BGH Beschluss v. - X ZB 9/21

Anspruch auf Herausgabe von Sachverständigengutachten zur Frage des Eingriffs in den Schutzbereich eines Streitgebrauchsmusters - Ästhetische Behandlung

Leitsatz

Ästhetische Behandlung

1. Gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 PatG oder § 24c Abs. 3 GebrMG angeordneten Besichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des Beweisverfahrens ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird, sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.

2. Für die Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens ist die Frage, wie wahrscheinlich das Bestehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts ist, nur dann erheblich, wenn der Antragsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat (Ergänzung zu , BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung).

Gesetze: § 567 Abs 1 Nr 2 ZPO, § 140c Abs 1 S 3 PatG, § 140c Abs 3 S 2 PatG, § 24c Abs 1 S 3 GebrMG, § 24c Abs 3 S 2 GebrMG

Instanzenzug: Az: 6 W 829/21vorgehend LG München I Az: 7 OH 15561/19

Gründe

1I. Die Antragstellerin begehrt die Herausgabe von zwei aufgrund einer Besichtigung erstellten Sachverständigengutachten.

2Die Antragstellerin ist Inhaberin des am eingetragenen deutschen Gebrauchsmusters 20 2016 008 804 (Streitgebrauchsmusters), das aus der europäischen Patentanmeldung 3 316 962 abgezweigt worden ist und eine Vorrichtung zur ästhetischen Behandlung betrifft.

3Schutzanspruch 1, auf den dreizehn weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet:

Vorrichtung zur ästhetischen Behandlung, die mittels einer Vielzahl zeitlich veränderlicher Magnetfelder zum Muskeltraining, zur Verringerung von adipösen Zellen oder zur Formung eines menschlichen Körpers dient, wobei die Behandlungsvorrichtung Folgendes umfasst:

- eine Steuerungseinheit;

- einen ersten Magnetfeldgenerator,

- einen zweiten Magnetfeldgenerator;

dadurch gekennzeichnet, dass

die Steuerungseinheit derart konfiguriert ist, dass sie die Energieversorgung des ersten Magnetfeldgenerators und des zweiten Magnetfeldgenerators regelt;

wobei der erste Magnetfeldgenerator derart konfiguriert ist, dass er ein erstes zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugt, und der zweite Magnetfeldgenerator derart konfiguriert ist, dass er ein zweites zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugt;

wobei das erste und das zweite zeitlich veränderliche Magnetfeld an Muskeln, neuromuskuläre Platten oder Nerven, die die neuromuskuläre Platten des menschlichen Körpers anregen, angelegt werden.

4Die Antragsgegnerin bietet unter anderem unter den Typenbezeichnungen "Z.    " und "S.   " Geräte zur ästhetischen Behandlung an, die nach Auffassung der Antragstellerin das Streitgebrauchsmuster verletzen.

5Das Landgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, eine Besichtigung ihrer Betriebsstätte zu dulden. Parallel dazu hat es im vorliegenden Verfahren die Einholung von zwei schriftlichen Sachverständigengutachten zu der Frage angeordnet, ob die in der Betriebsstätte der Antragsgegnerin und auf einem Messestand vorgefundenen Vorrichtungen in den Schutzbereich des Streitgebrauchsmusters eingreifen.

6Nach Widerspruch der Antragsgegnerin gegen die einstweilige Verfügung und Gegenvorstellung gegen den Beweiserhebungsbeschluss haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vereinbart, die Beweiserhebung fortzusetzen und das Verfügungsverfahren bis zu einer Entscheidung der Gebrauchsmusterstelle über den Rechtsbestand des Streitgebrauchsmusters ruhend zu stellen.

7Die von den beiden Sachverständigen eingereichten Gutachten hat das Landgericht an die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin übermittelt, mit der Maßgabe, sie nicht an die Antragstellerin selbst herauszugeben.

8Die Antragstellerin hat unter anderem beantragt, beide Gutachten einschließlich Anlagen an sie selbst herauszugeben und ihre anwaltlichen Vertreter von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat mehrere Wideranträge gestellt.

