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Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement in der Praxis
Geschäftsleiterpflichten bei haftungsbeschränkten Unternehmen nach dem StaRUG
[i]Sikora, Fortbestehensprognose im Insolvenz- und Bilanzrecht – Teil 1: Rechtsgrundlagen, Ausgestaltung sowie Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken, BBK 12/2022 S. 565 NWB AAAAI-62814 Geschäftsleiter müssen bestandsgefährdende Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und bei deren Vorliegen unverzüglich geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Diese seit 2021 im StaRUG auch ausdrücklich festgeschriebenen Pflichten sollten für Geschäftsleiter eigentlich Selbstverständlichkeiten sein. Tatsächlich sind sich allerdings viele Geschäftsleiter vor allem kleinerer und mittlerer Unternehmen dieser Pflichtenlage noch nicht bewusst und haben insbesondere die zur Früherkennung erforderlichen Maßnahmen noch nicht sachgerecht implementiert. Diese Sorglosigkeit kann indes gerade in einem geopolitisch so volatilen und krisenträchtigen Umfeld wie dem aktuellen rasch sehr gefährlich werden, weil mit der Nichtbefolgung erhebliche Haftungsrisiken verbunden sind. Der Beitrag greift dieses Problem auf, stellt die nach dem StaRUG bestehende Pflichtenlage für Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmen dar und illustriert, wie diese ihren Pflichten entsprechen können.
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I. Überblick zur Rechtslage und bisherige Praxis
Je [i]Pflicht zur Krisenfrüherkennungfrüher Fehlentwicklungen erkannt und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden, umso leichter lässt sich eine Unternehmenskrise überwinden. Dementsprechend zählt es seit jeher zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten von Geschäftsleitern, dass sie krisenhafte Entwicklungen frühzeitig erkennen und bei deren Vorliegen unverzüglich angemessene Gegenmaßnahmen ergreifen müssen.
[i]Rechtsformübergreifend festgeschriebene GeschäftsleiterpflichtenDiese Pflichten hat der Gesetzgeber per in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben im StaRUG erstmals rechtsformübergreifend festgeschrieben und zugleich etwas geschärft. Demnach müssen Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmen:
fortlaufend über Entwicklungen wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG – sog. Krisenfrüherkennungspflicht);S. 503
bei Vorliegen derartiger Entwicklungen geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG – sog. Krisenmanagementpflicht);
den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen unverzüglich Bericht erstatten und unverzüglich auf die Befassung anderer Organe hinwirken, wenn die zu ergreifenden Maßnahmen deren Zuständigkeiten berühren (§ 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StaRUG – sog. Berichts- und Befassungsveranlassungspflicht).
Diese StaRUG-Regeln gelten für Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmen aller Größenordnungen. Hierunter fallen zum einen juristische Personen wie GmbH, AG, SE, Genossenschaften und e. V. (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StaRUG), zum anderen Personengesellschaften ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter wie insbesondere die GmbH & Co. KG (§ 1 Abs. 2 StaRUG – sog. kapitalistische Personengesellschaften). Bei letzteren sind dabei die Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter verpflichtet, somit also bei der GmbH & Co. KG die Geschäftsleiter der Komplementär-GmbH. [i]
[i]Insolvenzen sollen vermieden werdenMit diesem Pflichtensystem sollen Insolvenzen vermieden werden. So soll durch das frühzeitige Erkennen von bestandsgefährdenden Fehlentwicklungen ein frühzeitiges Krisenmanagement ermöglicht werden, das bestehende Sanierungschancen bestmöglich ausschöpft und so idealerweise zu einer Sanierung des Unternehmens führt.
[i]Unzureichende Umsetzung in der PraxisIn der Praxis allerdings sind diese Pflichten trotz mittlerweile mehr als zweijähriger Geltung vielfach noch nicht etabliert. So haben vor allem Geschäftsleiter kleinerer und mittlerer Unternehmen relativ häufig keine Kenntnis davon oder setzen die Pflichten trotz grundsätzlicher Kenntnis nicht ausreichend um.
Zurückzuführen ist dies zunächst darauf, dass Geschäftsleitern der Mehrwert einer Krisenfrüherkennung häufig nicht klar ist. Vielmehr sehen sie darin eher unnötigen bürokratischen Ballast. Hinzu kommt, dass vielfach das zur Umsetzung der Pflichten nötige Know-how schlicht fehlt. Erschwerend wirkt schließlich auch ein gewisses psychologisches Hemmnis, sich mit möglichen Fehlentwicklungen zu befassen und sich bei deren tatsächlichem Vorliegen ggf. eigene Fehler eingestehen zu müssen.
[i]Erhebliche HaftungsrisikenDiese Praxis ist nicht nur für die Chancen der Krisenbewältigung an sich sehr nachteilig, weil diese mit fortschreitendem Krisenverlauf deutlich sinken. Vor allem birgt sie für die Geschäftsleiter erhebliche Haftungsrisiken in sich, die sich gerade in einem so krisenträchtigen Umfeld wie dem aktuellen leicht realisieren. Umso wichtiger ist, dass Geschäftsleiter über ihre Krisenfrüherkennungs- und Krisenmanagementpflicht genau Bescheid wissen. [i]
II. Krisenfrüherkennungspflicht
[i]Hillebrand, Rechnungslegung in unsicheren Zeiten – Auswirkungen der derzeitigen Krisen auf die einzelnen Bereiche der Rechnungslegung, NWB Sanieren 1/2023 S. 15 NWB MAAAJ-30951 Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmen sind zur Krisenfrüherkennung verpflichtet. Demnach haben sie fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StaRUG). Dies bedeutet in der konkreten Umsetzung, dass sie
krisenunabhängig als organrechtliche Dauerpflicht
unverzüglich bestandsgefährdende Fehlentwicklungen erkennen müssen
und dies im Wege eines strukturellen Risikomanagements zu erfolgen hat, das in die Unternehmenssteuerung eingebunden ist.S. 504
1. Organrechtliche Dauerpflicht der Geschäftsleiter
Die Krisenfrüherkennungspflicht ist eine sog. organrechtliche Dauerpflicht der Geschäftsleiter. Demnach besteht die Pflicht ab Beginn der Existenz des Unternehmens über dessen gesamte Lebenszeit hinweg und entsteht insbesondere nicht erst mit dem Eintritt bestimmter Krisenindizien oder bestimmter negativer Kennzahlen. Dies erklärt sich damit, dass nur so eine frühzeitige Erkennung von Fehlentwicklungen möglich ist.
