BAG Urteil v. - 3 AZR 312/22

Betriebliche Altersversorgung - ruhegeldfähige Beschäftigungszeit

Gesetze: § 1 TVG, § 1b BetrAVG, § 2 BetrAVG, § 2a BetrAVG, § 17 Abs 3 BetrAVG vom , § 19 Abs 1 BetrAVG

Instanzenzug: ArbG Wuppertal Az: 2 Ca 1523/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 Sa 234/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe der der Klägerin zustehenden Betriebsrente.

2Die 1956 geborene Klägerin war seit dem bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin richtete sich aufgrund beiderseitiger Tarifbindung sowie kraft einzelvertraglicher Bezugnahme nach dem zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen und ab geltenden „Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der BARMER“ vom (nachfolgend MTV). Der MTV lautet auszugsweise:

3Die Ansprüche der Klägerin auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung richten sich nach Teil 3 des zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen, ab geltenden „Tarifvertrags über die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung“ vom (nachfolgend TV AltV). Er lautet auszugsweise wie folgt:

4Im Jahr 2014 führte die Beklagte eine umfassende Reorganisation ihrer Flächenstandorte (Projekt „aufbruch“) durch. Am 4./ schlossen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung, die auszugsweise wie folgt lautet:

5Die Beklagte nahm zuletzt im Rahmen der Gehaltsabrechnung für den Monat Dezember 2014 eine Kürzung der monatlichen ruhegehaltsfähigen Bruttobezüge nach Teil 3 Nr. 12 Abs. 2 TV AltV vor.

6Seit dem bezieht die Klägerin eine gesetzliche Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Ab dem zahlte die Beklagte an die Klägerin ein monatliches Ruhegeld nach dem TV AltV iHv. 146,04 Euro brutto. Bei der Berechnung der Betriebsrente berücksichtigte sie die Zeit vom bis zum als Beschäftigungszeit iSd. TV AltV, nicht aber die Zeit der nach Nr. 6.3 MTV im Aufhebungsvertrag vereinbarten Fortführung des Arbeitsverhältnisses bis zum .

7Mit ihrer Klage hat die Klägerin zuletzt ein zusätzliches monatliches Ruhegeld iHv. 20,09 Euro für den Zeitraum von März 2020 bis Juni 2021 mit einem Gesamtbetrag iHv. 321,44 Euro verlangt sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihr ab Juli 2021 ein monatliches Ruhegeld iHv. 166,13 Euro brutto zu zahlen.

8Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung ihres Ruhegeldes sei auch die Zeit der nach Nr. 6.3 MTV vereinbarten Fortführung des Arbeitsverhältnisses vom bis zum als ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit zu berücksichtigen. Daraus errechne sich ein um 20,09 Euro monatlich erhöhtes Ruhegeld. Beschäftigungszeit im Sinne des TV AltV sei nach Nr. 1.7 MTV und nach Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 TV AltV die Zeit des Bestands des Arbeitsverhältnisses. Ein anderes Verständnis habe in den tarifvertraglichen Vorschriften keinen Niederschlag gefunden. Insbesondere gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Umwandlung der Abfindung in Bezüge nach Nr. 6.3 MTV Fragen der betrieblichen Altersversorgung geregelt seien und der Zeitraum nicht als Beschäftigungszeit gelte. Nr. 6.3 MTV treffe lediglich eine Regelung für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses und die Höhe der Bezüge während der Freistellung. Soweit bestimmte Zeiten als nicht ruhegehaltsfähig anzusehen seien, sei das - wie in Nr. 5.2 Abs. 2 MTV - in den tariflichen Regelungen ausdrücklich festgehalten. Zudem verweise Teil 3 Nr. 2 Abs. 3 TV AltV für die ihr zustehende unverfallbare Anwartschaft auf das BetrAVG.

9Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, der Zeitraum ab dem sei schon deshalb keine ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum geendet habe. Mache ein Arbeitnehmer - wie die Klägerin - von der Option nach Nr. 6.3 MTV Gebrauch, werde ein neues Vertragsverhältnis eigener Art begründet. Jedenfalls ergebe die Auslegung der tariflichen Bestimmungen, dass in der Zeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses nach Nr. 6.3 MTV lediglich das Gehalt nach Nr. 4.2 MTV und die genannte persönliche Zulage zu zahlen seien, weitergehende Ansprüche durch die Fortführung hingegen nicht ausgelöst werden sollten, weil die Umwandlung der Abfindung in Beschäftigungszeit für die Beklagte kostenneutral erfolgen solle.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit noch streitgegenständlich - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

12Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage - soweit sie noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - zu Recht abgewiesen. Diese ist zulässig, aber unbegründet.

13I. Die Klage ist mit beiden Anträgen zulässig.

141. Mit dem Zahlungsantrag macht die Klägerin hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) die zwischen den Parteien noch streitige monatliche Ruhegelddifferenz zwischen 146,04 Euro und 166,13 Euro iHv. 20,09 Euro für den Zeitraum von März 2020 bis Juni 2021 - also für 16 Monate - mit einem Gesamtbetrag iHv. 321,44 Euro geltend.

152. Der Feststellungsantrag, mit dem die Klägerin - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt - abweichend vom Wortlaut ebenfalls nur die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des monatlichen Differenzbetrags iHv. 20,09 Euro verlangt, richtet sich auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO, nämlich den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten (vgl.  - Rn. 24). Da hierüber zwischen den Parteien Streit besteht, hat die Klägerin auch ein Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung (vgl.  - Rn. 25). Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht nicht entgegen, weil durch die Feststellungsklage eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen den Zwang zur Leistungsklage sprechen ( - Rn. 26). Es bestand auch kein Zwang, für die im Verlaufe des Verfahrens fällig werdenden monatlichen Ruhegeldansprüche zu einer Leistungsklage überzugehen (vgl.  - Rn. 18; - 9 AZR 827/12 - Rn. 13 mwN).

16II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines um 20,09 Euro brutto erhöhten monatlichen Ruhegeldes.

171. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Zeit der auf Grundlage von Nr. 6.3 MTV im Aufhebungsvertrag der Parteien vereinbarten Fortführung des Arbeitsverhältnisses vom bis zum nicht als ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit zu berücksichtigen ist.

18a) Nach Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 TV AltV beträgt das Ruhegeld für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit 0,34 vH des ruhegehaltsfähigen Bruttogehalts im Ausscheidungsmonat bzw. für Zeiten bis zum nach Teil 3 Nr. 15 Abs. 1 TV AltV 0,4 vH je volles Jahr der Beschäftigung. Die Dauer der Beschäftigungszeit ergibt sich nach Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 TV AltV aus der bei der Beklagten „ununterbrochen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückgelegten Beschäftigungszeit (einschließlich Ausbildungszeit) sowie aus der gem. Nr. 1.7 MTV auf die betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung angerechneten Zeit“. Nr. 1.7 Abs. 1 MTV wiederum definiert als Beschäftigungszeit im Sinne des TV AltV ebenfalls die bei der Beklagten zurückgelegte ununterbrochene Beschäftigungs- und Ausbildungszeit, wobei der Zeitraum der Beurlaubung gemäß Nr. 5.1 und 5.2 MTV nicht als Beschäftigungszeit gilt. Nr. 1.7 Abs. 2 und 3 MTV enthalten Anrechnungsregelungen für Wehrdienstzeiten oä. und Beschäftigungszeiten bei anderen gesetzlichen Krankenkassen. Nach den tariflichen Regelungen kommt es daher für die Frage, ob ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit iSv. Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 TV AltV vorliegt, grundsätzlich auf den ununterbrochenen rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an.

