BGH Urteil v. - VIa ZR 533/21

Dieselabgasskandal: Darlegungslast des Käufers eines Gebrauchtwagens bei Geltendmachung eines Differenzschadens

Leitsatz

Hat das Kraftfahrt-Bundesamt vor Erwerb des Fahrzeugs durch den Geschädigten wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen Maßnahmen angeordnet und wurde darüber in den Medien berichtet, obliegt es dem Geschädigten, das Nichtvorliegen vom Schädiger behaupteter Umstände zu beweisen, welche die Beurteilung seines Verhaltens als nicht sittenwidrig wegen einer Verhaltensänderung rechtfertigen.

Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 S 1 EG-FGV, § 37 Abs 1 EG-FGV

Instanzenzug: Az: 18 U 185/20vorgehend Az: 7 O 313/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte aufgrund einer verbindlichen Bestellung vom von einem Vertragshändler der Beklagten einen gebrauchten Audi SQ5 allroad 3.0 TDI, Erstzulassung . In das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen2 BiT Euro 6 eingebaut. Das Fahrzeug verfügt unter anderem über eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung und einen mit AdBlue betriebenen SCR-Katalysator.

3Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hatte schon vor Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger bei der Überprüfung eines Motors der entsprechenden Baureihe eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer sogenannten Aufheizstrategie festgestellt und durch Bescheid vom nachträgliche Nebenbestimmungen für die der Beklagten erteilte EG-Typgenehmigung gemäß § 25 Abs. 2 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV, BGBl. I, 2011, S. 126) angeordnet. Zu weiteren "Strategien" der Abgassteuerung - unter anderem eine Erhöhung des NH3-Füllstands im SCR-Katalysator bei Erkennung der Vorkonditionierung und die Verwendung unterschiedlicher Betriebsarten zur Eindüsung von Reagens in den SCR-Katalysator - hatte es Zweifel hinsichtlich ihrer Zulässigkeit geäußert. In dem Bescheid hatte es festgehalten, dass die Beklagte sich bereit erklärt habe, freiwillig auf diese Strategien zu verzichten und diese aus der Motorsteuerungssoftware zu entfernen. Zugleich hatte das KBA sich im Hinblick auf diese Erklärung eine endgültige Entscheidung vorbehalten.

4Am gab das KBA hierzu eine Pressemitteilung heraus. Darüber wurde im Januar 2018 in den Medien berichtet. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beklagte ab dem ihre Vertragshändler und Servicepartner anwies, Fahrzeuge des vom Kläger erworbenen Typs nur nach entsprechendem Hinweis auf die Beanstandungen des KBA und die erforderliche Software-Aktualisierung zu verkaufen. Die Beklagte behauptet, sie habe zu diesem Zweck ein Musterschreiben zur Verfügung gestellt, das die Vertriebspartner vor dem Abschluss von Kaufverträgen hätten aushändigen sollen und in dem die Hinweise auf den erfolgten Rückruf durch das KBA und das Erfordernis eines Software-Updates enthalten gewesen seien. Der schriftliche Kaufvertrag zwischen dem Kläger und dem Vertragshändler enthielt keinen Hinweis darauf, dass das Fahrzeug von einem verpflichtenden Rückruf betroffen sei und ein Software-Update aufgespielt werden müsse.

5Mit einem aus Juli 2019 stammenden Schreiben informierte die Beklagte den Kläger über den Rückruf des Fahrzeugs, forderte ihn auf, ein Software-Update auf das Motorsteuerungsgerät aufspielen zu lassen, und wies darauf hin, sofern er an der Rückrufaktion nicht teilnehme, könne eine Betriebsuntersagung gemäß § 5 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV; BGBl. I, 2011, S. 139) erfolgen. Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen.

6Der Kläger hat unter Hinweis auf den Bescheid des KBA vom zuletzt von der Beklagten Erstattung des Kaufpreises abzüglich erlangter Nutzungsvorteile nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nebst Schlüsseln und Fahrzeugpapieren und die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers, mit der er seine Klageanträge in etwas reduzierter Form weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg.

I.

8Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Der Kläger habe keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB, unabhängig davon, ob in dem Fahrzeug eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schadenseintritts - hier bei Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug am - habe es an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten gefehlt. Zu diesem Zeitpunkt sei das Verhalten der Beklagten aufgrund einer Verhaltensänderung dem Kläger gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten gewesen. Weitere Anspruchsgrundlagen seien nicht ersichtlich. Insbesondere schieden Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1; künftig: Verordnung (EG) Nr. 715/2007) als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Schaden aus. Das Interesse des Klägers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags habe knüpfen wollen.

