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BGH Beschluss v. - 2 StR 24/25

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 11 KLs 850 Js 17416/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßiger Einfuhr von Cannabis in zwei Fällen, davon in einem Fall versucht, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen und Tatmitteln in Höhe von insgesamt 110.000 Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

21. Die Verfahrensrügen versagen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

3a) Die Rüge einer Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO aufgrund der unterbliebenen Bescheidung eines Widerspruchs der Verteidigung gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens bleibt ohne Erfolg.

4aa) Auf dem Unterlassen der Bescheidung eines Widerspruchs gegen das Selbstleseverfahren kann ein Urteil regelmäßig nicht beruhen, weil dieses Verfahren eine gleichwertige Alternative zum Verlesen einer Urkunde ist (vgl. , NStZ 2025, 57, 60 Rn. 28; Beschlüsse vom ‒ 5 StR 197/20, BGHSt 65, 155, 157 ff., und vom ‒ 4 StR 418/20, Rn. 2). Anderes kann lediglich dann gelten, wenn sich gerade die besondere Form der Urkundeneinführung auswirkt und dieses Defizit auch nicht kompensiert worden ist.

5bb) Derartige besondere Umstände sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Angeklagte rumänischer Staatsangehöriger ist und die Strafkammer ihm in der Hauptverhandlung einen Dolmetscher zur Seite gestellt hat, begründet keinen besonderen Umstand in diesem Sinne. Der gut ausgebildete Angeklagte lebt seit 2013 in Deutschland, führt hier seit 2015 ein Transportunternehmen und war zeitweise Gesellschafter eines weiteren Unternehmens. Dass er vor diesem Hintergrund nicht in der Lage gewesen sei, den Inhalt von Urkunden in deutscher Sprache, gegebenenfalls mit Hilfe des Dolmetschers, durch eigene Lektüre zur Kenntnis zu nehmen, ist nicht erkennbar und hat die Verteidigung im Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens auch nicht aufgezeigt.

6b) Die Rüge, die Strafkammer habe einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Gera vom verwertet, der nicht im Strengbeweisverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, ist unzulässig. Es ist ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht aufklärbar, ob nicht Teile des Inhalts des Durchsuchungsbeschlusses durch den von der Strafkammer als Zeugen gehörten ermittelnden Beamten in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind (vgl. , Rn. 4, und vom – 2 StR 266/22, AfP 2023, 521, 523 Rn. 20). Davon abgesehen wäre die Verfahrensbeanstandung auch unbegründet. Die Strafkammer hat die Lichtbilder, die der Angeklagte in einem Chat-Verkehr im Anschluss an die Durchsuchung versandte, in Augenschein genommen und im Urteil lediglich das Ergebnis dieser Inaugenscheinnahme verwertet.

7c) Die Rüge, die Aussage einer Zeugin sei angesichts des in der Hauptverhandlung erhobenen Widerspruchs nicht verwertbar, soweit diese Aussage Erkenntnisse – unter anderem aus einer Telekommunikationsüberwachung – zum Gegenstand habe, die auf den Ermittlungsbeschlüssen des Amtsgerichts Gera vom , , und sowie den Finanzermittlungen basierten, ist ebenfalls unzulässig. Der Beschwerdeführer hätte zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge nicht nur die von ihm beanstandeten Beschlüsse, sondern auch die der Verdachtslage zugrundeliegenden Verfahrenstatsachen vollständig vortragen müssen (vgl. ‒ 5 StR 151/06, NStZ-RR 2006, 370, 371, und vom ‒ 5 StR 461/06, StV 2008, 65; Beschluss vom ‒ 3 StR 370/06, NStZ 2007, 117). Hierzu hätte es insbesondere der Vorlage des Sachstandsberichts des Landeskriminalamts Thüringen vom , des Einleitungsvermerks vom sowie der Observationsvermerke vom des Landeskriminalamts Thüringen bedurft. Ohne sie kann der Senat nicht prüfen, ob das Tatgericht bei der Wertung, bei der Anordnung der Maßnahmen habe seinerzeit der Verdacht der illegalen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestanden, den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum verlassen hat; nur dann käme ein Beweisverwertungsverbot in Betracht (vgl. ‒ 4 StR 729/94, BGHSt 41, 30, 32 ff.; Beschluss vom   – 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 365 ff.).

8d) Schließlich ist die sich gegen die Verwertung der eingeführten SkyECC-Daten richtende Verfahrensrüge unzulässig.

