BGH Beschluss v. - IX ZB 47/22

Voraussetzungen für Versagung der Restschuldbefreiung

Leitsatz

1a. Die Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts zu den Voraussetzungen eines Versagungstatbestandes greift erst ein, wenn der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zulässig ist.

1b. Ein Versagungsantrag ist nur zulässig, wenn das Vorliegen eines Versagungsgrunds schlüssig dargelegt und erforderlichenfalls glaubhaft gemacht ist. Dabei ist ausschließlich der bis zum Schlusstermin gehaltene und glaubhaft gemachte Vortrag des Antragstellers zu berücksichtigen.

2. Beträgt der Unterschied zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen und dem bei einem anderen Arbeitgeber erzielbaren Einkommen rund 3% des Bruttoeinkommens und liegt der pfändbare Anteil aus dem Unterschiedsbetrag deutlich unter 100 €, führt allein dieser Gehaltsunterschied bei einem zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 63 Jahre alten, in Vollzeit tätigen Schuldner nicht dazu, dass die vom Schuldner bereits ausgeübte Tätigkeit nicht mehr als angemessene Erwerbstätigkeit anzusehen ist.

Gesetze: § 5 Abs 1 S 1 InsO, § 287b InsO, § 290 Abs 1 Nr 7 InsO, § 290 Abs 2 S 1 InsO, § 295 Abs 1 Nr 1 InsO, § 294 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 12 T 12/22vorgehend AG Deggendorf Az: 1 IN 94/19

Gründe

I.

1Mit Beschluss vom eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Der Beschluss stellte ihm Restschuldbefreiung für den Fall in Aussicht, dass er seinen Obliegenheiten nachkommt und Versagungsgründe nicht vorliegen. Das Insolvenzgericht bestellte zugleich die weitere Beteiligte zu 1 zur Insolvenzverwalterin.

2Der am geborene Schuldner ist von Beruf Maschinenbauingenieur (FH). Von 1994 bis 2018 war er bei der Firma R.     GmbH & Co. KG angestellt, die ebenso wie der Schuldner in Insolvenz geraten ist. Geschäftsführerin der Gesellschaft war T.    R.  , seine Ehefrau. Vom bis Ende Mai 2020 war der Schuldner bei der Firma T. R.  Verwaltungs GmbH als Geschäftsführer, danach als Prokurist tätig. Die genannte GmbH ist Komplementärin der T. R.       GmbH & Co. KG, bei der der Schuldner seit dem ebenfalls als Prokurist beschäftigt ist. Sein monatliches Bruttogehalt belief sich laut dem Bericht der Beteiligten zu 1 vom seit Februar 2019 auf 1.700 €. Zudem wurde ihm in diesem Zeitraum ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, woraus sich ein zusätzlicher monatlicher Bruttoverdienst in Höhe von 1.012,70 € für ihn ergab. Die sich nach dem Gesamteinkommen von 2.712,70 € errechnenden pfändbaren Beträge führte der Schuldner an die Beteiligte zu 1 ab. Die weiteren Beteiligten zu 2 und 3 haben - soweit noch von Interesse - mit Schriftsatz vom unter Bezugnahme auf den Bericht der Beteiligten zu 1 vom die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt, weil der Schuldner seine Erwerbsobliegenheiten verletzt habe.

3Das Insolvenzgericht hat die Restschuldbefreiung versagt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Schuldner weiterhin gegen die Versagung der Restschuldbefreiung.

II.

4Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie des vorangegangenen Beschlusses des Insolvenzgerichts und zur Verwerfung des Antrags auf Versagung der Restschuldbefreiung als unzulässig.

