Online-Nachricht - Donnerstag, 18.04.2024

Umsatzsteuer | Besteuerung von Gutscheinen in einer Leistungskette nach aktuellem Recht (EuGH)

Der EuGH hat auf ein Vorabentscheidungsersuchen des BFH zur Auslegung von Art. 30a Nr. 2 und Art. 30b Unterabs. 2 MwStSystRL geurteilt ( C‑68/23).

Hintergrund: Mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. (BGBl 2018 I S. 2338) wurde die Umsatzbesteuerung für nach dem ausgestellte Gutscheine neu geregelt. Erstmals wurde eine Legaldefinition des Begriffs des Gutscheins gesetzlich festgeschrieben. Innerhalb des neu definierten Gutscheinbegriffs wird nun zwischen Einzweck-Gutscheinen und Mehrzweck-Gutscheinen unterschieden.

Sachverhalt und Verfahrensgang: Die M-GbR vertrieb im Streitjahr 2019 über ihren Internetshop Guthabenkarten oder Gutscheincodes zum Aufladen von „Nutzerkonten“ für den Erwerb digitaler Inhalte im X-Store. Diese sog. „X-Cards“ ermöglichten es den Erwerbern, Konten zur Nutzung des X-Store (im Folgenden: X-Nutzerkonto) mit einem näher bestimmten Nennwert in Euro aufzuladen. Nach der Aufladung eines solchen Kontos konnte dessen Inhaber im X-Store, der von der Gesellschaft Y mit Sitz im Vereinigten Königreich betrieben wird, digitale Inhalte zu den dort angeführten Preisen erwerben.

Y war für die Ausgabe der X-Cards verantwortlich, die sie über verschiedene Zwischenhändler in der EU mit unterschiedlichen „Länderkennungen“ vertrieb. Die X-Cards mit der Länderkennung DE waren ausschließlich für Kunden vorgesehen, die sowohl ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland als auch ein deutsches X-Nutzerkonto hatten.

Gemäß den von Y im X-Store veröffentlichten Nutzungsbedingungen für X-Gutscheincodes mussten Kunden bei der Eröffnung eines X-Nutzerkontos korrekte Angaben machen, anhand deren ihr Wohnsitz oder ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort bestimmt werden konnte. Im Online-Shop der M-GbR wurde auch darauf hingewiesen, dass ein Kunde, der sein X-Nutzerkonto auflade, sich im Vorfeld darüber informieren müsse, in welchem Land dieses Nutzerkonto registriert sei, und dass angesichts der bei X-Cards geltenden strikten Ländertrennung Kunden nur Guthaben aktivieren könnten, das tatsächlich für das Land bestimmt sei, das ihrem X-Nutzerkonto entspreche.

Im Jahr 2019 erwarb die M-GbR von Y ausgestellte X-Cards über zwei Lieferanten, L1 und L2, die in anderen Mitgliedstaaten als in Deutschland oder Großbritannien und Nordirland ansässig waren. In ihren Steuererklärungen ging die M-GbR davon aus, dass es sich bei den X-Cards um Mehrzweck-Gutscheine im Sinne von § 3 Abs. 15 UStG handele, da bei der Veräußerung der X-Cards der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des Endkunden nicht sicher bekannt gewesen sei.

Die von Y den jeweiligen Gutscheinen zugewiesene Länderkennung habe zur sicheren Bestimmung des Ortes der Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von § 3a Abs. 5 UStG nicht ausgereicht, da Y die Angaben der Kunden bei der Eröffnung der X-Nutzerkonten und deren spätere Nutzung nicht überprüfe. Des Weiteren habe eine Vielzahl außerhalb von Deutschland ansässiger Kunden u.a. aufgrund von Preisvorteilen ein deutsches X-Nutzerkonto eröffnet und ebenfalls bei der M-GbR X-Cards mit der Länderkennung DE eingekauft.

