NWB Nr. 49 vom Seite 3417

Systemwidrige Einkommensbesteuerung staatlicher Zuschüsse

Prof. Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt | Mitherausgeber des NWB EStG-Kommentars und des Handbuchs Bilanzsteuerrecht

Das Eingeständnis staatlichen Unvermögens, Bedürftige direkt zu subventionieren

Die Grundidee ist bestechend: Staatliche Zuschüsse für Alle nach dem von Politikern gerne so bezeichneten Gießkannenprinzip und anschließende Korrektur durch eine progressive Besteuerung zur „sozial gerechten Ausgestaltung“ der Subvention (BT-Drucks. 20/1765 S. 18). So verfuhr der Gesetzgeber mit den durch das StEntlG 2022 eingeführten Regelungen zur Energiepreispauschale im XV. Abschnitt des EStG. Danach wurde Arbeitnehmern der einmalige Zuschuss von 300 € von ihrem Arbeitgeber ausgezahlt und als „sonstiger Bezug“ dem Lohnsteuerabzug unterworfen (§ 119 Abs. 1 EStG); bei den übrigen Anspruchsberechtigten, d. h. den Steuerpflichtigen mit betrieblichen Einkünften, wurde diese Zahlung nicht etwa der entsprechenden Einkunftsart, sondern im Wege einer Fiktion den Einnahmen nach § 22 Nr. 3 EStG zugeordnet (§ 119 Abs. 2 EStG). Die kaum folgerichtige Behandlung ein und desselben Zuschusses, der einmal einer Einkunftsart, nämlich den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugeordnet wird, nicht aber als Betriebseinnahme erfasst werden kann, weil er „bei den Gewinneinkünften zu keiner Einkunftsart i. S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG“ gehören soll (BT-Drucks. 20/1765 S. 26), entlarvt schon die ganze Fragwürdigkeit dieser Besteuerungsmaßnahme. Wenn die willkürliche Zuordnung der Energiepreispauschale zu den sonstigen Einkünften dann in der zitierten Drucksache auch noch damit gerechtfertigt wird, dass auf diese Weise die Gewerbesteuerpflicht ausgeschlossen wird, dann lässt dies eher an einen Taschenspielertrick als an seriöse Gesetzgebungsarbeit denken.

Das hehre Regelungsziel einer progressiven Belastung der Subvention entpuppt sich allerdings als reine Notlösung zur Umsetzung einer praktikablen Auszahlung des Zuschusses für Alle in gleicher Höhe. Denn – so die Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 20/1765 S. 18) – „da es derzeit noch keinen Auszahlungsmechanismus gebe, um die Energiepreispauschale direkt an die Bürgerinnen und Bürger auszuzahlen, müsse bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer(n) die Auszahlung über die Arbeitgeber erfolgen“. Zur Beruhigung derer, die Deutschland als digitales Entwicklungsland sehen, ist anzumerken, dass mit dem JStG 2022 eine Rechtsgrundlage zum Aufbau eines direkten Auszahlungswegs für öffentliche Leistungen unter Nutzung der steuerlichen Identifikationsnummer in § 139b AO geschaffen wird (BT-Drucks. 20/3879 S. 1).

Bis zum Inkrafttreten dieser Rechtsgrundlage, die eine Auszahlung von Zuschüssen an die wirklich Bedürftigen ermöglichen soll, bleibt es allerdings bei der skizzierten Rechtslage, die trotz erheblicher Kritik nun auch auf die Energiepreispauschale für Rentner und Versorgungsempfänger sowie auf die sog. Gaspreisbremse angewendet werden soll. Bestehen schon begründete Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, so ist die Subvention mangels Leistung des Steuerpflichtigen auch keiner Einkunftsart zuzuordnen. Dieser Makel lässt sich auch nicht durch die Fiktion einer Einnahme nach § 22 Nr. 3 EStG beseitigen, mit der der Gesetzgeber ohne sachliche Rechtfertigung in die Systematik der Einkunftsarten eingreift und die bundesstaatlichen Kompetenzschranken überschreitet (Kanzler, FR 2022 S. 641 m.w.N.).

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2022 Seite 3417
PAAAJ-28569