Festsetzung von Verspätungszuschlägen
1 Ermessensausübung
Spätestens in der Einspruchsentscheidung sind sämtliche Ermessenserwägungen darzustellen.
1.1 Festsetzung dem Grunde nach
Liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen vor, ist die Festsetzung eines VZ dem Grunde nach regelmäßig gerechtfertigt (vgl. auch § 152 AO Karte 3 Tz. 1, Zweck des VZ).
Dabei ist auch der Präventivzweck des Verspätungszuschlags, den Steuerpflichtigen zur künftigen fristgerechten Abgabe der Steuererklärungen anzuhalten, zu beachten. Es ist deshalb grundsätzlich auch dann ermessensgerecht, einen Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn das Finanzamt die verspätet abgegebene Steuererklärung wegen Arbeitsüberlastung nicht alsbald nach Eingang bearbeitet hat [1]. Allerdings sollte davon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden.
1.1.1 Festsetzung dem Grunde nach bei Jahreserklärungen
Von einem VZ ist abzusehen, wenn es sich um das erstmalige Versäumnis handelt und nicht besondere Umstände (z. B. besonders lange Verspätung oder sehr hohe Nachzahlung) dennoch einen VZ erfordern.
Würde der nach den Grundsätzen der Tz. 1.2 zu bemessene VZ weniger als 25,– EUR betragen, soll die Festsetzung unterbleiben, da mit einem solchen VZ wohl keine Verbesserung des Abgabeverhaltens erreicht werden kann.
Führt die Steuerfestsetzung nach Anrechnung von vorausgezahlter Steuer bzw. Steueranmeldungsbeträgen zu einem Guthaben, wird dadurch der VZ nicht ausgeschlossen [2], er wird allenfalls in seiner Höhe beeinflusst. Dies ergibt sich aus § 152 Abs. 2 Satz 2 AO. In dieser Vorschrift sind der wirtschaftliche Vorteil bzw. die Höhe der Abschlusszahlung nur als zwei von mehreren Ermessenskriterien aufgeführt (vgl. Tz. 1.2).
1.1.2 Festsetzung dem Grunde nach bei Steueranmeldungen
Die verspätete Abgabe wiegt bei Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Lohnsteueranmeldungen besonders schwer, weil die zeitnahe und rationelle Abwicklung des Voranmeldungsverfahrens, bei dem es sich um ein Massenverfahren handelt, durch wiederholte Verspätungen nachhaltig gestört wird.
Auch bei Steueranmeldungen ist grundsätzlich von VZ abzusehen, wenn es sich um das erstmalige Versäumnis handelt. Jedoch können bei Steueranmeldungen im Gegensatz zu Jahreserklärungen auch VZ unter 25,– EUR sinnvoll sein.
1.2 Festsetzung der Höhe nach
Entsprechend dem Zweck des VZ (vgl. § 152 AO Karte 3 Tz. 1) ist dieser innerhalb der gesetzlichen Höchstgrenzen (vgl. Tz. 1.2.3) so zu bemessen, dass der Steuerpflichtige zu einer rechtzeitigen Abgabe seiner Steuererklärungen angehalten wird. Dabei ist das Gesamtverhalten des Steuerpflichtigen – einschließlich etwaiger Fristüberschreitungen in den Vorjahren – zu berücksichtigen [3]. In Fällen wiederholter Fristversäumnis, in denen bereits ein Verspätungszuschlag festgesetzt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass der bisher festgesetzte VZ. nicht hoch genug war, um wirksamen Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben. Bei jahrelanger unentschuldigter Abgabe mit erheblicher Verspätung bzw. Nichtabgabe kann dementsprechend der Verspätungszuschlag auch mit dem zulässigen Höchstbetrag festgesetzt werden [4]. Zur Festsetzung von VZ über 5.000,– EUR vgl. aber Tz. 1.2.4.
