BSG Beschluss v. - B 5 RE 12/17 B

Nichtzulassungsbeschwerde - rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 2 Nr 3 SGG, § 96 SGG vom , § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6, § 231 Abs 4b SGB 6, § 133 BGB

Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 4 R 4352/13 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 7 R 3495/15 Urteil

Gründe

1I. Die Klägerin begehrt die rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für die Zeit vom bis .

2Die Klägerin ist Volljuristin und Fachanwältin für Sozialrecht. Seit dem ist sie Mitglied der Rechtsanwaltskammer F. und Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg. Seit Mai 2009 ist sie als selbstständige Rechtsanwältin in F., zunächst in Bürogemeinschaft und sodann in eigener Kanzlei tätig.

3Am nahm die Klägerin neben ihrer Tätigkeit als selbstständige Rechtsanwältin bei dem Beigeladenen zu 2 eine Tätigkeit im Umfang von 50 Prozent einer Vollzeitstelle in der Zentralstelle Technologietransfer auf (unbefristeter Arbeitsvertrag vom ) und übt diese Beschäftigung - unterbrochen durch Mutterschutz und Elternzeit - aus.

4Am beantragte die Klägerin bei der Beklagten für diese Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom ab, weil es sich bei der abhängigen Beschäftigung bei dem Beigeladenen zu 2 um keine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom als unbegründet zurück.

5Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG Freiburg mit Gerichtsbescheid vom abgewiesen.

6Während des von der Klägerin veranlassten Berufungsverfahrens hat die Rechtsanwaltskammer Freiburg die Klägerin mit Bescheid vom gemäß § 46 Abs 2 BRAO als Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) für die Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 2 zugelassen. Am ist ihr die Zulassungsurkunde von der Rechtsanwaltskammer ausgehändigt worden. Unter dem hat der Beigeladene zu 1 gegenüber der Beklagten bestätigt, dass die Klägerin seit im Versorgungswerk Pflichtmitglied kraft Gesetzes sei und für die zu befreiende Beschäftigung einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff SGB VI gezahlt habe.

7Mit Bescheid vom hat die Beklagte die Klägerin auf ihren erneuten Befreiungsantrag für die im Arbeitsvertrag vom bezeichnete Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 2, für die eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO erteilt worden ist, von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs 1 S 1 SGB VI ab Zulassung als Syndikusrechtsanwältin am befreit. Weiterhin hat die Beklagte die Klägerin auf ihren Antrag mit Bescheid vom für die Zeit vom bis zum hinsichtlich ihrer Beschäftigung als Mitarbeiterin bei dem Beigeladenen zu 2 rückwirkend nach § 231 Abs 4b SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit. Hinsichtlich der Zeit vom bis zum hat sie den Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b SGB VI durch Bescheid vom abgelehnt, weil diese in dem genannten Zeitraum keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt habe. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.

8Mit Urteil vom hat das LSG Baden-Württemberg die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom zurückgewiesen. Gegenstand des Verfahrens sei nur der Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , der sich als rechtmäßig darstelle. Der Bescheid vom sei nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Er habe den Ursprungsbescheid weder abgeändert noch ersetzt. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am vorgenommene Klageänderung sei unzulässig.

9Gegen die Nichtzulassung der Revision in der ihm am zugestellten Berufungsentscheidung hat der Beigeladene zu 1 am Beschwerde beim BSG erhoben. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen Verletzung des § 96 SGG.

10Die Klägerin hat sich dem Vortrag des Beigeladenen zu 1 angeschlossen. Die übrigen Beteiligten haben sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache geäußert.

11II. Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1 hat keinen Erfolg. Soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG stützt, ist sie bereits unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG (dazu 1.). Die im Übrigen einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend machende Beschwerde ist zwar zulässig, jedoch unbegründet (dazu 2.).

121. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

14Er hat es allerdings versäumt, deren Klärungsbedürftigkeit schlüssig aufzuzeigen.

15Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG bzw das BVerfG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN). Hieran fehlt es.