II.

10Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint (unter 1.). Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann jedoch eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht abgelehnt werden (unter 2.).

111. Die Beklagte haftet dem Kläger wegen der revisionsrechtlich zu unterstellenden unzulässigen Abschalteinrichtungen (Aufheizstrategie und die weiter vom KBA im Bescheid vom kritisierten Strategien zur Abgasreduktion) - hinsichtlich des unstreitig verbauten Thermofensters behauptet auch der Kläger eine Haftung auf dieser Grundlage nicht - nicht aus §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz. Zutreffend und im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Beklagten im Verhältnis zum Kläger kein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.

12a) Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (, NJW 2017, 250 Rn. 15; Urteil vom - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; Beschluss vom - VII ZR 391/21, juris Rn. 14). Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (, NJW-RR 2022, 1071 Rn. 15; Urteil vom - III ZR 230/20, NJW-RR 2022, 1535 Rn. 13; Urteil vom - VI ZR 68/20, VersR 2023, 64 Rn. 17; Urteil vom - VII ZR 623/21, WM 2023, 140 Rn. 14; Beschluss vom , aaO, Rn. 25).

13b) Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die im Fahrzeug des Klägers eingebauten, vom KBA beanstandeten und die Abgasemissionen beeinflussenden Einrichtungen nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind, für die Begründung der objektiven Sittenwidrigkeit im Sinne der §§ 826, 31 BGB nicht aus.

14aa) Fallen - wie hier - das Inverkehrbringen des Fahrzeugs als potentiell schadensursächliche Handlung (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 23) und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinander und hat der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert (, NJW 2020, 2798 Rn. 30; Urteil vom - VI ZR 244/20, VersR 2021, 63 Rn. 12; Urteil vom - VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 10; Urteil vom - VI ZR 485/20, VersR 2022, 771 Rn. 11; Beschluss vom - VII ZR 391/21, juris Rn. 26 mwN), kann dem Schädiger der Vorwurf eines objektiv sittenwidrigen Handelns nicht mehr gemacht werden. Denn im Falle der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb kann im Rahmen der §§ 826, 31 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn wesentliche Elemente, welche das bisherige Verhalten des Schädigers gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als besonders verwerflich erscheinen ließen, durch die Änderung seines Verhaltens derart relativiert werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf sein Gesamtverhalten gegenüber dem später betroffenen Geschädigten und im Hinblick auf den Schaden, der diesem entstanden ist, nicht gerechtfertigt ist ( aaO, Rn. 14; Urteil vom , aaO, Rn. 12; Urteil vom - VI ZR 804/20, NJW-RR 2022, 1071 Rn. 15; Beschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 17).

15bb) Ein objektiv sittenwidriges Handeln von Repräsentanten der Beklagten hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen und das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 559 Abs. 2 ZPO) im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger rechtsfehlerfrei verneint. Die gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts gerichteten Verfahrensrügen sind unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte bereits mit ihrer Pressemitteilung vom ihr Verhalten geändert hat. Denn die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände rechtfertigen seine Annahme einer die Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB ausschließenden Verhaltensänderung.

16(1) Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe aufgrund einer verpflichtenden internen Anweisung auf der für die Kommunikation mit ihren Vertragshändlern maßgeblichen Plattform davon ausgehen dürfen, dass Fahrzeugkäufer von den Vertragshändlern der Beklagten Kenntnis von der unzulässigen Abschalteinrichtung erhielten. Die Beklagte habe in Zusammenarbeit mit dem KBA ein Software-Update entwickelt, das den gesetzeswidrigen Zustand und die Stilllegungsgefahr nach Freigabe durch das KBA beseitigt habe (vgl. , juris Rn. 29). Es hat weiter festgestellt, ausweislich des Bescheids des KBA habe die Beklagte auf die Verwendung solcher "Strategien" verzichtet, die von der Behörde noch nicht abschließend als unzulässig beurteilt worden seien. Eine Information der Öffentlichkeit über die Maßnahmen des KBA sei durch dessen Pressemitteilung und die sich anschließende Medienberichterstattung gewährleistet worden. Diese Umstände tragen in einer Gesamtschau die rechtliche Bewertung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei bei Abschluss des Kaufvertrags der Vorwurf einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nicht mehr zu machen gewesen.

