderjahres gezahlte Kindergeld erreicht wird (§ 31 Satz 4 EStG). Übersteigt —wie im Streitfall— der Steuervorteil durch den Abzug des Kinderfreibetrages das dem Steuerpflichtigen anteilig zuzurechnende Kindergeld, ist das Kindergeld gemäß § 36 Abs. 2 EStG „in entsprechendem Umfang” der Einkommensteuer hinzuzurechnen, und zwar auch insoweit, als es dem Steuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zusteht (§ 31 Satz 5 EStG). Die Formulierung „in entsprechendem Umfang” besagt, dass sich der Umfang der Hinzurechnung des Kindergeldes danach bestimmt, ob bei der Einkommensteuerveranlagung des Steuerpflichtigen ein halber oder ein voller Kinderfreibetrag berücksichtigt wurde (, BFHE 201, 195, BStBl II 2003, 593; 1595/97, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1998, 1066; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2 K 592/98, EFG 2000, 325; , BStBl I 1998, 347, Tz. 23). Durch die Hinzurechnung des Kindergeldes bei Inanspruchnahme des Kinderfreibetrages soll eine kumulative Begünstigung des Steuerpflichtigen vermieden werden (Greite in Korn, Einkommensteuergesetz, § 31 Rz. 26; Kanzler in Herrmann/ Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, § 31 EStG Anm. 36).
Aus § 31 Satz 5 EStG ergibt sich, dass im Regelfall —d.h., wenn beide Elternteile Anspruch auf einen Kinderfreibetrag haben— bei der Vergleichsrechnung des § 31 EStG für den zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil zum einen der Kinderfreibetrag (im Streitjahr : 3 456 DM) anzusetzen, zum anderen das an den anderen Elternteil ausgezahlte (hälftige) Kindergeld (im Streitjahr: 1 500 DM) so zu berücksichtigen ist, als hätte es der barunterhaltspflichtige Elternteil erhalten. In gleicher Weise ist bei der Veranlagung des anderen Elternteils zu verfahren, der seine Unterhaltsverpflichtung durch die Betreuung des Kindes erfüllt. Auch wenn das Kindergeld in voller Höhe an diesen Elternteil ausgezahlt wird (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG), darf bei seiner Günstigerprüfung nur das hälftige Kindergeld berücksichtigt werden.
Durch diese Regelungen wird der für den steuerlichen Familienleistungsausgleich maßgebliche Halbteilungsgrundsatz verwirklicht, der besagt, dass die steuerlichen Entlastungen durch das Kindergeld oder —alternativ— den Kinderfreibetrag grundsätzlich beiden Elternteilen gleichermaßen zugute kommen müssen (vgl. auch , BVerfGE 45, 104, 132, 140). Bei Eltern, die nicht gemäß § 26 EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, ist es gleichgültig, ob das Kindergeld dem Berechtigten durch Zahlung zufließt oder ihm — wie regelmäßig beim barunterhaltspflichtigen Elternteil— durch hälftige Anrechnung auf seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind zugute kommt. Ein Elternteil, der nach seinen Einkommensverhältnissen verpflichtet ist, Unterhalt für das Kind zu leisten, hat nach § 1612b Abs. 1 BGB in der ab geltenden Fassung (vgl. Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder —Kinderunterhaltsgesetz— vom , BGBl I 1998, 666) Anspruch auf Anrechnung des hälftigen Kindergeldes, wenn dieses an den anderen Elternteil oder einen Dritten ausgezahlt wurde. Damit erhält der zum Barunterhalt Verpflichtete im Ergebnis seinen vollen Anteil an der staatlichen Förderleistung (, 1 BvR 1749/01, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht —FamRZ— 2003, 1371, Finanz-Rundschau —FR— 2003, 1035).