9Das Landgericht hat antragsgemäß die Herausgabe der beiden Gutachten angeordnet. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Beschwerdegericht den Antrag auf Herausgabe hinsichtlich der beiden oben genannten Gerätetypen als derzeit unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer insoweit zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Antragsgegnerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

10II. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft und auch im Übrigen zulässig.

111. Der Bundesgerichtshof ist an die Zulassung der Rechtsbeschwerde allerdings nicht gebunden, wenn dieses Rechtsmittel gegen die angefochtene Entscheidung schon gar nicht statthaft ist. Insbesondere besteht keine Bindung, wenn schon das Rechtsmittel zum Beschwerdegericht nicht zulässig war (vgl. nur , GRUR 2009, 519 Rn. 6 - Hohlfasermembranspinnanlage I).

122. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts im hier zu beurteilenden Umfang jedoch im Ergebnis zu Recht als zulässig angesehen.

13a) Gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 PatG oder § 24c Abs. 3 GebrMG angeordneten Besichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des Beweisverfahrens ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird (zu dieser Konstellation , BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung), sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.

14aa) § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO eröffnet die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde nur für den Fall, dass das Gericht ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen hat.

15Diese Voraussetzung ist grundsätzlich nur dann erfüllt, wenn der Erlass der angefochtenen Entscheidung einen Antrag der Partei voraussetzt, nicht aber, wenn die angefochtene Entscheidung ohne Antrag von Amts wegen ergehen kann (vgl. , GRUR 2014, 705 Rn. 8 - Inländischer Admin-C).

16bb) In der dem Streitfall zugrundeliegenden Konstellation darf sowohl die Anordnung der Herausgabe des Gutachtens als auch eine ablehnende Entscheidung nur auf Antrag ergehen.

17Ein im selbständigen Beweisverfahren erstelltes Gutachten wird den Parteien bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten im Regelfall vorbehaltlos übermittelt. Ein Gutachten, das in einem selbstständigen Beweisverfahren im Anschluss an eine auf der Grundlage von § 140c Abs. 3 PatG angeordnete Besichtigung erstellt worden ist, darf dem Antragsteller hingegen nur insoweit zur eigenen Kenntnisnahme überlassen werden, als dem berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht entgegenstehen.

18Grund hierfür ist die in § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 PatG normierte Pflicht des Gerichts, bei Entscheidungen über die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten (, BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 Rn. 15 - Lichtbogenschnürung).

19Diese Pflicht greift nicht nur bei der Entscheidung über den Anspruch auf Vorlage oder Besichtigung. Berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners sind vielmehr auch in einem selbständigen Beweisverfahren zu berücksichtigen, in dem auf der Grundlage einer angeordneten Vorlage oder Besichtigung ein Sachverständigengutachten erstellt worden ist. Abweichend von den herkömmlichen Regeln eines selbständigen Beweisverfahrens darf ein solches Gutachten den Beteiligten nicht vorbehaltlos übermittelt werden. Begehrt der Antragsteller Aushändigung des Gutachtens an sich selbst, ist vielmehr zu entscheiden, inwieweit schützenswerte Interessen des Antragsgegners betroffen sind und das Geheimhaltungsinteresse überwiegt (aaO Rn. 35).

20Will der Antragsgegner aus Gründen des Schutzes von Geschäfts- oder Privatgeheimnissen oder sonstigen schützenswerten Geheiminteressen verhindern, dass das Gutachten der gegnerischen Partei vollständig zur Kenntnis gebracht wird, hat er nach allgemeinen Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen die tatsächlichen Voraussetzungen dafür darzutun. Die zur Wahrung der Geheiminteressen gebotenen Anordnungen sind dann auf Grund einer einzelfallbezogenen, umfassend alle beiderseitigen möglicherweise beeinträchtigten Interessen berücksichtigenden Würdigung zu treffen (aaO Rn. 37 f.).