16Zwar führt der Beigeladene zu 1 aus, dass die aufgeworfene Frage noch nicht vom BSG entschieden worden sei. Er legt jedoch nicht dar, dass die schon vorhandene höchstrichterliche Judikatur noch nicht einmal Anhaltspunkte für deren Beurteilung enthält. Im Gegenteil zeigt die Beschwerdebegründung selbst auf, nach welchen Maßstäben und mit welchem Ergebnis die hier maßgeblichen Tatbestandsmerkmale des § 96 SGG "abändern und ersetzen" unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG auszulegen seien.

17Der Beigeladene zu 1 trägt dementsprechend auch nicht ausreichend vor, dass trotz der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch oder wieder Klärungsbedarf bestehe.

18Ist eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden, kann sie aufgrund einer Gesetzesänderung wieder klärungsbedürftig werden. Dies gilt selbst dann, wenn die höchstrichterlich ausgelegte Gesetzesvorschrift nicht geändert worden ist. Bei einer Gesetzesänderung kann sich nämlich ähnlich wie bei einer grundlegenden Änderung der Lebensverhältnisse in einem bestimmten Bereich der Inhalt nicht ausdrücklich geänderter Normen wandeln bzw hierdurch eine Neuinterpretation des Gesetzes erforderlich werden (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 320; vgl auch - Juris RdNr 8). Diese Umstände und ihre rechtlichen Konsequenzen für die Auslegung des Gesetzes sind in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG substantiiert vorzutragen (vgl Kummer, aaO, RdNr 320). Diesen Anforderungen ist ebenfalls nicht genügt.

19Zwar verweist der Beigeladene zu 1 auf den mit Wirkung zum eingeführten § 231 Abs 4b SGB VI und legt des Weiteren dar, dass der während des Berufungsverfahrens ergangene, den Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom bis ablehnende Bescheid vom den ursprünglichen Bescheid vom , mit dem der Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI abgelehnt worden ist, entgegen der Rechtsauffassung des LSG ersetzt habe und damit Gegenstand des Verfahrens gemäß § 96 SGG geworden sei. Er trägt aber nicht vor, dass diese Norm aufgrund des neu eingeführten § 231 Abs 4b SGB VI neu interpretiert werden müsste; vielmehr macht er geltend, dass das LSG den vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft unter die Rechtslage subsumiert habe. Damit rügt der Beigeladene zu 1 eine fehlerhafte Rechtsanwendung des § 96 SGG durch das Berufungsgericht. Mit dem Hinweis auf eine unrichtige Rechtsanwendung der Vorinstanz wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache indes nicht dargetan (vgl nur 9 B 8.06 - Juris RdNr 6).

20Ebenso wenig ist die Klärungsbedürftigkeit mit dem Hinweis aufgezeigt, dass ein weiteres LSG und verschiedene SG die Rechtslage unterschiedlich beurteilt hätten bzw die aufgeworfene Frage in weiteren zweitinstanzlichen Verfahren zur Entscheidung anstehen könne. Dass in diesen Verfahren Gesichtspunkte benannt worden sind, die abweichend von der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung eine neue Interpretation des § 96 SGG erforderten, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

212. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten vom nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Die Voraussetzungen des § 96 Abs 1 SGG sind nicht gegeben.

22Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt (VA) nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen VA abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

23Zwar hat die Klägerin den Bescheid vom vollumfänglich mit der Klage angegriffen. Der in der Klageschrift formulierte Antrag, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten anzuerkennen, dass die Klägerin "bei ihrer Tätigkeit als Angestellte des Klinikums F., die sie ab dem aufgenommen hat, von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI befreit ist", stellt keine zeitliche Beschränkung des Befreiungsbegehrens auf die Zeit erst ab Januar 2013 dar. Ausweislich der Klagebegründung handelt es sich bei der Jahresangabe "2013" im Antrag anstelle von "2012" vielmehr um einen offensichtlichen Schreibfehler. Auch ist der Bescheid vom nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom sowie bei noch nicht beendeter Rechtshängigkeit des Klageverfahrens ergangen.

