BGH Beschluss v. - XII ZB 550/21

Versäumung eines Termins im Verfahren mit Anwaltszwang: Sorgfalts- und Informationspflicht der Partei gegenüber dem Gericht

Leitsatz

1. In einem Verfahren mit Anwaltszwang muss ein Beteiligter alles ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, um das Gericht rechtzeitig vor Erlass eines zweiten Versäumnisbeschlusses darüber zu informieren, dass er keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden hat (Fortführung von , NJW-RR 2016, 60; , NJW 2009, 687; , NJW 2007, 2047 und , NJW 2006, 448).

2. In einem Verfahren mit Anwaltszwang zwingt die Erkrankung eines Beteiligten das Gericht nicht zu einer Terminsverlegung, wenn nicht gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit des Beteiligten erfordern. Der Beteiligte hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen (Anschluss an , juris).

Gesetze: § 113 Abs 1 FamFG, § 117 Abs 2 S 1 FamFG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 345 ZPO, § 397 Abs 2 ZPO, § 402 ZPO, § 514 Abs 2 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 2 UF 437/21vorgehend AG Starnberg Az: 4 F 106/11

Gründe

I.

1Die Antragstellerin begehrt, die Zwangsvollstreckung des Antragsgegners aus einer notariellen Urkunde vom für unzulässig erklären zu lassen.

2Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am ist für den Antragsgegner niemand erschienen, woraufhin antragsgemäß ein dem Begehren der Antragstellerin stattgebender Versäumnisbeschluss ergangen ist. Dagegen hat der Antragsgegner, vertreten durch einen neu mandatierten Verfahrensbevollmächtigten, Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz vom hat dieser Verfahrensbevollmächtigte das Mandat niederlegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache am ist für den Antragsgegner abermals niemand erschienen. Daraufhin ist antragsgemäß ein zweiter Versäumnisbeschluss ergangen, durch den der Einspruch des Antragsgegners verworfen worden ist.

3Hiergegen hat der Antragsgegner, wiederum vertreten durch einen neu mandatierten Verfahrensbevollmächtigten, mit der Begründung Beschwerde eingelegt, dass er die Teilnahme am Termin vom unverschuldet versäumt habe. Es sei ihm nicht möglich gewesen, in nur knapp fünf Wochen einen neuen Rechtsanwalt zu finden, der diesen Termin für ihn wahrnehme. Zudem habe er auch aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Termin erscheinen können. Dies sei wiederholt durch ärztliche Atteste, zuletzt durch ein Attest vom , nachgewiesen worden. Auch sei ihm die Anreise zu einem Termin nicht zumutbar, solange es keinen Impfstoff gegen das SARS-Cov-2-Virus gebe, weil er mit seinen 74 Jahren zu einer Risikogruppe gehöre. Insbesondere die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel könne ihm nicht zugemutet werden.

4Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners als unzulässig angesehen, weil der Antragsgegner nicht hinreichend dargelegt habe, den Termin am unverschuldet versäumt zu haben. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er weiterhin die Aufhebung des zweiten Versäumnisbeschlusses erstrebt.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht die Beschwerde des Antragsgegners in der Beschlussformel seiner Entscheidung zwar „zurückgewiesen“, sie der Sache nach jedoch als unzulässig verworfen hat. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht zulässig, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind und der Antragsgegner nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung hält sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

61. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 FamFG iVm § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss, der einem weiteren Einspruch nicht unterliegt (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 345 ZPO), nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Von der Schlüssigkeit der Darlegung, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden sei, hängt die Zulässigkeit der Beschwerde ab. Die Verschuldensfrage ist dabei nach denselben Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 407/12 - FamRZ 2016, 209 Rn. 7 mwN).

7Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Vortrag mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierten Ansprüche auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht überspannt werden (vgl. - FamRZ 2022, 1713 Rn. 13 f. mwN).

82. Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht die Beschwerde des Antragsgegners zu Recht als unzulässig verworfen.

9a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Säumnis des Antragsgegners am nicht deshalb unverschuldet sein konnte, weil es dem Antragsgegner nach seinem Vortrag im Beschwerdeverfahren trotz umfangreicher Bemühungen nicht gelungen sei, nach Niederlegung des Mandats durch seinen früheren Verfahrensbevollmächtigten am bis zum einen neuen Rechtsanwalt zu beauftragen.

10aa) Zwar kann einem Beteiligten, der in einem Verfahren mit Anwaltszwang keinen vertretungsbereiten Rechtsanwalt gefunden hat, unter bestimmten Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist gewährt werden (vgl. dazu näher - NJW 2014, 3247 Rn. 5 mwN), so dass der Umstand der fehlenden anwaltlichen Vertretung grundsätzlich auch eine nicht schuldhafte Versäumung iSd § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu begründen vermag. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es zu der jedem Beteiligten obliegenden Sorgfaltspflicht gehört, dem Gericht alle Umstände mitzuteilen, die dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin im Wege stehen, und hierdurch eine Verlegung des Termins zu ermöglichen. Ein Beteiligter muss daher alles ihm Mögliche und Zumutbare unternehmen, um dem Gericht rechtzeitig vor Erlass des Versäumnisbeschlusses seine Verhinderung mitzuteilen (MünchKommZPO/Rimmelspacher 6. Aufl. § 514 Rn. 21; Musielak/Voit/Stadler ZPO 20. Aufl. § 337 Rn. 6; Zöller/Heßler ZPO 34. Aufl. § 514 Rn. 9; vgl. auch - NJW-RR 2016, 60 Rn. 6 mwN; vom - VI ZR 317/07 - NJW 2009, 687 Rn. 11; vom - IX ZR 100/06 - NJW 2007, 2047 Rn. 17 mwN und vom - I ZR 53/05 - NJW 2006, 448 Rn. 14 mwN). Nur wenn die Mitteilung aus unverschuldeten Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, steht ihre Unterlassung der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen (Stein/Jonas/Althammer ZPO 23. Aufl. § 514 Rn. 9).