21Nach diesen Grundsätzen, die auch in einem Besichtigungsverfahren auf der Grundlage von § 24c GebrMG gelten, darf das Gericht über eine Herausgabe des Gutachtens mithin nur dann entscheiden, wenn der Antragsteller dies beantragt. Ablehnen darf es einen solchen Antrag nur dann, wenn der Antragsgegner Geheimhaltungsinteressen geltend macht. In beiden Konstellationen ist eine Entscheidung von Amts wegen folglich ausgeschlossen.

22cc) Diese Auslegung von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO entspricht dem Zweck der Vorschrift.

23Die Beschränkung der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde auf die Zurückweisung eines das Verfahren betreffenden Gesuchs dient dem Zweck, den Verfahrensablauf nicht durch ausufernde Beschwerdemöglichkeiten in unverhältnismäßiger Weise zu behindern (vgl. nur BeckOK ZPO/Wulf, 48. Edition, § 567 Rn. 30; Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, § 567 Rn. 8; Jänich in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 567 Rn. 2). Diese Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten ist verfassungsrechtlich in der Regel schon deshalb unbedenklich, weil Art. 19 Abs. 4 GG einen Instanzenzug nicht zwingend vorschreibt und weil ein eventueller Rechtsfehler im Rahmen der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die Endentscheidung korrigiert werden kann.

24Eine andere Beurteilung ist hingegen geboten, wenn bereits die Zwischenentscheidung für einen Beteiligten einen bleibenden Nachteil zur Folge hätte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben ließe (, GRUR 2009, 519 Rn. 12 - Hohlfasermembranspinnanlage I).

25Eine solche Konstellation liegt in der Regel vor, wenn der Antragsgegner dem Verlangen des Antragstellers mit der Begründung entgegentritt, durch die Überlassung des Gutachtens würden schützenswerte Geheimnisse zu Unrecht preisgegeben.

26Erweist sich die Anordnung, dem Antragsteller das Gutachten zu überlassen, im Nachhinein als fehlerhaft, kann die mit der Überlassung des Gutachtens verbundene Preisgabe geheimer Informationen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch aus Gründen der Waffengleichheit geboten, nicht nur dem Antragsteller, sondern auch dem Antragsgegner die Möglichkeit der Beschwerde gegen eine ihm ungünstige Entscheidung zu eröffnen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch OLG München, NJW-RR 2015, 33, 34; BeckOK ZPO/Wulf, 48. Edition, § 567 Rn. 30.1; Stein/Jonas/Jacobs, 23. Aufl. 2018, § 567 Rn. 11; Jänich in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 567 Rn. 11).

27dd) Dieses Ergebnis steht zudem in Einklang mit der in § 20 Abs. 5 Satz 4 und 5 GeschGehG zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers.

28Nach der Regelung in § 20 Abs. 5 Satz 5 GeschGehG, die gemäß § 145a Satz 1 PatG und § 26a GebrMG in Patent- und Gebrauchsmusterstreitsachen entsprechend anzuwenden ist, unterliegt ein Beschluss, mit dem ein Antrag auf gerichtliche Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen abgelehnt wird, der sofortigen Beschwerde. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass die unbeschränkte Zugänglichkeit des Geschäftsgeheimnisses zu einem bleibenden Nachteil für die Geheimhaltung begehrende Partei führte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr beheben ließe (BT-Drucks. 19/4724 S. 38; , GRUR 2022, 591 Rn. 16 - Geschäftsgeheimnis bei Hohlfasermembranspinnanlagen).

29Dieselbe Gefahr droht in der dem Streitfall zugrundeliegenden Konstellation. Die mit der Überlassung des Gutachtens verbundene Preisgabe geheimer Informationen kann im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr rückgängig gemacht werden.