51. Das Beschwerdegericht hat nach Einholung einer Auskunft der Bundes-agentur für Arbeit das Vorliegen der Voraussetzungen einer Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO bejaht und ausgeführt, dass die von dem Schuldner ausgeübte Erwerbstätigkeit in Anbetracht seiner beruflichen Qualifikation nicht den an ihn zu stellenden Anforderungen entspreche. Bei einem anderen Arbeitgeber habe er ein Bruttogehalt von 6.513 € bis 6.900 € im Monat erzielen können, weshalb sein tatsächliches Bruttoeinkommen von monatlich 1.700 € im Vergleich unangemessen niedrig sei. Auszugehen sei auch von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Schuldner bei Vornahme der ihm obliegenden, tatsächlich aber vollständig unterbliebenen Bemühungen eine höher bezahlte Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen gefunden hätte. Dem Einwand des Schuldners, er könne aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten, ist das Beschwerdegericht nicht nachgegangen.

62. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Versagungsantrag der Beteiligten zu 2 und 3 ist unschlüssig und bereits deshalb als unzulässig zu verwerfen.

7a) Die Versagung der Restschuldbefreiung setzt gemäß § 290 Abs. 1 InsO einen Antrag eines Gläubigers voraus. Gemäß § 290 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 InsO kann der Antrag bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung nach § 211 Abs. 1 InsO schriftlich gestellt werden; er ist nur zulässig, wenn ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird (§ 290 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 InsO).

8aa) Den Anforderungen an die Glaubhaftmachung (§§ 4 InsO, 294 ZPO) als Teil der Zulässigkeitsprüfung ist genügt, wenn für den geltend gemachten Versagungsgrund eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht (, BGHZ 156, 139, 141 f). Zum Zwecke der Glaubhaftmachung hat der Gläubiger bis zum Schlusstermin die notwendigen Beweismittel beizubringen. Ausnahmsweise kann sich die Glaubhaftmachung auf eine schlüssige Darstellung des Sachverhalts beschränken, sofern der Schuldner diesen nicht bestreitet ( aaO S. 143). Der Gläubiger ist allein dafür verantwortlich, die an die Glaubhaftmachung des Versagungsgrunds gestellten Anforderungen zu erfüllen. Ebenso wie im Stadium der Prüfung, ob ein Eröffnungsantrag zulässig ist, greift die Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts (§ 5 InsO) in diesem Verfahrensabschnitt nicht ein ( aaO S. 142).

9bb) Auch wenn die von dem Antragsteller behaupteten Tatsachen unstreitig sind und deshalb keiner Glaubhaftmachung bedürfen, ist sein Versagungsantrag dennoch unzulässig, wenn sein Vortrag unschlüssig ist, weil auf der Grundlage der von ihm seinem Antrag zugrunde gelegten Tatsachen die Voraussetzungen eines Versagungsgrunds nicht erfüllt sind. Die Pflicht und die Befugnis des Insolvenzgerichts zur Ermittlung des weiteren Sachverhalts setzen erst ein, wenn der Gläubiger einen Versagungsgrund schlüssig vorträgt und erforderlichenfalls glaubhaft macht. Die Insolvenzordnung hat das Verfahren über den Antrag, die Restschuldbefreiung zu versagen, weitgehend kontradiktorisch ausgestaltet. Die Vorschrift des § 290 Abs. 2 InsO soll verhindern, dass das Insolvenzgericht auf bloße Vermutungen gestützte aufwändige Ermittlungen führen muss (, BGHZ 156, 139, 142). Dies gilt erst recht, wenn der Versagungsgrund schon auf der Grundlage der eigenen, wenn auch unstreitigen Darlegungen des Antragstellers im Zeitpunkt des Schlusstermins unschlüssig ist.

10cc) Der letztmögliche Zeitpunkt, zu dem ein unzulässiger - unschlüssiger oder nicht glaubhaft gemachter - Antrag nachgebessert werden kann, ist der Schlusstermin. Die gemäß § 290 Abs. 2 InsO erforderliche Glaubhaftmachung des Versagungsgrunds muss spätestens dann erfolgen und kann im Beschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden (, BGHZ 156, 139, 142 f; vom - IX ZB 227/04, ZVI 2006, 596 Rn. 6; vom - IX ZB 53/08, WM 2008, 2301 Rn. 9; vom - IX ZB 185/08, WM 2009, 619 Rn. 6). Erst recht ist das Nachschieben von Versagungsgründen im Beschwerdeverfahren unzulässig ( aaO Rn. 10; vom , aaO). Tatsachen, die erstmals nach dem Schlusstermin in das Verfahren eingeführt werden, sind für die Zulässigkeit des Versagungsantrags mithin unerheblich. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn diese Tatsachen - wie hier - aufgrund einer nach dem Schlusstermin erfolgten Amtsermittlung des Insolvenzgerichts bekannt geworden sind.

