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BSG Beschluss v. - B 9 SB 1/25 B

Gründe

1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache noch die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von 50 in der Zeit vom bis .

2Das SG hat die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 50 seit dem festzustellen (Gerichtsbescheid vom ). Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG diese Entscheidung abgeändert und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der GdB sei ab dem lediglich mit 30, ab dem mit 40 und erst ab dem mit 50 festzustellen (Urteil vom ).

3Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und ist der Ansicht, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

4II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

51. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird nicht hinreichend aufgezeigt.

6Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Frage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 6 mwN).

7Der Kläger misst folgender Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung bei:"Sind Schmerzen grundsätzlich erhebliche anhaltende Reizerscheinungen gemäß § 2 SGB IX i.V.m. VG Teil B 18.24.?"

8Die Beschwerdebegründung lässt aber weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit dieser Frage erkennen.

9Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB - juris RdNr 7 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Darstellung der gesetzlichen Vorgaben und Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch die schon vorliegenden Entscheidungen die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht hinreichend beantwortet worden ist (vgl stRspr; zB - juris RdNr 15 mwN). Hieran fehlt es.

10Der Kläger geht nicht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Schmerzen bei der GdB-Feststellung ein, sondern beschränkt sich auf die Darstellung von LSG-Urteilen, die er für divergent hält. Zwar ist anerkannt, dass einander widersprechende LSG-Entscheidungen grundsätzlich geeignet sind, die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage zu begründen (vgl auch Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 84; zu einer Ausnahme vgl - juris RdNr 3). Allerdings berücksichtigt die Beschwerdebegründung nicht, ob und inwieweit eine Klärung der aufgeworfenen Fragestellung bereits durch den Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Sachverständigenbeirat) erfolgt ist. Denn nach der Rechtsprechung des BSG sind wegen der Rechtsnatur der (in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten) Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) auch als antizipierte Sachverständigengutachten Zweifel an ihrem durch besondere medizinische Sachkunde geprägten Inhalt vorzugsweise durch Nachfrage bei dem Sachverständigenbeirat als dem fachlich verantwortlichen Urheber zu klären ( - SozR 4-3250 § 152 Nr 4 RdNr 27 ff; vgl auch - juris RdNr 7). Der Kläger teilt zwar mit, dass das LSG eine solche Anfrage im Berufungsverfahren gestellt hat und dass der Sachverständigenbeirat geantwortet habe, bei anhaltenden Reizerscheinungen im Sinne der VMG, Teil B, Nr 18.14 handele es sich um mit einem ausgeprägten Knorpelschaden des Kniegelenks verbundene (Kapsel-)Schwellungen, Schmerzen, sichtbare Veränderungen in Form von Überwärmungen oder Ergüssen, die zumindest längerfristig vorhanden sind und über Jahre ständig wiederkehren beziehungsweise immer wieder auftreten. Er geht aber nicht darauf ein, warum die Antwort auf seine Frage nicht spätestens durch diese Auskunft praktisch außer Zweifel steht.

11Darüber hinaus hat der Kläger auch deren Klärungsfähigkeit nicht schlüssig begründet. Dazu gehört, dass die Rechtsfrage in einem nach erfolgter Zulassung durchgeführten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist. Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen (stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN). Das lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen. Der Kläger behauptet zwar, das LSG habe seine Schmerzen für die Bewertung des Funktionssystems "Beine" insgesamt außer Acht gelassen. Seinem Vortrag lässt sich aber nicht entnehmen, welche tatsächlichen Feststellungen das LSG bezüglich der betreffenden Schmerzen getroffen hat. So bleibt offen, ob das LSG aus Rechtsgründen von deren Berücksichtigung abgesehen hat, wie es für die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage erforderlich wäre.

122. Der Kläger hat auch keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet.

13Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für dessen Bezeichnung die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

14Mit seiner Gehörsrüge macht der Kläger eine Überraschungsentscheidung geltend. Noch mit Verfügung vom habe das LSG bei dem Beklagten angefragt, ob die Berufung zurückgenommen werde und dazu ausgeführt, dass sich aus den aktenkundigen medizinischen Unterlagen bereits ab dem ein Einzel-GdB von 50 allein für die Behinderungen im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" ergebe.

15Allerdings besteht zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör keine allgemeine Pflicht des Gerichts, Hinweise zu seiner Rechtsauffassung zu erteilen, denn dies würde eine tatsächliche und rechtliche Würdigung voraussetzen, die sich erst aufgrund einer Beratung des gesamten Spruchkörpers ergeben kann (stRspr; vgl etwa - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 34 f mwN). Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt deshalb erst vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr; vgl etwa BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 3068/14 - NJW 2017, 3218 , 3219; - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 37; - juris RdNr 9). Ein hierauf gestützter Verfahrensmangel ist deshalb nur schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt (vgl zu den Anforderungen etwa - juris RdNr 9).

16Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie legt nicht nachvollziehbar dar, warum der Kläger trotz des Umstands, dass der Beklagte seine Berufung offensichtlich nicht zurückgenommen hat, sondern dem Hinweis des LSG entgegengetreten ist, nicht damit rechnen konnte, das LSG würde sich bei seiner abschließenden Beratung und Entscheidung mit allen fünf Richtern dessen Position (teilweise) zu Eigen machen. Dass hier besondere Umstände vorlagen, etwa weil das LSG eine Zwischenberatung abgehalten und nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung seine Rechtsauffassung kundgetan hätte (dazu - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 - juris RdNr 6 ff), macht der Kläger nicht geltend. Nur wenn das Gericht nach Durchführung einer förmlichen Beratung seine Rechtsauffassung zu einer entscheidungserheblichen Frage zu Protokoll gibt und hieran Vorschläge für eine sachgerechte Lösung und prozessuale Behandlung des Falls knüpft, beinhaltet dies eine zumindest vorläufige rechtliche Festlegung, die den Beteiligten als Grundlage für ihre weiteren Dispositionen dienen soll. Dagegen ist nicht jeder im Laufe des Verfahrens vom Vorsitzenden oder einem Mitglied des Spruchkörpers gegebene rechtliche Hinweis dazu geeignet, ein solches Vertrauen zu begründen ( - juris RdNr 51).

17Schließlich wird in der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt, warum die Entscheidung des LSG ungeachtet der Erörterung der Sach- und Rechtslage in einer mündlichen Verhandlung, in der der Kläger anwaltlich vertreten war, für ihn überraschend gewesen sein könnte und er dadurch "faktisch nicht die Gelegenheit" hatte, Beweisanträge zu stellen oder aufrechtzuerhalten. Dass der Termin nach dem Beschwerdevortrag nur elf Minuten gedauert hat, begründet schon deshalb keine Gehörsverletzung, weil der Kläger nicht vorträgt, er habe weiteren Erörterungsbedarf geltend gemacht oder etwa eine Unterbrechung oder Vertagung der mündlichen Verhandlung beantragt, um sich zunächst über die weitere Vorgehensweise (etwa die Stellung eines Beweisantrags) beraten zu lassen. Damit lässt die Gehörsrüge auch nicht erkennen, dass der Kläger im Berufungsverfahren alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich vor dem LSG rechtliches Gehör zu verschaffen.

183. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

194. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

205. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:020625BB9SB125B0

Fundstelle(n):
GAAAJ-95446