30Dass selbständige Beweisverfahren vom Tatbestand des § 145a Satz 1 PatG und des § 26a Satz 1 GebrMG ausdrücklich ausgenommen sind, rechtfertigt keinen Gegenschluss. Diese Ausnahme dient dem Zweck, die im Bereich des Patentrechts etablierte Kombination aus einem selbständigem Beweisverfahren und einer einstweiligen Verfügung zur Duldung der Besichtigung weiterhin in der bisher praktizierten Weise zu ermöglichen (BT-Drucks. 19/25821 S. 57). Dass der Gesetzgeber damit die in § 20 Abs. 5 Satz 4 GeschGehG ausdrücklich eröffnete Beschwerdemöglichkeit für selbständige Beweisverfahren ausschließen wollte, kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil bereits die damalige Rechtsprechung der Obergerichte eine Beschwerde als statthaft angesehen hat (OLG Düsseldorf, InstGE 8, 186 Rn. 28 ff.; OLG Düsseldorf, InstGE 9, 41 Rn. 7; OLG München, InstGE 12, 192 Rn. 24; vgl. auch Deichfuß, GRUR 2015, 436, 441).

31ee) Dass Entscheidungen, mit denen eine Geheimhaltungsanordnung nach § 174 Abs. 3 GVG abgelehnt wird, nicht der sofortigen Beschwerde unterliegen (dazu , NJW-RR 2020, 1386 Rn. 11 ff.), spricht nicht gegen, sondern für das hier gefundene Ergebnis.

32Die Ablehnung einer solchen Anordnung hat nicht zwingend den Verlust von schützenswerten Geheimnissen zur Folge. Die betroffene Partei kann sich vor einer Offenbarung dadurch schützen, dass sie bis zur Rechtskraft der die Geheimhaltungsverpflichtung anordnenden Entscheidung keine Ausfertigung der Unterlagen zur Weiterleitung an die Klägerseite vorlegt. Dies kann zwar dazu führen, dass eine in der Hauptsache negative Entscheidung ergeht. Diesbezügliche Rechtsfehler können gegebenenfalls aber mit einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache korrigiert werden (dazu , NJW-RR 2020, 1386 Rn. 17 ff.).

33In der dem Streitfall zugrunde liegenden Konstellation besteht eine solche Korrekturmöglichkeit demgegenüber nicht. Mit der Überlassung des Gutachtens an den Antragsteller sind die nach Auffassung des Antragsgegners schutzwürdigen Informationen unwiederbringlich preisgegeben. Konsequenterweise muss der Betroffene die Möglichkeit haben, eine fehlerhafte Entscheidung korrigieren zu lassen, bevor das Gutachten dem Gegner ausgehändigt wird.

34b) Eine Beschwerde gegen die Anordnung der Herausgabe des Gutachtens an die Antragstellerin ist auch nicht nach § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen (ebenso OLG Düsseldorf, InstGE 8, 186 Rn. 28 ff.; OLG Düsseldorf, InstGE 9, 41 Rn. 7; OLG München, InstGE 12, 192 Rn. 24; Deichfuß, GRUR 2015, 436, 441).

35Nach § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist ein Beschluss, mit dem ein selbständiges Beweisverfahren angeordnet wird, nicht anfechtbar.

36Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um den Beschluss, mit dem das Landgericht das Beweisverfahren angeordnet hat, sondern um die nachgelagerte Frage, ob das aufgrund einer durch einstweilige Verfügung erzwungenen Besichtigung erstellte Gutachten an die Antragstellerin selbst herausgegeben werden darf. Diese Entscheidung ist anhand anderer Kriterien zu treffen als diejenige über die Anordnung des Beweisverfahrens. Die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens führt auch nicht zu irreparablen Beeinträchtigungen für die Antragsgegnerin (dazu , NJW 2011, 3371 Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 71/21, NJW-RR 2022, 1553 Rn. 6).

