BGH Beschluss v. - 4 StR 487/22

Gesetze: § 25 Abs 2 StGB, § 64 StGB, § 249 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-8 KLs 21/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes und wegen Raubes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Urteil zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Der Schuldspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Auch die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann im Ergebnis bestehen bleiben.

31. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen beschlossen der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte J.      , dem Geschädigten G.   Drogen, Geld und Wertsachen – notfalls unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen – aus dessen Wohnung zu entwenden. Nachdem sie von dem Geschädigten, dem sie zuvor vorgespiegelt hatten, Drogen kaufen zu wollen, in die Wohnung eingelassen worden waren, benachrichtigte der Angeklagte den Zeugen C.       , der – wie der Angeklagte wusste – auf den Geschädigten eifersüchtig war und ihm deshalb gedroht hatte. Nachdem der Zeuge C.      vor Ort erschienen war, verließ der Angeklagte die Wohnung des Geschädigten, öffnete die Haustür und ließ den Zeugen in den Hausflur ein.

4Der Angeklagte hoffte dabei darauf, dass der Zeuge C.       den Geschädigten „außer Gefecht setzen würde“ und er in der Folge ungestört dessen Wohnung nach Drogen, Geld und Wertgegenständen durchsuchen könnte. Eine solche Absicht des Angeklagten hielt der Zeuge jedenfalls für möglich. Nachdem der Geschädigte seine Wohnungstür geöffnet hatte, um den Angeklagten wieder einzulassen, versetzte ihm der Zeuge C.       unvermittelt einen Kopfstoß und schlug ein- oder zweimal mit der Faust auf ihn ein. Der Angeklagte durchsuchte unterdessen das Schlafzimmer des Geschädigten und entwendete jedenfalls 50 Euro Bargeld. Der Zeuge nahm dies wahr; ihm war bewusst, dass seine Gewalthandlungen gegen den Geschädigten der Ermöglichung einer Wegnahme dienten und billigte dies.

5Das Landgericht hat das Geschehen in Bezug auf den Angeklagten als Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gewertet. Die Gewalthandlungen des Zeugen C.       seien ihm gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen, weil der Zeuge als sukzessiver Mittäter gehandelt habe.

62. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich eines Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, wird von den Feststellungen getragen. Zwar liegt keine (sukzessive) Mittäterschaft des Zeugen C.       vor, denn ein (mit-)täterschaftlicher Raub setzt stets eigene Selbst- oder Drittzueignungsabsicht voraus. Ein bedingter Vorsatz – wie hier festgestellt – genügt insoweit nicht (vgl. Rn. 6 mwN). Die Gewalthandlungen des Zeugen C.        sind dem Angeklagten aber gleichwohl zuzurechnen, denn er hat den Zeugen zielgerichtet zur Wohnung des Geschädigten bestellt und ihm dort Zutritt verschafft, damit er Gewalt gegen den Geschädigten ausüben kann. Der Angeklagte war während der Gewaltausübung durchgängig in unmittelbarer Nähe zur Tatausführung anwesend und wollte diese als eigene Handlung, da sie ihm ‒ wie vom Zeugen erkannt und gebilligt – die Wegnahme von Wertgegenständen ermöglichen sollte. Mit der Zurechnung der Gewaltausübung des Zeugen C.       und der eigenhändigen Wegnahme des Bargeldes in Zueignungsabsicht erfüllte der Angeklagte damit ‒ tateinheitlich neben dem Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) – im Ergebnis auch den Tatbestand des Raubes (vgl. , StV 1991, 349 [zu einem Fall des § 252 StGB]).

II.

7Der Strafausspruch weist keinen Rechtsfehler auf. Allerdings war zur Kompensation einer während des Revisionsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof eingetretenen Verfahrensverzögerung von einem halben Jahr anzuordnen, dass ein Monat der gegen den nicht inhaftierten Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

III.

8Das Urteil ist aufzuheben, soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Das Landgericht hat sich nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt, obwohl hierzu Anlass bestand.

91. Nach den Feststellungen rauchte der Angeklagte im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal Marihuana und trank im Alter von dreizehn Jahren am Wochenende öfter Alkohol. Im Jahr 2016 konsumierte er annähernd jeden Abend, teilweise auch morgens Marihuana oder Alkohol sowie „Speed“. In diesem Jahr verschaffte sich der Angeklagte nach dem Konsum von Betäubungsmitteln und Alkohol Zugang zum Haus eines anderen Geschädigten, um unter Anwendung von Gewalt Betäubungsmittel und Geld für den Erwerb weiterer Drogen zu erbeuten. Die dafür verhängte Strafe verbüßte der Angeklagte bis März 2019. Nachdem er zunächst drogenabstinent gelebt hatte, konsumierte der Angeklagte ab Juli 2020 in steigendem Maße Alkohol und Marihuana. Da seine Leistungen als Produktionshelfer darunter litten, wurde sein Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag vom Oktober 2020 beendet und wegen fehlender Zahlungen der Mietvertrag für seine Wohnung gekündigt. Die beiden verfahrensgegenständlichen Taten beging der Angeklagte, um seinen eigenen Drogenkonsum sicherzustellen bzw. zu ermöglichen.

102. Danach hätte sich das Landgericht zu einer näheren Erörterung der Frage gedrängt sehen müssen, ob die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Das gilt auch mit Blick auf die am in Kraft getretene und nach § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO für Altfälle maßgebliche Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203, S. 2). Zwar stellt der neu gefasste § 64 StGB nunmehr strengere Anforderungen an die Annahme sowohl eines Hangs, als auch eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen diesem und einer Anlasstat sowie an die Erfolgsprognose (vgl. Rn. 14). Die bisher getroffenen Feststellungen lassen es aber nicht ausgeschlossen erscheinen, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.

11Das für die Annahme eines Hangs gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderliche Merkmal einer „Substanzkonsumstörung“ im Sinne einer substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankung (vgl. ICD-10-GM F10 bis F19, Erweiterung 2: „Abhängigkeitssyndrom“) oder eines Substanzmissbrauchs, dessen Schweregrad unmittelbar unterhalb einer Abhängigkeit einzuordnen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 44 f., 69), könnte in der Person des Angeklagten mit Blick auf seinen langjährigen polyvalenten Konsum gegeben sein. Auch erscheint es nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass es bei ihm deshalb zu schwerwiegenden und dauernden störungsbedingten Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit oder der Leistungsfähigkeit gekommen ist (vgl. dazu , NStZ-RR 2024, 50 mwN).

12Dabei erscheint es nicht fernliegend, dass die Tatbegehung – wie vom Gesetzgeber nunmehr gefordert ‒ „überwiegend“ auf den möglicherweise gegebenen Hang zurückzuführen ist (vgl. dazu Rn. 8; Beschluss vom – 5 StR 246/23 Rn. 3; BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Hiervon wäre auszugehen, wenn der festzustellende Hang für die Anlasstat mehr als andere Umstände ausschlaggebend war (vgl. , Rn. 3; Beschluss vom – 5 StR 407/23, Rn. 3).

13Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB gegeben sein können, bedarf die Sache insoweit unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. Rn. 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanordnung der Maßregel auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Senat kann ausschließen, dass die Strafen, deren Bemessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, bei Anordnung einer Maßregel milder hätten ausfallen können.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140224B4STR487.22.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-63664