17(2) Die Feststellungen, auf die das Berufungsgericht seine Überzeugung gegründet hat, halten einer Überprüfung anhand der von der Revision erhobenen Rügen stand.

18(aa) Der Einwand der Revision, die Pressemitteilung des KBA und die sich anschließende Medienberichterstattung könnten der Beklagten nicht zugerechnet werden, greift nicht durch. Denn das Berufungsgericht hat weder die Pressemitteilung des KBA noch die sich anschließende Medienberichterstattung der Beklagten als eigene Aufklärungsarbeit zugerechnet. Vielmehr hat es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkannt, dass die mediale Verbreitung bei der Beurteilung zu berücksichtigen ist, welche Anstrengungen von der Beklagten zu unternehmen waren, um ihr Verhalten im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung als nicht sittenwidrig erscheinen zu lassen (vgl. , NJW 2020, 2798 Rn. 38).

19(bb) Soweit die Revision unter Hinweis auf das , juris Rn. 14) einwendet, die Beklagte habe nicht davon ausgehen können, dass potentielle Kunden regelmäßig Pressemitteilungen des KBA verfolgten oder innerhalb eines kurzen Zeitfensters von vier Tagen online überregionale Zeitungen gelesen hätten, legt sie einen unzutreffenden Maßstab an. Die von ihr in Bezug genommene Entscheidung befasst sich an der angegebenen Stelle für den Beginn der Verjährungsfrist (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) mit der Frage, ab wann ein Geschädigter Kenntnis von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs vom sogenannten "Dieselskandal" besitzt. In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, ob die breite Öffentlichkeit mit der Ad-hoc-Mitteilung des VW-Konzerns dergestalt informiert worden sei, dass aufgrund der Verlautbarungen von VW und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung typischerweise nicht mehr mit einer Arglosigkeit potentieller Käufer zu rechnen gewesen sei, sei im Kontext des Verjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 BGB unerheblich. Denn die weite Verbreitung und einfache Zugänglichkeit medial veröffentlichter Informationen auch zur Frage der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs gehe nicht zwingend mit einer tatsächlichen Wahrnehmung derselben auf Seiten des geschädigten Erwerbers einher.

20Für die Frage nach einer die Sittenwidrigkeit ausschließenden Verhaltensänderung des Schädigers kommt es demgegenüber nicht darauf an, ob ein Hersteller sichergestellt hat, dass die Informationen über den Rückruf des KBA und das Erfordernis eines Software-Updates zur Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung tatsächlich jeden potentiellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhindert haben (vgl. , NJW 2021, 1814 Rn. 22; Beschluss vom - VI ZR 486/20, juris Rn. 14; Beschluss vom - VII ZR 391/21, juris Rn. 30; Beschluss vom - VII ZR 222/21, juris Rn. 26). Dass die Beklagte möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber späteren Käufern nicht aus ( aaO). Deswegen sind auch die Rügen der Revision unerheblich, nach dem Vortrag des Klägers sei er selbst durch seinen Verkäufer nicht informiert worden und nach dem Vortrag der Beklagten habe sie nur ihre Vertragshändler informiert.

21(cc) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht bei seiner Beweislastentscheidung zulasten des Klägers, die es dazu geführt hat, den Kläger für den Fortbestand der objektiven Sittenwidrigkeit bis zum Zeitpunkt des schädigenden Vertragsschlusses für beweisfällig geblieben zu erachten, die Beweislast in Bezug auf die Umstände, welche die Verhaltensänderung begründen, nicht verkannt. Es trifft nicht zu, dass die Beklagte als Schädigerin diese Umstände hätte beweisen müssen, weil es sich hierbei um entlastende Umstände handelte. Vielmehr hat das Berufungsgericht richtig gesehen, dass die Beweislast für das Fortbestehen der objektiven Sittenwidrigkeit bei Eintritt des Schadens durch Abschluss des Kaufvertrags den Kläger als Geschädigten und Anspruchsteller trifft, nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast substantiiert zu ihren Maßnahmen gegenüber den Vertragshändlern und Servicepartnern vorgetragen hat.

22Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, damit sowohl für die Umstände, welche die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände (, BGHZ 225, 316 Rn. 35; Urteil vom - VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 25 ff.; Urteil vom - VII ZR 499/21, juris Rn. 17; Urteil vom - III ZR 211/20, VersR 2023, 265 Rn. 15; Urteil vom - VII ZR 623/21, WM 2023, 140 Rn. 20). Für den Fall, dass - wie vorliegend - die erste potentiell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen, ist der Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Damit muss ein Geschädigter zum Verhalten des Schädigers bis zum Schadenseintritt, mithin bis zum Vertragsschluss, vortragen und die Umstände gegebenenfalls beweisen. Hat das KBA vor Erwerb des Fahrzeugs durch den Geschädigten wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen Maßnahmen angeordnet, insbesondere vom Hersteller die Entwicklung eines Software-Updates zur Entfernung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verlangt, und wurde darüber in den Medien berichtet, obliegt es dem Geschädigten, das Nichtvorliegen vom Schädiger behaupteter Umstände zu beweisen, welche die Beurteilung seines Verhaltens als nicht sittenwidrig wegen einer Verhaltensänderung rechtfertigen (vgl. , NJW 2005, 2395, 2396; , NJW 1977, 167; Urteil vom - 2 AZR 327/82, DB 1984, 884, 885; Urteil vom - 2 AZR 226/87, NJW 1988, 438). Hierbei handelt es sich nicht um eine Ausnahmesituation, die derjenige beweisen müsste, der sich auf sie beruft (vgl. , NJW-RR 2005, 1185).

23Der Kläger wird dadurch, dass er auch das Nichtvorliegen von die Beklagte entlastenden Umständen beweisen muss, nicht in unbilliger Weise belastet, wie das Berufungsgericht mit Recht geurteilt hat. Denn dem Schädiger obliegt, sofern er sich auf entlastende Umstände berufen will, eine sekundäre Darlegungslast. Dieser ist die Beklagte hinreichend nachgekommen. Sie hat dargelegt, wie sie ihre Vertragshändler und Servicepartner ab Dezember 2017 über die zur Kommunikation mit diesen benutzte Informationsplattform ("APP Audi Partnerportal") über den Rückruf informiert und mitgeteilt habe, dass die Fahrzeuge des vom Kläger erworbenen Typs nur nach entsprechendem Hinweis an Kaufinteressenten über die Beanstandungen und die erforderliche Software-Aktualisierung verkauft werden dürften. Zum Beleg hat sie Ausdrucke aus dem Informationssystem und das Musterschreiben vorgelegt (Anlagen B9 bis B11). Der Beweis der negativen Tatsache (vgl. , GRUR 2018, 832 Rn. 80; Urteil vom - V ZR 2/19, VersR 2020, 1112 Rn. 10) wäre dem Kläger, auch dies hat das Berufungsgericht zutreffend gesehen, ohne weiteres möglich gewesen, indem er verantwortliche Personen seines Verkäufers, bei dem es sich um einen Vertragshändler der Beklagten handelt, dazu benannt hätte, dass es solche Informationen und Anweisungen nicht gegeben habe.

24(dd) Soweit die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihre Vertragshändler über den Rückruf informiert und diese aufgefordert, vor einem Verkauf der betroffenen Fahrzeuge die Käufer über den Rückruf und die Notwendigkeit eines Software-Updates zu informieren, Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat diese geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

252. Dagegen ist die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger könne auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen, nicht frei von Rechtsfehlern.

26a) Allerdings hat das Berufungsgericht, wie der Senat mit Urteil vom (VIa ZR 335/21 unter II.2.a, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ) unter Verweis auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung bekräftigt hat, zutreffend der Regelung des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keinen Anspruch auf Gewähr "großen" Schadensersatzes entnommen.

27b) Das Berufungsgericht hat aber übersehen, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen kann, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden in Form eines Differenzschadens entstanden ist (vgl. VIa ZR 335/21 unter II.2.b).

28aa) Revisionsrechtlich ist mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erfüllt sind.

29(1) Zu unterstellen ist, dass die Beklagte eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt hat (vgl. im Einzelnen VIa ZR 335/21 unter II.2.b.cc). Die Feststellungen des Berufungsgerichts gestatten nicht die Prüfung, ob die vorhandenen Vorrichtungen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 für eine unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Fahrzeug mit einem Thermofenster ausgerüstet ist. Feststellungen zu den nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Umständen und zu einer ausnahmsweisen Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hat das Berufungsgericht jedoch nicht getroffen. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht, das zugunsten des Klägers unterstellt hat, in dem Fahrzeug seien gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verstoßende Abschalteinrichtungen in Form einer prüfstandbezogenen Aufheizstrategie (sogenannte Strategien A und C) und der prüfstandbezogenen Dosierung von AdBlue (sogenannte Strategien B und D) implementiert, die erforderlichen Feststellungen zu dem Vorliegen und der Wirkweise dieser Funktionen getroffen.

