BGH Beschluss v. - 2 StR 162/22

Instanzenzug: LG Aachen Az: 63 KLs 18/21

Gründe

1Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Körperverletzung und anderer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung eines sichergestellten Klappmessers angeordnet; von weiteren Vorwürfen hatte es den Angeklagten wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung (§ 20 StGB) freigesprochen. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision des Angeklagten teilweise aufgehoben und die Sache insoweit an das Amtsgericht zurückverwiesen (es fehlte an einem wirksamen Übernahmebeschluss des Landgerichts), im Übrigen aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, soweit der Angeklagte verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden war; die weitergehende Revision des Angeklagten wurde verworfen.

2Nunmehr hat das Landgericht das beim Amtsgericht geführte Verfahren gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO übernommen, zu dem nach Zurückverweisung anhängigen – führenden – Verfahren hinzuverbunden und gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Es hat den Angeklagten sodann im zweiten Rechtsgang wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Fall 5 der Urteilsgründe), wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Fall 2 der Urteilsgründe), wegen Körperverletzung in zwei Fällen (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe) und wegen Nötigung (Fall 1 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

31. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist unzulässig, sie entspricht nicht den Formerfordernissen des § 32d Satz 2 StPO.

4a) Die Revisionseinlegungs- sowie die Revisionsbegründungsschrift wurden dem Landgericht als elektronische Dokumente im PDF-Format übermittelt, die mit dem maschinenschriftlichen Namenszug des Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt K.   , versehen waren. Für die Übermittlung wurde zwar die „Nutzer-ID“ von Rechtsanwalt K.   verwendet, unter der sein gemäß § 31a BRAO bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtetes besonderes elektronisches Anwaltspostfach geführt wird, ausweislich der zur Akte gelangten Prüfprotokolle erfolgte der Versand der Schriftsätze aber nicht durch sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach, sondern „per EGVP“ an die elektronische Poststelle des Landgerichts. Revisionseinlegungs- sowie Revisionsbegründungsschrift waren überdies versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur von Rechtsanwalt S.   , der nach den Angaben im Briefkopf in der Kanzlei von Rechtsanwalt K.   tätig, allerdings in vorliegender Sache nicht als Wahl- oder Pflichtverteidiger mandatiert bzw. beigeordnet ist.

5b) Damit wahren Revisionseinlegungs- und Revisionsbegründungsschrift nicht die Formerfordernisse der § 341 Abs. 1, § 32a Abs. 3, § 32d StPO.

6aa) Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt:

„Nach der seit dem geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Hierbei handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (vgl. -, juris, Rn. 3 m. w. Nachw.).

(…) Da für Revisionseinlegung und -begründung, soweit sie nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, gesetzlich die Schriftform, für die Revisionsbegründungsschrift darüber hinaus auch die Unterzeichnung durch den Verteidiger oder einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist (§§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO), müssen diese Dokumente bei Übermittlung in elektronischer Form gemäß § 32a Abs. 3 StPO entweder „mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein“ oder - alternativ - „von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg [im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO] eingereicht werden“ (vgl. BT-Drs. 18/9416, S. 45; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 32a Rn. 4 m. w. Nachw.). In der zweiten Alternative muss die verantwortende Person das Dokument also nicht nur (einfach) „signieren“, indem sie es maschinenschriftlich oder in sonstiger Weise mit ihrem Namenszug versieht, sondern auch „einreichen“, d.h. die Übermittlung auf sicherem Wege selbst vornehmen (vgl. -, juris, Rn. 9 ff. m. w. Nachw.). Dies entspricht sowohl dem Gesetzeswortlaut („von der verantwortenden Person signiert und […] eingereicht“; vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom - 11 U 146/18 -, juris, Rn. 41 [zu § 130a Abs. 3 ZPO]) als auch der systematischen Gleichstellung der sicheren Übermittlungswege mit der qualifizierten elektronischen Signatur (vgl. -, juris, Rn. 18 [zu § 130a ZPO]) sowie dem Sinn und Zweck der Regelung des § 32a Abs. 3 Alt. 2 StPO, die Funktion der Schriftform, die Identität des Urhebers und der Authentizität des Dokuments zu gewährleisten, durch „funktionssichere“ Übermittlungswege zu ersetzen (vgl. BT-Drs. 18/9416, S. 45; -, juris, Rn. 19 ff. [zu § 130a ZPO]; -, juris, Rn. 5 [zu § 130a ZPO]). Im Falle der Übermittlung auf dem sicheren Weg zwischen einem gemäß § 31a BRAO von der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichteten besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle einer Behörde oder eines Gerichts (§ 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO) muss die Übertragung mithin über das besondere elektronische Anwaltspostfach des durch die Signatur als verantwortliche Person ausgewiesenen Rechtsanwalts erfolgen und zudem dieser selbst - und nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter - auch der tatsächliche Versender sein (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11 m. w. Nachw.).