11dd) Die Schlüssigkeit und die Glaubhaftmachung des Versagungsantrags im maßgeblichen Zeitpunkt sind als Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen erfolgreichen Versagungsantrag in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfen.

12b) Nach diesen Maßstäben ist der Versagungsantrag der Beteiligten zu 2 und 3 unzulässig. Aus dem Vortrag zur Begründung des Versagungsantrags ergibt sich nicht, dass die Voraussetzungen des Versagungsgrunds nach § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO erfüllt wären. Nach dem Antrag ist davon auszugehen, dass der Schuldner einerseits in dem von den Beteiligten zu 2 und 3 zugrunde gelegten Zeitraum tatsächlich ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 2.712,70 € bezog, andererseits bei gehörigem Bemühen an anderer Stelle 2.800 € brutto im Monat hätte verdienen können. Mit diesem Vorbringen ist der Antrag nicht schlüssig ausgeführt.

13aa) Nach dem Sachvortrag der Beteiligten zu 2 und 3 erzielte der Schuldner ein Einkommen in Höhe von 2.712,70 € brutto monatlich. Die Beteiligten zu 2 und 3 haben angegeben, dass der Schuldner nur ein Gehalt in Höhe von 1.700 € brutto erwirtschafte und zudem auf den Bericht der Beteiligten zu 1 vom Bezug genommen. Nach diesem Bericht erhielt der Schuldner über das Gehalt in Höhe von 1.700 € brutto hinaus auch eine Sachleistung in Form eines Dienstwagens im Wert von 1.012,70 € brutto im Monat; die Beteiligte zu 1 ermittelte aus diesem Gesamteinkommen im Bericht vom das pfändbare Nettoeinkommen. Weitere Ausführungen zu ihrem auf § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO gestützten Versagungsantrag haben die Beteiligten zu 2 und 3 bis zum Schlusstermin nicht mehr gehalten. Insbesondere haben sie sich nicht auf weitere Berichte der Beteiligten zu 1 bezogen.

14bb) Das von dem Schuldner erzielte Geldeinkommen und die von ihm bezogene Sachleistung sind gemäß § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO zu einem Gesamteinkommen in Höhe von 2.712,70 € brutto zu addieren. Die erhaltenen Bezüge und der Ansatz des Dienstwagens mit 1.012,70 € brutto im Monat als tatsächliches Einkommen des Schuldners in dem im Versagungsantrag zugrunde gelegten Zeitraum sind unstreitig.

15(1) Gemäß § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO sind Geld- und Naturalleistungen für die Berechnung des pfändbaren Einkommens zusammenzurechnen. Wird dem Schuldner ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, handelt es sich dabei um einen Sachbezug, der Teil der Arbeitsvergütung ist (vgl. , ZInsO 2012, 2342 Rn. 3; BAG, ZInsO 2023, 2532 Rn. 12 ff; LAG Hessen, NZI 2009, 526; ebenso zu § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO BAGE 130, 101 Rn. 15). Dieser ist als Naturalleistung gemäß § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO zu den Geldleistungen hinzuzurechnen (vgl. BAG, ZInsO 2023, 2532 Rn. 22).

