Umsatzsteuer/Verfahrensrecht | Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft bei Anfechtung des Steuerbescheids durch die Organgesellschaft (BFH)
Sind die Voraussetzungen einer Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit einer KG als Organgesellschaft aufgrund geänderter Rechtsprechung des BFH erfüllt, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (Bestätigung des , BFHE 280, 89). Dies gilt auch im Rechtsbehelfsverfahren der KG gegen eine ihr gegenüber ergangene Steuerfestsetzung (; veröffentlicht am ).
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG. Die Gesellschafter der Klägerin waren im Streitjahr 2016 als Komplementärin die BVB-GmbH, die ab als TLVB-GmbH firmierte, und als einzige Kommanditistin die JB-GmbH & Co. KG. Alleingesellschafter der BVB-GmbH ‑ der späteren TLVB-GmbH ‑ war BS, der neben BJ und MB auch einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer dieser GmbH war.
Am veräußerten die Kommanditisten der JB-KG ihre Gesellschaftsanteile an die BS-GmbH. Zudem beschloss die Gesellschafterversammlung der JB-KG am , dass deren Komplementär-GmbH aus der JB-KG austrat, so dass das Vermögen der JB-KG im Wege der Anwachsung auf die BS-GmbH überging. Die Gesellschafterversammlung der BS-GmbH beschloss am die Umfirmierung in TL-GmbH. Gesellschafter der BS-GmbH - der späteren TL-GmbH - waren im Streitjahr BS mit einer Beteiligung am Stammkapital von 90 % sowie BJ und MB mit einer Beteiligung von jeweils 5 %. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der TL-GmbH waren BJ und MB. Im Jahr 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der TL-GmbH eröffnet.
Aufgrund eines Vertrags v. erwarb die Klägerin von der BS-GmbH ‑ der späteren TL-GmbH ‑ Fahrzeuge zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von rund 4.062.000 €, zuzüglich Umsatzsteuer i.H. v. rund 771.780 €, zahlbar in 28 gleichen jährlichen Raten. Hierüber erteilte die BS-GmbH ‑ die spätere TL-GmbH ‑ der Klägerin eine Rechnung vom , die Umsatzsteuer entsprechend auswies.
In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das zweite Kalendervierteljahr 2016 erklärte die Klägerin Umsätze aus dem Verkauf von zwei Fahrzeugen und machte als Vorsteuer nur den in der Rechnung vom ausgewiesenen Vorsteuerbetrag geltend, was zu einem Überschuss zu ihren Gunsten führte.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung erließ das FA einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das zweite Kalendervierteljahr 2016, in dem er die Umsatzsteuer auf 16.150 € festsetzte. Den geltend gemachten Vorsteuerabzug erkannte es nicht an, weil das zugrunde liegende Rechtsgeschäft rechtsmissbräuchlich zustande gekommen sei. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
Mit dem Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 vom schätzte das FA die Bemessungsgrundlage für regelbesteuerte Umsätze der Klägerin auf 450.000 € und setzte demgemäß Umsatzsteuer in Höhe von 85.500 € fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und gab zugleich eine Jahressteuererklärung ab, in der sie Umsätze in Höhe von 636.450 € zum Regelsteuersatz erklärte und erneut einen Vorsteuerbetrag in Höhe von 771.780 € geltend machte. Der Einspruch gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 blieb erfolglos.
Während des gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 gerichteten Klageverfahrens lud das FG den damaligen Insolvenzverwalter der TL-GmbH zu dem Verfahren bei. Nachdem dieser die Rechnung vom storniert hatte, machte die Klägerin unter Bezugnahme auf das "Finanzamt für Körperschaften Berlin" (s. hierzu Hartman, ) geltend, der Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 sei ersatzlos aufzuheben, da zwischen ihr als Organgesellschaft und der TL-GmbH als Organträgerin im Streitjahr eine Organschaft bestanden habe.
Das FG gab der Klage statt, da die Klägerin Organgesellschaft der TL-GmbH als Organträgerin gewesen sei. Die Voraussetzungen einer Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) lägen vor (, s. hierzu Sterzinger, ). Das FA vertritt dagegen die Ansicht, dass nach Maßgabe des , BStBl II 2017, 547 das Vorliegen einer Organschaft zu verneinen sei.
Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück:
Das FG, das das bei seiner Entscheidung noch nicht veröffentlichte (s. hierzu Brill, NWB 16/2023 S. 1095 sowie unsere Online-Nachricht v. 13.4.2023) nicht berücksichtigen konnte, hat entgegen dieser Entscheidung zu Unrecht einen Anspruch auf Aufhebung der gegenüber der Klägerin ergangenen Steuerfestsetzung im Hinblick auf deren Stellung als Organgesellschaft bejaht.
Ist eine KG entsprechend dem Urteil des FG aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung als Organgesellschaft anzusehen, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (, Rz 20; zustimmend z.B. Jacobs, UR 2023, 409).
Der Senat hält hieran weiter fest. Zwar wird hierzu eingewendet, dass es für die Bestimmung des maßgeblichen Steuerrechtsverhältnisses auf ein Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 33 Abs. 1 AO ankomme, wobei dieses nicht "mit einem materiell-rechtlichen Steuersubjekt i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gleichzusetzen" sei (Luther/von Cölln, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2023, 674, 677). Allerdings ist gemäß § 33 Abs. 1 AO Steuerpflichtiger, wer eine Steuer schuldet, was sich nach den Einzelsteuergesetzen richtet (§ 43 Satz 1 AO; , Rz 16; vgl. auch Drüen in Tipke/Kruse, § 33 AO Rz 4 und Schindler in Gosch, AO § 33 Rz 9).
Nach dem damit bei Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft maßgeblichen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG kommt der Organgesellschaft ‑ anders als im Körperschaftsteuerrecht ‑ gerade keine Steuerrechtsfähigkeit zu (, Rz 47; BFH-Beschluss v. - V R 40/19, Rz 17; vgl. auch Schindler in Gosch, AO § 33 Rz 41).
Bestätigt wird das Antragserfordernis durch die in § 73 Satz 1 AO angeordnete Haftung, die entgegen der vorstehenden Kritik bei Verzicht auf ein Antragserfordernis leerliefe, da sie zwar - wie sich aus § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO ergibt - keine Steuerfestsetzung gegenüber dem Organträger, aber eine diesem gegenüber zumindest festsetzbare Steuerschuld voraussetzt, an der es grundsätzlich fehlen würde, wenn dieser sich auf Vertrauensschutz in Bezug auf eine aufgegebene höchstrichterliche Rechtsprechung berufen könnte.
Auch unter Berücksichtigung neuerer EuGH-Rechtsprechung steht das Antragserfordernis im Einklang mit dem Unionsrecht, selbst wenn man es nicht lediglich am Maßstab der Äquivalenz und Effektivität (hierzu , Rz 27) misst.
Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt dies nicht nur für den Fall, dass die KG - wie im - einen Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO stellt, sondern auch für die - hier gegebene - Anfechtung einer Steuerfestsetzung.
Dass Organträger und Organgesellschaft nicht beanspruchen können, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier: Organträger) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organgesellschaft) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden, folgt aus der materiell-rechtlichen Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und der dabei erforderlichen Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben, so dass es auf die verfahrensrechtliche Unterscheidung, ob der Steuerbescheid aufgrund eines Einspruchs oder aufgrund eines Änderungsantrags zu überprüfen ist, unerheblich ist.
Die Sache ist nicht spruchreif: Für die Aufhebung der gegenüber der Klägerin ergangenen Steuerfestsetzung, die mit einer geänderten BFH-Rechtsprechung begründet wird, nach der ein Mehrheitsgesellschafter geltend machen kann, dass er Organträger auch in Bezug auf eine Tochter-KG als Organgesellschaft ist, ohne dass dabei die Verhältnisse in Bezug auf die Mitgesellschafter bei der KG zu betrachten sind (, BStBl II 2017, 567, Leitsatz 3 und v. - XI R 17/11, BStBl II 2017, 581, Leitsatz 2), kommt es auf einen Antrag der Beigeladenen auf Änderung der für die TL-GmbH vorliegenden Steuerfestsetzung an. Hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen, die in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen sind.
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
RAAAJ-79452