StuB Nr. 16 vom Seite 1

Die ESRS sind da! Großer Wurf oder Papiertiger?

Prof. Dr. Patrick Velte

Die EU-Kommission hat am das erste Set an finalen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) als delegierten Rechtsakt veröffentlicht: zwei allgemeine ESRS, fünf umweltspezifische ESRS (E1-E5), vier sozialrelevante ESRS (S1-S4) sowie einen Governance-bezogenen ESRS (G1). Die umweltbezogenen Berichtspflichten, insbesondere Klimaaspekte, bilden das Herzstück der ESRS. In der zweiten Augusthälfte ist die formelle Übermittlung an das Europäische Parlament und den EU-Ministerrat geplant. Den finalen ESRS war ein Entwurf eines delegierten Rechtsakts vom vorausgegangen, der bis zum von ca. 600 Stellungnahmen begleitet wurde. Die ESRS wurden wiederum von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) konzipiert. Sie dienen der Operationalisierung der EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) aus dem vergangenen Jahr.

In den vergangenen Monaten hatte es eine starke politische Einflussnahme in den Standardsetzungsprozess der ESRS gegeben. Diese zielte letztlich erfolgreich auf eine signifikante Abmilderung der Berichtsanforderungen gegenüber der Vorlage der EFRAG ab. So werden in der Finalfassung alle zehn themenspezifischen ESG-Standards in Abgrenzung zu ESRS 2 unter einen Wesentlichkeitsvorbehalt gestellt. Insofern können Unternehmen, abgesehen von einigen Ausnahmen, individuell nach Maßgabe einer Wesentlichkeitsanalyse entscheiden, bestimmte Umwelt-, Sozial- und Governance-Informationen im Nachhaltigkeitsbericht zu unterlassen. Strengere Anforderungen werden dagegen an den ESRS E1 zum Klimawandel gestellt. Ein Unterlassen von Angaben setzt hierbei stets eine Erläuterung der Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse voraus.

Um den berichtspflichtigen Unternehmen weiter entgegenzukommen, sind zeitlich verzögerte Startzeitpunkte für bestimmte Informationen („phasing in“) vorgesehen. Unternehmen mit weniger als 750 Beschäftigten können im ersten Berichtsjahr auf die Angabe der Scope-3-Emissionen und Treibhausgas-Gesamtemissionen (ESRS E1) sowie auf die Angaben zur eigenen Belegschaft (ESRS S1) verzichten. Überdies können die betreffenden Unternehmen in den ersten zwei Jahren die Angaben zu den Bereichen Biodiversität/Ökosysteme (ESRS E4), Beschäftigte in der Wertschöpfungskette (ESRS S2), betroffende Gemeinschaften (ESRS S3) und Verbraucher/Endnutzer (ESRS S4) komplett auslassen. Last but not least können sämtliche berichtspflichtigen Unternehmen im ersten Berichtsjahr die Angaben zu finanziellen Auswirkungen der Umweltaspekte im Nachhaltigkeitsbericht aussparen.

Diese vielfältigen Erleichterungen für die Unternehmen schränken die Vergleichbarkeit und Qualität der neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung erheblich ein. Es ist davon auszugehen, dass Kapitalgeber und andere Stakeholder eine detaillierte Erläuterung der Wesentlichkeitsanalyse für alle themenspezifischen ESRS einfordern werden. Auch ist darauf hinzuweisen, dass die EU-Taxonomie-Verordnung und die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) für die Finanzwirtschaft ihrerseits keine vergleichbaren Auslassungen kennen.

Als nächstes ist die Veröffentlichung von branchenspezifischen und mittelstandsbezogenen ESRS geplant, die ebenfalls mit einer hohen Komplexität und kontroversen Diskussion begleitet sein werden.

Patrick Velte

Fundstelle(n):
StuB 16/2023 Seite 1
NWB TAAAJ-45932