BGH Beschluss v. - XII ZB 29/20

Wiedereinsetzung bei fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung; Voraussetzungen einer Namensänderung eines Kindes

Leitsatz

1. Wird die Beschwerde in einer Familiensache beim nicht empfangszuständigen Oberlandesgericht eingelegt und entscheidet dieses trotz Unzulässigkeit der Beschwerde in der Sache, so kann das Rechtsbeschwerdegericht wegen der versäumten Beschwerdeeinlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers offenkundig ist und die zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung ausreichende Übersendung der Akten an das Amtsgericht von Amts wegen zu erfolgen hatte. Das Rechtsbeschwerdegericht kann in diesem Fall die Aktenübersendung selbst veranlassen.

2. Die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist nur dann für das Kindeswohl erforderlich, wenn gewichtige, über die mit der Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundene typische Interessenlage hinausgehende Gründe hierfür vorliegen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom - XII ZB 88/99, FamRZ 2002, 94). Von einer ohne Einbenennung entstehenden Gefährdung des Kindeswohls ist die Ersetzung der Einwilligung hingegen nicht abhängig (teilweise Aufgabe der Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 153/03, FamRZ 2005, 889 und vom - XII ZB 166/99, FamRZ 2002, 1330).

3. Ist nach umfassender Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen, hat das Familiengericht als mildere Maßnahme stets eine additive Einbenennung zu prüfen. Genügt diese den Belangen des Kindes, wird aber ein darauf gerichteter (Hilfs-)Antrag nicht gestellt, so ist die Ersetzung der Einwilligung abzulehnen.

Gesetze: § 1618 S 1 BGB, § 1618 S 2 BGB, § 1618 S 4 BGB, § 17 Abs 1 FamFG, § 17 Abs 2 FamFG, § 18 Abs 1 S 1 FamFG, § 18 Abs 3 S 3 FamFG, § 18 Abs 4 FamFG, § 58 FamFG, § 63 Abs 1 FamFG, § 64 Abs 1 S 1 FamFG, § 151 Nr 1 FamFG, § 233 ZPO, § 238 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 1 UF 140/19 Beschlussvorgehend AG Weilburg Az: 204 F 1168/18

Gründe

I.

1Das Verfahren betrifft die Ersetzung der Einwilligung des beteiligten Kindesvaters in die Einbenennung des 2008 geborenen Kindes.

2Das aus der Ehe der beteiligten Eltern hervorgegangene Kind trägt den Nachnamen des Kindesvaters. Die Ehe wurde im Jahr 2010 geschieden. Die Kindesmutter ist wiederverheiratet und hat den Namen ihres heutigen Ehemanns angenommen. Der Kindesmutter ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden. Wegen weiterer sorgerechtlicher Befugnisse hat der Kindesvater ihr Vollmacht erteilt.

3Die Kindesmutter hat die Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters in die Einbenennung des Kindes beantragt. Das Kind hat der Einbenennung zugestimmt. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. In der Rechtsbehelfsbelehrung ist darauf hingewiesen, dass der Beschluss mit der „sofortigen Beschwerde“ angefochten werden könne, welche beim Amtsgericht „oder“ beim Oberlandesgericht einzulegen sei. Das Oberlandesgericht hat auf das bei ihm von der anwaltlich nicht vertretenen Kindesmutter eingelegte Rechtsmittel die Einwilligung des Kindesvaters in die Erteilung des Ehenamens für das Kind antragsgemäß ersetzt.

4Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Kindesvaters, der die Verwerfung, hilfsweise die Zurückweisung der Erstbeschwerde erstrebt.

II.

5Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

61. Der angefochtene Beschluss ist nicht bereits wegen Unzulässigkeit der (Erst-)Beschwerde aufzuheben. Denn der Kindesmutter ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist zu gewähren.

7Zwar rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass die Beschwerde nicht in zulässiger Weise eingelegt worden ist. Die Kindesmutter hat diese nicht, wie in § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorgeschrieben, beim Amtsgericht, sondern beim Beschwerdegericht eingereicht. Eine Verwerfung der Beschwerde ist dennoch nicht auszusprechen, weil der Kindesmutter von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, was unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz erfolgen kann.

