Zu spät und zu wenig
Die Steuerreformvorhaben der Ampel
Es scheint sie noch immer zu geben, die Steuerrechtler, die auch nach unzähligen Reformentwürfen und -vorschlägen auf eine umfassende Neuordnung des Steuerrechts hoffen. Ein solches Vorhaben war zwar nicht Gegenstand des letzten Koalitionsvertrags, gleichwohl aber waren Erwartungen geweckt worden, denn immerhin hatte der Bundesfinanzminister im Dezember 2021 selbstbewusst angekündigt, sein Haus in ein „Ermöglichungsministerium“ umzugestalten und Geld für die großen Investitionsvorhaben der Ampel, sei es in Digitalisierung oder Klimaschutz, aufzubringen (vgl. Handelsblatt online v. 9.12.2021). Ob diese Aufbruchstimmung durch den russischen Überfall auf die Ukraine gedämpft wurde oder das Projekt tatsächlich einer längeren Vorbereitungszeit bedurfte, ist nach dem Bruch der Koalition vielleicht nicht mehr so von Interesse. Jedenfalls fiel erst am 19./ der Startschuss für das „Netzwerk empirische Steuerforschung“ (NeSt), dessen Wirkungskreis die Ausgestaltung des materiellen Steuerrechts, die Administration und den Vollzug des Rechts umfassen und damit zur Verwaltungsdigitalisierung und Entbürokratisierung beitragen sollte. Immerhin kann die Koalition – allerdings unter Federführung des Justizministeriums – noch die Verabschiedung des Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes als Erfolg verbuchen und auf die steuerlichen Aspekte der kürzeren Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege, die zentrale Vollmachtsdatenbank für Steuerberater sowie den Abruf digitaler Steuerbescheide verweisen.
Im materiellen Steuerrecht tat sich allerdings wenig. Freilich kamen mit einiger Verzögerung noch das Wachstumschancengesetz und im letzten Augenblick auf Druck der Landwirte das hochproblematische Gesetz zur Verlängerung der Tarifermäßigung (NWB 28/2024 S. 1873) sowie das nur Einzelmaßnahmen enthaltende JStG 2024 zustande, während das Steuerfortentwicklungsgesetz wohl ein Opfer des Koalitionsbruchs werden wird. Umfassendere Gesetzeswerke wie eine grundlegende Unternehmensteuerreform, wie noch im Koalitionsvertrag der GroKo verheißen, aber dann doch nur durch Einzelmaßnahmen wie die Senkung der Steuersätze für Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer sowie die Einführung der Zinsschranke und der Abgeltungsteuer umgesetzt, konnte man von der Ampelkoalition wohl nicht erwarten. Und doch setzte der Bundesfinanzminister am zwei Expertenkommissionen ein, die ihre Berichte dann ein Jahr später vorlegten. Die Kommission „Bürgernahe Einkommensteuer“ wurde mit der „Erarbeitung eines weniger komplexen und [i]Ausführlich zu den bilanzsteuerrechtlichen Vorschlägen der Expertenkommissionen 2024 zur bürgerfreundlichen Einkommensteuer und zur vereinfachten Unternehmensteuer s. Kanzler in Handbuch Bilanzsteuerrecht, 4. Aufl. 2021, Rz. 3102 (Online-Aktualisierung, Stand 9/2024)zukunftsfähigen Steuerrechts“ betraut, „welches sich zugleich an einer realistischen Umsetzbarkeit orientiert“, während die Expertenkommission „Vereinfachte Unternehmensteuer“ beauftragt war, „kritische Bereiche und Stellschrauben des Steuerrechts zu identifizieren und die Unternehmensbesteuerung zu modernisieren und attraktiver zu machen“. Beide Kommissionen haben trotz der ihnen auferlegten Beschränkungen zwar keine grundlegenden umfassenden Konzeptionen entwickelt, aber dennoch beachtliche Änderungen vorgeschlagen, die angesichts der späten Beauftragung auch dann kaum umzusetzen gewesen wären, wenn die 20. Legislaturperiode regulär beendet worden wäre. Ob die neue Regierung den Willen und die Energie zu einer Umsetzung der Kommissionsvorschläge aufbringt, wird die Zukunft zeigen.
Hans-Joachim Kanzler
Fundstelle(n):
NWB 2024 Seite 3353
MAAAJ-80118