Das FA war der Auffassung, dass es sich bei den X-Cards um Einzweck-Gutscheine handele, da sie nur von Kunden mit Wohnsitz im Inland und einem deutschen X-Nutzerkonto verwendet werden könnten, weshalb sich der Leistungsort im Sinne von § 3a Abs. 5 UStG in Deutschland befinde. Dass bestimmte Kunden die von Y vorgegebenen Nutzungsbedingungen für diese Karten durch bewusst wahrheitswidrige Angaben oder Verschleierung ihrer Internetprotokolladresse (IP-Adresse) möglicherweise hätten umgehen können, sei für die steuerrechtliche Einordnung dieser Cards als Einzweck-Gutscheine nicht ausschlaggebend. Zudem hätten sowohl Y als auch die anderen Zwischenhändler die X-Cards als Einzweck-Gutscheine angesehen. Das Finanzamt setzte somit eine von der M-GbR zu entrichtende Umsatzsteuer-Vorauszahlung fest.

Die hiergegen gerichtete Klage der M-GbR war in erster Instanz erfolglos ().

Im Revisionsverfahren vor dem BFH machte die M-GbR einen Verstoß gegen § 3 Abs. 13 bis 15 UStG geltend. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass es sich bei den X-Cards um Mehrzweck-Gutscheine handele, deren Übertragung nicht der Mehrwertsteuer unterliege. Im Zeitpunkt dieser Übertragung sei die Leistung nicht hinreichend bestimmt, so dass der zutreffende Mehrwertsteuersatz nicht bestimmt werden könne.

Daraufhin setzte der BFH das Verfahren aus und legte dem EuGH vor dem Hintergrund einer Kette von Steuerpflichtigen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, zwei Fragen zur Auslegung der MwStSystRL zur Vorabentscheidung vor (, s. hierzu Mann, sowie Brill, NWB 7/2023 S. 450).

Insbesondere wollte der BFH klären lassen, ob auch dann noch ein Einzweckgutschein gegeben ist, wenn

  • zwar der Ort der Erbringung der Dienstleistungen (auf die sich der Gutschein bezieht) insoweit feststeht, als diese Dienstleistung im Gebiet eines Mitgliedstaats an Endverbraucher erbracht werden soll,

  • aber die Fiktion, nach der auch die Übertragung des Gutscheins zwischen Steuerpflichtigen zur Erbringung der Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, zu einer Dienstleistung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats führt.

Sollte die erste Vorlagefrage vom EuGH verneint werden, so dass die Voraussetzungen eines Einzweckgutscheins im vorliegenden Fall nicht vorlägen, möchte der BFH wissen, ob die Fiktion des Art. 30b Abs. 2 MwStSystRL, wonach jede der Einlösung des Gutscheins vorangegangene Übertragung steuerfrei bleibt (im Fall des Mehrzweckgutscheins), einer anderweitig begründeten Steuerpflicht dieser Übertragungsvorgänge entgegensteht. Die Gutscheine könnten dann nicht als einer Ware gleichstehend behandelt und versteuert werden.

Auf die Vorlagefragen hat der EuGH Folgendes geantwortet:

  • Art. 30a und Art. 30b Abs. 1 MwStSystRL sind wie folgt auszulegen: Die Einstufung eines Gutscheins als „Einzweck-Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL hängt nur von den in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen ab, wozu die Voraussetzung gehört, dass der Ort der Erbringung der Dienstleistung, die sich an Endverbraucher richtet und auf die sich dieser Gutschein bezieht, zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Gutscheins feststehen muss, und dies unabhängig davon, ob dieser Gutschein zwischen Steuerpflichtigen übertragen wird, die im eigenen Namen handeln und in anderen Mitgliedstaaten als demjenigen ansässig sind, in dem sich diese Endverbraucher befinden.

  • Art. 30b Abs. 2 MwStSystRL ist wie folgt auszulegen: Der Weiterverkauf von „Mehrzweck-Gutscheinen“ im Sinne von Art. 30a Nr. 3 MwStSystRL einen Steuerpflichtigen kann der Mehrwertsteuer unterliegen, sofern er als Dienstleistung an den Steuerpflichtigen eingestuft wird, der als Gegenleistung für diese Gutscheine die Gegenstände tatsächlich dem Endverbraucher übergibt oder die Dienstleistungen tatsächlich dem Endverbraucher erbringt.

Quelle: C‑68/23, veröffentlicht auf der Homepage des EuGH (il)

Fundstelle(n):
ZAAAJ-65318