Ablehnungsgesuch eines nicht vertretenen Anhörungsrügeführers
Leitsatz
NV: Ein Ablehnungsgesuch ist nicht gemäß § 62 Abs. 4 FGO als unzulässig zu verwerfen, wenn es im Hinblick auf eine Anhörungsrüge vorgebracht wird, deren Erhebung dem Vertretungszwang nicht unterliegt. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Anhörungsrüge gegen einen ablehnenden BFH-Beschluss zur Gewährung von Prozesskostenhilfe richtet.
Gesetze: FGO § 62 Abs. 4; FGO § 51; FGO § 133a; FGO § 142; ZPO § 42; ZPO § 44 Abs. 3; ZPO § 45; ZPO § 114 Abs. 1 Satz 1;
Tatbestand
I.
1 Mit Beschluss vom - VIII B 124/22 hat der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) die Beschwerde des Klägers, Beschwerdeführers und Antragstellers (Kläger) gegen das Urteil des als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für das Beschwerdeverfahren abgelehnt. An der Entscheidung haben . mitgewirkt.
2 Mit Schriftsatz vom hat der Kläger eine Anhörungsrüge gegen diese Entscheidung erhoben. Er hat die genannten Richterinnen und Richter am Bundesfinanzhof jeweils einzeln wegen der Besorgnis der Befangenheit für das Verfahren der Anhörungsrüge mit dem Aktenzeichen VIII S 2/23 abgelehnt. Auf die Begründung des Ablehnungsgesuchs im Schriftsatz vom wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) hat sich zum Ablehnungsgesuch nicht geäußert.
Gründe
II.
4 Der Antrag, . für die Mitwirkung an der Entscheidung über die Anhörungsrüge im Verfahren VIII S 2/23 wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
5 1. Das vom nicht postulationsfähigen Kläger persönlich erhobene Ablehnungsgesuch ist nicht gemäß § 62 Abs. 4 FGO als unzulässig zu verwerfen. Das Ablehnungsgesuch wird im Hinblick auf die erhobene Anhörungsrüge (§ 133a FGO) vorgebracht. Der Vertretungszwang für Verfahren vor dem BFH gilt gemäß § 62 Abs. 4 FGO für die Erhebung einer Anhörungsrüge nur, wenn für die beanstandete Entscheidung ihrerseits ein Vertretungszwang besteht (vgl. und II S 15-20/19, BFH/NV 2020, 368, Rz 3). Im Streitfall wendet sich der Kläger mit der Anhörungsrüge aber nicht nur gegen die Entscheidung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, sondern auch gegen die Ablehnung seines PKH-Antrags, der nicht dem Vertretungszwang unterlag (vgl. zum Vertretungszwang , BFH/NV 2011, 619, Rz 5; zur Statthaftigkeit der Anhörungsrüge gegen PKH-Beschlüsse des BFH vgl. , BFH/NV 2015, 222). Der Senat hält den nicht vertretenen Kläger daher für befugt, das Ablehnungsgesuch für das Anhörungsrügeverfahren vorzubringen (vgl. , juris, unter II.1.a).
6 2. Die Ablehnung sämtlicher Mitglieder des Spruchkörpers, die an der Beschlussfassung im Verfahren VIII B 124/22 mitgewirkt haben, ist im Streitfall nicht rechtsmissbräuchlich.