8a) Das Verfahren auf Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist eine Kindschaftssache im Sinne von § 151 Nr. 1 FamFG. Die in dem Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ergehende Endentscheidung unterliegt daher gemäß § 58 FamFG der Beschwerde, welche nach § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG bei dem Gericht einzulegen ist, dessen Beschluss angefochten wird. Das gilt gemäß § 11 Abs. 1 RPflG auch bei funktioneller Zuständigkeit des Rechtspflegers, die hier aufgrund von § 3 Nr. 2 lit. a RPflG gegeben ist. Durch die Einlegung der Beschwerde beim Beschwerdegericht ist vorliegend mithin die Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 1 FamFG nicht gewahrt worden.

9b) Der Kindesmutter ist indessen gemäß § 17 Abs. 1 FamFG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die gesetzliche Beschwerdefrist einzuhalten. Nach § 17 Abs. 2 FamFG wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Die im Beschluss des Amtsgerichts enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ist fehlerhaft. Entgegen den darin enthaltenen Angaben konnte die (richtig:) Beschwerde nicht in wirksamer Form beim Oberlandesgericht eingelegt werden. Aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung ist der nicht anwaltlich vertretenen Kindesmutter nicht anzulasten, dass sie die Beschwerde beim in der Rechtsbehelfsbelehrung als empfangszuständig angeführten Beschwerdegericht eingelegt hat. Dass die Kindesmutter insoweit kein Verschulden trifft, wird damit übereinstimmend auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.

10c) Der Senat kann die Wiedereinsetzung in eigener Zuständigkeit bewilligen (vgl. - NJW 2022, 199 Rn. 5). Eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 18 Abs. 1 FamFG bedurfte es hierzu nicht, weil die Wiedereinsetzung nach § 18 Abs. 3 Satz 3 FamFG von Amts wegen zu gewähren ist.

11aa) Die Nachholung der Beschwerdeeinlegung durch (erneute) Einreichung einer Beschwerdeschrift beim Amtsgericht war in der vorliegenden Fallkonstellation entbehrlich. Denn das Beschwerdegericht wäre nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehalten gewesen, das fälschlicherweise bei ihm eingelegte Rechtsmittel im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das für den Empfang zuständige Amtsgericht weiterzuleiten (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 19 ff. mwN; - FamRZ 2018, 282 Rn. 5 mwN). Zwar steht dies grundsätzlich unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass die Frist durch die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch eingehalten werden kann. Wenn aber die fehlerhafte Adressierung durch eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung im Ausgangsbeschluss verursacht worden ist, genügt es bereits, dass durch die Weiterleitung jedenfalls die Frist zur Nachholung nach § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG (ebenso § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO) noch gewahrt werden kann. Die Weiterleitung reicht zur Wiedereinsetzung aus, wenn die Voraussetzungen einer Bewilligung von Amts wegen nach § 18 Abs. 3 Satz 3 FamFG (ebenso § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO) gegeben sind.

12bb) Nach diesen Maßstäben hätte die Einlegung im vorliegenden Fall durch Weiterleitung an das Amtsgericht im Sinne von § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG nachgeholt werden müssen, ohne dass es eines erneuten Tätigwerdens der Kindesmutter bedurfte. Dadurch wäre auch die Wiedereinsetzungsfrist nach § 18 Abs. 1 Satz 1 FamFG ohne weiteres gewahrt worden, weil diese wegen unverschuldeter Unkenntnis der Kindesmutter von der Fristversäumung jedenfalls vor einer ordnungsmäßigen Belehrung seitens des Gerichts nicht zu laufen begonnen hat. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die - auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht anwaltlich vertretene - Kindesmutter aufgrund der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge von der Fristversäumung erfahren hat. Das gilt schon deshalb, weil von ihr die Kenntnis, dass die Beschwerdeeinlegung trotz abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens noch nachholbar war, nicht erwartet werden konnte.

13Die Wiedereinsetzung scheitert dementsprechend auch nicht an einer fehlenden Nachholung. Denn es darf der Kindesmutter nicht zum Nachteil gereichen, dass das Beschwerdegericht die Unzulässigkeit der Erstbeschwerde übersehen hat. Da der Sachverhalt, der die Wiedereinsetzung begründet, insoweit vollständig aktenkundig ist, konnte die bereits dem Beschwerdegericht obliegende Aktenübersendung an das Amtsgericht zur Vermeidung einer anderenfalls aus formellen Gründen notwendigen Zurückverweisung an das Beschwerdegericht vom Senat nachgeholt werden. Der Aufhebung und Zurückverweisung an das Beschwerdegericht wegen des Verfahrensfehlers hätte es unter diesen Umständen nur dann bedurft, wenn dieses die Erstbeschwerde verworfen hätte. Das ist hier indes nicht der Fall, weil das Beschwerdegericht in der Sache entschieden hat.