19b) Die Zeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses vom bis zum ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht bereits deshalb als nicht ruhegehaltsfähig anzusehen, weil das ursprüngliche Arbeitsverhältnis der Klägerin zum beendet und aufgrund ihres Fortführungsverlangens nach Nr. 6.3 MTV ein neues Arbeitsverhältnis „eigener Art“ begründet worden wäre. Das ist nicht der Fall. Nach Nr. 6.3 Abs. 1 Satz 1 MTV kann der Arbeitnehmer, der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Abfindungsanspruch aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Dienstvereinbarung hat, verlangen, dass die Arbeitgeberin statt der Zahlung der Abfindung „das Arbeitsverhältnis“ unter Freistellung von der Arbeitspflicht „über den vorgesehenen Beendigungszeitpunkt hinaus fortführt“. Danach wird - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat - bei einem Verlangen des Arbeitnehmers nach Nr. 6.3 Abs. 1 MTV das ursprüngliche Arbeitsverhältnis über den eigentlich vorgesehenen Endzeitpunkt hinaus fortgeführt. Genau das haben die Parteien in Nr. 3 Satz 2 des Aufhebungsvertrags vom vereinbart. Insoweit erhebt die Beklagte im Revisionsverfahren auch keine Einwände.

20c) Gleichwohl ist die Zeit einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses bei einem Verlangen des Arbeitnehmers nach Nr. 6.3 MTV keine ruhegeldfähige Beschäftigungszeit iSv. Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 TV AltV, Nr. 1.7 Abs. 1 MTV. Das ergibt die an Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik des MTV und des TV AltV orientierte Auslegung der tariflichen Regelungen (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB  - Rn. 21 mwN).

21aa) Der Wortlaut der genannten tariflichen Bestimmungen lässt zwar ein Verständnis zu, den Zeitraum der Fortführung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Verlangens des Arbeitnehmers nach Nr. 6.3 MTV als ruhegeldfähig anzusehen. Die Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses nach Nr. 6.3 Abs. 1 MTV hat einen späteren „Ausscheidungsmonat“ (vgl. Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 TV AltV) und damit eine verlängerte „ununterbrochene Beschäftigungszeit“ (vgl. Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 TV AltV iVm. Nr. 1.7 Abs. 1 MTV) zur Folge. Andererseits enthält der Wortlaut von Nr. 6.3 Abs. 1 Satz 2 MTV iVm. Nr. 6.3 Abs. 2 MTV erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Ausübung der Fortführungsoption durch den ausscheidenden Arbeitnehmer keine zusätzlichen Ruhegeldansprüche auslösen soll. Nach Nr. 6.3 Abs. 1 Satz 2 MTV besteht während der Fortführung des Arbeitsverhältnisses auf Seiten der Beschäftigten „allein“ ein monatlicher Anspruch auf Bezüge in Höhe des vor dem vorgesehenen Beendigungszeitpunkt maßgeblichen Gehalts nach Nr. 4.2 MTV ggf. einschließlich der persönlichen Zulagen. Nach Nr. 6.3 Abs. 2 MTV endet das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt, in dem die Arbeitgeberin für die Weiterzahlung der („alleinigen“ iSv. Nr. 6.3 Abs. 1 Satz 2 MTV) Bezüge einschließlich der von ihr zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung sowie Beiträgen oder Umlagen zu einer Zusatzversorgungseinrichtung „insgesamt“ einen Betrag aufgewendet hat, der der zu zahlenden Abfindung entsprochen hätte. Das macht deutlich, dass sich die wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeberin bei einer (vom Arbeitnehmer verlangten) Fortführung des Arbeitsverhältnisses nach Nr. 6.3 MTV im Verhältnis zum ursprünglichen Beendigungstermin nebst Abfindungszahlung nicht erhöhen sollte. Sichergestellt wird dies durch die Errechnung zusätzlicher Beschäftigungszeit, die im Wege der Umlage der „allein“ zu zahlenden bisherigen Bezüge (inkl. Arbeitgeberbeiträgen und ggf. Umlagen zu einer Zusatzversorgungseinrichtung) „insgesamt“ auf den geschuldeten Abfindungsbetrag erfolgt. Das spricht dagegen, den Fortführungszeitraum nach Nr. 6.3 MTV als ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit zu betrachten.