16(2) Der sich aus einem Gesamteinkommen von 2.712,70 € brutto ergebende pfändbare Betrag ist im Streitfall in vollem Umfang aus dem in Geld zahlbaren Betrag pfändbar. Bei einer Zusammenrechnung von Geld- und Naturalleistungen erweitert § 850e Nr. 3 Satz 2 ZPO die Pfändbarkeit des in Geld zahlbaren Betrags insoweit, als der dem Schuldner nach § 850c ZPO verbleibende Betrag durch den Wert der Naturalleistung gedeckt wird (vgl. , ZInsO 2012, 2342 Rn. 3). Nach dem Bericht der Beteiligten zu 1 vom , auf den die Beteiligten zu 2 und 3 verwiesen haben, bezog der Schuldner ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.388,63 €. Den sich bei Hinzurechnung der Sachleistung von 1.012,70 € brutto ergebenden pfändbaren Betrag konnte der Schuldner in voller Höhe aus dem in Geld zahlbaren Betrag abführen, weil der nach § 850c ZPO unpfändbare Teil des Gesamteinkommens durch den Wert der dem Schuldner verbleibenden Naturalleistungen gedeckt war. Der Schuldner hat diesen pfändbaren Betrag unstreitig an die Masse abgeführt.

17cc) Die Behauptung der Beteiligten zu 2 und 3 zum maßgeblichen Stichtag des Schlusstermins zu einem für den Schuldner bei gehörigem Bemühen erzielbaren höheren Einkommen von 2.800 € brutto im Vergleich zum tatsächlich von ihm bezogenen Einkommen von 2.712,70 € brutto erfüllt unter den Voraussetzungen des Streitfalls nicht die Voraussetzungen des Versagungsgrunds nach § 290 Abs. 1 Nr. 7, § 287b InsO.

18(1) Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO ist die Restschuldbefreiung durch Beschluss zu versagen, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist und wenn der Schuldner seine Erwerbsobliegenheit nach § 287b InsO verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt, es sei denn, ihn trifft daran kein Verschulden. Gemäß § 287b InsO obliegt es dem Schuldner, ab Beginn der Abtretungsfrist bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben. Eine angemessene Erwerbstätigkeit setzt nicht nur eine gebührende Arbeitsleistung, sondern auch eine angemessene Bezahlung voraus (, NZI 2012, 87 Rn. 3 mwN; vom - IX ZB 32/17, NZI 2018, 359 Rn. 9). Erkennt der Schuldner, dass er mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit nicht genug erwirtschaftet, muss er sich - ebenso wie ein beschäftigungsloser Schuldner - nachweisbar um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemühen (vgl. , WM 2009, 1291 Rn. 5; Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 287b Rn. 7, 12).

19(2) Die Beteiligten zu 2 und 3 haben in ihrem Versagungsantrag nicht hinreichend dargelegt, dass der Schuldner keine angemessene Erwerbstätigkeit ausübte oder die tatsächlich erzielte Vergütung des Schuldners unangemessen niedrig war. Sie stützen die fehlende Angemessenheit darauf, dass der Schuldner ein höheres Gehalt erzielen könne. Die von ihnen vorgetragene Abweichung zwischen dem erzielbaren und dem erzielten Einkommen genügt hierzu nicht.

20(a) Die Beteiligten zu 2 und 3 haben ausgeführt, dass der Schuldner als Maschinenbauingenieur (FH) ein Einkommen von 2.800 € brutto monatlich hätte erzielen können. Dabei haben sie einen Gehaltsvergleich nur für einen Dipl.-Ing. FH Bau vorgelegt und damit für eine andere Fachrichtung als einen Maschinenbauingenieur (FH). In Ermangelung näherer Darlegungen zu einem Einkommen eines Maschinenbauingenieurs (FH) bis zum Schlusstermin ist dieser Betrag maßgeblich. Dass sich ein noch höheres Einkommen erzielen lasse, haben sie nicht glaubhaft gemacht; die Behauptung eines nach dem Gehaltsvergleich auf nur drei Gehaltsdaten für einen Dipl.-Ing. FH Bau beruhenden Durchschnittsgehalts von 2.865,21 € brutto monatlich genügt hierzu nicht. Hingegen ist es für die Zulässigkeit des auf § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO gestützten Versagungsantrags gemäß § 290 Abs. 2 InsO unerheblich, dass die vom Beschwerdegericht nach dem Schlusstermin durchgeführte Amtsermittlung ergeben hat, ein Maschinenbauingenieur (FH) könne entsprechend der vom Beschwerdegericht eingeholten Auskunft der Agentur für Arbeit deutlich mehr verdienen.

