BGH Urteil v. - IX ZR 219/22

Anforderungen an anwaltlich vertretene Partei bei Darlegung einer unverschuldeten Säumnis

Leitsatz

1. Die Erkrankung der anwaltlich vertretenen Partei selbst - bei einer juristischen Person die ihres Vertretungsorgans - zwingt nicht zu einer Terminsverlegung, wenn nicht gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern. Die Partei hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen.

2. Erscheint die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht, ist sie nicht schon durch eine Arbeitsunfähigkeit ausreichend entschuldigt. Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei krankheitsbedingt verhandlungsunfähig ist.

Gesetze: § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 233 ZPO, § 330 ZPO, § 337 S 1 ZPO, § 276 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: 5 U 4518/19vorgehend LG München I Az: 32 O 5931/17

Tatbestand

1Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Gewährung eines Darlehens. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

2Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, in dem für die Klägerin niemand erschienen ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Versäumnisurteil vom zurückgewiesen.

3Gegen dieses Versäumnisurteil hat die Klägerin Einspruch eingelegt. Das Berufungsgericht hat darauf am Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil und die Hauptsache für den bestimmt, verschiedene Hinweise erteilt und der Klägerin Frist zur Stellungnahme bis zum gesetzt. Das Berufungsgericht hat die Stellungnahmefrist zweimal verlängert, zuletzt bis zum . Einen Antrag auf weitere Verlängerung und Terminsverlegung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. In dem Termin ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erschienen, nicht aber der seinerzeit ebenfalls als Rechtsanwalt zugelassene Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat eine Vertagung beantragt und keine Sachanträge gestellt. Das Berufungsgericht hat eine Vertagung abgelehnt und den Einspruch der Klägerin durch zweites Versäumnisurteil verworfen.

4Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

5Die Revision hat keinen Erfolg. Das Rechtsmittel ist bereits nicht zulässig und zu verwerfen.

I.

6Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin geladen gewesen. Die Einlassungsfrist sei angemessen gewesen und ein Vertagungsgrund habe nicht vorgelegen. Es sei nicht ersichtlich und nicht glaubhaft gemacht, dass der Geschäftsführer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, den Termin zusammen mit dem weiteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin hinreichend vorzubereiten. Es habe insoweit zumindest die Möglichkeit eines telefonischen Kontakts zwischen den beiden bestanden. Auch habe die Klägerin trotz des Unfalls ihres Geschäftsführers für das Anbringen des ersten Befangenheitsgesuchs einen dritten Rechtsanwalt mandatieren können, was ihre Handlungsfähigkeit beweise. Zudem begleite der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Rechtsstreit bereits seit 2017. Im Kern habe der Verhandlung außerdem der gleiche Sachverhalt wie in einem durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof bereits rechtskräftig abgeschlossenen Parallelverfahren zugrunde gelegen, in welchem der Prozessbevollmächtigte den Geschäftsführer und dessen Ehefrau vertreten habe. Es komme hinzu, dass die vorgelegte Bescheinigung über eine fehlende Verhandlungsfähigkeit des Geschäftsführers nicht von einem Arzt unterzeichnet sei und die Diagnose einer Rippenfraktur für sich nicht genügend aussagekräftig sei, weshalb eine die Teilnahme an der Verhandlung hindernde Erkrankung des Geschäftsführers der Klägerin nicht glaubhaft gemacht sei. Damit lägen die Voraussetzungen für den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils vor.

II.

7Die Revision ist unzulässig.

81. Gegen ein zweites Versäumnisurteil eines Berufungsgerichts findet allerdings die Revision gemäß § 565 Satz 1, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO ohne Zulassung und ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstands statt (, WM 2023, 196 Rn. 3 mwN).

92. Die Revision erfüllt aber nicht die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der § 565 Satz 1, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

10a) Ein (zweites) Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch nicht statthaft ist, unterliegt nach § 565 Satz 1, § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Revision insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Eine zulässige Revision setzt also die schlüssige Darlegung voraus, dass der Termin nicht schuldhaft versäumt worden ist. Wird die fehlende oder unverschuldete Säumnis nicht schlüssig dargelegt, ist die Revision als unzulässig zu verwerfen (, NJW 2018, 3252 Rn. 6; vom , aaO Rn. 5). So verhält es sich im Streitfall.

11b) Das Revisionsvorbringen der Klägerin ist unschlüssig. Es ergibt nicht, dass sie den Termin vom vor dem Berufungsgericht ohne Verschulden versäumt hat.