1.2.1 Ermessenskriterien nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO
Bei der Bemessung der Höhe des VZ hat das Finanzamt neben dem Zweck des Zuschlags sämtliche in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO aufgeführten Ermessenskriterien zu berücksichtigen. Diese Kriterien sind grundsätzlich gleichwertig. Dabei kann jedoch nach den Umständen des Einzelfalls ein Merkmal stärker als ein anderes hervortreten [5].
1.2.1.1 Dauer der Fristüberschreitung
Je länger die Frist überschritten wird, desto nachteiliger sind die Folgen für den Fortgang des Veranlagungsverfahrens. Bei einer erheblichen Fristüberschreitung ist der VZ deshalb höher festzusetzen, als dies im Hinblick auf die übrigen Ermessenskriterien erforderlich wäre.
1.2.1.2 Höhe des Zahlungsanspruchs
Unter dem sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruch ist die Abschlusszahlung, also die festgesetzte Steuer abzüglich der Steuerabzugsbeträge und der geleisteten Vorauszahlungen, zu verstehen. In Steuererstattungsfällen und bei Abschlusszahlungen geringer Höhe ist abzuwägen, welches Gewicht der verspäteten Abgabe der Steuererklärung noch zukommt, insbesondere, ob und inwieweit der geregelte Ablauf des Veranlassungsverfahrens beeinträchtigt wurde [6].
Wird ein VZ festgesetzt, ist spätestens in der Einspruchsentscheidung darauf hinzuweisen, dass mit dem Verspätungszuschlag auch auf eine pünktliche Erklärungsabgabe in der Zukunft hingewirkt werden soll und zwar unabhängig davon, ob sich eine Steuernachzahlung oder -erstattung ergibt [7].
1.2.1.3 Aus der Verspätung gezogene Vorteile
Hat der Steuerpflichtige aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung wirtschaftliche Vorteile erlangt, so sind bei Bemessung des VZ. zunächst diese Vorteile abzuschöpfen. Zusätzlich ist ein Betrag anzusetzen, um den Verspätungszuschlag als Druckmittel Geltung zu verschaffen [8].
Die Festsetzung eines VZ ist nur dann ermessensfehlerfrei, wenn die Behörde spätestens in der Einspruchsentscheidung von zutreffenden Annahmen über die Höhe des abzuschöpfenden Zinsvorteils ausgeht [9]. Dementsprechend sind in jeder Einspruchsentscheidung Ausführungen über die Höhe des abzuschöpfenden Zinsvorteils zu machen, soweit der Steuerpflichtige aus der verspäteten Abgabe der Erklärung Vorteile erlangt hat [10].
Während des Verzinsungszeitraums des § 233a Abs. 2 AO (Vollverzinsung) werden die aus der verspäteten Abgabe der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuererklärung gezogenen Vorteile durch die Verzinsung ausgeglichen. Im Übrigen ist der bei Berechnung des Zinsvorteils anzusetzende Zinssatz anhand der Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls zu ermitteln. Aus Vereinfachungsgründen kann regelmäßig ein Zinssatz von 0,5 v. H. für jeden vollen Monat der Fristversäumnis zugrunde gelegt werden. Der Ansatz eines geringeren Zinsvorteils setzt voraus, dass der Steuerpflichtige hierzu geeignete Nachweise vorlegt.
1.2.1.4 Verschulden
Bei der Beurteilung der Gewichtigkeit des Verschuldens ist zu beachten, inwieweit der Erklärungspflichtige (gegebenenfalls auch sein steuerlicher Berater) die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat und ob es sich um leichtfertige oder vorsätzliche Fristversäumnis handelt. In den Fällen, in denen es sich um eine wiederholte Versäumnis handelt oder Zwangsgelder angedroht und festgesetzt worden sind oder Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung ermittelt werden mussten oder eine Vorabanforderung (vgl. aber § 152 AO Karte 3 Tz. 2.2.2.1) unbeachtet blieb, wiegt bei der Bemessung des Verspätungszuschlags das Verschulden des Steuerpflichtigen entsprechend schwerer [11].