37III. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

381. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

39Die Aushändigung eines Gutachtens an die Antragstellerin eines Besichtigungsverfahrens habe nicht nur dann zu unterbleiben, wenn die Antragsgegnerin entgegenstehende Geheimhaltungsinteressen geltend mache. Eine Aushändigung sei vielmehr auch dann ausgeschlossen, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Gebrauchsmusterverletzung im Sinne von § 24c Abs. 1 GebrMG wegen fehlender Schutzfähigkeit des zugrundeliegenden Schutzrechts nicht bestehe. Diesbezügliche Einwendungen müssten der Antragsgegnerin in einem solchen Verfahren nach Art. 7 Abs. 1 Satz 5 der Richtlinie 2004/48/EG (nachfolgend: Durchsetzungsrichtlinie) möglich sein. Ein sonstiger Rechtsbehelf stehe nicht zur Verfügung. Dies sei jedenfalls bei einem ungeprüften Schutzrecht nicht sachgerecht.

40Im Streitfall sei eine Gebrauchsmusterverletzung nicht hinreichend wahrscheinlich, nachdem die Löschungsabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts zu der vorläufigen Beurteilung gelangt sei, das Streitgebrauchsmuster sei nicht rechtsbeständig. Dem habe die Antragstellerin keinen substantiierten Vortrag entgegengesetzt.

412. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

42a) Wie bereits oben dargelegt wurde, darf ein Gutachten, das in einem selbstständigen Beweisverfahren im Anschluss an eine auf der Grundlage von § 140c Abs. 3 PatG angeordnete Besichtigung erstellt worden ist, dem Antragsteller nur insoweit zur eigenen Kenntnisnahme überlassen werden, als dem berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht entgegenstehen.

43b) Diese Grundsätze gelten, wie auch das Beschwerdegericht im Ansatz zutreffend angenommen hat, in einem selbständigen Beweisverfahren, das ein Gebrauchsmuster betrifft, grundsätzlich in gleicher Weise.

44§ 24c GebrMG enthält eine mit § 140c PatG übereinstimmende Regelung. Sie unterscheidet sich nur insoweit, dass kein Anspruch auf Besichtigung eines Verfahrens besteht - was schon deshalb folgerichtig ist, weil Verfahren gemäß § 2 Nr. 3 GebrMG dem Gebrauchsmusterschutz nicht zugänglich sind.

45c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ergibt sich aus diesen Grundsätzen, dass die Frage, wie wahrscheinlich das Bestehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts ist, für die Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens nur dann erheblich ist, wenn der Antragsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat und deshalb eine Abwägung im oben genannten Sinne anzustellen ist.

46Sofern nicht aufgezeigt ist, dass die Herausgabe des Gutachtens berechtigte Geheimhaltungsinteressen berührt, sind Maßnahmen im Sinne von § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 PatG oder den entsprechenden Regelungen in § 24c GebrMG nicht erforderlich.

47d) Aus der Vorgabe in Art. 7 Abs. 1 Satz 5 der Durchsetzungsrichtlinie ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.

48aa) Nach der genannten Regelung muss es einem Betroffenen, der vor der Anordnung von Maßnahmen zur Beweissicherung nicht angehört worden ist, möglich sein, nach der Mitteilung der Maßnahmen eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Maßnahmen abgeändert, aufgehoben oder bestätigt werden sollen.

49bb) Das deutsche Recht trägt dieser Anforderung durch die in § 936 und § 924 ZPO vorgesehene Möglichkeit Rechnung, gegen eine einstweilige Verfügung, die die Vorlage von Urkunden oder die Duldung einer Besichtigung anordnet, Widerspruch einzulegen (BR-Drucks. 64/07, S. 65).

50Gegen die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens steht gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich kein Rechtsmittel zur Verfügung (, NJW 2011, 3371 Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 71/21, NJW-RR 2022, 1533 Rn. 6). Wenn der Antragsgegner, wie dies in Fällen der vorliegenden Art üblich ist, vor der Anordnung nicht gehört worden ist, hat das Gericht jedoch auf eine Gegenvorstellung hin zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens auch im Lichte des Gegenvorbringens erfüllt sind (vgl. allgemein , MDR 2013, 171; zu Besichtigungsverfahren Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. B Rn. 182; Cepl/Voß/Hahn, 3. Aufl. 2022, ZPO § 490 Rn. 28).

