(Zulässigkeit einer Inbegriffsrüge)
Gesetze: § 249 Abs 2 S 3 StPO, § 261 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO
Instanzenzug: Az: 33 KLs 12/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
21. Die Revision macht zu Recht als Verstoß gegen § 261 StPO geltend, dass das Landgericht seine Überzeugung teilweise nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen hat.
3a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4Die Strafkammer hatte mit einem von der Kammervorsitzenden verlesenen Gerichtsbeschluss das Selbstleseverfahren unter anderem in Bezug auf eine Vielzahl von Protokollen über den Inhalt von Chats, die über so genannte EncroChat-Mobiltelefone geführt worden waren, angeordnet. Die Selbstleseanordnung wurde nicht zurückgenommen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurde nicht festgestellt, dass die Richter und Schöffen vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren einzuführenden Urkunden Kenntnis genommen und die anderen Verfahrensbeteiligten dazu Gelegenheit hatten. Die Urkunden wurden auch nicht in anderer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt.
5b) Die Inbegriffsrüge ist zulässig erhoben. Der Revisionsvortrag genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
6Der Vorlage des Hauptverhandlungsprotokolls, aus dem sich – entsprechend dem Vortrag der Revision – das Fehlen der Feststellung über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO) ergibt, bedurfte es nicht. Der Protokollinhalt beweist lediglich die Richtigkeit des Revisionsvorbringens und betrifft somit die Begründetheit des Rechtsmittels.
7Ob im Einzelfall der Vortrag, dass die Urkunden auch nicht in anderer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, näher konkretisiert werden muss, namentlich dahin, dass dies auch nicht durch einen (nicht protokollierungspflichtigen) Vorhalt des Urkundeninhalts im Rahmen einer Vernehmung geschehen sei (so wohl , NStZ 2017, 722, 723), kann hier offenbleiben. Denn im Hinblick auf den erheblichen Umfang der im angefochtenen Urteil teils wörtlich wiedergegebenen Urkunden (Chatprotokolle), war ein solcher Vortrag hier jedenfalls entbehrlich (vgl. BGH, aaO).
8c) Der Verfahrensverstoß liegt vor. Wie das Fehlen des Vermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweist, sind die Urkunden, die Gegenstand der Selbstleseanordnung der Kammer waren, nicht Inbegriff der landgerichtlichen Hauptverhandlung geworden (vgl. BGH, aaO; Beschluss vom – 3 StR 76/10, NStZ 2010, 712, 713). Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler, denn das Landgericht hat seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten ausdrücklich auf die Urkunden, insbesondere die teilweise wörtlich wiedergegebenen Inhalte der Chatprotokolle, gestützt.
92. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es noch eines Eingehens auf die weitere Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts bedürfte.
103. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat allerdings auf Folgendes hin: Sollte das neue Tatgericht erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen, wird es bei seiner Strafzumessung auch die dienstrechtlichen Folgen für den Angeklagten in den Blick zu nehmen haben, insbesondere auch etwaige Einbußen bei dem Ruhegehaltsanspruch des Angeklagten aus seinem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit. Hinsichtlich einer etwaigen erneuten Einziehungsentscheidung nimmt der Senat zudem auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260423B4STR368.22.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-41172