14cc) Die Wiedereinsetzung scheitert nicht am Ablauf der Jahresfrist nach § 18 Abs. 4 FamFG. Denn dieser hindert eine Wiedereinsetzung ausnahmsweise nicht, wenn die Fristversäumung allein dem Gericht zuzurechnen ist und nur durch die Wiedereinsetzung die verfassungsmäßigen Rechte des Beteiligten gewahrt werden können (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 27/09 - FamRZ 2011, 362 Rn. 37; Senatsbeschluss vom - XII ZB 179/07 - FamRZ 2008, 978 Rn. 15 f. mwN; - FamRZ 2016, 632 Rn. 8 mwN). Das ist hier der Fall. Die fehlerhafte Einlegung der Beschwerde beim Beschwerdegericht beruht auf der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung durch das Amtsgericht. Das Beschwerdegericht hat die Kindesmutter nicht über den Fehler aufgeklärt und die notwendige Aktenübersendung an das Amtsgericht nicht vorgenommen. Damit lagen die Umstände, die zum Ablauf der absoluten Wiedereinsetzungsfrist führten, allein in der Sphäre des Gerichts begründet.

152. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts, dessen Entscheidung in FamRZ 2020, 591 veröffentlicht ist, sind die Voraussetzungen für die Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters erfüllt, weil die Namensänderung gemäß § 1618 Satz 4 BGB zum Wohl des Kindes erforderlich sei.

16Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils erst bei Kindeswohlgefährdung ersetzt werden könne, lege hier einen zu hohen Maßstab an. Dagegen genüge die (niedrigere) Schwelle der Erforderlichkeit. Dass sich die Schwelle der Erforderlichkeit von derjenigen der Gefährdung deutlich unterscheide, ergebe sich nicht zuletzt aus § 1684 Abs. 4 BGB, der für eine Einschränkung bzw. einen Ausschluss des Umgangs die Schwelle der Erforderlichkeit genügen lasse, bei längerer Zeit (bzw. auf Dauer) hingegen eine Kindeswohlgefährdung verlange und damit zwei verschiedene Eingriffsschwellen festlege. Zur Erforderlichkeit bedürfe es jedenfalls außerordentlicher Belastungen des Kindes im Einzelfall. Diese seien aber (auch) dann gegeben, wenn die Namensänderung für das Kind solche Vorteile mit sich bringe, dass die Aufrechterhaltung des Namensbandes zum anderen Elternteil nicht zumutbar erscheine.

17Nach diesen Maßstäben ergebe eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen des Kindes, dass die Erforderlichkeitsschwelle im vorliegenden Fall erreicht sei. Denn bei einer Gesamtwürdigung überwögen die Gründe für eine Ersetzung der Einwilligung des Kindesvaters so deutlich, dass ein vernünftiger Elternteil nicht auf der Erhaltung des Namensbandes bestehen würde.

18Zwar könne nicht außer Betracht bleiben, dass der Kindesvater sich in einer schwierigen Lebenssituation befinde. Auch sei zu berücksichtigen, dass die gemeinsame Namensführung mit dem Kind ein wesentliches Band darstelle. Es sei jedoch in diesem Zusammenhang auch einzubeziehen, dass der Kindesvater immer wieder betone, diese Entscheidung auf Grund seiner aktuellen Lebenssituation nicht treffen und dem Kind auch nicht schaden zu wollen. Vor diesem Hintergrund relativiere sich sein im Rahmen der Gesamtabwägung berücksichtigungsfähiges schützenswertes Interesse. Auch die vorliegende Konstellation sei im Übrigen vom Normgehalt des § 1618 Satz 4 BGB erfasst. Damit werde nicht nur eine Konfliktlösung für einen expliziten Interessenwiderstreit der Eltern zur Verfügung gestellt, sondern dem anderen Elternteil die Entscheidung in den Fällen abgenommen, in denen er sich - aus welchen Gründen auch immer - zu einer Entscheidung nicht in der Lage sehe, indem ein Gericht auf Grund einer am Kindeswohl orientierten Prüfung des Einzelfalls darüber befinde, ob seine Erklärung zu ersetzen sei.