51cc) Durch diese Ausgestaltung stehen dem Antragsgegner ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung.

52Der Antragsgegner kann erreichen, dass beide typischerweise ergehenden gerichtlichen Entscheidungen - die einstweilige Verfügung, mit der die Duldung angeordnet wird, und der Beschluss über die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens - überprüft und gegebenenfalls abgeändert oder aufgehoben werden, wenn sich ergibt, dass es an einer Rechtsgrundlage fehlt.

53In diesem Zusammenhang bedarf es keiner abschließenden Entscheidung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die einstweilige Verfügung, mit der die Duldung angeordnet wird, nach Durchführung der Besichtigung als erledigt anzusehen ist. Soweit der Antragsteller unter diesem Gesichtspunkt eine nochmalige Entscheidung über den ursprünglich gestellten Antrag nicht mehr herbeiführen kann (dazu Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. B Rn. 186), beruht dies allein darauf, dass diesbezüglicher Rechtsschutz aufgrund der tatsächlich eingetretenen Entwicklung nicht mehr sinnvoll möglich ist. Sinnlose Rechtsbehelfe gibt auch die Durchsetzungsrichtlinie nicht vor. Soweit eine angeordnete Maßnahme weiterhin Wirkungen entfaltet, darf eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf einen zulässigen Rechtsbehelf hin nicht verweigert werden. Unabhängig davon kann der Antragsgegner zumindest eine feststellende Entscheidung über die ursprüngliche Rechtmäßigkeit herbeiführen, indem er einer Erledigungserklärung des Antragstellers entgegentritt.

54dd) Vor diesem Hintergrund ist eine nochmalige Überprüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung zur Duldung einer Besichtigung oder für die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens vorliegen, im Rahmen der Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens nicht geboten. Vielmehr genügt es, gegebenenfalls die in § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 PatG oder den entsprechenden Regelungen in § 24c GebrMG vorgeschriebenen Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen zu treffen.

55Art. 7 der Durchsetzungsrichtlinie schreibt nicht vor, dass ein Betroffener die Möglichkeit haben muss, mehrfach eine gerichtliche Prüfung derselben Fragen herbeizuführen.

56ee) Ein Ersuchen um Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht erforderlich.

57Vor dem oben aufgezeigten Hintergrund bestehen keine Zweifel daran, dass das deutsche Recht dem Betroffenen die in Art. 7 der Durchsetzungsrichtlinie vorgeschriebenen Möglichkeiten zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes bietet.

58e) Im vorliegenden Verfahren ist aufgrund der beschränkten Zulassung der Rechtsbeschwerde allein über die Frage zu entscheiden, ob die beiden Gutachten an die Antragstellerin herauszugeben sind. Folglich sind der Rechtsbestand des Streitgebrauchsmusters und sonstige Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts nur dann relevant, wenn die Antragsgegnerin berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat.

593. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO).

60a) Dem Antrag auf Herausgabe eines Gutachtens kann nicht entgegengehalten werden, dass dieses bei mangelnder Eignung des Sachverständigen nicht verwertbar wäre.

61Dieser Umstand betrifft ausschließlich die Verwertung des Gutachtens. Darüber ist gegebenenfalls im Verfahren über die Hauptsache zu entscheiden.

62b) Entsprechendes gilt für den Einwand, die Beweisanordnung sei nicht allein auf Feststellungen zur Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform gerichtet, sondern auch auf eine wertende Beurteilung der Verletzungsfrage.

634. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

64Das Beschwerdegericht hat sich - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt folgerichtig - nicht mit der Frage befasst, ob die Antragsgegnerin berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat und deshalb eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen durchzuführen ist. Die Beurteilung dieser Fragen und eine danach gegebenenfalls erforderliche Abwägung werden im wieder eröffneten Beschwerdeverfahren nachzuholen sein.

65IV. Eine mündliche Verhandlung erachtet der Senat nicht für erforderlich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010823BXZB9.21.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1922 Nr. 35
AAAAJ-46436