(…) Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis dokumentiert. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen werden. Der vertrauenswürdige Herkunftsnachweis ist eine elektronische Signatur am äußeren Umschlag der EGVP-Nachricht. Diese wird bei der Versendung eines elektronischen Dokuments aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach angebracht, wenn dessen Inhaber zur Übermittlung des Dokuments mit seiner persönlichen Kennung bei dem Verzeichnisdienst angemeldet war. In diesem Fall erscheint beim Eingang der Nachricht im EGVP-Transfervermerk der Eintrag: „Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach“. Fehlt ein solcher Eintrag, ohne dass ein technischer Fehler ersichtlich ist, lässt dies darauf schließen, dass das einfach signierte Dokument ohne persönliche Anmeldung des Postfachinhabers und damit als bloße EGVP-Nachricht oder durch eine andere Person versandt wurde. Beides erfüllt nicht die Anforderungen an einen sicheren Übermittlungsweg, weil Identität des Urhebers und Authentizität des Schriftstücks in diesen Fällen nicht gewährleistet sind. Die Absenderangabe und die auch in solchen Fällen mit versandte „Safe-“ bzw. „Nutzer-ID“ können den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis nicht ersetzen. Sie identifizieren nur das besondere elektronische Anwaltspostfach, von dem aus das elektronische Dokument versandt wurde, nicht aber die das Dokument versendende Person (vgl. -, juris, Rn. 25 ff.; -, juris, Rn. 7 f. [jeweils zu § 130a Abs. 3 ZPO]).“

7bb) Danach sind Revisionseinlegungs- und Revisionsbegründungsschrift nicht im Sinne von § 32a Abs. 3 und 4 StPO von der verantwortenden Person, nämlich Rechtsanwalt K.   , auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden.

8Dieser hat bestätigt, die Revisionseinlegungs- und die Revisionsbegründungsschrift nicht selbst aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach an das Landgericht übermittelt zu haben. Der Versand sei vielmehr durch den in seiner Sozietät tätigen Rechtsanwalt S.   als Vertreter veranlasst worden, während er selbst „büroabwesend“ gewesen sei. Er habe Rechtsanwalt S.    Zugriff auf sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach eingeräumt, um bei Bedarf Schriftsätze in Vertretung zu übersenden. Die Formerfordernisse nach § 32a Abs. 3 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO wären jedoch nur dann gewahrt, wenn Rechtsanwalt K.   die elektronischen Dokumente nach Anmeldung mit seiner persönlichen Kennung eigenhändig aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach übermittelt hätte. Erfolgt – wie hier – die Übermittlung nach § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO gleichsam durch einen Boten, wird die Authentizität des elektronischen Dokuments nicht gewährleistet ( Rn. 4 mwN). Dass Rechtsanwalt K.   eine Übermittlung des von ihm „einfach“ signierten Schriftsatzes mit dem besonderen elektronischen Postfach nicht möglich gewesen sei oder ein Ausnahmefall des § 32d Satz 3 und 4 StPO (dazu vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 140/22 Rn. 6) vorgelegen habe, hat er nicht vorgetragen.

9Die Dokumente waren auch nicht im Sinne von § 32a Abs. 3 Alt. 1 StPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur von Rechtsanwalt K.   als der verantwortenden Person versehen, sondern von einer anderen Person, nämlich Rechtsanwalt S.   , qualifiziert elektronisch signiert (der in vorliegender Sache auch nicht als Wahl- oder Pflichtverteidiger mandatiert bzw. beigeordnet ist, vgl. Rn. 5).

102. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Revision erweisen sich ebenfalls als unzulässig. Weder ist dargetan, wann der Angeklagte – der selbst oder zu Protokoll der Geschäftsstelle hätte Revision einlegen können – davon Kenntnis hatte, dass die Revisionseinlegung nicht den gesetzlichen Formerfordernissen entsprach, noch wurde die versäumte Rechtshandlung formgerecht nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zutreffend führt der Generalbundesanwalt aus:

„Zwar wurden die Revisionseinlegungs- und die -begründungsschrift am nochmals aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach von Rechtsanwalt K.   an das Landgericht übermittelt. Sie sind dort aber ausweislich des Prüfvermerks wiederum nur in einer einfachen EGVP-Nachricht ohne sicheren Herkunftsnachweis eingegangen, der die eigenhändige Versendung durch den Postfachinhaber nach Anmeldung mit persönlicher Kennung dokumentiert. Dies genügt den Anforderungen des § 32a Abs. 3 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO nicht.“

113. Für eine Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision von Amts wegen (zugleich als Voraussetzung für eine solche zur Begründung der Revision, vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 751/80, BGHSt 30, 335) war schon mangels Nachholung der versäumten Handlung kein Raum (§ 45 Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO); mangelndes Verschulden des Angeklagten ist auch nicht offenkundig. Anhaltspunkte für einen ausnahmsweise zur Wiedereinsetzung von Amts wegen nötigenden „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung (vgl. EGMR, NJW 2003, 1229; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112; vom – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; vom – 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 III Buchst. c Beschränkung 3) liegen nicht vor.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010323B2STR162.22.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-41412