BAG Urteil v. - 10 AZR 6/24

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge - Gleichheitssatz

Instanzenzug: ArbG Gera Az: 2 Ca 67/20 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 5 Sa 63/23 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeits- und Spätschichtzuschläge.

2Der Kläger leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Spät- und Nachtschichtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Thüringen vom (im Folgenden MTV).

3Der MTV enthält unter anderem folgende Regelungen:

4Der Kläger verrichtete von Juni bis August 2019 im Rahmen von Wechselschichtarbeit Nacht- und Spätschichtarbeit im tarifvertraglichen Sinn, für die er einen Nachtschichtzuschlag von 25 % (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV) bzw. einen Spätschichtzuschlag von 10 % des Stundenentgelts (§ 7 Ziff. 1 Buchst. b MTV) erhielt.

5Mit der Klage begehrt der Kläger - nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung - für die nach 20:00 Uhr in Nachtschicht und in Spätschicht geleisteten Arbeitsstunden die Zahlung weiterer Zuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem für Nachtschichtarbeit in Höhe von 25 % bzw. für Spätschichtarbeit in Höhe von 10 % gezahlten tariflichen Zuschlag (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich bzw. § 7 Ziff. 1 Buchst. b Abs. 1 MTV) und dem tariflichen Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 50 % (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV). Hilfsweise verlangt er für die in Spätschicht nach 20:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden die Differenz zum tariflichen Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 25 % (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV).

6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit es sich um Spätschichtarbeit im Sinn des § 7 Ziff. 1 Buchst. b MTV gehandelt habe, ergebe sich aus Abs. 2 der Bestimmung, dass dieser als Zuschlag für Nachtarbeit gezahlt werde. Demnach sei die Höhe des Zuschlags der Regelung in § 7 Ziff. 1 Buchst. c des Tarifvertrags zu entnehmen. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer für Nachtarbeit nach 20:00 Uhr - trotz Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmergruppen - geringere Zuschläge als Arbeitnehmer, die unregelmäßige Nachtarbeit leisteten, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei Schichtarbeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei Schichtarbeit als auch bei unregelmäßiger Nachtarbeit vorliegen oder fehlen. Auch sei der Zweck, soziale Belastungen durch den erhöhten Zuschlag auszugleichen, dem Tarifvertrag nicht zu entnehmen. Den Aspekt der Planbarkeit berücksichtige allein § 7 Ziff. 1 Buchst. c zweiter Spiegelstrich MTV, wonach für den Fall, dass die Ansagefrist (§ 6 Ziff. 4 Abs. 2) nicht eingehalten werden könne, für die erste Nacht ein Zuschlag von 50 % zu zahlen sei. Ein Zuschlag von nur 25 % für Nachtschichtarbeit sei nicht vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt. Er verteuere die Nachtarbeit nicht ausreichend. Außerdem sei dieser Gestaltungsspielraum mit Blick darauf eingeschränkt, dass tarifvertragliche Regelungen für Nachtarbeitszuschläge der Durchführung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dienten und insoweit an Art. 20 und Art. 31 Abs. 1 GRC zu messen seien. Zumindest stehe ihm für die nach 20:00 Uhr geleistete Spätschichtarbeit nach § 7 Ziff. 1 Buchst. b Abs. 2 iVm. § 6 Ziff. 4 MTV der tarifliche Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 25 % nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV zu.

7Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gruppen der Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit verrichteten, seien schon nicht vergleichbar. Zwischen Nachtschichtarbeit und unregelmäßiger Nachtarbeit bestehe zudem ein Regel-Ausnahmeverhältnis, weil Nachtschichtarbeit sehr viel häufiger anfalle als unregelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Der Zuschlag solle nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Arbeitgeber sollten von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abgehalten werden. Außerdem sei die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Zugleich diene er als Anreiz, eine nicht im Schichtplan vorgesehene Tätigkeit zur tariflichen Nachtzeit ausnahmsweise aufzunehmen. Schließlich sei eine „Anpassung nach oben“ abzulehnen. Die Regelung in § 7 Ziff. 1 Buchst. b Abs. 2 MTV bezwecke lediglich eine steuerrechtliche Klarstellung und führe nicht zu einer Erhöhung des Spätschichtzuschlags.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Zahlungsansprüche weiter.