24Der Bescheid vom ändert den Bescheid vom jedoch weder ab noch ersetzt er diesen.

25a) Abändern oder ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden VA mit dem des früheren identisch ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 86 Nr 2 RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21), was durch Vergleich der in beiden VA getroffenen Verfügungssätze festzustellen ist (vgl BSGE 47, 168, 170 = SozR 1500 § 96 Nr 13 S 19 f; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 96 RdNr 4a mwN). Dabei reicht bei der Abänderung eines teilbaren VA eine Identität des streitbefangenen Teils aus.

26Ausweislich des Vergleichs der Verfügungssätze der hier maßgeblichen Bescheide vom einerseits und vom andererseits liegt keine Identität der Regelungsgegenstände vor.

27Mit Bescheid vom hat die Beklagte den "Antrag vom auf Befreiung von der Versicherungspflicht für Ihre abhängige Beschäftigung ab am Klinikum F. … abgelehnt …". Mit Bescheid vom hat die Beklagte "den Antrag vom auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für Ihre in der Zeit vom bis ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiterin beim Klinikum F … abgelehnt".

28Den in den Bescheiden verlautbarten Umständen lässt sich im Wege der Auslegung entnehmen, dass beide die Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die Zeit vom bis auch (so Bescheid vom ) bzw ausschließlich (Bescheid vom ) regeln, wobei sich der erste Bescheid allerdings auf ihren Status als Rechtsanwältin und der zweite Bescheid auf ihren Status als Syndikusrechtsanwältin bezieht.

29Die Auslegung eines VA hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 BGB ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der VA sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (BSG SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15 mwN; - Juris RdNr 18).

30Unter Beachtung dieser Vorgaben ist der Bescheid vom dahin zu verstehen, dass er die Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht wegen Nichtausübens einer anwaltlichen Beschäftigung im Klinikum F. für die Dauer ihrer dortigen Beschäftigung beginnend mit dem bestimmt. Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz, der die Ablehnung ausdrücklich auf die "abhängige Beschäftigung ab am Klinikum F." bezieht, und der Begründung, dass es sich hierbei um keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit handele. Der Antrag der Klägerin vom (Eingangsdatum des Fax), auf den der Verfügungssatz ausdrücklich Bezug nimmt und den er vollumfänglich bescheidet, bestätigt dieses Ergebnis. In dem Antrag hat die Klägerin unter Ziffer 2 angegeben: "Ich bin angestellt, berufsspezifisch beschäftigt als Rechtsanwältin/Volljuristin, Arbeitgeber …: Klinikum F. …, Beginn der Beschäftigung ". Im Anschluss hieran hat die Klägerin unter Ziffer 3 erklärt: "Ich beantrage die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw Satz 5 SGB VI aufgrund meiner gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer … Rechtsanwaltskammer … ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt …". Antrag und Bescheid beziehen sich mithin korrespondierend auf die geltend gemachte Beschäftigung der Klägerin als Rechtsanwältin bei dem Klinikum F. und deren Dauer unter Angabe des Beschäftigungsbeginns. Der Bescheid vom regelt damit eine Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die geltend gemachte Tätigkeit als Rechtsanwältin bei dem Klinikum F. auch in dem Zeitraum bis .

31Dass der Bescheid vom die Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für ihre Beschäftigung bei dem Klinikum F. in der Zeit vom bis regelt, bedarf keiner gesonderten Erläuterung. Diese Ablehnung bezieht sich dabei allerdings im Unterschied zu dem Bescheid vom auf den neu erworbenen Status der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin. Dies ergibt sich zum einen durch die Bezugnahme des Bescheides auf den Antrag der Klägerin vom (Eingangsdatum bei der Beklagten), mit dem die Klägerin unter Hinweis auf die von ihr beantragte Zulassung als Syndikusrechtsanwältin die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht beantragt hat, und zum anderen durch den Verweis des Bescheides auf § 231 Abs 4b SGB VI, der sich auf die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt bezieht. Der Bescheid vom regelt damit eine Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für ihre Beschäftigung bei dem Klinikum "F. " - gemeint F. in dem Zeitraum bis im Hinblick auf ihren Status als Syndikusrechtsanwältin. Eine Identität der Regelungsgegenstände beider Bescheide liegt aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht vor.