22bb) Dieser im Tarifwortlaut verankerte Regelungsinhalt entspricht dem Zweck der Fortführungsoption gemäß Nr. 6.3 MTV. Dieser besteht darin, dem von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, anstelle der beanspruchten Abfindung das Arbeitsverhältnis - bei gleichzeitiger Freistellung - durch eine für den Arbeitgeber kostenneutrale Umwandlung des Abfindungsbetrags in zusätzliche Beschäftigungszeit zu verlängern. Die durch die Kostenneutralität geprägte Zweckrichtung verdeutlicht insbesondere die in Nr. 6.3 Abs. 3 Satz 2 MTV geregelte Umrechnungsmodalität, bei der auch Entgeltnebenkosten wie Arbeitgeberbeiträge zu einer etwaigen Zusatzversorgung und zur Sozialversicherung zu berücksichtigen sind. Diesem Regelungszweck stünde es entgegen, der Fortführung kostenerhöhende betriebsrentenrechtliche Auswirkungen zuzuschreiben.

23cc) Tarifsystematische Erwägungen bestätigen dieses Verständnis.

24(1) Mit der unter Nr. 6 MTV im Abschnitt „Ende des Arbeitsverhältnisses“ aufgenommenen Regelung in Nr. 6.3 MTV haben die Tarifparteien eine abschließende Sonderregelung zu den Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Bestehen eines (tariflichen oder in einer Dienstvereinbarung geregelten) Abfindungsanspruchs geschaffen, mit der die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der ermöglichten Fortführung durch eine festgelegte Gehaltszahlung und „Umrechnung“ des Abfindungsanspruchs in zusätzliche Beschäftigungszeit abschließend geregelt sind. Die Sonderregelung geht im Grundsatz davon aus, dass der wirtschaftlich relevante Beendigungszeitpunkt der Zeitpunkt des eigentlichen Ausscheidens ist; nicht ausdrücklich angesprochene tarifliche Ansprüche sollen von der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht betroffen sein. Die Tarifparteien haben die Zeit der Fortführung nach Nr. 6.3 MTV daher nicht als Beschäftigungszeit im - außerhalb der Sonderregelung relevanten - sonstigen tariflichen Sinne angesehen. Das wird daran deutlich, dass lediglich für unabdingbare Urlaubsansprüche eine Anrechnung vorgesehen ist. Der Annahme, dass die Zeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses nach Nr. 6.3 MTV nicht als ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit anzusehen ist, steht - entgegen der Ansicht der Klägerin - daher aus tarifsystematischer Sicht auch nicht entgegen, dass der MTV an anderer Stelle (vgl. etwa Nr. 5.2 Abs. 2 MTV im Hinblick auf Leistungen nach dem TV AltV bzw. - allgemeiner - Nr. 1.7 Abs. 1 Satz 4 MTV) bestimmte Zeiten ausdrücklich nicht als Beschäftigungszeit bezeichnet, eine entsprechende Regelung in Nr. 6.3 MTV für Ruhegeldansprüche aber fehlt. Das ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass Nr. 6.3 MTV die Rechtsfolgen des tariflichen Sonderfalls der Fortführung aufgrund eines entsprechenden arbeitnehmerseitigen Verlangens abschließend positiv regelt.

25(2) Für diese Lesart spricht in systematischer Hinsicht ferner, dass die Tarifvertragsparteien für die Zeit der Fortführung nach Nr. 6.3 Abs. 1 Satz 2 MTV die Höhe des im Fortführungszeitraum zu zahlenden Gehalts abschließend nach Nr. 4.2 MTV einschließlich persönlicher Zulagen festgelegt haben, ohne die Kürzung der monatlichen ruhegehaltsfähigen Bruttobezüge auf 98,59 vH nach Teil 3 Nr. 12 Abs. 2 TV AltV zu erwähnen. Hätten sie beabsichtigt, die Zeit der Fortführung nach Nr. 6.3 MTV als betriebsrentenrechtlich relevante Beschäftigungszeit anzusehen, hätte es nahegelegen, bei der Bemessung des zu zahlenden Gehalts die Kürzung, die nach Teil 3 Nr. 12 Abs. 1 Satz 2 TV AltV der Finanzierung der Pensionsrückstellungen der Arbeitgeberin in Form von Rückdeckungsversicherungen dient, zu berücksichtigen. Selbst dann, wenn man - mit der Klägerin - unterstellte, dass Nr. 6.3 Abs. 1 Satz 2 MTV bei der „alleinigen“ Zahlung des Gehalts iSv. Nr. 4.2 MTV eine Kürzung nach Teil 3 Nr. 12 Abs. 2 TV AltV nicht ausschließt, hätte jedenfalls eine ausdrückliche Regelung dazu nahegelegen, ob und ggf. wie sich die Kürzung bei der Umlage des Abfindungsbetrags in Beschäftigungszeit nach Nr. 6.3 Abs. 2 MTV auswirkt. Daran fehlt es jedoch.