12aa) Eine Partei ist im Sinne der §§ 330 ff ZPO säumig, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Bestimmung eines notwendigen Termins zur mündlichen Verhandlung nach Aufruf der Sache am hierzu bestimmten Ort nicht erscheint, bei notwendiger Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten ist oder nicht zur Sache verhandelt. Nicht schuldhaft ist die Säumnis, wenn die Partei oder - bei notwendiger Vertretung - ihr Prozessvertreter an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins unverschuldet verhindert war (§ 337 Satz 1, § 233 ZPO, § 276 Abs. 2 BGB), mithin die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei gewahrt hat (, WM 2023, 196 Rn. 7 mwN). Die Verschuldensfrage richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bei seiner Bewertung ist das Revisionsgericht nicht an den Informationsstand gebunden, über den das Berufungsgericht bei Erlass seiner Entscheidung verfügte (, ZIP 2015, 2191 Rn. 5; vom , aaO).

13bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Klägerin nicht schlüssig dargetan, dass sie den Einspruchstermin vom unverschuldet versäumt hat. Die Revision stellt nicht in Frage, dass die Klägerin ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin geladen worden ist und in dem Termin trotz Erscheinens ihres Prozessbevollmächtigten keinen Sachantrag gestellt hat. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin zunächst angestrebte Verlegung des Termins und später für die beantragte Vertagung der Verhandlung im Hinblick auf die geltend gemachte Erkrankung des Geschäftsführers ihrer Komplementärin (fortan: Geschäftsführer) hat das Berufungsgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint.

14(1) Nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin nur aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen (vgl. , NJW 2009, 687 Rn. 8 mwN; vom - VII ZR 123/18, BauR 2019, 858 Rn. 22). Erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird (vgl. aaO).

15(a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dann, wenn eine Partei anwaltlich vertreten ist, die Erkrankung der Partei selbst - bei einer juristischen Person die ihres Vertretungsorgans - nicht zu einer Terminsverlegung zwingt, wenn und weil ihr Prozessbevollmächtigter zur Wahrnehmung des Termins zur Verfügung steht. Durch ihn kann die Partei ihre Rechte im Verfahren in der Regel angemessen und effektiv wahrnehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erfordern (, WM 2023, 196 Rn. 17 mwN). Die Partei hat die gewichtigen Gründe substantiiert vorzutragen, weshalb ihre persönliche Anwesenheit in der Verhandlung erforderlich ist (vgl. AnwZ (Brfg) 45/14, juris Rn. 6; BVerwG, DÖV 1983, 247, 248). Hinreichend gewichtige Gründe ergeben sich nicht schon aus der Bedeutung, welche der Prozess für die Partei hat. Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich vertretenen Partei ist durch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht geschützt ( aaO mwN).

16(b) Die mangelnde Terminvorbereitung ist nach § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO kein Verlegungs- und Vertagungsgrund, solange sie nicht ihrerseits entschuldigt ist. Für eine genügende Entschuldigung kommt es zunächst darauf an, zu welchen Punkten die Partei eine zusätzlich erforderliche Vorbereitung geltend macht. Die Partei muss sodann substantiiert darlegen, aus welchen Gründen sie an einer ausreichenden Vorbereitung gehindert war und dass sie alles Zumutbare und Mögliche unternommen hat, um sich und ihren Anwalt im Hinblick auf den Verhandlungstermin ausreichend vorzubereiten (vgl. , WM 2023, 1040 Rn. 19).

17(2) Daran gemessen hat die Klägerin erhebliche Gründe für eine Verlegung des Termins oder eine Vertagung der Verhandlung nicht hinreichend vorgetragen.

18(a) Die Klägerin legt nicht schlüssig dar, dass eine Verlegung oder Vertagung deshalb geboten war, weil ihr Geschäftsführer gehindert war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die Klägerin zeigt weder schlüssig auf, dass ihr Geschäftsführer ohne Verschulden am Erscheinen verhindert war, noch hat sie substantiiert dargelegt, dass eine Anwesenheit ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung erforderlich war.

