NWB Nr. 49 vom Seite 3289

Altbekanntes als Chancen angeboten

Prof. Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt | Mitherausgeber des NWB EStG-Kommentars und des Handbuchs Bilanzsteuerrecht

Das Wachstumschancengesetz

Das Wachstumschancengesetz, von der Opposition im Bundestag mit dem wenig schmeichelhaften Kurztitel „WC-Gesetz“ bedacht (BT-Plenarprotokoll 20/129 S. 16144 f. und 16151), ist inzwischen das 5. Steuergesetz, das den Begriff „Wachstum“ im Gesetzestitel führt. Ob und in welchem Maße diese Gesetze tatsächlich zur Stärkung des Bruttoinlandsprodukts beigetragen haben und welchen Effekt jede einzelne der zahlreichen Stellschrauben hatte, an denen gedreht wurde, bleibt im Dunkeln. Die Einsicht in die Zweckmäßigkeit von Wirksamkeitskontrollen und Gesetzesevaluation hat sich im Steuerrecht wohl immer noch nicht durchgesetzt. Inzwischen ist zwar eine aussagefähige Evaluation nach den Vorgaben der EU-Kommission für die Neuregelung des Klimaschutz-Investitionsprämiengesetzes (KlimaInvPG), dem Kernstück des Wachstumschancengesetzes, vorgesehen; auf eine entsprechende Bewertung aller weiteren Regelungsinhalte dieses Gesetzes verzichtet der Regierungsentwurf aber ausdrücklich (Regierungsentwurf BT-Drucks. 20/8628 S. 119, 242).

Also „alles beim Alten“? Nein! Denn das Gesetz will das Wachstum weder fördern oder stärken, noch beschleunigen, es will vielmehr eine Stärkung seiner Chancen bewirken. Im besten Sinne liberaler Steuerpolitik greift der Gesetzgeber selbst nicht in das Wirtschaftsgeschehen ein, sondern ermöglicht nur Entscheidungen, wie es der Bundesfinanzminister in seiner Antrittsrede zur Amtsübergabe formuliert hat: Danach versteht er sein Haus als „Ermöglichungsministerium, ... das die Vorhaben der künftigen Bundesregierung ermöglicht und dabei zugleich die Verfassung achtet“ (https://go.nwb.de/fzr8b). Was gerade das Versprechen, die Verfassung zu achten, angeht, könnte aber das aktuelle Urteil des BVerfG zum „Energie- und Klimafonds“ (2 BvF 1/22 ) Einfluss auf das Wachstumschancengesetz nehmen, denn wenn 60 Mrd. € fehlen, dann geraten auch die milliardenschweren Entlastungen für die deutsche Wirtschaft in Gefahr.

Einmal abgesehen von den 15 Paragraphen des KlimaInvPG bleibt aber doch alles beim Alten. Kein grundlegendes, planvolles Reformwerk, sondern ein Omnibusgesetz, das 22 andere Gesetze und Verordnungen ändert und vor allem die üblichen Erweiterungen von Abschreibungsregelungen, Besteuerungsgrenzen und Verlustverrechnungsmöglichkeiten vorsieht. Mit welcher Sorgfalt der Regierungsentwurf erarbeitet wurde, belegen allein 34 Änderungsanträge der Regierungsfraktionen und wie bei einem Jahressteuer- oder Steueränderungsgesetz finden sich auch Korrekturen vorangegangener Maßnahmen. So soll die Option zur Körperschaftsbesteuerung auf alle Personengesellschaften ausgedehnt und damit gleichheitsgerecht erweitert werden, nachdem sich erwiesen hat, dass bisher nur 190 der ca. 300.000 Personenhandelsgesellschaften in Deutschland dieses Wahlrecht ausgeübt haben (Frischmuth, StuB 19/2023 S. 770). Auch der Verzicht auf die Besteuerung der „Dezemberhilfe 2022“ und den dadurch beabsichtigten „sozialen Ausgleich“ gehört zu diesen Reparaturen, weil es bisher immer noch nicht gelungen ist, die Zahlung von Zuschüssen an Bürger praktikabel zu regeln (s. Editorial zu NWB 49/2022 S. 3417).

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2023 Seite 3289
WAAAJ-54157