Gründe

10Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Seine Berufung war bereits teilweise unzulässig, soweit er für Arbeit in der Spätschicht nach 20:00 Uhr weitere Zuschläge verlangt hat. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass er für den streitgegenständlichen Zeitraum keine weiteren Zuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden verlangen kann.

11I. Soweit der Kläger die Zahlung weiterer Zuschläge für Arbeit in der Spätschicht nach 20:00 Uhr in Höhe der Differenz zwischen dem in Höhe von 10 % gezahlten tariflichen Zuschlag (§ 7 Ziff. 1 Buchst. b Abs. 1 MTV) und dem tariflichen Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 50 % (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV) verlangt hat, hilfsweise die Differenz zum tariflichen Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 25 % (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV), ist die Revision des Klägers schon deshalb unbegründet, weil insoweit bereits seine Berufung unzulässig war.

121. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach der Berufungseinlegung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss eine Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Bei mehreren Streitgegenständen muss für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt (st. Rspr., zB  - Rn. 13 mwN; - 10 AZR 136/17 - Rn. 13).

132. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers im Hinblick auf den von ihm verfolgten Anspruch auf Zahlung weiterer Zuschläge für Arbeit in der Spätschicht nach 20:00 Uhr nicht gerecht.

14a) Der Kläger hat für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden Zuschläge in Höhe von insgesamt 50 % des Stundenentgelts verlangt. Für die während der Spätschichten nach 20:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden hat er Zuschläge in Höhe von insgesamt 50 %, hilfsweise in Höhe von insgesamt 25 % geltend gemacht. Hierbei handelt es sich um drei voneinander zu unterscheidende Lebenssachverhalte und damit drei Streitgegenstände iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, deren Begründung nicht denknotwendig voneinander abhängt (vgl. zum zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff  - Rn. 17 mwN, BAGE 176, 160). Die Frage, ob der Anspruch auf weitere Spätschichtzuschläge nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV iVm. Art. 3 Abs. 1 GG, hilfsweise nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV aus § 7 Ziff. 1 Buchst. b Abs. 2 iVm. § 6 Ziff. 4 MTV hergeleitet werden kann, kann unabhängig davon beantwortet werden, ob die Unterscheidung bei der Zuschlagshöhe für Nachtschichtarbeit einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit andererseits in § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter und fünfter Spiegelstrich MTV gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und dem Kläger daraus folgend ein Anspruch auf Anpassung „nach oben“ zusteht.

15b) In seiner Berufungsbegründung setzt sich der Kläger nicht mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts auseinander, mit denen es einen Anspruch auf höhere Zuschläge für die versehene Spätschichtarbeit abgelehnt hat. Sein Vorbringen bezieht sich ausschließlich auf die Begründung des Arbeitsgerichts, mit dem es einen Anspruch auf höhere Zuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden verneint hat, und damit auf einen anderen Streitgegenstand. Die bloße „vollumfängliche“ Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen reichte nicht aus, um die Berufung zu begründen (vgl.  - Rn. 16).

16c) Hinsichtlich des behaupteten eigenständigen Anspruchs auf höhere Zuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden genügte die Berufungsbegründung den gesetzlichen Anforderungen.

17II. Auch im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass der Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum keine höheren Nachtarbeitszuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden verlangen kann. Ein solcher Anspruch steht ihm weder unmittelbar aus dem MTV noch wegen eines Verstoßes der Bestimmungen des MTV gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu.

