Leitsatz
Hat ein gerichtlich bestellter Dolmetscher als solcher an der Verhandlung tatsächlich teilgenommen, ist seine Abwesenheit nicht deshalb zu fingieren, weil Ablehnungsgründe gegen seine Person vorgelegen haben.
Gesetze: § 185 Abs 1 S 1 GVG, § 338 Nr 5 StPO
Instanzenzug: Az: 5 KLs - 8143 Js 14785/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädigung in neun tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen sowie die Einziehung eines Mobiltelefons und des Wertes von Taterträgen in Höhe von 536.245,11 € angeordnet. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat lediglich insofern Erfolg, als in Bezug auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen eine gesamtschuldnerische Haftung anzuordnen ist. Im Übrigen ist es unbegründet.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
31. Der Angeklagte schlug im Mai 2022 mit drei Mittätern aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses die Scheibe einer Lagerhalle ein und gelangte durch das sodann geöffnete Fenster in das Gebäude. Dort entwendeten die Eindringlinge Ware in einem Gesamtwert von 664.032,95 €. Zudem entstand ein Sachschaden in Höhe von 5.000 €. Die Beute wurde anschließend veräußert.
42. Etwa eine Woche später schlitzte der Angeklagte mit einem Mittäter an einem Rastplatz die Planen von neun Lkw auf, um durch die Öffnungen nach stehlenswertem Gut zu suchen, das sich dort indes nicht befand. Ohne dass die beiden etwas entwendet hatten, wurden sie von Polizeibeamten festgestellt, ihre Fahrzeuge durchsucht und die mitgeführten Mobiltelefone sichergestellt.
II.
5Während die Verfahrensbeanstandungen ohne Erfolg bleiben, hat die Sachrüge einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler nur insofern ergeben, als nicht die gesamtschuldnerische Haftung für die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet worden ist.
61. Die Rüge, die Hauptverhandlung habe teilweise in Abwesenheit eines nach dem Gesetz erforderlichen Dolmetschers stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO, § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG), greift – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – nicht durch.
7a) Der Beanstandung, die anfangs herangezogene Dolmetscherin sei aufgrund ihrer Funktion als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten ungeeignet und daher als nicht anwesend zu betrachten gewesen, liegt im Wesentlichen das folgende mit der Revisionsbegründung dargetane Geschehen zugrunde:
8Der Angeklagte ist niederländischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache nicht in einer Weise mächtig, dass er sich in einer gerichtlichen Hauptverhandlung auf Deutsch verständigen oder dieser folgen kann. Am ersten Verhandlungstag bestellte der Vorsitzende für diesen Terminstag eine zuvor dem Mitangeklagten als Pflichtverteidigerin beigeordnete Rechtsanwältin als Dolmetscherin für die niederländische Sprache und an ihrer Stelle einen anderen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten. Die Rechtsanwältin wurde als Dolmetscherin vereidigt und tätig. Es wurden die Personalien des Angeklagten und des Mitangeklagten festgestellt, die Anklageschrift und der Eröffnungsbeschluss verlesen sowie die Angeklagten auf ihr Schweigerecht hingewiesen. An den weiteren Verhandlungstagen wurde eine beeidigte Dolmetscherin für die niederländische Sprache herangezogen; die Rechtsanwältin nahm daran als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten teil.
9b) Nach diesem Verfahrensgang hat die Hauptverhandlung nicht in Abwesenheit eines Dolmetschers stattgefunden und liegt kein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO, § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG vor. Hat ein gerichtlich bestellter Dolmetscher als solcher an der Verhandlung tatsächlich teilgenommen, ist seine Abwesenheit nicht deshalb zu fingieren, weil Ablehnungsgründe gegen seine Person vorgelegen haben.
