BGH Beschluss v. - 2 StR 341/23

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 8 KLs 572 Js 11300/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Privatwohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung“ (Fall II. 6 der Urteilsgründe), Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung (Fall II. 7 der Urteilsgründe), Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte (Fall II. 1 der Urteilsgründe), Diebstahls in zwei Fällen (Fälle II. 2 und 3 der Urteilsgründe), versuchten Computerbetrugs (Fall II. 4 der Urteilsgründe) sowie Sachbeschädigung (Fall II. 5 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 50 € angeordnet.

2Es hat ihn vom Vorwurf der Beleidigung (Fall VI. 1 der Urteilsgründe) sowie einer weiteren Körperverletzung (Fall VI. 2 der Urteilsgründe) wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihn aufgrund der letzten Tat in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) untergebracht.

3Es hat den Angeklagten ferner dem Grunde nach verpflichtet, der Adhäsionsklägerin den aus der am (Fall II. 5 der Urteilsgründe) entstandenen Schaden zu ersetzen und im Übrigen von einer Adhäsionsentscheidung abgesehen.

4Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Klarstellung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Maßregel- und Adhäsionsausspruchs.

51. Im Fall II. 6 der Urteilsgründe ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass der Einbruch in das dauerhaft genutzte Wohnhaus des Geschädigten den Qualifikationstatbestand des § 244 Abs. 4 StGB erfüllt. Diese Tat ist im Schuldspruch jedoch nicht als „Privatwohnungseinbruchsdiebstahl“, sondern als „schwerer Wohnungseinbruchdiebstahl“ kenntlich zu machen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 2/19, NStZ 2019, 674; vom – 4 StR 509/20, juris Rn. 3). Daneben hat die Überprüfung der Schuld- und Strafaussprüche sowie der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

62. Hingegen haben der Maßregelausspruch und die Adhäsionsentscheidung keinen Bestand.

7a) Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.

8aa) (1) Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der zwischen Oktober 2017 und Juli 2020 wegen Körperverletzungsdelikten, Diebstahls, versuchter Erpressung, versuchter Nötigung und Beleidigung mehrfach verurteilte Angeklagte, gegen den aufgrund dieser Verurteilungen bis zum eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und fünf Monaten vollstreckt wurde, an einer flukturierenden paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20.0). Bei dem Angeklagten zeigte sich, schon 2018 beginnend, ein wahnhaftes Geschehen, das in erster Linie aus einem Beeinträchtigungs-, mitunter auch einem Verfolgungswahn bestand. Der Angeklagte fühlte sich mitunter gelenkt; er glaubte, man könne seine Gedanken lesen. Er erlebte akustische und Leibhalluzinationen.

9(a) Zu der Anlasstat hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:

10Am bat der Angeklagte den Sicherheitsmitarbeiter der von ihm bewohnten Gemeinschaftsunterkunft, ihm die Tür zu seinem Zimmer aufzuschließen. Der Zeuge leistete der Bitte Folge und wollte gerade die Tür öffnen, als der Angeklagte aufgrund einer akustischen Halluzination davon ausging, der Zeuge habe ihn beleidigt. Aus diesem Grund schlug er den Zeugen − für diesen völlig unerwartet − mit der Faust wuchtig auf den Hinterkopf. Der Zeuge ging zu Boden und war mehrere Sekunden so benommen, dass er nichts mehr sehen konnte. Er verspürte starke Schmerzen. Als er wieder zu sich kam, brachte er den Angeklagten zu Boden, um sich vor weiteren potentiellen Angriffen zu schützen. Der Angeklagte wehrte sich und biss den Zeugen in den rechten Zeigefinger, wodurch dieser eine blutende Wunde und Schmerzen erlitt.

11Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten war zum Zeitpunkt der Tat aufgrund eines akuten Schubs der paranoiden Schizophrenie vollständig aufgehoben (§ 20 StGB).