1.2.1.5 Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
Der VZ ist so zu bemessen, dass er für den Steuerpflichtigen zwar spürbar ist, ihn jedoch nicht übermäßig belastet. Ein Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist die festgesetzte Einkommensteuer [12] bzw. Körperschaftsteuer. Sie ist auch an den erzielten Einkünften zahlenmäßig ablesbar [13].
Je höher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist, desto höher muss der Zuschlag innerhalb der zulässigen Höchstgrenzen angesetzt werden, wenn er für den zur Abgabe Verpflichteten merklich sein soll. Wird der VZ gegen Personen i. S. der §§ 34, 35 AO festgesetzt, ist auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzustellen (vgl. § 152 AO Karte 5 Tz. 2).
1.2.2 Maschinelle Unterstützung
Die Rechtmäßigkeit des VZ wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass das Finanzamt technische Hilfsmittel verwendet. Maschinell gefertigte „Vorschläge” zur Festsetzung von VZ (z. B. im Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren) sind nach Auffassung des BFH [14] unbedenklich, solange das Finanzamt unter Abwägung aller Beurteilungsmerkmale selbst entscheidet, ob der Vorschlag mit § 152 AO vereinbar ist.
Im maschinellen Verfahren (vgl. Fach 3 Teil 30 Bl. 2 Nr. 1 DA-FEST) kann der VZ durch Eingabe der angefangenen Monate festgesetzt werden. Dies kann jedoch zu unsachgemäßen Ergebnissen führen, da die übrigen Ermessenskriterien nicht ausreichend berücksichtigt sein können. Ggf. ist der VZ mit einem festen Euro-Betrag einzugeben.
1.2.3 Bemessungsgrundlage
1.2.3.1 Jahreserklärungen
Bemessungsgrundlage ist die festgesetzte Steuer, also die Steuer vor Anrechnung der Vorauszahlungen und der Anrechnungssteuern. Bei der Gewerbesteuer ist der festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag maßgeblich (§ 152 Abs. 2 Satz 1 AO). Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung sind für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen eigenständig zu beurteilen. Werden Verspätungszuschläge sowohl zu den Umsatzsteuer-Vorauszahlungen als auch zur Jahresumsatzsteuer festgesetzt, ist es möglich, dass die Verspätungszuschläge insgesamt mehr als 10 v. H. der Jahresumsatzsteuer oder mehr als 25.000,– EUR betragen. Die festgesetzten Verspätungszuschläge werden dadurch jedoch nicht rechtswidrig. Sie sind deshalb nicht (auch nicht teilweise) zurückzunehmen. Denn für die Anwendung der Höchstgrenze bzw. des Höchstbetrags ist nur auf die jeweilige festgesetzte Steuer (also auf die für den einzelnen Voranmeldungszeitraum angemeldete oder festgesetzte Umsatzsteuer bzw. auf die angemeldete oder festgesetzte Jahresumsatzsteuer) abzustellen.
Der Auffassung des [15], wonach nach Ergehen des Jahressteuerbescheids dessen Inhalt auch für die Bemessung der im Voranmeldungsverfahren festgesetzten VZ von Bedeutung sein soll, wenn im Zeitpunkt der Jahressteuerfestsetzung Rechtsbehelfsverfahren gegen VZ-Festsetzungen anhängig sind, ist nicht zu folgen [16]
1.2.3.2 Feststellungserklärungen
(siehe AO-Kartei § 152 AO Karte 7)
1.2.3.3 Steueranmeldungen und -voranmeldungen
Bemessungsgrundlage ist die angemeldete Steuer bzw. bei Nichtabgabe die vom Finanzamt festgesetzte Steuer.
1.2.4 Höchstgrenze
Der VZ darf 10 % der festgesetzten Steuer nicht übersteigen und höchstens 25.000,– EUR betragen.
