BGH Beschluss v. - VII ZR 164/21

Instanzenzug: Az: I-18 U 21/20 Urteilvorgehend Az: 2 O 170/19

Gründe

I.

1Der Kläger verlangt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schadensersatz wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung seines Fahrzeugs zu zahlen.

2Er erwarb mit der Bestellung vom ein Neufahrzeug Porsche Macan Diesel zu einem Kaufpreis in Höhe von 74.392,01 €. Das Fahrzeug hat einen 3 Liter Motor TDI V6 Euro 6 (Motor 897). Die Montage des von der AUDI AG entwickelten und hergestellten Motors sowie des von der Robert Bosch GmbH entwickelten und hergestellten Steuerungsgeräts erfolgte durch die Beklagte.

3Der Motor verfügt über ein sogenanntes Thermofenster, eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems.

4Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

II.

6Das Berufungsgericht hat, soweit es für die Revision von Bedeutung ist, ausgeführt:

7Die zulässige Feststellungsklage sei unbegründet, weil dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen des Thermofensters zustehe. Ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln scheide aus, auch wenn unterstellt werde, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele. Die Beklagte habe nachvollziehbare Gründe für die Verwendung eines Thermofensters dargelegt. Eine unterschiedliche Funktionsweise auf dem Prüfstand und im normalen Straßenverkehr könne nicht festgestellt werden. Der Kläger habe zudem keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Entwicklung und die Herstellung des Thermofensters auf einer strategischen Entscheidung der Repräsentanten der Beklagten beruhe. Die Herstellerin des Motors, die AUDI AG, sei keine Verrichtungsgehilfin der Beklagten, so dass auch insoweit eine Haftung ausscheide.

8Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV scheitere an der fehlenden Schutzgesetzeigenschaft.

III.

9Die Revision ist durch Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

101. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts ( Rn. 3, ZIP 2010, 1078; Beschluss vom - III ZR 380/14 Rn. 7, juris; Beschluss vom - VIII ZR 58/19 Rn. 3, juris).

11a) Das Berufungsgericht hat die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falles zugelassen.

12aa) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (vgl. Rn. 2, NJW 2011, 3085; Beschluss vom - II ZR 73/16 Rn. 12, juris; Beschluss vom - II ZR 310/14 Rn. 3, ZIP 2016, 266).

13bb) Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich im vorliegenden Fall indes nicht. Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (st. Rspr., vgl. nur Rn. 15 m.w.N., WM 2016, 1975; Urteil vom - VI ZR 512/17 Rn. 8, NJW 2019, 2164). Die Voraussetzungen, unter denen Sittenwidrigkeit anzunehmen ist, sind in ständiger Rechtsprechung abstrakt geklärt (vgl. Rn. 15 m.w.N., BGHZ 225, 316). Im Beschluss vom (VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297) hat der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen konkretisiert, unter denen die Herstellung und/oder Verwendung einer - was revisionsrechtlich zu unterstellen war - unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen kann. Danach setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grund-sätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. Rn. 35, BGHZ 225, 316).

14b) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich eine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch nicht auf Grund eines notwendigen Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. , NVwZ 2016, 378, juris Rn. 11; Beschluss vom - 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005, juris Rn. 8). Der Senat hat die Voraussetzungen einer unionsrecht-lichen Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV in Bezug auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geprüft. Diese liegen nicht vor. Der Senat schließt sich den überzeugenden Erwägungen des VI. Zivilsenats an (vgl. Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom - VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715).

15Weder Vorabentscheidungsersuchen einzelner Landgerichte noch die von der Revision vorgelegte Stellungnahme der Europäischen Kommission vom (sj.h(2019)8760684) geben Anlass, an der Annahme eines acte clair zu zweifeln.

16Mit den tragenden Erwägungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung setzen sich die Landgerichte, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet haben, nicht auseinander (vgl. nur LG Ravensburg, Beschluss vom - 2 O 315/20 u.a., juris).

17Die Kommission, die sich in ihrer Stellungnahme zu dem mittlerweile aus dem Register des Gerichtshofs der Europäischen Union gestrichenen Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Gera äußert, hält fest, dass offensichtlich nur die nationalen Gerichte in der Lage sind, die betreffenden EU-Vorschriften unter das Konzept einer drittschützenden Norm zu subsumieren (sj.h(2019)8760684 Rn. 67). Sie meint zwar im Ergebnis, die zwischenzeitlich zum außer Kraft getretene Richtlinie 2007/46 und die Verordnung (EG) 715/2007 bezweckten "den Schutz aller Käufer eines Fahrzeugs einschließlich des Endkunden vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeuge in Übereinstimmung mit ihren genehmigten Typen bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften nach Anhang IV zur Richtlinie 2007/46 einschließlich, unter anderem, der Verordnung 715/2007 sowie insbesondere ihres Artikels 5 in den Verkehr zu bringen" (sj.h(2019)8760684 Rn. 81). Dies besagt aber für die hier allein interessierende Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts. Es sind auch im vorliegenden Verfahren keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen ( Rn. 11, ZIP 2020, 1715).

18Die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom in Bezug auf Vorlagefragen österreichischer Gerichte betreffend das Thermofenster (abrufbar unter https://curia.europa.eu) geben keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung.

19c) Weitere Zulassungsgründe zeigt die Revision nicht auf und liegen nicht vor.

202. Die Revision hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

21Zu Recht und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten im Hinblick auf das Thermofenster verneint. Der Senat hat die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen (Art. 103 Abs. 1 GG) geprüft und erachtet sie nicht für durchgreifend. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:131021BVIIZR164.21.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-70309