12(b) Das Landgericht ist, dem Sachverständigen folgend, davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten auch in Zukunft erhebliche Taten aus dem Bereich der Aggressions- und Gewaltdelikte zu erwarten seien. Er sei bereits erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten; die Schwere der von ihm begangenen Taten hätten ab Herbst 2021 bis zu seiner vorläufigen Inhaftierung im April 2022 zugenommen. Es „sei zu befürchten, dass der Angeklagte, sofern er Waffen bei sich führe, diese auch einsetze“. Er habe bereits am einen Diebstahl mit Waffen begangen, indem er ein Küchenmesser bei sich geführt habe. Aus der gleichen Vorverurteilung ergebe sich, dass er gegenüber einer Mitarbeiterin des Jobcenters am geäußert habe, dass er hier alle umbringe, wenn nicht seinem Begehren nachgekommen werde. Zwar stehe nicht fest, dass der Angeklagte auch diese Taten aufgrund seiner Schizophrenie begangen habe. Es zeige aber, dass er durchaus bereit sei, Waffen bzw. zur Verletzung von Personen geeignete Gegenstände einzusetzen. Dies belege auch seine Äußerung gegenüber dem Sachverständigen, er habe vor „Deutsche zu töten“ und sich „der Taliban anzuschließen“.

13bb) Diese Feststellungen und Wertungen tragen die angeordnete Maßregel nicht.

14(1) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat(en) ergibt, dass von ihm infolge seines fortdauernden Zustands mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln und hat sich auch darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Täter infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (st. Rspr.; vgl. etwa , juris Rn. 6 mwN). Neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sind auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, einzustellen (vgl. , StV 2021, 245, 246).

15(2) An diesen Anforderungen gemessen, erweist sich die der Gefahrenprognose zugrundeliegende Abwägung der Strafkammer als defizitär. Sie ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der vom Angeklagten am zum Nachteil des Sicherheitsmitarbeiters der von ihm bewohnten Gemeinschaftsunterkunft im Zuge eines akuten psychotischen Schubs begangenen Körperverletzung um eine erhebliche Straftat im Sinne des § 63 Satz 1 StGB handelt. Ihre Begründung zur Gefährlichkeitsprognose steht indes im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die in dem Urteil zu früheren Taten getroffenen Feststellungen, auf die das Tatgericht seine Gefährlichkeitsprognose ebenfalls stützt, belegen müssen, dass auch diese Taten auf der Erkrankung des Täters beruhten (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 449/20, juris Rn. 20; vom – 1 StR 255/21, juris Rn. 10; vom – 6 StR 146/23, NStZ-RR 2023, 201, 202; vom – 5 StR 302/23, juris Rn. 15).

16Der Senat kann offenlassen, ob dieser Rechtsprechung uneingeschränkt zu folgen ist oder ob nicht auch im Zuge der umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters einschließlich seines Vorlebens aus einer Vordelinquenz Bedingungsfaktoren für seine Gefährlichkeit abgeleitet werden können, zu denen die Störung noch hinzutritt (vgl. hierzu , juris Rn. 15; LK-StGB/Cirener, 13. Aufl., § 63 Rn. 130). Denn die Strafkammer hat hier zum einen maßgeblich auf die Vordelinquenz und die „Progredienz der Straftaten“ und damit gerade nicht im Zuge einer umfassenden Gesamtbetrachtung auf die Täterpersönlichkeit abgestellt. Zum anderen belegen die Feststellungen weder, dass die „Schwere“ der vom Angeklagten begangenen Straftaten ab Herbst 2021 bis zu seiner vorläufigen Verhaftung im April 2022 zugenommen hat, noch, dass der Angeklagte bereit sei „Waffen bzw. zur Verletzung von Personen geeignete Gegenstände einzusetzen“. Soweit der Sachverständige, dem die Strafkammer sich anschließt, diese Progredienz auch mit dem Angriff auf einen Mithäftling, der „wohl psychotisch bedingt“ gewesen sei, rechtfertigt, fehlt es bereits an einem entsprechenden Tatnachweis. Den Ladendiebstahl, den der Angeklagte am ausweislich der Vorverurteilung in voll schuldfähigem Zustand beging und bei dem er ein Küchenmesser in der Tasche mitführte, das er beim Hinausgehen auf das Warenband legte und dort zurückließ, belegt nicht, dass der Angeklagte bereit war, dieses zur Verletzung von Personen einzusetzen.