19Dabei sei in die Abwägung weiter einzubeziehen, dass das Kind seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr mit dem Kindesvater habe. Dies entspreche auch dem Willen des Kindes, wobei es auf die näheren Umstände dieser Willensbildung im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich ankomme, da auch der fehlerhaft gebildete oder unter Einfluss entstandene Wille des Kindes für dieses derzeit jedenfalls seine psychische Realität darstelle.

20Im Rahmen der Kindeswohlprüfung seien hingegen die außerordentlichen Belastungen des Kindes durch die Namensverschiedenheit schwerwiegend. Diese gingen über bloße Unannehmlichkeiten hinaus. Die „sozialarbeiterische Stellungnahme“ des Jugendamtes mache diese Belastungen des Kindes, die auch erstinstanzlich im Rahmen der Kindesanhörung zu Tage getreten seien, besonders deutlich, da das Kind sich hier derart belastet gezeigt habe, dass es stetig den Tränen nahe gewesen sei, wenn es um die Frage der Namensänderung ging. Daneben sei die mit der Namensänderung erst hergestellte Namensgleichheit mit dem jüngeren, in der Familie lebenden Geschwisterkind ein beachtlicher und für die Kindeswohlerforderlichkeit sprechender Gesichtspunkt.

21Da der Name eines Kindes auch eine persönlichkeitsrechtliche Komponente habe, sei im Rahmen der Abwägung auch dem Kindeswillen Rechnung zu tragen, der vorliegend ebenfalls für eine Ersetzung der Einwilligung spreche. So habe das Kind mit einem Alter von elf Jahren einen Entwicklungsstand erreicht, bei dem der Kindeswille bzw. der Wunsch des Kindes nach einer Namensänderung zwar einerseits nicht ausschlaggebend sei, andererseits aber auch nicht gänzlich außer Betracht bleiben könne.

22Nach alledem führe der - grundsätzlich bedeutsame - Gesichtspunkt der Namenskontinuität nicht zu einer anderen Betrachtung. Die Frage der Namensänderung sei deutlich von derjenigen des Umgangs zu unterscheiden. Wenn der Kindesvater wirklich ein nachhaltiges Interesse an seiner Tochter habe, bleibe es ihm unbenommen, nach seiner Gesundung behutsam und unter Einbeziehung der Beratung und Hilfestellung des Jugendamts den Kontakt wieder anzubahnen. Die Klarheit der Namensänderung könne hier auch eine Hilfestellung sein.

23Eine erneute Anhörung des Kindes sei mit Blick auf dessen Alter, den Verfahrensgegenstand sowie die erstinstanzlich bereits erfolgte Anhörung nicht erforderlich gewesen, da entscheidungserhebliche neue Erkenntnisse von dieser nicht zu erwarten seien und das Kind durch das Verfahren ohnehin erheblich belastet sei.

243. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

25a) Nach § 1618 Satz 1 BGB können der Elternteil, dem die elterliche Sorge für ein Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil zusteht, und sein Ehegatte, der nicht Elternteil des Kindes ist, dem Kind, das sie in ihren gemeinsamen Haushalt aufgenommen haben, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt ihren Ehenamen erteilen. Dies bedarf nach § 1618 Satz 3 BGB der Einwilligung des anderen Elternteils, wenn ihm die elterliche Sorge gemeinsam mit dem den Namen erteilenden Elternteil zusteht oder das Kind seinen Namen führt, und, wenn das Kind das fünfte Lebensjahr vollendet hat, auch der Einwilligung des Kindes. Nach § 1618 Satz 4 BGB kann das Familiengericht die Einwilligung des anderen Elternteils ersetzen, wenn die Erteilung des Namens zum Wohl des Kindes erforderlich ist.

26Gemäß § 1618 Satz 2 Halbsatz 1 BGB können der Elternteil und sein Ehegatte den Ehenamen unter den gleichen Voraussetzungen auch dem vom Kind zur Zeit der Erklärung geführten Namen voranstellen oder anfügen.