[i]Keine Delegation möglichAls organrechtliche Pflicht ist die Früherkennungspflicht eine eigene Pflicht der Geschäftsleiter. Sie kann somit nicht haftungsbefreiend auf Dritte delegiert werden. Sehr wohl können sich die Geschäftsleiter aber bei der Umsetzung der Früherkennungspflicht der Hilfe Dritter bedienen.
[i]Gesellschafterversammlung nicht erfasstSind neben den vertretungsberechtigten Geschäftsleitern weitere Organe zu Geschäftsführungsentscheidungen berufen, gilt für diese die Früherkennungspflicht nicht. Kein Adressat ist somit insbesondere die Gesellschafterversammlung, auch wenn diese wie bei der GmbH direkte Weisungen an die Geschäftsleiter erteilen kann.
2. Pflicht zur Früherkennung bestandsgefährdender Fehlentwicklungen
[i]Sikora, Lockerung der Anforderungen an den Nachweis einer Zahlungsunfähigkeit – BGH lässt Liquiditätsstatus als Prüfverfahren zu – eine kritische Auseinandersetzung, BBK 5/2023 S. 219 NWB LAAAJ-34524 Die Geschäftsleiter sind fortlaufend zur Früherkennung von Entwicklungen verpflichtet, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können. Fraglich ist, was unter solchen bestandsgefährdenden Entwicklungen konkret zu verstehen ist.
Der Bestand eines Unternehmens ist dann gefährdet, wenn Entwicklungen den Eintritt einer Insolvenzreife in Form des Insolvenzgrunds der Überschuldung (§ 19 InsO) oder der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) erwarten lassen. In diesen Fällen besteht bei haftungsbeschränkten Unternehmen nämlich eine Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO), die in weiterer Folge zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bzw. zur Auflösung des Unternehmens kraft Gesetzes (vgl. etwa § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) führt.
Dementsprechend müssen Geschäftsleiter solche Fehlentwicklungen erkennen, die bei ungehindertem Fortgang zu einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit führen können. In welchem Zeitrahmen die Insolvenzreife möglich sein muss, ist nicht geregelt. Im Hinblick darauf, dass bei beiden Insolvenzgründen die (künftige) Zahlungsfähigkeit der entscheidende Faktor ist, liegt es aber nahe, den 24-monatigen Prognosezeitraum des Insolvenzgrunds der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO) heranzuziehen.
[i]Drohende Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit muss erkannt werdenDemnach sind solche Fehlentwicklungen zu erkennen, die in den folgenden 24 Monaten zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne einer negativen Fortbestehensprognose (= Überschuldung) oder direkt zu einer Zahlungsunfähigkeit führen können. In der Regel ist dies der Fall, wenn mit der Realisierung von Zukunftsszenarien zu rechnen ist, bei denen eine Kombination bestehender Risiken zu einer Solvenzgefahr führt. Insofern müssen nicht nur potenziell solvenzgefährdende Einzelrisiken erkannt werden, sondern auch solche Risiken, die für sich genommen nicht solvenzgefährdend sind, im Zusammenspiel mit anderen Risiken aber zu einer Solvenzgefährdung führen können. S. 505
[i]Irrelevant: Bloße suboptimale Entwicklungen...Nicht der Früherkennungspflicht unterfallen grundsätzlich solche Umstände, die zwar negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Unternehmensentwicklung haben, jedoch nicht zu einer Existenzgefährdung führen können. Bloße suboptimale Entwicklungen müssen somit nicht erkannt werden.
[i]... und Szenarien mit geringer EintrittswahrscheinlichkeitEbenso irrelevant sind bestandsgefährdende Zukunftsszenarien mit nur sehr kleiner Eintrittswahrscheinlichkeit. Droht etwa bei ungehindertem Fortlauf der Entwicklungen eine Zahlungsunfähigkeit mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1 %, stellt dies insgesamt keine bestandsgefährdende Entwicklung dar. Maßgeblich sind vielmehr jene Entwicklungen, die bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge realistischerweise zu erwarten sind.
[i]Krisenfrüherkennungspflicht ist SolvenzüberwachungspflichtInsgesamt stellt somit die Krisenfrüherkennungspflicht nichts anderes als eine Solvenzüberwachungspflicht dar. Sie ergänzt damit die permanente Selbstprüfungspflicht der Geschäftsleiter auf das mögliche Vorliegen eines Insolvenzgrunds und verlagert diese zeitlich vor.
3. Umsetzung im Wege eines strukturellen Risikomanagements
Das Gesetz enthält keine Regelungen, wie die Krisenfrüherkennungspflicht konkret umzusetzen ist, und auch die Rechtsprechung hat dies bislang noch nicht geklärt. Damit verbleibt vorläufig eine gewisse Unsicherheit. Dies ist umso misslicher, als die Kernfrage der Früherkennungspflicht gerade darin besteht, wie man erkennen soll, ob eine Entwicklung bestandsgefährdend sein kann.