17Auch die nicht näher erläuterte Äußerung des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen, er habe vor „Deutsche zu töten“ und sich „der Taliban anzuschließen“, ist nicht geeignet, dessen psychotisch bedingte Gefährlichkeit zu belegen. Die Urteilsgründe verhalten sich weder zum Grad der Konkretisierung dieser Ankündigung noch zu deren psychotischer Ursache. Zu dem in der Gefangenenpersonalakte anklingenden Vorfall vom , wonach der Angeklagte mehrfach eine Rasierklinge über das Gesicht eines Mithäftlings gezogen und geäußert habe, dass er die Tat begangen habe, um sich zu therapieren, seine Lunge brauche Luft, er sei ein Taliban und sei nach Deutschland gekommen, um Menschen umzubringen, hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. Zudem konnte der Sachverständige, augenscheinlich allein aufgrund des Eintrags in der Gefangenenpersonalakte, lediglich diagnostizieren, der Angriff sei „wohl auch psychotisch bedingt“. Der notwendige Rückschluss auf die störungsbedingte Gefährlichkeit bleibt damit vage.

18b) Der Adhäsionsausspruch unterfällt ebenfalls der Aufhebung. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt:

„Das Landgericht war rechtlich gehindert, gegen den Angeklagten ein Anerkenntnisurteil gemäß § 406 Abs. 2 StPO zu erlassen, weil die von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen (vgl. , juris Rn. 3) nicht vorlagen. Zwar genügt der – ordnungsgemäß zugestellte (Bd. VIII, Bl. 435 ff) – Adhäsionsantrag (Bd. VIII, Bl. 431) noch der inhaltlichen Anforderung des § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO, weil darin Gegenstand und Grund des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs trotz der fehlenden Angaben des Schädigungsdatums hinreichend bestimmt bezeichnet werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 476/20, juris Rn. 2; vom – 4 StR 368/13, NStZ-RR 2014, 90). Der Antrag ist jedoch unzulässig, weil er nicht von einem berechtigten Vertreter der Verletzten gestellt worden ist. Verletzter der vom Angeklagten im Fall II. 5 verübten Sachbeschädigung ist die Sparkasse A.       . Diese ist als Anstalt des öffentlichen Rechts rechtsfähig (§ 1 Abs. 2 Satz 5 ThürSpkG) und wird gerichtlich und außergerichtlich vom Vorstand vertreten (§ 15 Abs. 2 des ThürSpkG). Die Mitglieder des Vorstands haben den Adhäsionsantrag jedoch weder unterzeichnet, noch ist zu erkennen, dass sie die Prozessführung nachträglich genehmigt hätten.“

193. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache – naheliegenderweise unter Heranziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt die rechtsfehlerfreien Feststellungen zur Schuldfähigkeit, die hierauf fußenden Freisprüche des Angeklagten in den Fällen VI. 1 und VI. 2 der Urteilsgründe sowie die hierzu getroffene Feststellung als mögliche Anlasstat einer Maßregel unberührt. Hingegen unterfallen die weiteren Feststellungen zum Maßregelausspruch der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird insbesondere gehalten sein, die Grundlagen des Eintrags in der Gefangenenpersonalakte zu dem dort beschriebenen Vorfall vom aufzuklären. Es wird auch Gelegenheit haben, die Entwicklung der Erkrankung des Angeklagten während der einstweiligen Unterbringung über die zeitlich limitierte Betrachtung im angefochtenen Urteil hinaus – typischerweise durch Vernehmung des behandelnden Arztes – aufzuklären und in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. , NJW 2019, 2713, 2714).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140224B2STR341.23.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-65356