Insolvenzverfahren: Nachtragsverteilung bei Rechtschuldbefreiung; Massezugehörigkeit des Steuererstattungsanspruchs
Leitsatz
1. Die Erteilung der Restschuldbefreiung steht einer Nachtragsverteilung nicht entgegen, wenn diese einen Gegenstand der Masse betrifft.
2. Die Beurteilung der Massezugehörigkeit des Steuererstattungsanspruchs ist unabhängig von der Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens.
Gesetze: § 35 Abs 1 InsO, § 203 InsO, § 286 InsO, §§ 286ff InsO, § 46 Abs 1 AO, § 850e Nr 3 ZPO
Instanzenzug: LG Bamberg Az: 12 T 2/23vorgehend AG Bamberg Az: 4 IN 376/18
Gründe
I.
1Mit Beschluss vom eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter und stellte die Restschuldbefreiung in Aussicht. Mit Beschluss vom erteilte das Insolvenzgericht dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung. Mit weiterem Beschluss vom hob das Gericht das Insolvenzverfahren nach Durchführung des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren und Vollzug der Schlussverteilung auf. Zugleich beschloss es, dass der Insolvenzbeschlag für näher bezeichnete Steuererstattungsansprüche des Schuldners für die Veranlagungszeiträume 2019 bis 2022 und für solche, die bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, aufrechterhalten bleibe. Es ordnete die Nachtragsverteilung der Erstattungsbeträge an und beauftragte den weiteren Beteiligten mit ihrem Vollzug.
2Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen diese Entscheidung hat das Landgericht durch den Einzelrichter zurückgewiesen. Mit der von dem Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner erreichen, dass der Beschluss des Insolvenzgerichts insoweit geändert wird, als dieses einen fortbestehenden Insolvenzbeschlag von Steuererstattungsansprüchen bejaht und insoweit die Nachtragsverteilung angeordnet hat.
II.
3Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 6 Abs. 1 Satz 1, § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat. Der angefochtene Beschluss unterliegt indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was von dem Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (vgl. , WM 2019, 1461 Rn. 4 f; vom - IX ZB 6/20, ZIP 2021, 642 Rn. 4 mwN zur st. Rspr.).
52. Für das weitere Verfahren vor dem Beschwerdegericht weist der Senat auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin:
6a) Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners ist am eröffnet worden. Anwendbar sind daher die Vorschriften der Insolvenzordnung in der Fassung vom (BGBl. I. S. 2379; Art. 103k EGInsO).
7b) Eine Nachtragsverteilung hat grundsätzlich auch noch nach Erteilung der Restschuldbefreiung zu erfolgen, falls unbekannte Vermögensgegenstände des Schuldners aufgefunden werden, wie der Senat bereits entschieden hat (, NZI 2008, 560 Rn. 9). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Es trifft nicht zu, dass eine Nachtragsverteilung nach Erteilung der Restschuldbefreiung keinen Sinn mehr mache, weil die Insolvenzgläubiger mit ihren Forderungen endgültig ausgeschlossen seien (so aber Holzer in Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2019, § 203 Rn. 35; FK-InsO/Kießner, 9. Aufl., § 203 Rn. 3). Aus dem Umstand, dass Insolvenzforderungen mit der Restschuldbefreiung zu "unvollkommenen", also zwar erfüllbaren, aber nicht mehr zwangsweise durchsetzbaren Verbindlichkeiten werden (vgl. , WM 2011, 271 Rn. 15 mwN), folgt nicht, dass die Gläubiger nicht mehr Anspruch auf Teilhabe an solchen Vermögenswerten des Schuldners haben, die an sich vor Beendigung des Insolvenzverfahrens hätten verteilt werden müssen, aber noch nicht für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung standen. Der Schuldner, der von der Restschuldbefreiung profitieren will, ist gerade verpflichtet, sein gesamtes pfändbares Vermögen seinen Gläubigern zur Verfügung zu stellen (vgl. Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 300 Rn. 52; Jungmann, WuB 2016, 352, 356).
8c) Das Beschwerdegericht hat auch zutreffend erkannt, dass der Anspruch des Schuldners auf Erstattung von Steuern gemäß § 35 Abs. 1 InsO grundsätzlich zur Masse gehört, wenn und soweit der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (vgl. , ZIP 2006, 340 Rn. 13 ff; Urteil vom - IX ZR 64/21, ZIP 2022, 332 Rn. 8 ff; BFHE 212, 436, 438). Der für die insolvenzrechtliche Betrachtung maßgebliche Rechtsgrund für eine Steuererstattung wird bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, weil der Steuerpflichtige schon zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erstattung unter der aufschiebenden Bedingung erlangt, dass am Jahresende die geschuldete Steuer geringer ist als die Summe der Vorauszahlungen (vgl. aaO Rn. 16 ff).
