BGH Beschluss v. - 5 StR 208/19

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Darlegung der Anlasstaten im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 22 StGB, § 23 StGB, § 24 StGB, § 63 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 25 KLs 4/18

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf mehrerer (gefährlicher) Körperverletzungsdelikte, mehrfacher Bedrohung und Beleidigung sowie eines Verstoßes gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz freigesprochen und diese im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Ihre gegen die Maßregelentscheidung gerichtete Revision führt mit der Sachrüge zur weitgehenden Aufhebung des Urteils.

21. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3a) Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht als schwerste Anlasstaten durch die Angeklagte verübte (versuchte) gefährliche Körperverletzungen zum Nachteil ihres Lebensgefährten und Betreuers W.    sowie der Zeugen R.      und K.         herangezogen (UA S. 30). Die hierzu getroffenen Feststellungen und Wertungen begegnen jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

4aa) Nach den Feststellungen zu den Taten vom (Ziffer II.2.b der Urteilsgründe) „jagte“ die Angeklagte im Rahmen eines heftigen Streits ihren Lebensgefährten W.    um das auf dem Grundstück geparkte Auto herum. Sie trat und schlug wütend mit einer Eisenstange auf ihn ein. Das Landgericht hat sich hierzu beweiswürdigend allein auf die Aussage der Zeugin D.    gestützt und das Tatopfer nicht vernommen. Zum Anlass des Streits und der Tat der Angeklagten verhält sich das Urteil dementsprechend ebenso wenig wie zu etwaigen Verletzungen des Opfers. Diesbezügliche Ausführungen wären jedoch notwendig gewesen, um den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Angeklagten und der Tat sowie deren Gewicht beurteilen zu können.

5bb) Das Landgericht legt der Angeklagten ferner zur Last, am mit einem „Twister“ in Richtung des Kopfes des Zeugen R.      geschlagen zu haben; der Zeuge habe dem Schlag jedoch geistesgegenwärtig ausweichen können, worauf die Angeklagte zu ihrem Auto gelaufen und „mit quietschenden Reifen“ davongefahren sei (Ziffer II.2.g der Urteilsgründe). Die Frage eines nach Sachlage in Betracht kommenden strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung (§ 24 StGB), der der Heranziehung dieser Handlung zumindest als Anlasstat entgegenstehen würde (vgl. , BGHSt 31, 132, 135 f.), erörtert das angefochtene Urteil nicht.

6cc) Hinsichtlich der durch das Landgericht als versuchte gefährliche Körperverletzung gewürdigten Tat vom zum Nachteil des Zeugen K.         (Ziffer II.2.k der Urteilsgründe) werden die Feststellungen nicht von den hierzu angeführten beweiswürdigenden Erwägungen der Strafkammer getragen.

7Gemäß den Feststellungen rannte die Angeklagte mit einem metallenen Gefäß in der Hand auf den Zeugen zu, um ihn damit zu schlagen. Der Zeuge konnte den Schlag jedoch abwehren, woraufhin beide stürzten und sich ein Gerangel anschloss, in dessen Zuge die Angeklagte den Zeugen biss. Demgegenüber hat der Zeuge K.         ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 26) keinen Schlag mit dem Gegenstand bekundet, vielmehr ausgeführt, er habe einen solchen erwartet, sie seien aber beide zu Boden gegangen. Ein Schlag mit dem metallenen Gefäß ist auch nicht der Aussage des weiteren Zeugen S.      zu entnehmen. Danach hat der Zeuge lediglich gesehen, wie die Angeklagte sowie der Zeuge K.         auf dem Boden gelegen hätten und die Angeklagte dann mit einer Thermoskanne in der Hand in ihr Auto gestiegen und weggefahren sei.

8Andererseits erschließt sich angesichts der Aussagen beider Zeugen zu einer Thermoskanne nicht, warum sich das Landgericht nicht zu näheren Feststellungen betreffend den von der Angeklagten verwendeten Gegenstand in der Lage gesehen hat.

9b) Durchgreifenden Bedenken unterliegen ferner die Feststellungen und Wertungen zu den Taten vom (Ziffer II.2.f der Urteilsgründe) und vom (Ziffer II.2.j der Urteilsgründe).

10aa) Hinsichtlich der vom Landgericht als Bedrohung nach § 241 StGB ausgeurteilten Tat vom versteht der Senat die Ausführungen der Strafkammer dahin, dass sie die Annahme einer Straftat nach § 241 StGB in Bedrohungen der Zeugin D.     und deren Sohnes durch die Angeklagte „in gewohnter Manier“ gesehen hat, die mit beängstigenden „Grimassierungen“ einhergegangen seien. Welchen Inhalt genau die Bedrohungen hatten, ist den Urteilsgründen indessen nicht zu entnehmen, womit eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht möglich ist. Die weitere Feststellung, die Angeklagte habe die Zeugin danach mit ihrem Auto verfolgt und sei in kurzem Abstand („Stoßstange an Stoßstange“) auf deren Kraftfahrzeug aufgefahren, würde die Tatbestandsvoraussetzungen des § 241 StGB nicht ohne Weiteres belegen.

11bb) Die Tat vom hat das Landgericht als Verletzung einer von der Zeugin D.    am erwirkten Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG gewertet. Den Feststellungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung - was für eine Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 GewSchG erforderlich wäre (st. Rspr., vgl. etwa , BGHR GewSchG § 4 Strafbarkeitsvoraussetzungen 2) - der Angeklagten vor der Tat wirksam zugestellt worden ist.

122. Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen der Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus die Grundlage. Auch der Freispruch war aufzuheben. Der Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO das neue Tatgericht nicht, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).

13Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß Ziffer II.2.a, 2.c bis 2.e, 2.h und 2.i der Urteilsgründe haben demgegenüber Bestand. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.

143. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

15a) Das Tatgericht wird die näheren Umstände der bisher einzigen Verurteilung der Angeklagten vom wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung mitzuteilen haben. Der Umstand, dass die Angeklagte trotz ihrer spätestens seit 1992 bestehenden Krankheit bis dahin nicht straffällig geworden ist, wird im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu würdigen sein (st. Rspr., vgl. etwa Rn. 15 mwN).

16b) Ferner wird die Entwicklung der Erkrankung der Angeklagten während der einstweiligen Unterbringung über die knappen Erörterungen im angefochtenen Urteil hinaus (UA S. 29) näher zu erläutern und zu belegen sein (vgl. Rn. 14).

17c) Soweit die Verfahrensvoraussetzungen gegeben sind, wird das neu verhandelnde Tatgericht bei den Taten zum Nachteil der Zeugin D.     eine Strafbarkeit (auch) nach § 238 Abs. 1 StGB zu erwägen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:200619B5STR208.19.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 10 Nr. 36
NJW 2019 S. 2713 Nr. 37
OAAAH-75804