7 Zwar ist es im Allgemeinen unzulässig, pauschal einen ganzen Spruchkörper abzulehnen, weil ein Ablehnungsgesuch sich grundsätzlich auf bestimmte Richter beziehen muss. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Mitglieder eines Spruchkörpers im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden, weil der Betroffene wegen des Beratungsgeheimnisses nicht wissen kann, welcher Richter die Entscheidung mitgetragen hat. In solchen Fällen liegt ein Missbrauch des Ablehnungsrechts nur dann vor, wenn das Gesuch gar nicht oder ausschließlich mit Umständen begründet wird, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen können. Letzteres ist nur dann der Fall, wenn der Ablehnungsantrag sich bereits ohne jedes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand für sich allein —ohne jede weitere Aktenkenntnis— offenkundig als unzulässig darstellt. Ist hingegen wie im vorliegenden Fall, in dem der Kläger seinen Ablehnungsantrag auf die Begründung des Beschlusses vom - VIII B 124/22 und die Missachtung seines Beteiligtenvortrags stützt, ein —wenn auch nur geringfügiges— Eingehen auf den Verfahrensgegenstand, auf den Verfahrensstand oder den Akteninhalt erforderlich, scheidet eine Verwerfung des Ablehnungsantrags als unzulässig aus. Denn der abgelehnte Richter darf sich über eine bloße formale Prüfung des Ablehnungsantrags hinaus nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe entgegen § 45 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes zum Richter in eigener Sache machen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom - X B 99/19, BFHE 266, 494, BStBl II 2020, 375, Rz 14, 15; vom - VIII B 146/19, BFH/NV 2020, 1082, Rz 22 bis 24; vom - IX B 121/18, BFHE 264, 409, BStBl II 2019, 554, Rz 4 und Leitsatz). Das vorliegende Ablehnungsgesuch ist nach diesem Maßstab nicht rechtsmissbräuchlich. Die Entscheidung darüber erfordert eine Auseinandersetzung mit der Begründung des Beschlusses im Verfahren VIII B 124/22.
8 3. Das Ablehnungsgesuch ist jedoch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit es gegen . gerichtet ist. Für ein Ablehnungsgesuch besteht kein Rechtsschutzinteresse, wenn bei Begründetheit des Ablehnungsantrags eine weitere richterliche Tätigkeit der abgelehnten Richterin im konkreten Verfahren ausgeschlossen wäre, denn mit der Richterablehnung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern (, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899, unter II.1. [Rz 9]). . .
9 4. Das Ablehnungsgesuch ist, soweit es zulässig ist, unbegründet. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung einer Richterin oder eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Die vom Kläger vorgetragenen Umstände sind jedoch nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der . sowie des . im Hinblick auf das Anhörungsrügeverfahren zu rechtfertigen.
10 a) Soweit der Kläger sinngemäß vorbringt, die Mitglieder des Spruchkörpers, die an der Entscheidung im Verfahren VIII B 124/22 mitgewirkt haben, seien für das Anhörungsrügeverfahren als vorbefasst und befangen anzusehen und daher gemäß § 45 Abs. 1 ZPO an der Mitwirkung im Anhörungsrügeverfahren gehindert, ist dem nicht zu folgen.
11 Ein Fall des § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO ist nicht gegeben, weil das Beschwerdeverfahren VIII B 124/22 und das Anhörungsrügeverfahren gemäß § 133a FGO zu demselben Rechtszug am BFH gehören. Allein die Mitwirkung einer Richterin oder eines Richters an einer Entscheidung, deren zugrunde liegendes Verfahren im Fall einer begründeten Anhörungsrüge gemäß § 133a Abs. 5 FGO fortzusetzen wäre, genügt zur Darlegung einer Befangenheit nicht, denn es ist gerade der Sinn der Anhörungsrüge, dem Spruchkörper, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat, die Möglichkeit der Selbstkorrektur einzuräumen. Um ein Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen, müssen vielmehr besondere zusätzliche Umstände hinzutreten (vgl. , Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Report 2009, 662, unter 2. [Rz 3 bis 6], m.w.N.; , BFH/NV 2014, 1572, Rz 7, m.w.N.). Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.
12 b) Richterinnen und Richter sind zu unvoreingenommener und neutraler Amtsführung verpflichtet; dies verlangt eine strenge Sachlichkeit und die Wahrung des gleichen „Abstands“ zu den Parteien (sog. Sachlichkeitsgebot). Ein Ablehnungsgrund ist allgemein gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass die Richterin bzw. der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird (z.B. , BFH/NV 1997, 780, unter II.2. [Rz 24]). Aus den vom Kläger dargelegten Umständen ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Voreingenommenheit der . und des . gegenüber dem Kläger.