26dd) Diesem Auslegungsergebnis steht - anders als von der Klägerin mit der Revision vertreten - nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien in Teil 3 Nr. 2 Abs. 3 Satz 2 TV AltV festgelegt haben, die Höhe des Ruhegeldes für Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet und die die Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft erfüllen, sei „nach § 2 Absatz 1 i.V. mit Absatz 5 BetrAVG“ zu ermitteln, wobei das 65. Lebensjahr die feste Altersgrenze darstelle. Damit haben die Tarifvertragsparteien für die Berechnung der Höhe der Anwartschaft und die für die Altersversorgung relevante Beschäftigungszeit nicht abschließend - und etwa auch im Fall der befristeten Fortführung nach Nr. 6.3 MTV - auf die Zeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses abgestellt. Vielmehr enthalten die Regelungen zur Festlegung der für die Berechnung zugrunde zu legenden Beschäftigungszeit im TV AltV und im MTV an verschiedenen Stellen wechselseitige Bezüge (vgl. etwa Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 TV AltV, Nr. 1.7 Abs. 1, Nr. 5.2 Abs. 2 MTV), aus denen sich jeweils Besonderheiten für die anzusetzende Beschäftigungszeit ergeben können. Eine solche Sonderregelung enthält auch Nr. 6.3 MTV.

272. Der Ausschluss der Zeiten einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Nr. 6.3 MTV von der für die Berechnung des Ruhegeldes zu berücksichtigenden Beschäftigungszeit iSv. Teil 3 Nr. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 TV AltV, Nr. 1.7 Abs. 1 MTV verstößt nicht gegen § 1b BetrAVG.

28a) § 17 Abs. 3 BetrAVG in der bis zum geltenden Fassung (aF, nunmehr § 19 Abs. 1 BetrAVG in der seit dem geltenden Fassung) erlaubt es den Tarifvertragsparteien, von den Vorschriften zur Berechnung der Anwartschaft (§§ 2, 2a BetrAVG) abzuweichen und einen anderen Berechnungsmodus als den gesetzlich vorgesehenen zu vereinbaren. Demgegenüber ist eine Abweichung von der Unverfallbarkeitsbestimmung in § 1b BetrAVG auch durch tarifvertragliche Regelung ausgeschlossen. Das kann einen Wertungswiderspruch zur Folge haben, wenn die Tarifparteien über die Unverfallbarkeit der Höhe nach (§ 2 BetrAVG) gänzlich frei verfügen könnten. Denn dadurch wäre es möglich, die nicht tarifdispositive Unverfallbarkeit dem Grunde nach auszuhöhlen, indem etwa die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft sehr gering bemessen wird. Diesem Umstand ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die Tarifvertragsparteien den Wert der unverfallbaren Anwartschaft nicht in beliebiger Weise schmälern dürfen (vgl. ua. - zu C II 3 f der Gründe, BVerfGE 98, 365; vgl. auch Blomeyer/Rolfs/Otto/Rolfs BetrAVG 8. Aufl. § 19 Rn. 15; Höfer/Höfer Bd. I Stand März 2023 § 19 Rn. 11; ErfK/Steinmeyer 23. Aufl. BetrAVG § 19 Rn. 2). Bei der Anwendung der Tariföffnungsklausel ist insbesondere der Schutzzweck der Regelung über die Unverfallbarkeit von Anwartschaften zu berücksichtigen. Diese trägt dem Umstand Rechnung, dass die vom Arbeitnehmer in Erwartung der Versorgungsleistung erbrachte Betriebszugehörigkeit und Arbeitsleistung nicht entschädigungslos bleiben dürfen, wenn seine Teilleistung einen bestimmten Umfang erreicht hat (vgl. BT-Drs. 7/1281 S. 19 f.;  - zu 3 b der Gründe). Sie schützt den Arbeitnehmer - im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 GG - vor einem Verfall von betrieblichen Versorgungsanwartschaften, soweit dadurch die freie Wahl eines anderen Arbeitsplatzes in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt würde (vgl. ua. - zu C III 1 d der Gründe, aaO; Höfer/Höfer aaO). Bei der Anwendung der Tariföffnungsklausel ist deshalb sicherzustellen, dass ein Arbeitnehmer, dem eine betriebliche Altersversorgung zugesagt worden ist, bei vorzeitigem Ausscheiden keine Verluste erleidet, die ihn faktisch an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses hindern.