9aa) Der Revisionsvortrag entspricht bereits deshalb nicht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil ihm seine Angriffsrichtung nicht mit der notwendigen Klarheit (vgl. dazu ‒ 4 StR 473/13, Rn. 16, und vom ‒ 2 StR 389/13, Rn. 55, jeweils mwN; Beschlüsse vom ‒ 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162 Rn. 7, und vom ‒ 5 StR 623/23, Rn. 16 mwN) entnommen werden kann. Zu der Frage der „Verwertbarkeit der SkyECC-Daten“ trägt die Revision lediglich zu den Umständen der Datengewinnung des Anbieters SkyECC und der Einführung der nur in französischer Sprache vorliegenden Genehmigung zur Datenverwendung in der Hauptverhandlung vor, bevor sie anschließend mit unterschiedlichen Stoßrichtungen vorgenommene Verteidigungshandlungen ‒ nämlich den mit Verfahrensverstößen der französischen Behörden bei der Datenerhebung begründeten Verwertungswiderspruch einerseits und den auf eine Umgehung des Richtervorbehalts durch deutsche Behörden zielenden Beweisantrag und dessen Ablehnung andererseits ‒ mitteilt. Unter welchen dieser verschiedenen Gesichtspunkte, die in der anschließenden Rechtsausführung um den Aspekt des Anspruchs der Verteidigung auf die Einsichtnahme in Rohdaten nochmals erweitert werden, die rechtliche Prüfung der Verwertbarkeit begehrt wird, wird damit nicht deutlich.

10bb) Selbst wenn aber dem Revisionsvorbringen insgesamt eine Beanstandung der Datenerhebung durch französische Ermittlungsbehörden noch hinreichend entnommen werden könnte, erwiese sich die Verfahrensrüge mit dieser Angriffsrichtung als unzulässig. Der Vortrag des hier zugrundeliegenden Geschehens ist unvollständig und damit irreführend. Die Revision führt für die Beurteilung des von ihr behaupteten Verstoßes wesentliche Umstände wie beispielsweise die vor Einsatz der Entschlüsselungstechnologie erfolgte Zustimmung einer Kommission zur Wahrung der Privatsphäre und des Briefgeheimnisses (vgl. Übersetzung der Anordnung des Berufungsgerichts Paris vom , Bl. 106 bis 110 des Sonderbands Unterlagen TGI Lille) und die Ausnahme von Sequenzen in Bezug auf das Privatleben, soweit sie nicht in Verbindung mit den in der Genehmigung der Maßnahme genannten Straftaten stehen, von der Beschlagnahmeanordnung im Ausführungsauftrag vom (Übersetzung Bl. 114 des Sonderbands Unterlagen TGI Lille) nicht an. Darüber hinaus verschweigt sie die ihrem Vorbringen einer anlasslosen Datenerhebung zuwiderlaufenden Verdachtsmomente der Polizei für den Vertrieb und die Nutzung von SkyECC, wie sie sich etwa aus dem Polizeibericht vom (Bl. 2 bis 5 des Sonderbands Unterlagen TGI Lille) ergeben.

112. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs hat im Fall II.1 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen bedarf der Schuldspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe der Korrektur.

12a) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen schloss sich der Angeklagte, der ein Transportunternehmen betreibt, mit für ihn tätigen Fahrern, einem unbekannten Hintermann und weiteren Tatgenossen zusammen, um erhebliche Mengen Marihuana aus dem europäischen Ausland gegen Entlohnung nach Deutschland zu bringen. Ziel waren nicht eigene Umsatzgeschäfte, sondern lediglich der gewinnbringende Transport der Drogen. Während der Hintermann die erforderlichen Absprachen mit dem Lieferanten in Spanien und den Abnehmern in Deutschland traf, oblag es dem Angeklagten, die Transportfahren mit seinem Pool von Fahrern zu organisieren. Den Transportweg sicherte er durch den Einsatz eines mit Fahrer und Beifahrer besetzten Begleitfahrzeugs ab, das vorausfuhr und die Fahrtstrecke im Hinblick auf mögliche Kontrollen erkundete. Er kümmerte sich auch um die der Verschleierung dienende Legalfracht. Während der Fahrten hielt er fortwährend Kontakt zu dem Hintermann und den von ihm eingesetzten vier Fahrern in den beiden Fahrzeugen.

