Online-Nachricht - Donnerstag, 13.04.2023

Umsatzsteuer | Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft (BFH)

Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter der A GmbH & Co. KG (KG). Gesellschafter der KG waren im Jahr 2010 (Streitjahr) die A Verwaltungs-GmbH als Komplementärin ohne eigenen Kapitalanteil (Komplementär-GmbH) sowie die beiden Kommanditisten VA mit einem Kapitalanteil von 80 % und SA mit 20 %. Bei der KG bedurften Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren im Streitjahr ebenfalls VA zu 80 % und SA zu 20 %. Einziger Geschäftsführer war VA. VA verpachtete der KG das Betriebsgrundstück und diverse Maschinen, die wesentliche Betriebsgrundlagen der KG waren.

Die KG gab eine nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab. Die Umsatzsteuer wurde vollständig bezahlt. VA erklärte seine entgeltlichen Umsätze aus der Verpachtung der Betriebsgrundlagen ebenfalls mit einer Umsatzsteuererklärung 2010.

Das Amtsgericht eröffnete mit Beschluss vom das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG und bestimmte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Über das Vermögen des VA wurde ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die KG gab eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab, in der sie keine Umsätze mehr erklärte. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom gleichen Tag unter Hinweis auf das , das Bestehen einer Organschaft zwischen VA als Organträger und der KG als Organgesellschaft festzustellen.

Das FA lehnte dies ab, da eine Personengesellschaft nicht in eine umsatzsteuerliche Organschaft einbezogen werden könne. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA zurück. Demgegenüber gab FG der Klage statt ().

Der BFH hat die Revision des FA als begründet angesehen, das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen:

  • Das FG hat zwar zutreffend entschieden, dass im Streitfall aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vorliegt. Es hat aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass eine Änderung zugunsten der KG im Hinblick auf diese Rechtsprechungsänderung voraussetzt, dass der Organträger für seine Steuerfestsetzung einen Änderungsantrag stellt. Hierzu sind in einem zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.

  • Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer "kapitalistischen Struktur" kann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind (Anschluss an „Finanzamt für Körperschaften Berlin“ und insoweit Aufgabe des ).

  • Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.

  • Organträger und Organgesellschaft können nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (z. B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (z. B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden (Bestätigung der Rechtsprechung: ).

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung ist in zweierlei Hinsicht zu beachten. Sie betrifft einerseits die Frage, ob umsatzsteuerrechtlich im Besprechungsfall von einer Organschaft auszugehen ist. Andererseits betrifft sie eine verfahrensrechtliche Frage.

Hinsichtlich der Frage nach der Organschaftsstruktur des Falles folgt der V. Senat der neueren Rechtsprechung des EuGH, die mit der Entscheidung in der Rechtssache Larentia/Minerva (, EU:C:2015:496) an Kontur zugenommen hat und sich zuletzt in den zwei Entscheidungen des (s. z. B. „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“, EU:C:2022:943, Rz. 69 f.) gezeigt hat. Er folgt damit auch der Rechtsprechung des XI. Senats (s. z. B. ), der bereits Personengesellschaften mit kapitalistischer Struktur als Organgesellschaft anerkannt hat. Damit ist die bisherige Rechtsprechung des V. Senats obsolet. Im Ergebnis besteht nunmehr ein Einklang mit dem XI. Senat.

Der zweite Teil des Urteils betrifft die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung. Erfüllt nun die Insolvenzschuldnerin (KG) im Besprechungsfall die Voraussetzung, eine Organgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu sein, und ist sie damit nicht Steuerschuldnerin, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt. Letztlich der Grundsatz von Treu und Glauben ("venire contra factum proprium") erfordert es, dass der Organträger sich nicht auf die bisherige Rechtsprechung berufen kann. Er muss m.E. zu Recht diesen Änderungsantrag, der nicht widerrufbar sein darf, stellen. Erst dann kann eine Änderung der Steuerfestsetzung bei der KG erfolgen.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB HAAAJ-37554