181. Ein Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV.

19a) Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

20b) Nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV ist für Nachtschichtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit (§ 6 Ziff. 3 Abs. 3 MTV) für die volle Nachtschicht (§ 6 Ziff. 4 Abs. 1 MTV) ein Zuschlag von 25 % des aus dem gezahlten Monatsentgelt zu ermittelnden Stundenentgelts (§ 7 Ziff. 2, § 15 Ziff. 1 MTV) zu zahlen. Nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV ist für unregelmäßige Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 % des Stundenentgelts zu zahlen. Da es sich bei der vom Kläger geleisteten Arbeit um Nachtschichtarbeit iSv. § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV handelt, sind die tariflichen Voraussetzungen des Anspruchs auf einen Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV nicht erfüllt. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.

212. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % des Stundenentgelts wegen eines Verstoßes der tariflichen Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG und einer daraus folgenden Anpassung „nach oben“.

22a) Die Tarifvertragsparteien haben mit § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV, der für Nachtschichtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 25 % auf das Stundenentgelt vorsieht, für Beschäftigte, die - wie der Kläger - regelmäßig Nachtarbeit leisten, Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Nachtarbeitszeiten verdrängt (vgl. zum Prüfungsmaßstab und zu den Anforderungen die st. Rspr., zB  - Rn. 21 ff.; - 10 AZR 553/20 - Rn. 22 ff.; - 10 AZR 332/20 - Rn. 22 ff.).

23b) Die Unterscheidung bei der Zuschlagshöhe für Nachtschichtarbeit einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit andererseits in § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter und fünfter Spiegelstrich MTV verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien und zur zurückgenommenen Prüfungsdichte der Gerichte die st. Rspr., zB  - Rn. 18 ff. mwN). Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit leisten, sind zwar - entgegen der Ansicht der Beklagten - mit Arbeitnehmern vergleichbar, die unregelmäßige Nachtarbeit erbringen (vgl. zu den Voraussetzungen der Vergleichbarkeit  - Rn. 34; - 10 AZR 334/20 - Rn. 50 ff. mwN, BAGE 173, 205). Sie werden aber gegenüber diesen Arbeitnehmern nicht gleichheitswidrig schlechter gestellt. Für die Ungleichbehandlung bei der Höhe des Nachtarbeitszuschlags gibt es einen aus dem MTV erkennbaren sachlichen Grund, der diese rechtfertigt (vgl. zu den Anforderungen die st. Rspr., zB  - Rn. 41 ff. mwN).

24aa) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit in § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter und fünfter Spiegelstrich MTV führen dazu, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV erhalten Arbeitnehmer für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von 25 % des Stundenentgelts, während der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV 50 % beträgt. Das führt zu einer Differenz in Höhe von 25 Prozentpunkten. Dahinstehen kann, ob sonstige tarifliche Regelungen zu einer Verringerung dieser Differenz führen. Denn die Ungleichbehandlung bei der Höhe der Zuschläge ist unabhängig davon gerechtfertigt.

25bb) Die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV) bzw. regelmäßige Nachtarbeit (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV) einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV) andererseits ist sachlich gerechtfertigt. Ein Sachgrund ergibt sich zwar nicht aus dem mit den Zuschlägen erkennbar verfolgte Zweck des Gesundheitsschutzes (vgl. hierzu im Einzelnen  - Rn. 44 ff.). Die Ungleichbehandlung ist aber durch einen weiteren Zweck gerechtfertigt, der im MTV ausreichend Niederschlag gefunden hat. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien soll mit dem höheren Zuschlag auch die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB  - Rn. 25 mwN; - 10 AZR 163/23 - Rn. 41; - 10 AZR 210/19 - Rn. 13 mwN).

26(1) § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit dienen.