10aa) Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO setzt voraus, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Hierzu gehört zwar ein Dolmetscher, wenn ein Angeklagter der deutschen Sprache nicht mächtig und daher die Zuziehung nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG erforderlich ist (vgl. , BGHSt 3, 285 f.; Beschlüsse vom – 1 StR 471/01, NStZ 2002, 275, 276; vom – 1 StR 671/16, BGHR GVG § 185 Zuziehung 4 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 338 Rn. 44). Hat jedoch ein Dolmetscher an der Verhandlung teilgenommen und beziehen sich die hiergegen gerichteten Beanstandungen darauf, dass die als Dolmetscher zugezogene Person nicht als solcher hätte tätig werden dürfen, betrifft dies nicht die Frage der Anwesenheit. Dies ergibt sich aus Folgendem:
11Bereits nach dem Gesetzeswortlaut liegt nicht nahe, eine tatsächlich in der Hauptverhandlung anwesende Person als abwesend zu betrachten. Zwar kommt es in Ausnahmekonstellationen in Betracht, eine körperlich gegenwärtige Person als abwesend zu werten, wie etwa im Falle der Verhandlungsunfähigkeit (vgl. für den Angeklagten , NStZ-RR 2024, 82 f.; für den Verteidiger , BGHR StPO § 338 Nr. 5 Verteidiger 10 Rn. 5; jeweils mwN). Dies ist aber nicht dahin verallgemeinerungsfähig, dass rechtliche oder tatsächliche Einschränkungen in der Person eines notwendigerweise Anwesenden dessen Abwesenheit gleichstehen. Ist beispielsweise die weitere Tätigkeit eines Staatsanwalts in der Hauptverhandlung nach seiner Vernehmung als Zeuge unzulässig, folgt daraus grundsätzlich kein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 338 StPO (s. , BGHSt 14, 265, 267; Beschluss vom – 1 StR 235/19, BGHR StPO § 22 Nr. 5 Ausschluss 3 Rn. 10). Entsprechendes gilt nach der gesetzlichen Regelungssystematik auch dann, wenn in Rede steht, dass die hinzugezogene Person nicht als Dolmetscher habe bestellt werden dürfen.
12Gemäß § 191 Satz 1 GVG sind auf Dolmetscher die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechend anzuwenden (s. , BGHR GVG § 191 Dolmetscher 1 Rn. 20). Die Ablehnung eines Sachverständigen im Strafverfahren regelt § 74 StPO; sie bedarf eines Antrags, auch soweit es um Ausschließungsgründe gemäß §§ 22, 74 Abs. 1 Satz 1 StPO geht (vgl. , BGHSt 18, 214; Beschluss vom – 1 StR 614/95, BGHR StPO § 73 Auswahl 2; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl., § 74 Rn. 2). Insofern ist der Ausschluss eines Dolmetschers kraft Gesetzes nicht vorgesehen (s. 9 B 10001.84, NJW 1984, 2055; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 191 Rn. 2; zur Prüfung eines Ablehnungsgesuchs , BGHR GVG § 191 Dolmetscher 1 Rn. 21). Das mithin gesetzlich vorgegebene Verfahren würde umgangen, wenn ein tatsächlich anwesender Dolmetscher wegen Vorliegens etwaiger Ablehnungsgründe (s. § 74 Abs. 1, § 22 Nr. 4 Variante 4 StPO) als in der Hauptverhandlung abwesend betrachtet würde.
13Dass eine solche Fiktion nicht dem Gesetz entspricht, zeigt sich ferner daran, dass § 338 Nr. 2 StPO die Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters als eigenständigen Revisionsgrund normiert. Dies wäre entbehrlich, wenn ein Ausschlussgrund zur Folge hätte, dass die ausgeschlossene Person als abwesend zu betrachten wäre. Überdies ergibt sich daraus die gesetzgeberische Wertung, dass allein bei Richtern und Schöffen ein Ausschluss kraft Gesetzes einen absoluten Revisionsgrund darstellt.
14bb) Daran gemessen ist die Abwesenheit eines Dolmetschers nicht gegeben. Vielmehr fand die Hauptverhandlung in durchgehender Anwesenheit eines solchen statt. Dies gilt aus den aufgezeigten Gründen unabhängig davon, ob die zeitweilige Zuziehung der zuvor und im Anschluss, nicht aber in dem in Rede stehenden Zeitraum als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten tätigen Rechtsanwältin als Dolmetscherin sachgerecht und zulässig war. Um einen Fall, in dem mit Blick auf Sprachkenntnisse eines Verteidigers auf die Bestellung eines Dolmetschers verzichtet wurde (vgl. dazu OLG Celle, Beschluss vom – 1 Ss [OWi] 118/15, NStZ 2015, 720), handelt es sich gerade nicht.
15c) Die Verfahrensbeanstandung greift als relativer Revisionsgrund (§ 337 StPO) gleichfalls nicht durch. Unabhängig davon, dass ausdrücklich lediglich eine Verletzung von § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO gerügt ist, fehlt es jedenfalls an einem Ablehnungsantrag, der nach dem bereits dargelegten Normgefüge Voraussetzung für die Geltendmachung eines – auch zwingenden – Ablehnungsgrundes gegen den Dolmetscher ist (vgl. SK-StPO/Frister, 6. Aufl., § 191 GVG Rn. 6; entsprechend zum Sachverständigen , juris Rn. 4; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl., § 74 Rn. 17 mwN; LR/Krause, StPO, 27. Aufl., § 74 Rn. 42; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 74 Rn. 21; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 74 Rn. 70).