13Nachdem Anfang November 2020 der Transport von 245 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 41,65 Kilogramm THC von Spanien nach Deutschland gelungen war, der Angeklagte hatte hierfür 73.500 Euro erhalten (Fall II.1 der Urteilsgründe), luden die vom Angeklagten entsandten Fahrer am in Spanien von demselben Auftraggeber 263,8 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 55,4 Kilogramm THC zu einer Legalfracht von Waschmittel. Sie brachen auf Weisung des Angeklagten nach Deutschland auf, wobei das Begleitfahrzeug vorausfuhr. Der bis dahin planmäßig verlaufene Transport wurde am auf einen Hinweis der deutschen Ermittlungsbehörden auf der Autobahn 9 westlich von Montpellier durch französische Behörden kontrolliert, die 18 Kartons mit Rauschgift entdeckt und sichergestellt. Die beiden Fahrer des Transportfahrzeugs sowie die beiden Fahrer des Begleitfahrzeugs wurden festgenommen. Für den Transport hatte der Angeklagte eine Vorabvergütung von mindestens 2.500 Euro erhalten (Fall II.2 der Urteilsgründe).

14b) Während die Überprüfung des Schuldspruchs, dem das Landgericht nach § 2 Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei die Strafbestimmungen des Konsumcannabisgesetzes zugrunde gelegt hat, im Fall II.1 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hat die Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe wegen versuchter Einfuhr von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis keinen Bestand.

15aa) Der Versuch der Einfuhr von Betäubungsmitteln beginnt frühestens mit Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen und das geschützte Rechtsgut unmittelbar gefährden. Das unmittelbare Ansetzen unterscheidet sich dabei von Fall zu Fall einerseits nach der Art des Transportmittels und andererseits danach, ob der Täter eigenhändig oder mittels eines anderen handelt (vgl. ‒ 2 StR 489/21, NStZ 2023, 49 f. Rn. 10 mwN). Der Versuch der Einfuhr von Betäubungsmitteln in einem Kraftfahrzeug beginnt regelmäßig erst kurz vor Erreichen der Hoheitsgrenze oder der vor ihr eingerichteten Zoll- oder Kontrollstelle (vgl. BGH, Beschlüsse vom ‒ 2 StR 98/83, NStZ 1983, 511, und vom ‒ 1 StR 241/16, StV 2017, 287 Rn. 3, jeweils mwN; Patzak in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 666).

16bb) Hieran gemessen haben die Fahrer des Drogenfahrzeugs als Mittäter des Angeklagten (vgl. zum Versuchsbeginn bei Mittätern ‒ 3 StR 268/89, BGHSt 36, 249 ff.) noch nicht zum Versuch der bandenmäßigen Einfuhr von Cannabis angesetzt. Das Tatfahrzeug befand sich mehrere hundert Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, als die französischen Behörden die Drogen sicherstellten. Die Einfuhr war damit noch nicht versucht.

17cc) Der Angeklagte ist indes einer Verabredung zur bandenmäßigen Einfuhr von Cannabis nach § 30 Abs. 2 Var. 3 StGB, § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG schuldig. Er hatte sich jedenfalls mit seinem Hintermann und den beiden Fahrern des Drogenfahrzeugs mittäterschaftlich zur bandenmäßigen Einfuhr von Cannabis verabredet. Hinzu tritt die Beihilfe zum vollendeten Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG); eine bandenmäßige Begehung des Umsatzgeschäfts hat die Strafkammer nicht festgestellt.

18dd) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchkorrektur nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

19c) Der Strafausspruch unterfällt der Aufhebung.

20Abgesehen davon, dass die Schuldspruchkorrektur im Fall II.2 der Urteilsgründe die Aufhebung dieser Einzelstrafe nach sich zieht, hat die Strafkammer bei der Zumessung beider Einzelstrafen übersehen, dass die Einziehung des Wertes von Tatmitteln (§ 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB) von nicht unbeträchtlichem Wert und der damit einhergehende Zugriff auf das Legalvermögen des Täters einen bestimmenden Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben verhängten Strafe darstellt und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen ist (vgl. ‒ 2 StR 167/20, Rn. 41 mwN). Die Strafkammer hat dies unbeachtet gelassen und in beiden Fällen den Wert der zwischenzeitlich vom Angeklagten veräußerten Zugmaschinen in Höhe von 15.000 Euro im Fall II.1 der Urteilsgründe und in Höhe von 19.000 Euro im Fall II.2 der Urteilsgründe der Einziehung unterworfen, ohne dies erkennbar bei der Zumessung der beiden Einzelstrafen zu berücksichtigen. Die Aufhebung der beiden Einzelstrafen entzieht auch der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

21d) Infolge des inneren Zusammenhangs zwischen Strafausspruch und Einziehungsentscheidung unterliegt auch die Einziehungsentscheidung der Aufhebung, soweit das Landgericht die Einziehung des Wertes von Tatmitteln in Höhe von 34.000 Euro angeordnet hat (vgl. , NZWiSt 2024, 328, 329 Rn. 16). Im Übrigen hat die Überprüfung der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

223. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von den aufgezeigten Wertungsfehlern nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:040625B2STR24.25.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-96476