29b) Danach ist die vorliegende tarifliche Regelung von der Tariföffnungsklausel in § 17 Abs. 3 BetrAVG aF bzw. § 19 Abs. 1 BetrAVG in der seit dem geltenden Fassung gedeckt. Durch die Regelung, nach der der Zeitraum der Fortführung nach Nr. 6.3 MTV bei der Bemessung der Anwartschaftshöhe nicht als ruhegehaltsfähige Beschäftigungszeit anzusetzen ist, ist § 1b BetrAVG nicht betroffen. Auch der in § 2 Abs. 1 BetrAVG festgelegte Berechnungsmodus an sich wird nicht verändert, wenn die Zeit der Fortführung nach Nr. 6.3 MTV nicht als zu berücksichtigende Beschäftigungszeit angesehen wird. Denn für die Berechnung der Höhe der Anwartschaft ausgehend vom Zeitpunkt des „eigentlichen“ Ausscheidens - im Streitfall der  - regelt der TV AltV keine von § 2 BetrAVG abweichende Methode. Eine Abweichung vom Gesetz liegt allerdings darin, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit bzw. der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Abweichung von § 2 Abs. 1 BetrAVG festgelegt wird, weil es beim Zeitwertfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG grundsätzlich auf die gesamte Beschäftigungszeit seit Beginn des Arbeitsverhältnisses ankommt (vgl.  - zu II 2 e der Gründe). Diese nach § 17 Abs. 3 BetrAVG aF bzw. § 19 Abs. 1 BetrAVG ausdrücklich zulässige Abweichung von § 2 BetrAVG ist jedoch auch im Hinblick auf die oben beschriebene „Aushöhlungsgefahr“ zulässig, weil der von § 1b BetrAVG verfolgte Schutzzweck durch die vorliegende Regelung nicht betroffen ist. Die in Nr. 6.3 MTV zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer geregelte Option einer befristeten Fortführung des Arbeitsverhältnisses an Stelle einer Abfindungszahlung schränkt die freie Wahl eines anderen Arbeitsplatzes schon deshalb nicht ein, weil der eigentliche Ausscheidenszeitpunkt feststeht und dem Arbeitnehmer bezogen hierauf durch die Ausübung der Fortführungsoption nichts genommen, sondern nur eine zusätzliche Gestaltung bezogen auf das Ausscheiden durch Fortführung des Arbeitsverhältnisses ermöglicht wird. Ohne die Option hätte die berücksichtigungsfähige Beschäftigungszeit ebenfalls nur bis zum ursprünglichen Ausscheidenstermin gedauert. Schon aus diesem Grund liegt im konkreten Streitfall keine unverhältnismäßige Schmälerung der Anwartschaft der Klägerin vor.

30III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:101023.U.3AZR312.22.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 435 Nr. 8
DB 2024 S. 672 Nr. 11
ZAAAJ-58122