BFH Urteil v. - VI R 148/00

Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes bei nicht beiderseits erklärtem Verzicht auf mündliche Verhandlung

Gesetze: FGO § 119 Nr. 4, § 90

Instanzenzug:

Gründe

Die Beteiligten streiten in der Sache darüber, ob bei der Zusammenveranlagung der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zur Einkommensteuer 1991 bis 1994 Aufwendungen der Klägerin für ein Zweitstudium vorab entstandene Werbungskosten darstellen.

Die Klägerin erwarb im Jahr 1972 an einer Technischen Hochschule ihr Diplom in Physik und Technik elektrischer Bauelemente und war bis 1982 als Entwicklungsingenieurin tätig. Anschließend widmete sie sich der Erziehung ihrer Kinder. Im Oktober 1991 nahm sie an einer Technischen Universität ein wirtschaftswissenschaftliches Aufbaustudium auf. In den Einkommensteuererklärungen 1991 bis 1994 machten die Kläger Aufwendungen für dieses Aufbaustudium als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften der Ehefrau aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) sah die Aufwendungen als Weiterbildungskosten i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ diese nur in begrenzter Höhe als Sonderausgaben zum Abzug zu. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die Studienkosten seien als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu beurteilen. Das Urteil erging ohne mündliche Verhandlung, obgleich nur das FA auf mündliche Verhandlung verzichtet hatte; die Kläger waren mit einer solchen Entscheidung nicht einverstanden.

Mit der vom FG nicht zugelassenen Revision rügt das FA im Wesentlichen eine mangelnde Vertretung nach den gesetzlichen Vorschriften i.S. des § 119 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe unter Verstoß gegen § 90 Abs. 2 FGO im schriftlichen Verfahren entschieden, obwohl die Kläger auf eine mündliche Verhandlung nicht verzichtet hätten. Da das FA deswegen mit einer mündlichen Verhandlung gerechnet habe, stehe auch ihm ein Revisionsrecht zu.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger treten der Revision im Wesentlichen mit den Gründen der vorinstanzlichen Entscheidung entgegen.

Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Es handelt sich um eine zulassungsfreie Verfahrensrevision nach § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO a.F., die nach der Überleitungsvorschrift des Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I, 1757) noch auf Revisionen gegen Entscheidungen des FG Anwendung findet, die vor dem verkündet oder zugestellt worden sind (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Tz. 91).

Das FA rügt mit Erfolg einen Verfahrensverstoß gegen § 90 Abs. 2 FGO, der sich als absoluter Revisionsgrund i.S. des § 119 Nr. 4 FGO erweist. Nach dieser Regelung ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht anzusehen, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Ein solcher Mangel der Vertretung liegt nach dem (BFH/NV 1998, 32) vor, wenn das FG entgegen § 90 Abs. 2 FGO im schriftlichen Verfahren urteilt, obwohl nur einer der Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet hat. Den Verfahrensverstoß kann auch dieser Beteiligte rügen, weil auch er darauf vertrauen darf, dass das FG ein Urteil nur aufgrund mündlicher Verhandlung erlassen wird.

Da der BFH als Revisionsgericht auf die Prüfung des Verfahrensfehlers beschränkt ist, wenn ein solcher geltend gemacht wird und durchgreift, muss das angefochtene Urteil aufgehoben und ohne Entscheidung in der Sache an das FG zurückverwiesen werden (, BFHE 169, 507, BStBl II 1993, 306; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 3, jeweils m.w.N.).

Für die erneute Verhandlung und Entscheidung des FG wird auf die geänderte Rechtsprechung des erkennenden Senats hingewiesen, wonach Bildungsaufwendungen Werbungskosten sein können, sofern sie beruflich veranlasst sind (z.B. Urteil vom VI R 33/01, BFH/NV 2003, 1119, m.w.N.). Hinsichtlich der Höhe der Werbungskosten, insbesondere zur Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wird auf das (BStBl II 2003, 749) Bezug genommen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 201 Nr. 2
LAAAB-13773