BSG Beschluss v. - B 10 ÜG 7/22 B

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - überlanges Gerichtsverfahren - unangemessene Verfahrensdauer - Entschädigungsklage - Erbengemeinschaft - persönlicher Entschädigungsanspruch für jedes Mitglied - Maßgeblichkeit der Beteiligtenstellung im Ausgangsverfahren - höchstrichterliche Rechtsprechung - Klärungsbedürftigkeit

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 70 Nr 2 SGG, § 74 SGG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 6 Nr 2 GVG, § 2032 BGB

Instanzenzug: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 11 SF 114/20 EK U Urteil

Gründe

1I. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache aus eigenem Recht Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines Verfahrens über Ansprüche des verstorbenen Versicherten C aus der gesetzlichen Unfallversicherung, das von einer Erbengemeinschaft geführt wurde, deren Mitglied sie war.

2Mit Urteil vom hat das LSG als Entschädigungsgericht der Erbengemeinschaft zur gesamten Hand eine Entschädigung von 1300 Euro zuzüglich Zinsen wegen der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens zugesprochen, einen weitergehenden Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung von 2400 Euro an jeden Erben aber verneint. Anspruchsberechtigt nach § 198 Abs 1 Satz 1 GVG seien nur Verfahrensbeteiligte und damit nur die Erbengemeinschaft, die das Ausgangsverfahren als Beteiligte geführt habe.

3Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der sie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht.

4II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht ordnungsgemäß dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

51. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 6 mwN).

6Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

7Die Klägerin hält es für grundsätzlich bedeutsam,ob der Entschädigungsanspruch aus § 198 GVG einer Klägerin als Beteiligte am Ausgangsrechtsstreit nur als Ausfluss ihrer Mitgliedschaft in einer Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB) oder auch individualrechtlich in eigener Person zusteht.

8Offenbleiben kann, ob die Klägerin damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten, genau bezeichneten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert hat (vgl zu diesem Erfordernis - juris RdNr 7; - juris RdNr 7). Allein die pauschale Angabe von "§ 198 GVG" genügt dafür jedenfalls nicht, weil diese Norm aus sechs Absätzen besteht und das gesamte Prüfprogramm für einen Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer enthält. Aus den Ausführungen der Beschwerdebegründung lässt sich allerdings - wenn auch allenfalls mittelbar - noch erschließen, welche Fragestellung die Klägerin im Zusammenhang mit Erbengemeinschaften und Entschädigungsansprüchen wegen überlanger Verfahrensdauer für klärungsbedürftig hält. Jedoch gehört es nicht zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, hieraus anstelle des Beschwerdeführers die konkrete klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage erst noch zu formulieren (vgl stRspr; zB - juris RdNr 7).

9Selbst aber wenn man der von der Klägerin formulierten Frage die Qualität einer Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zubilligen wollte, hat sie deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN). Deshalb muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch die schon vorliegenden Entscheidungen die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN).

10Hieran fehlt es. Die Frage der persönlichen Reichweite des ÜGG hat der Gesetzgeber bereits durch die Legaldefinition des § 198 Abs 6 Nr 2 GVG beantwortet. Maßgebend ist demnach die Beteiligtenstellung in dem (als überlang gerügten) Ausgangsverfahren ( B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2 RdNr 28). Wie die Rechtsprechung des BSG zudem geklärt hat, können nach § 70 Nr 2 SGG auch Erbengemeinschaften als solche Beteiligte des sozialgerichtlichen Verfahrens sein (vgl hierzu - SozR 4-5868 § 1 Nr 8 RdNr 10; s auch bereits - SozR Nr 8 zu § 70 SGG - juris RdNr 2 unter Hinweis auf die Gesetzgebungsgeschichte; zur juristischen Person vgl B 10 ÜG 5/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 12 RdNr 31). Wie höchstrichterlich ebenfalls entschieden ist, steht in Fällen einer subjektiven Klagehäufung - anders als bei einer als solcher beteiligungsfähigen Personenmehrheit - der Entschädigungsanspruch jeder am Ausgangsverfahren beteiligten Person einzeln zu (vgl aaO RdNr 31; - juris RdNr 48; - juris RdNr 37). Die Beschwerde hat nicht dargelegt, welcher Klärungsbedarf trotz des Wortlauts des § 198 Abs 6 Nr 2 GVG und dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung insofern weiter besteht oder neu entstanden sein könnte.

11Schließlich fehlt es auch an der Darlegung, ob die von der Klägerin aufgeworfene Fragestellung in dem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt klärungsfähig (entscheidungserheblich) wäre. Denn die Beschwerdebegründung unterstellt mit der von ihr formulierten Frage, die Klägerin sei Beteiligte des Ausgangsverfahrens gewesen. Wie sich jedoch aus der Wiedergabe des angefochtenen Urteils in der Beschwerdebegründung ergibt, hat das Entschädigungsgericht als Beteiligte nicht die Klägerin, sondern nach § 70 Nr 2 SGG allein die im Ausgangsverfahren klagende Erbengemeinschaft angesehen, der auch die Klägerin angehörte. Nach Ansicht des Entschädigungsgerichts steht deswegen auch der Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer, den § 198 Abs 1 Satz 1 iVm § 198 Abs 6 Nr 2 GVG an die Beteiligteneigenschaft knüpft, nicht der Klägerin selbst, sondern ausschließlich der Erbengemeinschaft zur gesamten Hand zu. Zu dieser Verknüpfung von Beteiligteneigenschaft und Entschädigungsanspruch hat die Klägerin, wie ausgeführt, bereits keinen Klärungsbedarf dargelegt. Dass der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs 1 Satz 1 iVm § 198 Abs 6 Nr 2 GVG nach dem Wortlaut der Norm, wie ausgeführt, lediglich Beteiligten des Ausgangsverfahrens zusteht, stellt die Klägerin nicht infrage.

12Soweit sie sich mit ihrer Beschwerde gegen die Verneinung ihrer eigenen Beteiligteneigenschaft im Ausgangsverfahren und eines daraus abgeleiteten persönlichen Entschädigungsanspruchs wendet, kritisiert die Klägerin letztlich nur die aus ihrer Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung des Entschädigungsgerichts in ihrem Einzelfall (zur Möglichkeit der Prozessführung durch einzelne Miterben vgl - SozR 4-1500 § 75 Nr 18 RdNr 8 mwN). Damit rügt sie der Sache nach einen Rechtsanwendungsfehler, der als solcher nicht geeignet ist, die Revisionszulassung zu eröffnen (vgl stRspr; zB - juris RdNr 18; - juris RdNr 31).

13Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

142. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).

153. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:160123BB10UEG722B0

Fundstelle(n):
GAAAJ-36296