32Für eine enge Auslegung der VA im dargelegten Sinn spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 96 Abs 1 SGG heutiger Fassung iVm der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur alten Rechtslage. Das BSG hat § 96 Abs 1 SGG in der bis zum geltenden Fassung unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus entsprechend angewendet (vgl hierzu etwa B 11a/11 AL 57/04 R - SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 16 f mwN). Mit Wirkung zum ist § 96 Abs 1 SGG durch Art 1 Nr 16 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom (BGBl I 444) neu gefasst worden. Die Gesetzesänderung ("nur dann") diente der Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm. Eine Einbeziehung des neuen VA soll nur noch möglich sein, wenn der ursprüngliche Bescheid nach Klageerhebung durch ihn ersetzt oder abgeändert wird (BT-Drucks 16/7716 S 19). Eine entsprechende Anwendung der Norm kommt danach nicht mehr in Betracht.

33Schon unter der Geltung alten Rechts hatte das BSG allerdings eine ausdehnende Anwendung des § 96 SGG abgelehnt, wenn zwar die späteren Entscheidungen auf derselben Rechtsgrundlage ergangen waren und es auch um dieselbe Rechtsfrage ging, die rechtlich relevanten Sachverhaltsumstände und Tatsachengrundlagen aber nicht oder nur teilweise deckungsgleich waren, weil nur so dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie angemessen Rechnung getragen werden könne (vgl etwa zum Vertragsarztrecht BSGE 78, 98, 101 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12, S 37; zur Beitragserhebung in der Unfallversicherung BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, RdNr 8; zu Betriebsprüfungen BSGE 93, 109 = SozR 4-5375 § 2 Nr 1, RdNr 11). Wenn aber schon nach altem Recht eine Veränderung der maßgeblichen Tatsachengrundlagen eine Anwendung des § 96 SGG ausgeschlossen hat, muss dies erst recht unter der Geltung neuen Rechts gelten.

34Eine Änderung des Streitstoffs liegt auch in diesem Fall vor.

35Für die Frage, ob die Klägerin eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b SGB VI für die Zeit vom bis beanspruchen kann, ist maßgeblich, ob in diesem Zeitraum einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt worden sind (vgl § 231 Abs 4b S 4 SGB VI). Hierauf kam es in der Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom indes nicht an; entscheidungsrelevant war insoweit, ob die Klägerin eine anwaltliche Tätigkeit ausgeübt hat.

36b) Entsprechend der fehlenden Identität des Regelungsgegenstandes in den Bescheiden vom und besteht auch keine Änderung oder Ersetzung des Ursprungsbescheids durch den späteren Bescheid iS von § 96 Abs 1 SGG. Eine Änderung liegt vor, wenn der VA teilweise aufgehoben und durch eine Neuregelung ersetzt wird; Ersetzung ist gegeben, wenn der neue VA vollständig an die Stelle des bisherigen tritt (vgl nur BSG SozR 4-2400 § 22 Nr 5 RdNr 15 mwN). Der Bescheid vom ist durch den Bescheid vom weder ganz noch teilweise aufgehoben worden. Vielmehr ist der Bescheid vom neben den Bescheid vom getreten und entfaltet die oben aufgezeigte eigene Regelungswirkung. Dementsprechend hat die Klägerin im Berufungsverfahren beide Bescheide nebeneinander in dem hier streitigen Umfang angefochten.

37Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.

38Der Streitwert richtet sich nach § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 GKG. Ausgehend von dem Antrag des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs 1 S 1 GKG) ist ein Auffangwert von 5000 Euro anzunehmen, weil keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Interesses des Beigeladenen zu 1 (vgl Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl 2018, § 47 GKG RdNr 3) vorliegen (§ 52 Abs 2 GKG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:220318BB5RE1217B0

Fundstelle(n):
VAAAG-87898