Ein VZ in Höhe von mehr als 5.000,– EUR ist nur festzusetzen, wenn mit einem VZ in Höhe von bis zu 5.000,– EUR ein durch die verspätete Abgabe der Steuererklärung (Steueranmeldung) entstandener Zinsvorteil nicht ausreichend abgeschöpft werden kann (vgl. AEAO Tz. 5 § 152 AO Karte 1). Die Festsetzung von VZ ist in diesen Fällen sorgfältig zu begründen.
Ebenfalls bedarf es einer sorgfältigen Begründung, wenn ein VZ in erheblicher Größenordnung festgesetzt wird und dabei nicht die Abschöpfung eines Zinsvorteils im Vordergrund steht [17].
2 VZ bei Änderung des Steuerbescheides
Ist der Verspätungszuschlag unanfechtbar festgesetzt und wird die Steuerschuld aufgrund eines Einspruchs oder Antrags des Steuerpflichtigen auf schlichte Änderung herabgesetzt, ist nicht automatisch auch der VZ entsprechend herabzusetzen.
Das Finanzamt hat vielmehr über den VZ neu zu entscheiden und den Zuschlag ggf. nach § 130 Abs. 1 AO niedriger festzusetzen [18]. In anderen Fällen der Herabsetzung der Steuer (z. B. § 175 AO) kann nach den Verhältnissen des Einzelfalles auch eine Herabsetzung des Verspätungszuschlags nach § 130 Abs. 1 AO in Betracht kommen. Wird die 10 v. H.-Grenze überschritten, ist der Verspätungszuschlag stets insoweit zurückzunehmen, als diese Grenze überschritten wird. Der VZ sollte unverändert bleiben, wenn die Steuer nicht wesentlich herabgesetzt wird oder sich die Zahllast nicht wesentlich verändert.
Führt die Korrektur einer Steuerfestsetzung zu einer wesentlich niedrigeren Steuer bzw. Zahllast – ggf. ergibt sich sogar ein Guthaben – ist stets sorgfältig zu überprüfen, ob die Höhe des VZ noch gerechtfertigt ist (vgl. insbesondere § 152 AO Karte 4 Tz. 1.2.1.2).
Stellt sich anlässlich einer Änderung der festgesetzten Steuer heraus, dass der Verspätungszuschlag zu niedrig festgesetzt wurde, ist eine höhere Verspätungszuschlagsfestsetzung nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zulässig (vgl. AEAO, Tz. 4 § 130 AO Karte 1).
Die anlässlich einer geänderten Steuerfestsetzung getroffene Entscheidung des Finanzamts, den bisher festgesetzten VZ unverändert bestehen zu lassen, stellt einen Verwaltungsakt dar [19]. Dieser Verwaltungsakt ist ebenso wie eine nach § 130 korrigierte VZ-Festsetzung in vollem Umfang anfechtbar.
OFD Hannover v. - S 0323 - 25 - StH 462S 0323 - 1989 - StO 321
Fundstelle(n):
QAAAB-22194
1vgl. BStBl 2001 II S. 618, BStBl 2002 II S. 120
2 DB 2002 S. 2029
3 BFH/NV 1989 S. 1
4vgl. BStBl II 2001 II S. 60
5vgl. BStBl 1988 II S. 929
6vgl. BStBl 1989 II S. 231
7 BStBl 1989 II S. 693
8vgl. BStBl 1987 II S. 543
9 BStBl 1997 II S. 642
10vgl. BStBl 2001 II S. 60
11vgl. BStBl 1989 II S. 749
12vgl. BFH/NV 1989 S. 517
13vgl. BStBl 1987 II S. 543
14BStBl 1988 II S. 929, 931
15BStBl 1996 II S. 259
16vgl. Nichtanwendungserlass vom , BStBl 1996 I S. 582
17vgl. BStBl 1997 II S. 642
18 vgl. BStBl 1979 II S. 641
19 BStBl 1991 II S. 2