21(b) Der Vergleich des von den Beteiligten zu 2 und 3 behaupteten erzielbaren Einkommens des Schuldners in Höhe von 2.800 € mit dem unstreitigen tatsächlichen Schuldnereinkommen in Höhe von 2.712,70 € ergibt eine Differenz von nur etwa 88 € brutto. Diese Abweichung führt unter den Umständen des Streitfalls nicht dazu, dass die vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit keine angemessene Erwerbstätigkeit im Sinne der Erwerbsobliegenheit des § 287b InsO darstellt. Indem das Gesetz in § 287b InsO darauf abstellt, dass es auf eine angemessene Erwerbstätigkeit ankommt, soll vermieden werden, dass bereits geringe Unterschiede zwischen dem aus der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und dem durch eine andere Tätigkeit erzielbaren Einkommen zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen können (MünchKomm-InsO/Stephan, 4. Aufl., § 295 Rn. 30). Soll sich die fehlende Angemessenheit einer vom Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich ausgeübten, ihrer Art nach angemessenen Erwerbstätigkeit allein daraus ergeben, dass der Schuldner ein höheres Einkommen erzielen könne, muss die konkrete Erwerbssituation des Schuldners einbezogen werden. Beträgt der Unterschied zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen und dem bei einem anderen Arbeitgeber erzielbaren Einkommen - wie im Streitfall - rund 3 % des Bruttoeinkommens und liegt der pfändbare Anteil aus dem Unterschiedsbetrag deutlich unter 100 €, führt allein dieser Gehaltsunterschied bei einem zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 63 Jahre alten, in Vollzeit tätigen Schuldner nicht dazu, dass die vom Schuldner bereits ausgeübte Tätigkeit nicht mehr als angemessene Erwerbstätigkeit anzusehen ist. An besonderen Umständen, die für einen Wechsel des Arbeitsplatzes sprechen, fehlt es im Streitfall, nachdem Aufstiegsmöglichkeiten des Schuldners aufgrund seines nahenden Ruhestands nicht zu erwarten waren und ein Wechsel aus einer gesicherten Stellung in eine neue Anstellung mit Risiken wie etwa einer Probezeit und geringerem Kündigungsschutz verbunden ist.

22Soweit dem Vortrag der Beteiligten zu 2 und 3 entnommen werden kann, der Schuldner habe in seinem Arbeitsverhältnis eine unverhältnismäßig geringe Vergütung bezogen (vgl. § 850h Abs. 2 ZPO), begründet dies ebenfalls nicht die Zulässigkeit des Antrags. Maßgeblich ist auch insoweit das tatsächliche Bruttoeinkommen in Höhe von 2.712,70 €. Als Maßstab für eine angemessene Bezahlung ist von dem Wert der Arbeitsleistung auszugehen, der sich im Allgemeinen an den tariflichen Mindestlöhnen oder der üblichen Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB orientiert (MünchKomm-InsO/Stephan, 4. Aufl., § 295 Rn. 46; FK-InsO/Ahrens, 10. Aufl., § 295 Rn. 35; Jaeger/Preuß, InsO, 2020, § 287b Rn. 24). Ob von dieser Vergütung ein Abschlag von bis zu 30 % hingenommen werden muss (so MünchKomm-InsO/Stephan, aaO), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht die vorliegende Differenz, die 3 % des behaupteten erzielbaren Bruttoeinkommens beträgt, nicht in einem solchen Missverhältnis zum erzielbaren Einkommen, dass bereits von einer unangemessen niedrigen Vergütung gesprochen werden könnte.

23c) Damit kann dahinstehen, ob - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - die vom Beschwerdegericht aufgrund seiner Amtsermittlung angenommenen Verdienstmöglichkeiten tatsächlich nicht bestehen und ob der Schuldner aus gesundheitlichen Gründen nur eingeschränkt erwerbsfähig ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070324BIXZB47.22.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-65352