BGH Beschluss v. - 4 StR 93/22

Anforderungen an Rüge der Unverwertbarkeit von EncroChat-Daten

Gesetze: § 73a Abs 1 StGB, § 73c StGB, § 100b Abs 1 StPO, § 100b Abs 2 Nr 5 Buchst b StPO, § 100e Abs 6 Nr 1 StPO, § 261 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 49 KLs 13/21

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in jeweils mehreren Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwölf Jahren und sechs Monaten (Angeklagter S.   ), elf Jahren und sechs Monaten (Angeklagter A. ) sowie zehn Jahren und neun Monaten (Angeklagter D.  ) verurteilt. Außerdem hat es gegen die Angeklagten Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen führen jeweils auf die Sachrüge zu einer Abänderung des Einziehungsausspruchs, soweit dieser die Einziehung des Wertes von Taterträgen betrifft; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verfahrensbeanstandungen haben keinen Erfolg.

31. Die Rüge des Angeklagten A. , mit der er die Verwertung von Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat beanstandet, ist unzulässig.

4a) Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Dies gilt auch, wenn ein Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot gerügt wird (vgl. Rn. 15 f.; Urteil vom – 2 StR 131/18 Rn. 8 f.). Geht es um Beweismittel, die durch einen ausländischen Staat erhoben und im Wege der Rechtshilfe übermittelt worden sind, muss die Revisionsbegründung die Verfahrenstatsachen zur ausländischen Beweismittelgewinnung und zur Beweisübermittlung im Einzelnen vortragen, soweit sie – wie hier – rügt, dabei seien Verfahrensvorschriften verletzt worden. Denn ob sich daraus ausnahmsweise ein Verwertungsverbot ergibt, vermag das Revisionsgericht erst aufgrund einer Abwägung aller Umstände, die Art und Gewicht etwaiger Verfahrensverstöße einbezieht, zu entscheiden (vgl. hierzu , BGHSt 67, 29 Rn. 43 mwN).

5b) Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen des Angeklagten A. nicht. Die Angaben zum Verfahrensgang in Frankreich, der zur Erlangung der verwerteten Beweismittel geführt hat, bleiben rudimentär und sind in ihrer Kürze nicht nachzuvollziehen. Auch die Behörden, die an dem Ermittlungskomplex EncroChat beteiligt waren, werden teilweise nicht bestimmt benannt (vgl. zu diesem Erfordernis allgemein Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 344 Rn. 24 mwN). Zudem teilt die Revision die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom , auf die sie sich bezieht, in wesentlichen Teilen nur in französischer Sprache mit (vgl. hierzu ; Beschluss vom – 4 StR 410/20 Rn. 14; Beschluss vom – 5 StR 455/17 Rn. 3 ff.).

62. Die Verfahrensrügen der Angeklagten S.   und D.   , mit denen sie beanstanden, dass sich ihre Verurteilung auf Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat stützt, bleiben ebenfalls erfolglos.

7a) Diese Verfahrensrügen sind bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), soweit sie mit der Stoßrichtung erhoben sind, dass die durch französische Behörden durchgeführte Beweismittelgewinnung gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und internationalen ordre public verstoße und dass die Mitteilungspflicht nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) verletzt worden sei. Beide Aspekte zielen auf eine unzulässige Beweisverwertung (vgl. , BGHSt 67, 29 Rn. 32, 34 ff.). Um die oben dargelegten Anforderungen an eine entsprechende Rüge zu erfüllen, sind die nach ihrer Angriffsrichtung wesentlichen Schriftstücke oder Aktenstellen im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (vgl. Rn. 8 mwN; Urteil vom – 3 StR 140/14 Rn. 13).