9Wird dem Schuldner allerdings während des Insolvenzverfahrens Restschuldbefreiung erteilt, gehört das Vermögen, das der Schuldner nach dem Ende der Abtretungsfrist oder - wie im vorliegenden Fall - nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO erwirbt, gemäß § 300a Abs. 1 InsO nicht mehr zur Insolvenzmasse (vgl. , WM 2014, 569 Rn. 5). Das gilt namentlich auch für einen (anteiligen) Steuererstattungsanspruch (vgl. aaO Rn. 5 f; Urteil vom - IX ZR 64/21, ZIP 2022, 332 Rn. 11 ff). Vorliegend ist dem Schuldner am (vorzeitige) Restschuldbefreiung erteilt worden. Die Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO werden noch davor eingetreten gewesen sein. Dass auch die Steuererstattungsansprüche des Schuldners für das Jahr 2022 vollständig massezugehörig wären, kann vor diesem Hintergrund nicht ohne weiteres angenommen werden.
10d) Entgegen der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, dass Steuererstattungsansprüche des Schuldners gerade darauf beruhen sollen, dass sein Einkommen - und infolgedessen gemäß § 850e Nr. 3 ZPO auch der gemäß §§ 35, 36 InsO an die Masse abzuführende pfändbare Betrag (vgl. dazu , WM 2024, 793 Rn. 15 f) - im Hinblick auf einen in den Gehaltsabrechnungen durch seinen Arbeitgeber gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG pauschal angesetzten Nutzungsvorteil wegen der Überlassung eines Dienstwagens höher gewesen sein soll, als es der tatsächlichen Nutzung des Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte entsprochen habe.
11In diesem Zusammenhang trifft es zwar zu, dass der Steuererstattungsanspruch kein Arbeitseinkommen darstellt, weil er öffentlich-rechtlicher Natur ist und nicht den Charakter eines Einkommens hat, das dem Berechtigten aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zusteht (vgl. , ZIP 2006, 340 Rn. 9 mwN). Seine Pfändbarkeit ergibt sich jedoch aus § 46 Abs. 1 AO (vgl. aaO Rn. 13). Er gehört daher grundsätzlich zur Masse. Die Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens ist davon unabhängig. Für die Beurteilung der Massezugehörigkeit des Steuererstattungsanspruchs kommt es insbesondere nicht darauf an, ob die - hier ersichtlich durch den Drittschuldner erfolgte - Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens (vgl. , NZI 2018, 528 Rn. 5) richtig ist oder nicht.
12e) Das Beschwerdegericht wird erneut zu prüfen haben, ob ein Grund für die Anordnung einer Nachtragsverteilung angenommen werden kann.
13aa) Der vom Beschwerdegericht herangezogene Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist weit auszulegen. Er setzt nicht voraus, dass die Existenz oder der Aufenthaltsort eines Massegegenstands dem Verwalter während der Dauer des Insolvenzverfahrens unbekannt war. Die Vorschrift erfasst vielmehr auch Gegenstände, von deren Existenz der Verwalter wusste, die er aber irrtümlich für nicht verwertbar hielt und deswegen nicht zur Masse zog (, ZIP 2006, 143 Rn. 6; vom - IX ZB 184/09, WM 2011, 79 Rn. 11). Gleiches gilt, wenn Gegenstände während der Verfahrensdauer tatsächlich (noch) nicht verwertbar waren ( aaO).
14bb) Das Beschwerdegericht ist von dem zweitgenannten Fall ausgegangen und hat angenommen, ein Steuererstattungsanspruch sei bei Insolvenzverfahren natürlicher Personen allgemein erst nach der Verfahrensbeendigung realisierbar. Dies hat es damit begründet, dass der Erstattungsanspruch von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht erfasst sei.
15Die Anwendung von § 287 InsO steht jedoch nicht in Frage. Vielmehr ist allein § 80 Abs. 1 InsO und somit der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundene Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Masse gehörende Schuldnervermögen auf den Insolvenzverwalter maßgeblich. Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AO als Vermögensverwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners wahrzunehmen (vgl. BVerwG, DStR 2018, 2441 Rn. 21). Demzufolge trifft ihn insbesondere auch eine Steuererklärungspflicht des Schuldners (vgl. BFH/NV 2008, 334). Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis schließt es darüber hinaus ein, dass der Insolvenzverwalter selbst dann Steuererstattungsansprüche des Schuldners zu Gunsten der Masse geltend zu machen hat, wenn keine steuerrechtliche Verpflichtung des Schuldners zur Abgabe einer Steuererklärung besteht (vgl. , ZIP 2013, 2413 Rn. 6).
Schultz Selbmann Harms
Weinland Kunnes
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260924BIXZB5.24.1
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 8 Nr. 44
WM 2024 S. 2020 Nr. 43
EAAAJ-77187