16d) Ferner ist auf der Grundlage des beanstandeten Sachverhalts kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Buchst. e EMRK) gegeben. Danach stand dem Angeklagten in der Hauptverhandlung stets eine Dolmetscherin zur Verfügung. Dass deren Tätigkeit unzureichend und er daher nicht in der Lage gewesen sei, seine Rechte wahrzunehmen, ist nicht vorgebracht. Soweit er die am ersten Verhandlungstag zugezogene Dolmetscherin allein aufgrund ihrer sonstigen Aufgabe als Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten für ungeeignet hält, ergibt sich daraus nicht, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (s. zu diesem Maßstab etwa , NJW 2024, 1103 Rn. 43 mwN; , BGHSt 64, 283 Rn. 26), zumal der Angeklagte die Möglichkeit eines Ablehnungsverfahrens nach § 191 Satz 1 GVG, § 74 StPO nicht nutzte.
172. Die Beanstandung eines Verstoßes gegen §§ 261, 244 Abs. 2 StPO, die sich auf eine fehlende Berücksichtigung von Auslieferungshaft bezieht, hat ebenfalls keinen Erfolg.
18Insofern macht die Revision geltend, der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung erklärt, sich vom 13. April bis zum in den Niederlanden in Auslieferungshaft befunden zu haben. Dazu ergebe sich Näheres aus in den Akten befindlichem, im Einzelnen dargelegtem E-Mail-Verkehr, der hätte verlesen werden müssen.
19Das Vorbringen genügt bereits nicht den Anforderungen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; denn es fehlt jegliche Auseinandersetzung damit, dass die E-Mails, deren unterbliebene Verlesung gerügt wird, ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls am siebten Verhandlungstag verlesen wurden. Darüber hinaus teilt die Revision nicht mit, dass die Erklärung des Angeklagten, deren Erörterung im Urteil sie vermisst, nicht Gegenstand der Beweisaufnahme war, sondern vor Verlesung des Anklagesatzes im Rahmen der Vernehmung über die persönlichen Verhältnisse abgegeben wurde. Im Übrigen hätte die Rüge mit der erhobenen Stoßrichtung angesichts der durch das Protokoll nachgewiesenen Beweiserhebung auch in der Sache keinen Erfolg.
203. Schließlich hat die Sachrüge in Bezug auf den Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Die Einziehungsentscheidung hält revisionsrechtlicher Prüfung ebenfalls weitgehend stand.
21Dass sich der Angeklagte in Auslieferungshaft befunden habe und daher über einen Anrechnungsmaßstab zu befinden gewesen wäre (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB), ist den – für die materiellrechtliche Prüfung allein maßgeblichen – Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
22Die angeordnete Einziehung des Mobiltelefons beruht auf § 74 Abs. 1 StGB. Gegen dessen Einordnung als Tatmittel bestehen keine Bedenken, da der Angeklagte es nicht nur im unmittelbaren Vorfeld, sondern sogar während der ersten Tat für mehrere Gespräche mit einem Mittäter nutzte. Obschon der genaue Gesprächsinhalt nicht bekannt ist, steht nach dem Zusammenhang außer Frage, dass der Angeklagte es zur Begehung der Tat gebrauchte.
23Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB ist dem Grunde nach gleichfalls gerechtfertigt. Dass die Höhe des eingezogenen Betrages geringer ist als sich aus der Addition der Werte der entwendeten Waren ergibt, beschwert den Angeklagten nicht. Allerdings haftet er insoweit als Gesamtschuldner, da er und seine vor Ort in der Lagerhalle agierenden Mittäter Mitverfügungsgewalt über die Beute hatten (vgl. , juris Rn. 4). Um eine doppelte Inanspruchnahme zu vermeiden, ist die gesamtschuldnerische Haftung in der Entscheidungsformel zu kennzeichnen; der individuellen Benennung der anderen Gesamtschuldner bedarf es dabei nicht (s. etwa , wistra 2021, 238 Rn. 2). Der Senat holt dies entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach.
244. Angesichts des lediglich geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Prof. Dr. Schäfer Dr. Hohoff Dr. Anstötz
Dr. Voigt Munk
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060325U3STR249.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-89406