13 Der Kläger verweist in seiner Begründung des Ablehnungsgesuchs auf nach seiner Ansicht vorliegende schwerwiegende Fehler des FA im Veranlagungsverfahren und des FG im finanzgerichtlichen Verfahren. Er kritisiert vor diesem Hintergrund den Beschluss im Verfahren VIII B 124/22, in dem seine Nichtzulassungsbeschwerde wegen einer Nichteinhaltung der Beschwerdefrist als unzulässig verworfen und der PKH-Antrag aus diesem Grund mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgewiesen wurde. Aus den behaupteten Fehlern des FA und des FG folgert der Kläger, dass diese schwerer wögen als seine Fristversäumung, so dass der Senat sein Vorbringen im Beschwerdeverfahren habe behandeln und die Revision zulassen müssen. Der Senat habe sein Vorbringen in willkürlicher Weise übergangen.
14 Aus der Begründung des Klägers kann nicht auf eine Voreingenommenheit der abgelehnten Senatsmitglieder gegenüber dem Kläger geschlossen werden. Sein Vortrag wurde bei objektiver Betrachtung nicht willkürlich übergangen. Denn wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Nichteinhaltung der Beschwerdefrist (vgl. § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO) unzulässig ist, bedarf es keiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit den geltend gemachten Zulassungsgründen in der Begründung des Beschlusses. Dies gilt gleichermaßen für die Begründung zur Ablehnung des PKH-Antrags. Da die Gewährung der PKH dazu dient, die Nichtzulassungsbeschwerde zu ermöglichen und gemäß § 142 FGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO von deren Erfolgsaussichten abhängt, bedarf es keiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Klägers in der Beschlussbegründung, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen ist.
15 Im Übrigen können (vermeintlich) falsche Rechtsansichten einer Richterin oder eines Richters eine Besorgnis der Befangenheit nur rechtfertigen, wenn sie auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem Kläger oder auf Willkür beruhen. Hierfür muss die Fehlerhaftigkeit der Würdigung ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen; die hierfür sprechenden Umstände sind darzulegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom - VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112 [Rz 15]; vom - IX S 12/13, BFH/NV 2013, 1444, Rz 3; vom - X S 30, 31/13, BFH/NV 2014, 51, Rz 8; vom - V B 133/16, BFH/NV 2017, 1199, Rz 12, 13, m.w.N.). Wird zur Begründung des Ablehnungsgesuchs —wie hier— die Nichtberücksichtigung von Beteiligtenvorbringen als Verletzung des Gehörsanspruchs herangezogen, muss substantiiert und schlüssig dargelegt werden, dass der Vortrag objektiv willkürlich übergangen worden ist (, BFH/NV 2016, 1577, Rz 25). Solche besonderen Umstände werden vorliegend vom Kläger nicht dargelegt und sind auch sonst nicht erkennbar.
16 5. Der Einholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten . gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO bedurfte es nicht. Die geltend gemachten Ablehnungsgründe beziehen sich auf das aus Sicht des Klägers nicht berücksichtigte Beteiligtenvorbringen und auf die Begründung des Beschlusses im Verfahren VIII B 124/22. Dies sind aktenkundige Vorgänge. Einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters zu einem Ablehnungsgesuch bedarf es nicht, wenn der Sachverhalt, auf den das Ablehnungsgesuch gestützt wird, feststeht (, BFH/NV 2001, 621, unter II. am Ende [Rz 12], m.w.N.; AnwZ (Brfg) 61/15, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2017, 189).
17 6. Für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch sind keine Kosten zu erheben, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (BFH-Beschlüsse vom - V S 16/11, BFH/NV 2011, 2087, Rz 15; vom - X S 25/09, BFH/NV 2010, 1293, Rz 17).
18 7. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 1 und Abs. 2 FGO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:B.110523.VIIIS3.23.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2023 S. 211 Nr. 7
BB 2023 S. 1237 Nr. 22
BFH/NV 2023 S. 860 Nr. 7
NJW 2023 S. 10 Nr. 23
PAAAJ-40725