27(2) Mit Blick auf die Gegenüberstellung des Begriffspaares „regelmäßig“ (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV) und „unregelmäßig“ (§ 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV) im Zusammenhang mit der Nachtarbeit kann aber davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien, wie es dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit entspricht, angenommen haben, unregelmäßige Nachtarbeit sei aufgrund der typischerweise gegebenen Unvorhersehbarkeit schlechter planbar und mit ihr seien neben der gesundheitlichen Belastung durch die Nachtarbeit weitere Belastungen verbunden. Wird unregelmäßige Nachtarbeit geleistet, werden diese weiteren Belastungen mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag finanziell kompensiert (vgl. dazu im Einzelnen  - Rn. 53 ff.; vgl. zur Fortführung eines bestimmten Begriffs durch die Tarifvertragsparteien zB  - Rn. 22, BAGE 134, 34). § 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV bestätigt dieses Verständnis zusätzlich. „Regelmäßige Nachtarbeit“ setzt danach - im Gegensatz zu unregelmäßiger Nachtarbeit - eine Planbarkeit voraus. Sie liegt nur vor, wenn sie für den Zeitraum von mindestens einer Arbeitswoche durchgeführt wird (§ 6 Ziff. 4 Abs. 2 Satz 1 MTV) und eine Ansagefrist von mindestens 24 Stunden eingehalten wird (§ 6 Ziff. 4 Abs. 2 Satz 2 MTV). Darunter fällt auch die Dauernachtarbeit (vgl.  - Rn. 56).

28(3) Dem Regelungssystem des MTV lässt sich zudem entnehmen, dass es sich bei der Nachtschichtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit um eine besondere Form der regelmäßigen Nachtarbeit handelt, auch wenn sie in § 7 Ziff. 1 Buchst. c dritter Spiegelstrich MTV nicht ausdrücklich als „regelmäßig“ bezeichnet wird. Ausgehend vom § 6 Ziff. 3 Abs. 1 MTV, auf den § 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV Bezug nimmt, setzt Wechselschichtarbeit iSd. MTV eine Regelhaftigkeit voraus, die bei unregelmäßiger Nachtarbeit nicht gegeben ist. Nach § 6 Ziff. 3 Abs. 1 MTV liegt Wechselschichtarbeit vor, wenn „in regelmäßigem Wechsel“ in zwei Schichten (Buchst. a, zB Früh- und Spätschicht) oder in drei Schichten (Buchst. b, Früh-, Spät- und Nachtschicht) gearbeitet wird. Die Regelmäßigkeit der Wechselschichtarbeit wird zusätzlich noch dadurch hervorgehoben, dass sie im Einvernehmen mit dem Betriebsrat mit einer Ankündigungsfrist von mindestens drei Tagen zum Wochenbeginn für eine Mindestdauer von zwei Wochen bei Doppelschicht und von drei Wochen bei drei Schichten eingeführt werden kann. Daraus wird deutlich, dass die Wechselschichtarbeit nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien einer Regelhaftigkeit - und damit besseren Planbarkeit - unterliegt.

29(4) Unregelmäßige Nachtarbeit iSv. § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV ist demgegenüber all die Nachtarbeit, die keiner Regel folgend in ungleichen Abständen und ohne eine Ansagefrist von 24 Stunden versehen wird. Hieraus folgt bei typisierender Betrachtung, dass regelmäßige Nachtarbeit einschließlich der Nachtschichtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit besser vorhersehbar und planbar ist als unregelmäßige Nachtarbeit. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet. Unregelmäßige Nachtarbeit richtet sich dagegen nicht nach festen Regeln, sondern folgt üblicherweise einem weniger vorhersehbaren Bedarf ( (A) - Rn. 130, BAGE 173, 165).

30(5) Diesem Verständnis widerspricht die Regelung in § 6 Nr. 6 MTV nicht. Soweit danach bei der Festlegung und Anordnung notwendiger Mehr-, Schicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit berechtigte Wünsche der Beschäftigten nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind, haben die Tarifvertragsparteien damit lediglich in besonderem Maß § 106 GewO Rechnung getragen (vgl. hierzu im Einzelnen  - Rn. 59 ff.; - 10 AZR 397/20 - Rn. 60 mwN).

