Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen das am von der Bundesregierung nach § 9 Abs 1 KSG beschlossene Klimaschutzprogramm - Subsidiarität gegenüber verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz
Gesetze: § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG, § 4 Abs 1 S 6 KSG vom , § 4 Abs 1 S 10 KSG vom , § 9 Abs 1 S 1 KSG
Gründe
I.
1 Die Beschwerdeführenden wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das am von der Bundesregierung beschlossene Klimaschutzprogramm. Sie machen eine Verletzung des Gebots der intertemporalen Freiheitssicherung (Art. 2 Abs. 1 GG) geltend, weil das Klimaschutzprogramm hinter dem gesetzlich festgelegten Emissionsminderungspfad zur Erreichung der gesetzlich festgelegten Klimaschutzziele zurückbleibe.
II.
2 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.
3 1. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gehört die Darlegung, dass dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung genügt ist (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 18, 152 <153>). Die Beschwerdebegründung wird dem nicht gerecht.
4 a) Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs zulässig. Danach müssen Beschwerdeführende zunächst die ihnen gesetzlich zur Verfügung stehenden, nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfe ergreifen und den ihnen nach der jeweiligen Verfahrensordnung eröffneten Instanzenzug durchlaufen. Durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte soll dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere der obersten Bundesgerichte vermittelt werden. Zugleich entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben (vgl. zum Ganzen BVerfGE 68, 376 <380> m.w.N.).
5 Auch wenn zweifelhaft ist, ob ein Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann, sind Beschwerdeführende grundsätzlich gehalten, von dem etwaigen fachgerichtlichen Rechtsschutz Gebrauch zu machen (vgl. BVerfGE 16, 1 <2 f.>; 68, 376 <381>; 70, 180 <185>; 91, 93 <106>; 145, 20 <54 Rn. 85>; stRspr). Es ist daher geboten und Beschwerdeführenden auch zumutbar, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Statthaftigkeit einfachrechtlicher Rechtsbehelfe sorgfältig zu prüfen und von ihnen auch Gebrauch zu machen, wenn sie nicht offensichtlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>) oder die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs so zweifelhaft ist, dass Beschwerdeführenden seine Erhebung nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerfGE 17, 252 <257>; 39, 302 <312>; 60, 7 <13>; 60, 96 <99>; 64, 203 <206>; 107, 299 <309>). Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsbehelf indes nur, wenn die Rechtsbehelfsführenden nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsbehelfs über dessen Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnten (vgl. BVerfGE 28, 1 <6>; 48, 341 <344>; 49, 252 <255>; 107, 299 <308>). Allein der Umstand, dass Rechtsprechung zugunsten der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs noch nicht vorliegt, wird in der Regel nicht genügen (vgl. BVerfGE 70, 180 <186 f.>; 145, 20 <54 Rn. 85>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1443/12 -, Rn. 12; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 475/24 -, Rn. 14).
6 b) Die Beschwerdeführenden legen nicht dar, dass ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig oder die Zulässigkeit derart zweifelhaft wäre, dass ihnen die Erhebung des Rechtsbehelfs nicht zugemutet werden könnte. Sie tragen lediglich vor, dass bislang gerichtlich ungeklärt sei, ob sie vor den Verwaltungsgerichten den Erlass eines dem Gebot des intertemporalen Freiheitsschutzes genügenden Klimaschutzprogramms verlangen könnten. Dem könne möglicherweise § 4 Abs. 1 Satz 10 KSG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom (BGBl I S. 3905) entgegenstehen, wonach subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen durch das Bundes-Klimaschutzgesetz oder aufgrund dieses Gesetzes nicht begründet werden. Ein Teil der Literatur gehe davon aus, dass daher kein subjektiver Rechtsschutz auf ein ausreichendes Klimaschutzprogramm vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden könne. Die Beschwerdeführenden argumentieren demgegenüber selbst, dass die Grundrechte im Wege verfassungskonformer Auslegung oder Reduktion dazu führen könnten, dass subjektive Rechte auf Aufstellung eines den gesetzlichen Maßgaben genügenden Klimaschutzprogrammes trotz gegenteiliger Absicht des einfachen Gesetzgebers anzuerkennen seien. Insgesamt lässt sich der - von den Beschwerdeführenden teilweise zitierten - Literatur lediglich entnehmen, dass die Frage, ob § 4 Abs. 1 Satz 10 KSG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom (BGBl I S. 3905) beziehungsweise § 4 Abs. 1 Satz 6 KSG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom (BGBl 2024 I Nr. 235) einen unmittelbar auf Grundrechte gestützten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz ausschließt, ungeklärt ist (vgl. Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 104. EL Juni 2024, § 4 KSG Rn. 33; Schlacke/Römling, DVBl 2021, S. 144 <148>; von Weschpfennig, in: Fellenberg/Guckelberger, Klimaschutzrecht, 2022, § 4 KSG Rn. 30; Wickel, in: Berliner Kommentar zum Energierecht, 5. Aufl. 2022, § 4 KSG Rn. 31 f.; vgl. auch Franke/Prall/Verheyen, in: Koch/Hofmann/Reese, Handbuch Umweltrecht, 6. Aufl. 2024, § 11 Rn. 143 f.; Saurer, in: Rodi, Handbuch Klimaschutzrecht, 2022, § 10 Rn. 52 f.). Gleiches gilt für die Frage des Individualrechtsschutzes gegen Klimaschutzprogramme (vgl. Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 104. EL Juni 2024, § 4 KSG Rn. 35; Franke/Prall/Verheyen, in: Koch/Hofmann/Reese, Handbuch Umweltrecht, 6. Aufl. 2024, § 11 Rn. 152; Guckelberger, in: Fellenberg/Guckelberger, Klimaschutzrecht, 2022, § 9 KSG Rn. 26; Posser, in: Frenz, Klimaschutzrecht, 2. Aufl. 2022, § 9 KSG Rn. 31; Schlacke/Römling, DVBl 2021, S. 144 <148>). In derartigen Fällen ist es grundsätzlich die Aufgabe der Fachgerichte, über streitige oder noch offene Zulässigkeitsfragen nach einfachem Recht unter Berücksichtigung der hierzu vertretenen Rechtsansichten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>). Der Funktion der Verfassungsbeschwerde würde es zuwiderlaufen, sie anstelle oder gleichsam wahlweise neben einem möglicherweise statthaften Rechtsbehelf zuzulassen (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>; 70, 180 <186>).