30(2) Außerdem ist zugunsten des Klägers mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich zu unterstellen, dass die Beklagte schuldhaft, nämlich mindestens leicht fahrlässig (vgl. hierzu VIa ZR 335/21 unter II.2.b.cc), gehandelt hat. Da § 37 Abs. 1 EG-FGV den vorsätzlichen und fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV als Ordnungswidrigkeit behandelt, genügt für eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB der fahrlässige Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung im Sinne des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dem Berufungsurteil lassen sich Feststellungen nicht entnehmen, die ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten ausschlössen.

31(3) Schließlich ist aus Rechtsgründen davon auszugehen, dass der Kläger, weil die sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV revisionsrechtlich zu unterstellen sind, einen Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat. Zur Begründung wird auf die Entscheidung des Senats vom heutigen Tag verwiesen ( VIa ZR 335/21 unter II.2.b.cc).

32bb) Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Denn dem vom Kläger in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten "großen" Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 unter II.2.d).

III.

33Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Außerdem weist der Senat auf folgendes hin:

341. Bei der Prüfung eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wird das Berufungsgericht nicht nur die vom Kläger in Bezug auf den Bescheid des KBA vom behaupteten Abschalteinrichtungen in den Blick zu nehmen haben, sondern auch das unstreitig implementierte Thermofenster. Dass der Kläger das Thermofenster in der Revisionsinstanz als Anknüpfungspunkt für eine Haftung nach diesen Vorschriften herausgestellt hat, stellt keine - im Revisionsverfahren unzulässige - Klageerweiterung dar. Denn der Kläger hat keinen neuen Anspruch erhoben, der nicht Gegenstand des bisherigen Rechtsstreits war (vgl. IVa ZR 311/87, juris Rn. 42). Soweit ein Kläger auf deliktischer Grundlage Schadensersatz mit der Begründung verlangt, in dem Motor des von ihm erworbenen Fahrzeugs seien mehrere Abschalteinrichtungen eingebaut, handelt es sich um den nämlichen Lebenssachverhalt. Denn bei natürlicher Betrachtungsweise stellt die Implementierung diverser Abschalteinrichtungen bezogen auf eine Übereinstimmungsbescheinigung einen einheitlichen Lebensvorgang dar. Etwas anderes gilt nur, wenn der Fahrzeughersteller nach Abschluss des Kaufvertrags durch ein Software-Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung aufspielt (, NJW-RR 2022, 1071 Rn. 11; Urteil vom - VII ZR 160/21, juris Rn. 19; Urteil vom - VI ZR 67/20, ZIP 2023, 418 Rn. 18). Darum geht es im vorliegenden Fall nicht.

352. Im Übrigen wird das Berufungsgericht auch bei der Prüfung eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV die festgestellte Verhaltensänderung zu bewerten haben. Hat der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts, das wie in den Fällen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst begründet (vgl. zu § 826 BGB nur , NJW 2020, 2798 Rn. 31), dahin geändert, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, kann die Verhaltensänderung die Anwendung des für die Gewähr des Differenzschadens maßgeblichen Erfahrungssatzes in Frage stellen, dass der Geschädigte den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. Anders als bei der Frage, ob das Verhalten des Fahrzeugherstellers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch sittenwidrig war, muss allerdings nicht der Käufer, sondern der Fahrzeughersteller zur Widerlegung des Erfahrungssatzes die Verhaltensänderung darlegen und beweisen (vgl. VIa ZR 335/21 unter IV.3).

363. Bei der Prüfung, ob die Beklagte schuldhaft gehandelt hat, wird das Berufungsgericht die Erwägungen aus dem Senatsurteil vom und dort insbesondere die Ausführungen zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung des Verschuldens sowie zur Darlegungs- und Beweislast zu berücksichtigen haben (vgl. VIa ZR 335/21 unter IV.4).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260623UVIAZR533.21.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1602 Nr. 28
WM 2023 S. 1525 Nr. 32
ZIP 2023 S. 1432 Nr. 27
WAAAJ-42895