Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Verabschiedung eines Zustimmungsgesetzes zu den reformierten Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO
Gesetze: § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93 Abs 3 BVerfGG, IntGesVs
Gründe
1Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Verabschiedung eines Zustimmungsgesetzes zu den reformierten Internationalen Gesundheitsvorschriften der Weltgesundheitsorganisation (im Folgenden: WHO).
I.
21. Am einigten sich die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation im Rahmen einer Sondersitzung auf den Beginn des Prozesses der Ausarbeitung und Aushandlung eines Übereinkommens, einer Vereinbarung oder eines anderen internationalen Instruments zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion (WHO convention, agreement or other international instrument on pandemic prevention, preparedness and response - WHO CA+). Im Zusammenhang mit dem möglichen Abschluss eines Pandemievertrags sollten auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO von 2005 ("International Health Regulations 2005") überarbeitet werden.
32. Die 77. Weltgesundheitsversammlung der WHO nahm am Änderungsvorschläge der Internationalen Gesundheitsvorschriften an, die es der WHO und ihren Mitgliedstaaten ermöglichen sollen, schneller und effizienter auf Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu reagieren und hierdurch die Bevölkerung zu schützen (vgl. BRDrucks 392/25, S. 1 f.). Die von der Weltgesundheitsversammlung angenommenen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) werden am in Kraft treten.
43. Mit Schreiben vom übersandte der Bundeskanzler dem Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV) vom 23. Mai 2005zu (BRDrucks 392/25, S. 5).
54. Mit der am eingegangenen und mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass die WHO und ihr Generaldirektor legislative und exekutive Gewalt erhalten sollten. Die Bundesrepublik Deutschland würde dadurch ihre Souveränität aufgeben. Die reformierten Internationalen Gesundheitsvorschriften führten zur Einschränkung von Grund- und Menschenrechten und verletzten das Demokratieprinzip, das Wahlrecht der Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer sowie die Verfassungsidentität des Grundgesetzes.
II.
6Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Es liegt bereits kein tauglicher Beschwerdegegenstand vor (1.). Im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen (2.). Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (3.).
71. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich nicht gegen einen tauglichen Beschwerdegegenstand.
8a) Nach Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG kann mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden, durch die öffentliche Gewalt in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt zu sein. Zwar können Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen angesichts der völkerrechtlichen Bindung, die mit der Ratifikation eintritt, schon vor ihrem Inkrafttreten vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden. Die zu überprüfende Norm muss jedoch bereits erlassen - wenn auch nicht notwendigerweise schon in Kraft getreten - sein (vgl. BVerfGE 10, 20 <54>; 104, 23 <29>; 123, 267 <329>; 153, 74 <132 Rn. 94> - Einheitliches Patentgericht; 160, 208 <269 Rn. 155> - CETA - Vorläufige Anwendung). Dies setzt voraus, dass sich Bundestag und Bundesrat abschließend mit dem Gesetz befasst haben, das Gesetz also nur noch der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und der Verkündung bedarf (vgl. BVerfGE 1, 396 <414>; 153, 74 <132 Rn. 94>; 160, 208 <269 Rn. 155>). Ein Zustimmungsgesetz kann mit der Verfassungsbeschwerde daher erst ab dem Zeitpunkt seiner Verabschiedung angegriffen werden (vgl. BVerfGE 24, 33 <53 f.>; 123, 267 <329>; 153, 74 <132 Rn. 94>; 160, 208 <269 f. Rn. 155>).
9b) Hieran gemessen erweist sich die Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Denn zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde hatten sich Bundestag und Bundesrat noch nicht abschließend mit dem Gesetzentwurf befasst. Auf Grundlage der angeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann über die Verfassungsbeschwerde bereits zum jetzigen Zeitpunkt entschieden werden, ohne dass die für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze geltende einjährige Beschwerdebegründungsfrist (vgl. § 93 Abs. 3 BVerfGG) abgewartet werden müsste.
102. Überdies genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen.
11a) Eine § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen bereits Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 130, 1 <21>).
12b) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt eine mögliche Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Insbesondere soweit die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer eine Verletzung der Verfassungsidentität und ihres Wahlrechts infolge einer beabsichtigten Hoheitsrechtsübertragung rügen, zeigen sie nicht auf, dass das Zustimmungsgesetz auf eine mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbare Hoheitsrechtsübertragung abzielt.
133. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG). Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG vor Verkündung eines Gesetzes voraussetzt, dass der Inhalt des Gesetzes feststeht und seine Verkündung unmittelbar bevorsteht. Dafür muss das Gesetzgebungsverfahren vor den gesetzgebenden Organen Bundestag und Bundesrat vollständig abgeschlossen sein (vgl. BVerfGE 131, 47 <53>). Diese Voraussetzung liegt hier - wie bereits festgestellt - nicht vor.
14Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
15Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250902.2bvr127925
Fundstelle(n):
OAAAJ-99188