BGH Beschluss v. - VI ZB 67/10

Selbstständiges Beweisverfahren: Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde gegen die dem Antrag auf Durchführung des Verfahrens stattgebende Entscheidung des Beschwerdegerichts

Leitsatz

Gibt das Beschwerdegericht dem - in erster Instanz zurückgewiesenen - Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens in einer Arzthaftungssache statt, ist eine dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde unstatthaft .

Gesetze: § 490 Abs 2 S 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 7 W 27/10 Beschlussvorgehend LG Baden-Baden Az: 1 OH 1/10

Gründe

I.

1Die Antragstellerin hat ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet, um durch sachverständige Begutachtung feststellen zu lassen, dass die Behandlung der im Juli 2008 erlittenen Fraktur ihrer rechten Kniescheibe durch den Antragsgegner zu 1, einen niedergelassenen Orthopäden, und die in der Klinik der Antragsgegnerin zu 2 tätigen Ärzte in einem Maß fehlerhaft war, welches die Annahme eines groben Behandlungsfehlers rechtfertigt. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die isolierte und auf umstrittener Tatsachengrundlage vorzunehmende Feststellung eines Behandlungsfehlers und die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für die  dem Richter vorbehaltene  Bewertung dieses Fehlers als grob seien in einem selbstständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht zulässig.

2Das Beschwerdegericht hat auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin den Beschluss des Landgerichts im Kostenausspruch aufgehoben und im Übrigen - insoweit den Hauptanträgen der Antragstellerin folgend - wie folgt geändert:

Es soll ein schriftliches Sachverständigengutachten über folgende Behauptungen der Antragstellerin eingeholt werden:

1. Die vom Antragsgegner Ziff. 1 in der Zeit vom 15. bis durchgeführte Behandlung habe eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und sei mit Fehlern verbunden gewesen, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erschienen, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürften. Insbesondere habe der Antragsgegner zu 1) die Antragstellerin am nicht dahingehend beraten dürfen, sich bis zum Oktober 2008 zu gedulden.

2. Die Ärzte der D. hätten das rechte Bein der Antragstellerin ab dem für 17 Tage nicht mobilisieren dürfen. Dies habe gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen bzw. einen Fehler bedeutet, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe.

3Die Bestimmung und Instruktion des Sachverständigen sowie die Entscheidung über die Gegenanträge der Antragsgegnerin hat das Beschwerdegericht dem Landgericht übertragen. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt der Antragsgegner zu 1 sein Ziel der Zurückweisung des Antrags weiter.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft.

5Die Rechtsbeschwerde ist nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die erstgenannte Alternative liegt nicht vor. Die Statthaftigkeit ergibt sich auch nicht auf der Grundlage der zweiten Alternative. Zwar hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht ist aber für das Rechtsbeschwerdegericht nicht bindend, wenn die Rechtsbeschwerde gegen die angefochtene Entscheidung bereits nicht statthaft ist. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden. Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall auch dann unzulässig, wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klärung der Zulässigkeitsfrage zugelassen hat (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 59/09, VersR 2010, 1241 Rn. 3 mwN; , MDR 2011, 746).

6So liegt der Fall hier. Gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist ein Beschluss, durch den dem Antrag im selbstständigen Beweisverfahren stattgegeben wird, nicht anfechtbar. Dies begegnet - entgegen der Stellungnahme des Antragsgegners - keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt der ungleichmäßigen Gestaltung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Wie der Antragsgegner nicht verkennt, garantiert das Grundgesetz im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG und in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs lediglich die eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung, während ein Instanzenzug von Verfassungs wegen nicht garantiert ist (BVerfGE 107, 395, 401 ff.).

7Unbedenklich ist auch, dass das Gesetz nur dem Antragsgegner die Anfechtung versagt, während der Antragsteller gegen eine ablehnende Entscheidung Beschwerde einlegen kann. Antragsteller und Antragsgegner sind im selbstständigen Beweisverfahren von der die Verfahrenseinleitung betreffenden Gerichtsentscheidung in unterschiedlicher Weise betroffen. Wird der Antrag auf Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens abgelehnt, wird dem Antragsteller in diesem Verfahren der Zugang zu Gericht verwehrt. Wird das Verfahren angeordnet, muss der Antragsgegner lediglich hinnehmen, dass der Beweis erhoben wird. Ein stattgebender Beschluss begründet keine titulierten Verpflichtungen des Beweisgegners und versagt diesem auch keine ihm von der Zivilprozessordnung eingeräumten eigenen prozessualen Ansprüche (vgl. , NJW-RR 2001, 1727).

8Der Gesetzgeber war deshalb nicht gehindert, einen Rechtsbehelf gegen eine das selbstständige Beweisverfahren anordnende Entscheidung zu versagen. Die Versagung der Anfechtung liegt bei Anwendung zivilprozessualer Maßstäbe auch deshalb nahe, weil die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten im selbstständigen Beweisverfahren nicht weiter gehen als im Hauptsacheverfahren (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 59/09, aaO Rn. 7). Dort findet indes die Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, nicht statt (§ 355 Abs. 2 ZPO).

9Die Ausführungen des Antragsgegners in seiner ergänzenden Stellungnahme vom geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Galke                                       Zoll                             Wellner

                 Diederichsen                             Pauge

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 3371 Nr. 46
DAAAD-93871