27b) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Erforderlichkeit der Einbenennung eine außerordentliche, durch die Namensdifferenz ausgelöste Belastung des Kindes voraus. Als für das Kindeswohl erforderlich ist eine Einbenennung danach nur anzusehen, wenn andernfalls schwerwiegende Nachteile für das Kind zu befürchten wären oder die Einbenennung zumindest einen so erheblichen Vorteil für das Kind darstellen würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Namensbandes nicht bestehen würde (Senatsbeschluss vom - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94, 95).

28aa) Danach genügt es nicht, dass eine Namensänderung wünschenswert und dem Kindeswohl dienlich erscheint, um eine „Erforderlichkeit“ zum Wohl des Kindes begründen zu können. Der Neufassung des § 1618 BGB durch Art. 1 Nr. 7 des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom (BGBl. I S. 2942), mit der die bisherige Formulierung „dem Kindeswohl dienlich“ durch „für das Kindeswohl erforderlich“ ersetzt worden ist, stellt eine Verschärfung der Voraussetzungen für die Ersetzung der Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils dar und dient ausdrücklich dem Zweck, die Bindung des Kindes an den namensgebenden Elternteil zu unterstreichen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94, 95). Die Einwilligung des namensgebenden Elternteils ist mithin nicht schon dann zu ersetzen, wenn die Gründe für eine Einbenennung die dagegen sprechenden Gründe überwiegen. Denn anders als in Fällen der Anträge nach §§ 1671 und 1626 a BGB (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 211, 22 = FamRZ 2016, 1439 Rn. 10 ff. mwN) hat der Gesetzgeber die mit dem Wechsel des Kindes in die von einem Elternteil begründete Stieffamilie typischerweise verbundene Interessenlage für die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung nicht als ausreichend angesehen und es dementsprechend im Regelfall bei der Namenskontinuität belassen. Diese bewusste gesetzgeberische Entscheidung gilt unverändert fort. Sie kann folglich nicht mit rechtspolitischen Erwägungen wie einer (vermeintlich) gesunkenen gesellschaftlichen Relevanz der Wahl des Familiennamens für das Kindeswohl (so etwa OLG Frankfurt FamRZ 2022, 264, 266) in Frage gestellt werden.

29Die typischerweise mit einer Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundenen Interessen genügen daher für sich genommen noch nicht, um die Erforderlichkeit der Einbenennung für das Kindeswohl zu begründen. Zu diesen typischen Interessen des Kindes gehört dessen Bedürfnis nach einer namensmäßigen Integration in die Stieffamilie wie auch die erwünschte Namensübereinstimmung mit hinzugetretenen (Halb-)Geschwistern. Auch ein etwa in der Schule bestehender Erklärungsbedarf für die Namensverschiedenheit zum nicht namensgebenden Elternteil und zu Geschwistern stellt eine typische Folge des Wechsels in eine neu gegründete Familie dar. Diese gehört zur Biografie des Kindes, deren namensmäßige Offenbarung vom Gesetzgeber mit der im Regelfall aufrechtzuerhaltenden Kontinuität des von Eltern gewählten Namens des Kindes vorgegeben worden ist.

30bb) Soweit der Senat die Ersetzung der Einwilligung des anderen Elternteils über die vorstehend aufgeführten Grundsätze hinausgehend erst dann als erforderlich angesehen hat, wenn konkrete Umstände vorliegen, die das Kindeswohl gefährden, und wenn die Einbenennung daher unerlässlich ist, um Schaden vom Kind abzuwenden (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 153/03 - FamRZ 2005, 889, 890 und vom - XII ZB 166/99 - FamRZ 2002, 1330; ebenso zuletzt OLG Saarbrücken FamRZ 2022, 1196), ist daran nicht festzuhalten (insoweit zutreffend auch OLG Frankfurt FamRZ 2022, 264, 265 f.; vgl. auch BVerwG FamRZ 2002, 1104, 1108). Denn auch durch die Umstellung des Maßstabs für die Ersetzung der Einwilligung hat der Gesetzgeber eine Kindeswohlgefährdung, welche die Schwelle für die am schwersten wiegenden Eingriffe in das Elternrecht nach § 1666 BGB darstellt, nicht zur Voraussetzung der Ersetzung der Einwilligung erhoben. Gegen eine Heranziehung des Maßstabs der Kindeswohlgefährdung wird dementsprechend vom Beschwerdegericht zu Recht angeführt, dass schon von der gleichzeitig eingeführten Neuregelung in § 1684 Abs. 4 BGB ausdrücklich zwischen Kindeswohlerforderlichkeit und -gefährdung unterschieden wurde (insoweit zutreffend OLG Frankfurt FamRZ 2022, 264, 265; OLG Koblenz StAZ 2013, 354, 355; Fahrenbach/Liceni-Kierstein NZFam 2020, 201, 203; Staudinger/Lugani BGB [2020] § 1618 Rn. 27).