7 2. Die Erschöpfung des Rechtswegs ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführenden auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Verfassungsbeschwerde allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen würde, die das Bundesverfassungsgericht auch ohne vorherige fachgerichtliche Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlagen beantworten könnte (vgl. BVerfGE 150, 309 <327 Rn. 44>; 157, 30 <109 Rn. 140> - Klimaschutz). Diese Ausnahme vom Erfordernis vorheriger Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes gilt in Fällen, in denen sich Beschwerdeführende unmittelbar gegen ein förmliches Gesetz wenden und das fachgerichtliche Verfahren für sie günstigstenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. In diesen Fällen wird Beschwerdeführenden nicht zugemutet, zunächst ein fachgerichtliches Verfahren anzustrengen, wenn dessen Durchführung keine verbesserten Grundlagen für die dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erwarten lässt. Anders liegt es hingegen, wenn - wie hier - Beschwerdegegenstand kein Gesetz ist. Das Klimaschutzprogramm wird nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSG von der Bundesregierung beschlossen. Gegen derartige Akte der Exekutive steht grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg offen (vgl. BVerfGE 157, 30 <108 Rn. 138>), sodass selbst dann, wenn allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen wären, auch ohne Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Rechtsschutz erlangt werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 712/20 -, Rn. 16). Vor allem stehen vorliegend aber auch tatsächliche Fragen wie die geltend gemachte Emissionslücke in Rede.
8 3. Eine Vorabentscheidung ist nicht angezeigt. Nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
9 a) Allgemeine Bedeutung hat eine Verfassungsbeschwerde, wenn sie die Klärung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen erwarten lässt und somit geeignet ist, über den Einzelfall hinaus Klarheit in gleichgelagerten Fällen zu schaffen (vgl. BVerfGE 68, 176 <185>; 94, 49 <83 f.>; 108, 370 <386>).
10 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch geklärt, dass die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft schützen (vgl. BVerfGE 157, 30 <130 f. Rn. 183>). Dabei müssen sich Beschwerdeführende grundsätzlich gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten, weil regelmäßig nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates die Reduktionslasten insgesamt unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 12; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2146/22 -, Rn. 5). Inwiefern die Anwendung dieser Rechtsprechung auf das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung vom bislang ungeklärte verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen würde, legen die Beschwerdeführenden nicht dar.
11 b) Ob den Beschwerdeführenden gerade aus der gebotenen Rechtswegerschöpfung ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, kann schließlich dahinstehen. Soweit die Beschwerdeführenden maßgeblich auf die Folgen einer langen Verfahrensdauer abstellen, haben sie schon nicht dargelegt, auf ein zügiges Verfahren hingewirkt zu haben. Sie hatten sich zunächst der Klage einer nach § 3 Abs. 1 UmwRG anerkannten Umweltvereinigung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg angeschlossen, ihre Klage aber in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen (vgl. -, juris, Rn. 2). Mit Schriftsatz vom erhoben die Beschwerdeführenden erneut Klage, erklärten sich jedoch damit einverstanden, dass das Oberverwaltungsgericht hierüber gegebenenfalls erst nach Rechtskraft des Urteils im Verfahren der Umweltvereinigung entscheidet. Jedenfalls in einer solchen Situation überwiegt im Rahmen der nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG zu treffenden Ermessensentscheidung (vgl. BVerfGE 8, 222 <226 f.>; 76, 248 <251 f.>) das Interesse an der fachgerichtlichen Vorklärung das Interesse der Beschwerdeführenden an einer sofortigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 86, 382 <390>).
12 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
13 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250212.1bvr204723
Fundstelle(n):
NAAAJ-88988