2. Soweit der Kläger unter Berufung auf den Beschluss des BVerfG in FamRZ 2003, 1371, FR 2003, 1035 geltend macht, durch § 1612b BGB n.F. sei der Halbteilungsgrundsatz zu Lasten des zum Barunterhalt verpflichteten Elternteils aufgegeben worden, verkennt er, dass diese Aussage des BVerfG sich lediglich auf den Abs. 5 des § 1612b BGB i.d.F. des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kinderunterhaltsrechts vom (BGBl I 2000, S. 1479) bezieht, also auf eine Vorschrift, die im Streitjahr 1999 noch nicht anwendbar war. Davon abgesehen ist § 1612b Abs. 5 BGB weder in der für das Streitjahr maßgeblichen, noch in der ab gültigen Fassung für einen Sachverhalt, wie er hier zu beurteilen ist, von Bedeutung; vielmehr regelt er lediglich den Fall, dass der zum Barunterhalt Verpflichtete nach seinen Einkommensverhältnissen nicht in der Lage ist, 100 v.H. des maßgeblichen Regelunterhalts (ab 2001 : 135 v.H. des Regelunterhalts) zu zahlen. Ein solcher Fall ist hier offensichtlich nicht gegeben.
3. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass es für die Hinzurechnung des dem Kläger zustehenden zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs in Höhe des hälftigen Kindergelds unerheblich ist, ob er in einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Unterhaltsvereinbarung auf die Anrechnung des Kindergelds verzichtet hat. Der Senat braucht im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, ob bei der Günstigerprüfung eines Barunterhaltspflichtigen ein Ausgleichsanspruch in Höhe des hälftigen Kindergelds auch dann zu berücksichtigen ist, wenn dieser Anspruch nach § 1612b Abs. 5 BGB ganz oder teilweise ausgeschlossen ist. § 31 Satz 5 EStG ist jedenfalls immer dann anzuwenden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1612b BGB für die Inanspruchnahme des Ausgleichsanspruchs im jeweiligen Veranlagungszeitraum erfüllt sind. Es kommt nicht darauf an, ob der Berechtigte seinen gesetzlichen Ausgleichsanspruch tatsächlich geltend gemacht hat oder (noch) geltend machen kann. Von der Regelung des § 1612b Abs. 1 BGB abweichende zivilrechtliche Vereinbarungen der Eltern über den Ausgleichsanspruch können bei der einkommensteuerrechtlichen Günstigerprüfung nicht berücksichtigt werden (allgemeine Ansicht : , EFG 1998, 745; , EFG 1999, 73; , Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2000, 351; , EFG 2002, 992; Dürr in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 31 Rz. 52; Glanegger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 31 Rz. 35; Greite in Korn, a.a.O., § 31 Rz. 29; Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 31 Anm. B 21; Jechnerer in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 31 Rz. 17 c; Kanzler in Herrmann/ Heuer/Raupach, a.a.O., § 31 EStG, Anm. 37; vgl. auch , BStBl I 1998, 347, Rz. 9 ). Anderenfalls könnten die Beteiligten durch einen Verzicht des Barunterhaltspflichtigen auf den Ausgleichsanspruch eine vom Gesetz nicht beabsichtigte Mehrfachbegünstigung erreichen: Bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil wäre der hälftige Kinderfreibetrag ohne Verrechnung mit dem hälftigen Kindergeld zu berücksichtigen, weil dieses ihm tatsächlich nicht zugute gekommen ist; bei der Günstigerprüfung des anderen Elternteils wäre dagegen dem hälftigen Kinderfreibetrag das volle Kindergeld gegenüberzustellen. Ein solches Ergebnis widerspricht nicht nur dem Halbteilungsgrundsatz, sondern auch dem erkennbaren Zweck der §§ 31, 36 Abs. 2 EStG, Doppelbegünstigungen für dasselbe Kind zu vermeiden.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Gesetzgeber des JStG 1996 die nach § 32 Abs. 6 EStG in der bis zum geltenden Fassung bestehende Möglichkeit der einvernehmlichen Übertragung des Kinderfreibetrages auf einen Elternteil abgeschafft hat, um ein Auseinanderfallen der Kindergeldberechtigung und des Anspruchs auf den Kinderfreibetrag und damit Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden (BTDrucks 13/3084, S. 20). Mit dieser Zielsetzung des Gesetzgebers wäre es unvereinbar, wenn nicht zusammenlebende Eltern durch zivilrechtliche Vereinbarungen über den Ausgleichsanspruch des barunterhaltspflichtigen Elternteils eine vom Halbteilungsgrundsatz des § 31 EStG abweichende Zuordnung des Kindergeldes erreichen könnten.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1243
BFH/NV 2004 S. 1243 Nr. 9
VAAAB-23776