8Dem genügt das Revisionsvorbringen nicht. Die Beschwerdeführer machen mit Blick auf fehlende Angaben zum Geltungszeitraum der Ermittlungsmaßnahme auch die „Nichtigkeit“ eines Beschlusses des Strafgerichts Lille vom geltend, die Folgebeschlüsse ebenso erfasse. Die Revisionen legen jedoch weder diesen Beschluss (übersetzt) vor noch teilen sie – wie es gerade bei einer richterlichen Entscheidung erforderlich gewesen wäre – zumindest den wesentlichen Wortlaut durch Zitate mit. Unklar und lückenhaft ist zudem das Revisionsvorbringen zu einer Mitteilung Frankreichs über die gewonnenen Erkenntnisse nach Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom , die dem Erlass der EEA vom durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vorangegangen sei. Insoweit werden Absender und Adressat der Mitteilung nicht konkret benannt und Zeitpunkt sowie Inhalt dieser Mitteilung „über die Erkenntnisse“ (nicht: der Erkenntnisse) bleiben offen. Diese Umstände wären jedoch für die Prüfung, welches Gewicht die behaupteten Rechtsverstöße haben und ob sie zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten, relevant gewesen.

9b) Soweit die Revisionen mit anderer Stoßrichtung die unzulässige zweckändernde Verwendung der EncroChat-Daten beanstanden, sind die Verfahrensrügen jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführer sehen in § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO die einzig in Betracht kommende Befugnisnorm, auf die sich eine Verwendung der Daten stützen könnte, deren Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt seien. Der Senat hält demgegenüber daran fest, dass die Wertungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100b StPO eine im Rahmen der Anwendung von § 261 StPO zu beachtende Verwendungsbeschränkung bilden (vgl. Böse, JZ 2022, 1048, 1049), die bei der Beweisrechtshilfe dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 61/22 Rn. 16; Beschluss vom – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 68). Im vorliegenden Fall steht diese Beschränkung der Verwendung der Daten nicht entgegen. Insbesondere lag der Verdacht einer Katalogtat gemäß § 100b Abs. 2 Nr. 5b StPO vor. Dabei kommt es – entgegen der Auffassung der Revisionen – nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage bei Anordnung der französischen Ermittlungsmaßnahmen an, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt unter Einschluss der Erkenntnisse aus den von den französischen Behörden übermittelten Daten (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 61/22 Rn. 17; Beschluss vom – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 70).

103. Die weiteren Verfahrensrügen der Angeklagten S.   und A. dringen aus den vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften genannten Gründen nicht durch.

II.

111. Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen bedarf auf die Sachrügen der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderungen.

12Die Strafkammer hat zunächst rechtsfehlerfrei das bei jedem Angeklagten sichergestellte Bargeld gemäß § 73a Abs. 1 StGB eingezogen. Nach den Urteilsgründen stammte es aus – auch nach Ausschöpfung aller Beweismittel – nicht weiter aufklärbaren Straftaten (vgl. Rn. 7 mwN). Damit hat das Landgericht jedoch nicht ausgeschlossen, dass das eingezogene Bargeld zum Gesamterlös der abgeurteilten Taten des jeweiligen Angeklagten gehörte. In diesem Fall wäre es zur Vermeidung einer doppelten Inanspruchnahme der Angeklagten vom Wert der Taterträge abzuziehen, den das Landgericht gemäß § 73c StGB eingezogen hat (vgl. hierzu Rn. 4; Rn. 8).

13Da nicht zu erwarten ist, dass die Herkunft des sichergestellten Bargelds noch näher aufgeklärt werden kann, und um jede Beschwer der Angeklagten auszuschließen, vermindert der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den einzuziehenden Wert der Taterträge um die sichergestellten Bargeldbeträge von 59.060 € (Angeklagter S.   ), 7.620 € (Angeklagter A. ) und 435 € (Angeklagter D.  ). Die Einziehungsanordnungen hinsichtlich des Bargelds bleiben unberührt.

142. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

III.

15Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs der Revisionen ist es nicht unbillig, die Angeklagten jeweils mit den gesamten Kosten ihres Rechtsmittels zu belasten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160223B4STR93.22.1

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 2509 Nr. 34
GAAAJ-36672