Suchen Barrierefrei
BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2182/25

Nichtannahme einer offensichtlich unzulässigen Verfassungsbeschwerde bzgl der Behandlung zweier Ablehnungsgesuche in einem sozialgerichtlichen Verfahren - Zwischenentscheidungen des LSG über Ablehnungsgesuche regelmäßig nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar

Gesetze: Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 60 Abs 1 SGG, § 178a Abs 1 S 1 SGG, § 178a Abs 1 S 2 SGG

Instanzenzug: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 10 SF 190/25 AB Beschlussvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 10 SF 164/25 AB Beschluss

Gründe

I.

1Die Verfassungsbeschwerde betrifft zwei Beschlüsse, mit denen ein Senat des Landessozialgerichts Ablehnungsgesuche des Beschwerdeführers unter Mitwirkung der abgelehnten Berufsrichter als offensichtlich unzulässig verworfen hat. Der erste Beschluss hat ein Gesuch, welches der Beschwerdeführer mit der Mitwirkung der Berufsrichter an einem ihn betreffenden, kürzlich verkündeten Berufungsurteil in einem Parallelverfahren begründet hat, als rechtsmissbräuchlich verworfen, weil die Begründung offensichtlich ungeeignet sei, einen Ausschluss der abgelehnten Richter im aktuellen Verfahren zu rechtfertigen. Ein vom Beschwerdeführer anschließend angebrachtes Ablehnungsgesuch, das die Besorgnis der Befangenheit auf die Mitwirkung an der Entscheidung über das erste Ablehnungsgesuch gestützt hat, hat das Landessozialgericht ebenfalls als rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig verworfen, weil es erneut mit der Mitwirkung an dem vorangegangenen Berufungsurteil begründet worden sei.

2Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 GG und hat zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

II.

3Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil keine zwingenden Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegen und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels Rechtswegerschöpfung (1) und mangels ausreichender Darlegung der Subsidiarität (2) offensichtlich unzulässig und hat deswegen keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

41. Der Beschwerdeführer hat entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg gegen die angegriffenen Beschlüsse nicht erschöpft. Wird - wie mit dieser Verfassungsbeschwerde - eine Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt, so zählt eine statthafte und nicht offensichtlich unzulässige Anhörungsrüge an das Fachgericht ebenfalls zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>). Andernfalls ist die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig, sofern die gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22>).

5Vorliegend sind die nach § 178a Abs. 1 Satz 1 SGG vorgesehenen und vorliegend insbesondere nach Stand der Lehre und Rechtsprechung nicht wegen § 178a Abs. 1 Satz 2 SGG unstatthaften (vgl. nur AB RG -, Rn. 4; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 178a Rn. 3e m.w.N.) und auch im Übrigen nicht offensichtlich aussichtslosen Anhörungsrügen nicht erhoben worden, obwohl dies zumutbar gewesen wäre. Insbesondere der vom Beschwerdeführer gerügten Verletzung rechtlichen Gehörs, die er im Nichtabwarten einer angekündigten ergänzenden Begründung zum ersten Ablehnungsgesuch und einem Verkennen der tatsächlichen Begründung des zweiten Ablehnungsgesuchs sieht, hätte bei einer tatsächlichen Verletzung auf diesem Weg fachgerichtlich abgeholfen werden können.

62. Die Verfassungsbeschwerde legt zudem nicht in einer den § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise dar, dass darüber hinaus dem in Art. 93 Abs. 5 Satz 2 GG angelegten und in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität Genüge getan ist.

7a) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde soll dem Bundesverfassungsgericht eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. BVerfGE 15, 288 <292>), weshalb alles darzutun ist, was dem Gericht eine Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen ermöglicht (vgl. BVerfGE 131, 66 <82>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9>; 157, 300 <310 Rn. 25> - Unterschriftenquoren Bundestagswahl). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 163, 165 <210 Rn. 75> - ESM-ÄndÜG; 165, 1 <30 Rn. 39> - Polizeiliche Befugnisse nach SOG MV; 168, 372 <408 Rn. 82> - Direktwahlakt 2018 - Zwei-Prozent-Sperrklausel; stRspr). Diese Darlegungsanforderungen gelten auch für die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2164/21 -, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2219/20 -, Rn. 10).

8b) Insoweit wäre zum Subsidiaritätsgrundsatz die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darzulegen gewesen, wonach gerichtliche Zwischenentscheidungen nur dann selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, wenn bereits die Zwischenentscheidung zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führt, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann. Das ist namentlich dann der Fall, wenn in einem selbständigen Zwischenverfahren über eine für das weitere Verfahren wesentlichen Rechtsfrage eine abschließende Entscheidung fällt, die im Hauptsacheverfahren keiner Nachprüfung mehr unterliegt (vgl. BVerfGE 101, 106 <120>; 119, 292 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 47/21 -, Rn. 1; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2183/24 -, Rn. 11).

9Danach sind Entscheidungen eines Landessozialgerichts über ein Ablehnungsgesuch regelmäßig nicht mit der Verfassungsbeschwerde selbständig angreifbar, da sie im weiteren sozialgerichtlichen Instanzenzug einer zumindest eingeschränkten Nachprüfung in der Revisionsinstanz unterliegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 436/17 -, Rn. 12; Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2221/22 -, Rn. 16 und vom - 1 BvR 2183/24 -, Rn. 12). Dies gilt auch, soweit mit einer Verfassungsbeschwerde nur gerügt wird, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch deshalb Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze, weil der abgelehnte Richter selbst verfahrensfehlerhaft an der Entscheidung mitgewirkt habe. Denn wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in dieser Weise verletzt, haftet diese Verletzung auch der nachfolgenden instanzbeendenden Entscheidung des Gerichts an. Zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Sache ist der Spruchkörper in seiner Besetzung nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn der Befangenheitsantrag von anderen Richterinnen und Richtern hätte entschieden werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2853/11 -, Rn. 37 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 526/19 -, Rn. 29 f.). Dadurch ist auch in solchen Fällen eine Nachprüfbarkeit durch das Bundessozialgericht eröffnet, welches überprüft, ob bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch durch die Mitwirkung eines abgelehnten Richters Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt wurde oder die Entscheidung auf Willkür beruht (vgl. -, Rn. 5; Beschluss vom - B 9 SB 42/21 B -, Rn. 24).

103. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

11Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandlos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

12Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20251114.1bvr218225

Fundstelle(n):
MAAAK-06810