31(6) Der Annahme, der erhöhte Zuschlag nach § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV gleiche auch die fehlende Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit aus, steht nicht entgegen, dass es - wie der Kläger meint - denkbar sei, Arbeitnehmer außerhalb des Anwendungsbereichs von § 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV regelmäßig für weniger als den Zeitraum von mindestens einer Arbeitswoche abweichend von ihrer sonstigen Einsatzzeit (zB zur Erledigung bestimmter Arbeiten außerhalb ihrer sonstigen Schichtzeit) zur Nachtzeit einzusetzen. Der Kläger nimmt zwar zutreffend an, dass derartige Einsätze nicht mit einer mangelnden Planbarkeit verbunden sind. Entgegen seiner Ansicht führt dies aber nicht dazu, dass damit unregelmäßige Nachtarbeit iSv. § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV gegeben ist. Vielmehr deutet schon der Wortlaut von § 6 Ziff. 4 Abs. 2 MTV - „... wenn sie für den Zeitraum von mindestens einer Arbeitswoche durchgeführt wird“ - darauf hin, dass die vom Kläger geschilderte Konstellation von dieser Bestimmung erfasst wird. Diese Wortwahl setzt nicht voraus, dass der einzelne Arbeitnehmer für die Dauer einer gesamten Arbeitswoche ausschließlich zur Nachtzeit arbeitet. Dagegen spricht die Verwendung des Wortes „durchgeführt“ im Unterschied zu „gearbeitet“ (§ 6 Ziff. 3 Abs. 1 und Abs. 3 MTV) und des Begriffs „geleistete Arbeit“ (§ 6 Ziff. 4 Abs. 1, Ziff. 5 und Ziff. 6 MTV). „Durchgeführt“ kann - parallel zu „eingeführt“ in § 6 Ziff. 3 Abs. 4 MTV - auch dahin verstanden werden, dass Nachtarbeit für die Dauer einer Arbeitswoche zu planen ist und damit anfällt. Selbst wenn aber der vom Kläger gezeichnete Sachverhalt keine regelmäßige Nachtarbeit iSv. § 7 Ziff. 1 Buchst. c erster Spiegelstrich MTV darstellte, wäre es mit Blick auf die dennoch gegebene Regelmäßigkeit jedenfalls kein Fall der unregelmäßigen Nachtarbeit iSv. § 7 Ziff. 1 Buchst. c fünfter Spiegelstrich MTV, für deren Defintion auf den üblichen Sprachgebrauch abzustellen ist ( - Rn. 20). Insoweit unterscheidet sich der MTV im Streitfall von anderen Tarifverträgen, die lediglich die Gegenüberstellung von Nachtarbeit in (Wechsel-)Schicht als regelmäßiger Form und sonstiger Nachtarbeit beinhalten (vgl. zB  - Rn. 53 ff.; - 10 AZR 369/20 - Rn. 57).

32(7) Der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit vermag die Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Den Tarifvertragsparteien steht es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie frei, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dies gilt etwa - wie vorliegend - für den Zweck, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen (st. Rspr., zB  - Rn. 65 ff. mwN; - 10 AZR 332/20 - Rn. 59 ff. mwN). Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch Nachtschichtarbeit und sonstige Nachtarbeit anzunehmen (st. Rspr., zB  - Rn. 46). Dabei ist unerheblich, dass mit der tariflichen Zuschlagsregelung des MTV mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden und wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird (st. Rspr., zB  - Rn. 62).

333. Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf den höheren Nachtarbeitszuschlag, weil die tarifvertragliche Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit gegen Art. 20 und 21 GRC verstieße. Der EuGH, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung von Richtlinien zugewiesen ist, hat auf die Vorlagen des Senats vom (- 10 AZR 332/20 (A) - BAGE 173, 165 und - 10 AZR 333/20 (A) -) entschieden, dass mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, die Richtlinie 2003/88/EG nicht iSv. Art. 51 Abs. 1 GRC durchgeführt wird (vgl. und C-258/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.). Damit kommen die Bestimmungen der GRC vorliegend nicht zum Tragen.

34III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:231024.U.10AZR6.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-81893