NWB Nr. 29 vom Seite 1945

Was kürzt den Bruttoarbeitslohn?

Dr. Lukas Hilbert | Diplom-Kaufmann, M.I.Tax, Bonn | Herausgeber des Stichwort-Fachkommentars Hilbert/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer | www.lhilbert.de

Kindergeldzahlung an Arbeitgeber bei Nettolohnvereinbarung

Im Zuge internationaler Personalentsendungen sind Nettolohnvereinbarungen üblich. Durch sie lässt sich erreichen, dass die „Expats“ unabhängig vom Steuer- und Abgabenniveau des Ziellandes eine gleichbleibende Vergütung erhalten. Es sind dabei vor allem personalwirtschaftliche Motive wie bessere Plan- und Vergleichbarkeit oder die Steigerung der Attraktivität von Entsendungsprogrammen, aufgrund derer Unternehmen diesen Weg wählen. Die nicht selten durchaus komplexe Umsetzung hängt sowohl an der im Einzelnen getroffenen Vereinbarung als auch am Regelungsrahmen des Einsatzlandes. Besonderes Augenmerk liegt z. B. darauf, wie vom Mitarbeiter abgetretene Ansprüche etwa auf Steuererstattungen oder bestimmte Leistungen zu behandeln sind. Der BFH entschied mit Urteil v.  - VI R 26/21, dass bei einer Nettolohnvereinbarung an den Arbeitgeber abgetretenes und an diesen gezahltes Kindergeld im Jahr der Zahlung den Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers mindert. Dies hängt am Zusammenspiel mit dem Familienleistungsausgleich des § 31 EStG.

Bei der Abtretung von Erstattungsansprüchen wegen zu viel gezahlter Lohnsteuer sind diese in dem Lohnzahlungszeitraum einkünftemindernd zu berücksichtigen, in dem das Finanzamt den Erstattungsbetrag an den Arbeitgeber leistet. Zu diesem Zeitpunkt fließen tatsächlich Einnahmen des Arbeitnehmers nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG an den Arbeitgeber zurück. Kindergeld wird als Steuervergütung im laufenden Kalenderjahr gezahlt. Als solche ist es Vorauszahlung auf eine mögliche einkommensteuerrechtliche Kinderentlastung und lässt deshalb auch die Berücksichtigung der Kinderfreibeträge bei der Lohnsteuererhebung entfallen. Kommt es im Rahmen der Veranlagung zum Abzug von Kinderfreibeträgen, ist der Anspruch auf Kindergeld der festzusetzenden Einkommensteuer wieder hinzuzurechnen, weil sonst eine Doppelbegünstigung eintreten würde. Durch das abgetretene und an den Arbeitgeber gezahlte Kindergeld wird ebenso wie durch die spätere Einkommensteuererstattung die in einer Nettolohnvereinbarung strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- bzw. Steuerüberzahlung ausgeglichen. Es hat mithin die Wirkung einer Vorauszahlung auf die Steuererstattung, die dadurch entsprechend niedriger ausfällt. Deshalb mindert es im Jahr der Zahlung den Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers.

Das deutsche Lohn- und Einkommensteuersystem ist auf Bruttolohnvereinbarungen hin ausgerichtet. Nettolohnabreden lassen sich in diesem System zwar abbilden, letztlich aber nur über den „Kunstgriff“ einer Betrachtung als entsprechend umgesetzte Bruttolohnvereinbarung, also mit Hochrechnung und einzelner Würdigung von Erstattungsbeträgen, Rückflüssen, Verzichtsklauseln etc. Die Lektüre der Urteile von BFH und bestätigter Vorinstanz verdeutlicht, wie herausfordernd dies im Detail sein kann. Im Fall der familien- und kinderbezogenen Leistungen beschleicht einen dabei aber zudem das Gefühl, dass es schon generell nicht so kompliziert sein müsste. Das Wirrwarr der nebeneinander bestehenden Entlastungs- und Berücksichtigungswege sowie ihrer jeweiligen Wirkungen ist – insbesondere noch gepaart mit etwaigen weiteren (Sozial-)Leistungen in diesem Bereich – schon im „Bruttolohnsektor“ eher unübersichtlich. Bei Nettolohnabreden tritt dies noch offensichtlicher zu Tage.

Lukas Hilbert

Fundstelle(n):
NWB 2024 Seite 1945
CAAAJ-70877