11bb) Der Antragsgegner hat erstmals im Beschwerdeverfahren behauptet, dass er nach dem bei mehreren Rechtsanwälten unter Hinweis auf den bestehenden Anwaltszwang telefonisch oder schriftlich angefragt habe, ob Bereitschaft bestünde, ihn im vorliegenden Verfahren zu vertreten und den Termin am wahrzunehmen. Einige Anwälte hätten gar nicht geantwortet, die übrigen hätten die Übernahme des Mandats abgelehnt. In seinem Schreiben an das hatte der Antragsgegner hingegen lediglich unter Verweis auf die Corona-Einschränkungen und ein hausärztliches Attest vom um eine Aufhebung des Termins gebeten; von einer bis dahin erfolglos gebliebenen Suche nach einem neuen Verfahrensbevollmächtigten war dagegen keine Rede. Wie das Beschwerdegericht richtig erkannt hat, hat es der Antragsgegner schuldhaft unterlassen, dem Amtsgericht seine erfolglosen Bemühungen um einen neuen Verfahrensbevollmächtigten mitzuteilen und unter diesem Gesichtspunkt eine Verlegung des Termins zu erwirken, um den Erlass des zweiten Versäumnisbeschlusses zu vermeiden. Daher hat das Beschwerdegericht zu Recht eine schuldhafte Versäumung iSd § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO angenommen, und zwar ohne dass es darauf ankäme, ob die Bemühungen des Antragsgegners um einen neuen Verfahrensbevollmächtigten ausreichend waren oder ob ihm - auf entsprechendes Ersuchen - für die Anwaltssuche mehr Zeit hätte eingeräumt werden müssen, wie er im Beschwerdeverfahren geltend gemacht hat.

12b) Der Antragsgegner konnte auch nicht aus anderen Gründen davon ausgehen, dass der Termin vom verlegt werden würde.

13aa) Das Beschwerdegericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Antragsgegner von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Termin am entbunden war und der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs das Amtsgericht vorliegend nicht dazu gezwungen hat, diesen Termin zu verlegen, um dem Antragsgegner eine persönliche Anwesenheit zu ermöglichen. Daher kommt es nicht darauf an, ob die vom Antragsgegner vorgebrachten krankheits- bzw. pandemiebedingten Verhinderungsgründe eine unverschuldete Versäumung des Termins hätten begründen können.

14(1) Nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen. Erhebliche Gründe iSv § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird (vgl. - juris Rn. 14 mwN).

15In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Erkrankung eines anwaltlich vertretenen Beteiligten nicht zu einer Terminsverlegung zwingt, wenn und weil sein Verfahrensbevollmächtigter zur Wahrnehmung des Termins zur Verfügung steht. Durch ihn kann der Beteiligte seine Rechte im Verfahren in der Regel angemessen und effektiv wahrnehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit des Beteiligten erfordern. Der Beteiligte hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen, die seine persönliche Anwesenheit in der Verhandlung erforderlich machen. Hinreichend gewichtige Gründe ergeben sich nicht schon aus der Bedeutung, welche das Verfahren für den Beteiligten hat. Das bloße Anwesenheitsinteresse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten ist durch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht geschützt (vgl. - juris Rn. 15 mwN).

16(2) Gewichtige Gründe, die eine persönliche Anwesenheit des Antragsgegners zum Termin am erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich. Es fehlt an substantiiertem Vorbringen, weshalb dieser Termin nicht von einem (neu mandatierten) Verfahrensbevollmächtigten, durch den sich der Antragsgegner in der vorliegenden Familienstreitsache hätte vertreten lassen müssen (§§ 114 Abs. 1, 112 Nr. 3, 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG), allein hätte wahrgenommen werden können, zumal zum Termin kein Sachverständiger geladen war, an den der Antragsteller gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm mit §§ 402, 397 Abs. 2 FamFG hätte Fragen richten können.

17bb) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, konnte der Antragsgegner auch nicht davon ausgehen, dass das Amtsgericht den Termin vom - ebenso wie denjenigen vom - bereits deshalb verlegen würde, weil er sich auf krankheits- bzw. pandemiebedingte Verhinderungsgründe berufen hat. Denn das Amtsgericht hatte schon den Termin vom nicht mehr verlegt, sondern den Antragsgegner mit Blick auf die behauptete Verhinderung von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden.

18cc) Schließlich war das Amtsgericht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu einer Terminsverlegung angehalten, weil außer Frage gestanden hätte, dass der Antragsgegner nach Niederlegung des Mandats durch seinen früheren Verfahrensbevollmächtigten am einen neuen Rechtsanwalt bis zum nicht würde finden können. So war es dem Antragsgegner nach Erlass des ersten Versäumnisbeschlusses gelungen, innerhalb der Einspruchsfrist einen neuen Verfahrensbevollmächtigten zu mandatieren, weshalb gerade nicht ersichtlich war, dass die Zeit bis zum für die Anwaltssuche nicht ausreichend sein könnte.

193. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:131223BXIIZB550.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 9 Nr. 8
NAAAJ-58126