19Bereits eine seine Verhandlungsunfähigkeit begründende Erkrankung ihres Geschäftsführers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt. Erscheint die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht, ist dies nicht schon durch eine Arbeitsunfähigkeit ausreichend entschuldigt (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 227 Rn. 6 mwN). Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei krankheitsbedingt verhandlungsunfähig ist (Stein/Jonas/Roth, aaO). Die Revision legt dies nicht schlüssig dar. Soweit das Berufungsgericht die von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen vom 3. und für unzureichend hält, nimmt die Revision diese Würdigung hin. Das ärztliche Attest vom , auf das sich die Revision beruft, ist ebenfalls nicht geeignet, das Ausbleiben des in München wohnhaften Geschäftsführers zu entschuldigen. Daraus ergibt sich allein, dass der Geschäftsführer aufgrund des am erlittenen dreifachen Rippenbruchs wegen ausgeprägter Schmerzen und notwendiger regelmäßiger Schmerzmitteleinnahme bis arbeitsunfähig ist; es ist nicht erkennbar, warum dies einer Teilnahme an der Verhandlung entgegensteht oder gar eine Verhandlungsunfähigkeit am begründet. Unabhängig davon lässt die Revision unwidersprochen, dass der Geschäftsführer nach der Behauptung der Beklagten im Oktober 2022 am Wochenende vor der mündlichen Verhandlung mit dem eigenen Fahrzeug in sein Haus an den Gardasee gefahren ist. Jedenfalls ist damit der Glaubhaftmachung einer krankheitsbedingten Verhinderung des Geschäftsführers im Verhandlungstermin die Grundlage entzogen.

20Zudem hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, dass gewichtige Gründe die persönliche Anwesenheit der Partei erforderten. Sie zeigt nicht auf, dass der Verhandlungstermin vor dem Berufungsgericht nicht von ihrem weiteren Prozessbevollmächtigten allein hätte sachgerecht wahrgenommen werden können. Dieser hat die Klägerin im Rechtsstreit seit der Klageerhebung 2017 ebenso umfassend vertreten wie im inzwischen rechtskräftig abgeschlossene Parallelverfahren mit zumindest deutlichen Bezügen zum Sachverhalt des Streitfalls. Auch wenn er hierbei auf Vor- und Zuarbeiten des Geschäftsführers zurückgegriffen hat, folgt daraus kein gewichtiger Grund für die Anwesenheit der Partei in der mündlichen Verhandlung. Vor diesem Hintergrund fehlt es an substantiierten Vorbringen dazu, weswegen die Anwesenheit des Geschäftsführers im Termin unabdingbar gewesen sein soll. Das gilt auch mit Blick auf den pauschalen Hinweis der Revision auf den Umfang der Sache. Es bleibt offen, was von dem Streitstoff aus Sicht der Klägerin überhaupt problematisch und erörterungsbedürftig gewesen wäre.

21(b) Ebenso wenig ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin, dass sie unverschuldet nicht in der Lage gewesen ist, die mündliche Verhandlung ausreichend vorzubereiten. Zwischen der Ladung und dem Termin zur mündlichen Verhandlung lagen über zwei Monate. Das Berufungsgericht gab mit seiner Terminsverfügung vom konkrete Hinweise auf den Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

22Die Klägerin zeigt nicht auf, warum ihr Geschäftsführer nicht in der Lage gewesen ist, ihren mit der Sache ebenfalls seit langem befassten Prozessbevollmächtigten innerhalb dieses Zeitraums ausreichend zu instruieren. Dass der Geschäftsführer hierzu wegen der Folgen seines am erlittenen Unfalls nicht, insbesondere nicht fernmündlich, in der Lage gewesen ist, ist nicht schlüssig dargelegt. Das Berufungsgericht hat frühzeitig auf eine etwaige Anpassung der Anträge an die geänderte prozessuale Lage und auf die Unvollständigkeit der Anlagen hingewiesen. Trotz seiner geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigung hat der Geschäftsführer im Übrigen wenige Tage vor dem Termin eine weitere Anwaltskanzlei mit der Einreichung eines von ihm selbst formulierten siebenseitigen Befangenheitsgesuchs im Namen der Klägerin an das Berufungsgericht betrauen können. Dies lässt es als möglich erscheinen, dass er sich trotz seiner Erkrankung hinreichend mit der inhaltlichen Vorbereitung des Verhandlungstermins hätte beschäftigen und den Prozessbevollmächtigten entsprechend und genügend unterrichten können, um eine sachgerechte Vorbereitung der mündlichen Verhandlung sicherzustellen.

23(c) An dieser Würdigung ändert sich nichts dadurch, dass zwischen dem Erlass des ersten Versäumnisurteils am und dem Termin zur Verhandlung über den Einspruch am ein Zeitraum von annähernd zwei Jahren liegt. Dieser Umstand begründet weder für sich noch unter Berücksichtigung der weiteren Gesichtspunkte des Falls einen erheblichen Grund im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

24(d) Ein Verlegungsgrund, der einer schuldhaften Säumnis der Klägerin entgegenstünde, ergab sich auch nicht im Hinblick auf die Frage, welche Anlagen zu den Schriftsätzen der Parteien in den Gerichtsakten fehlten. Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts, diese Frage in der mündlichen Verhandlung klären zu wollen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140923UIXZR219.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 9 Nr. 51
NJW-RR 2024 S. 62 Nr. 1
EAAAJ-53567