Verfahrensrecht | Übergang von der Zusammenveranlagung zur Einzelveranlagung während des Klageverfahrens (BFH)
Wird ein Zusammenveranlagungsbescheid während des Klageverfahrens aufgehoben und werden stattdessen Einzelveranlagungsbescheide erlassen, dann werden diese nicht gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen (§ 68 Satz 2 FGO).
Sachverhalt: Streitig ist, ob während eines Klageverfahrens erlassene Einzelveranlagungsbescheide im Sinne des § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens werden oder ob die Kläger mit der Aufhebung des zuvor erlassenen Zusammenveranlagungsbescheids klaglos gestellt worden sind (Vorinstanz: ).
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
Die Begriffe "geändert" und "ersetzt" in § 68 Satz 1 FGO werden im Gesetz nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind diese mit Rücksicht auf den Zweck des § 68 FGO, der verhindern will, dass der Kläger gegen seinen Willen aus dem Klageverfahren gedrängt wird, weit auszulegen (z.B. , BFH/NV 2012, 2004).
§ 68 FGO verlangt keine inhaltliche Einwirkung des ersetzenden oder ändernden Bescheids auf den ursprünglichen Bescheid. Ausreichend ist es, wenn beide Bescheide "dieselbe Steuersache", das heißt dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand, betreffen. Beide Verwaltungsakte müssen lediglich einen (zumindest partiell) identischen Regelungsbereich haben, damit es zum Austausch des Verfahrensgegenstands kommt (u.a. , BStBl II 2001, 506).
Ob diese Voraussetzungen auch dann erfüllt sind, wenn Ehegatten während eines Klageverfahrens von ihrem Wahlrecht aus § 26 EStG Gebrauch machen und die auf der zuvor getroffenen Wahl beruhenden Einkommensteuerbescheide aufgehoben werden, wird unterschiedlich beurteilt.
Zum Teil wird ein Ersetzen im Sinne des § 68 FGO dann bejaht, wenn ein Ehegatte gegen den Zusammenveranlagungsbescheid geklagt hatte, er während seines Klageverfahrens die Einzelveranlagung wählt, das FA dem entspricht und der Ehegatte sein Klageverfahren gegen den Einzelveranlagungsbescheid fortführen möchte (; ; ; Krumm in Tipke/Kruse, § 68 FGO Rz 8).
Nach der Gegenauffassung werden die nach einem Wechsel der Veranlagungsart ergangenen "neuen" Steuerbescheide nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens (vgl. neben der Vorinstanz auch , EFG 2023, 243; Falk, EFG 2021, 140).
Der Senat schließt sich im Grundsatz der zuletzt genannten Auffassung an.
Ein Fall der "Änderung" im Sinne des § 68 FGO liegt unstreitig nicht vor. Denn mit der Wahl der Einzelveranlagung wird nicht ein zuvor ergangener Zusammenveranlagungsbescheid geändert. Vielmehr ist dieser aufzuheben und es sind neue (Einzel-)Veranlagungsverfahren durchzuführen. Grund dafür ist die Wesensverschiedenheit der verschiedenen Veranlagungsarten.
Diese Wesensverschiedenheit steht aber auch der Annahme entgegen, dass in der Konstellation des Streitfalls von einer "Ersetzung" im Sinne des § 68 FGO auszugehen ist. Denn "Wesensverschiedenes" lässt sich ersichtlich nicht als "dieselbe Steuersache" qualifizieren.
Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um "dieselbe Steuersache" handelt, ist nicht der Erlass der Einzelveranlagungsbescheide, sondern die (neue) Wahlrechtsausübung durch die Ehegatten.
Der Antrag auf Änderung der Veranlagungsart ist nicht als Anfechtung der Steuerfestsetzung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten Veranlagungsart gerichtetes Verpflichtungsbegehren.
Die Änderung der Veranlagung führt zu einem neuen Veranlagungsverfahren, wobei die von Seiten der Ehegatten getroffene Wahl im Fall der Weigerung des FA, die Veranlagung in der gewählten Form durchzuführen, im Wege der Verpflichtungsklage durchgesetzt werden muss (vgl. , BStBl II 2004, 980).
Das diesem Verpflichtungsbegehren zugrunde liegende Veranlagungswahlrecht betrifft eine die gesamte Veranlagung betreffende Ordnung (Verbindung oder Trennung) der steuerlichen Verhältnisse zweier Personen. Dabei führt die Wahl der Zusammenveranlagung zur vollen Berücksichtigung des Transfers steuerlicher Leistungsfähigkeit im Rahmen der Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft der Ehegatten, die Wahl der Einzelveranlagung dagegen nur zu einer Teilberücksichtigung dieses Transfers. Die (erneut) ausgeübte Wahl der Veranlagungsart löst nur die Rechtsfolgen der §§ 26a und 26b EStG aus, lässt im Übrigen aber die Besteuerungsgrundlagen unberührt (vgl. , BStBl II 2002, 408; v. - III R 18/02, BStBl II 2004, 980; v. - III R 20/17, BStBl II 2019, 694).
Darin zeigt sich, dass es sich bei der Anfechtung des Zusammenveranlagungsbescheids und der dort im Streit stehenden materiellen Besteuerungsgrundlagen im Vergleich zu dem durch die (erneut) ausgeübte Wahl der Veranlagungsart ausgelösten neuen Veranlagungsverfahren, in dem es um die Grundordnung der steuerlichen Verhältnisse zweier Personen geht, nicht um "dieselbe Steuersache" handelt.
Es ist somit nicht zulässig, die vom FA durchgeführte Einzelveranlagung im Klageverfahren in ein Zusammenveranlagungsverfahren überzuleiten (, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487), was im umgekehrten Fall ebenfalls gelten muss.
Quelle: ; NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
QAAAJ-60451