31cc) Ist nach umfassender Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen, hat das Familiengericht stets zu prüfen, ob zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine additive Einbenennung als mildere Maßnahme ausreicht, um die berechtigten Interessen des Kindes zu wahren (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94, 95; Erman/Döll BGB 16. Aufl. § 1618 Rn. 8 mwN). Genügt die additive Einbenennung den Belangen des Kindes, so darf die Einwilligung des namensgebenden Elternteils auch nur insoweit ersetzt werden.

32c) Nach diesen Maßstäben begründen die vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen die von ihm ausgesprochene Ersetzung der Einwilligung nicht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die vom Beschwerdegericht durchgeführte Sachaufklärung nicht ausreichend ist und dieses zudem die Alternative einer additiven Einbenennung nicht in Betracht gezogen hat.

33aa) Zu Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde die Auffassung des Beschwerdegerichts, das Interesse des Kindesvaters „relativiere“ sich, weil er sich aufgrund seiner aktuellen Lebenssituation nicht für eine Einwilligung in die Einbenennung entscheiden könne und dem Kind auch nicht schaden wolle. Denn die für den vorliegenden Verfahrensgegenstand erforderliche Entscheidung hat der Kindesvater eindeutig dahin getroffen, die Einwilligung nicht zu erteilen. Davon hatte das Beschwerdegericht mithin auch auszugehen (vgl. Opris FamRZ 2020, 593).

34bb) Ebenfalls nicht frei von Rechtsbedenken bleibt die Erwägung des Beschwerdegerichts, zwischen Vater und Kind bestehe seit vielen Jahren kein Kontakt.

35Die für das Wohl des Kindes wichtige Aufrechterhaltung seiner Beziehung zu dem nicht sorgeberechtigten Elternteil ist hingegen auch dann von Bedeutung, wenn der Kontakt zu diesem weitgehend abgebrochen ist und durch die Einbenennung als nach außen sichtbarer endgültiger Ablösung von ihm verfestigt würde (Senatsbeschluss vom - XII ZB 88/99 - FamRZ 202, 94, 95). Dies schließt eine schematische Anknüpfung an die bloße Dauer des Kontaktabbruchs im Rahmen der Interessenabwägung aus. Vielmehr ist es erforderlich, die im Einzelfall für das Fehlen des Kontakts zwischen Kind und Elternteil bestehenden Gründe in den Blick zu nehmen.

36Dabei hat der vom Kind geäußerte Wille bei kleineren Kindern vornehmlich Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen, ist mit zunehmendem Alter jedoch auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam (vgl. § 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der Kindeswille ist nur insoweit zu berücksichtigen, als er dem Kindeswohl entspricht. Schließlich ist in tatsächlicher Hinsicht in Rechnung zu stellen, dass ein durch einen Elternteil maßgeblich beeinflusster Kindeswille grundsätzlich nicht beachtlich ist (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 31). Im Rahmen der gebotenen Aufklärung des Kindeswohls ist der geäußerte Kindeswille dementsprechend stets mit Rücksicht auf die Umstände seiner Bildung zu beurteilen und zu gewichten (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 512/18 - FamRZ 2020, 255 Rn. 29).

37Die Motivation des betroffenen Kindes für die Ablehnung des Kontakts mit dem - aufgrund psychischer Erkrankung in einer schwierigen Lebenssituation befindlichen - Kindesvater ist mithin erheblich. Diese durfte vom Beschwerdegericht nicht offengelassen werden. Die alleinige Begründung des Beschwerdegerichts, auch der fehlerhaft gebildete oder unter Einfluss entstandene Wille des Kindes stelle für dieses jedenfalls seine psychische Realität dar, verkürzt die Kindeswohlbeurteilung in unzulässiger Weise. Die Rechtsbeschwerde rügt demnach zu Recht, dass das Beschwerdegericht insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat (vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 298/15 - FamRZ 2017, 119 Rn. 18 f.).

38cc) Soweit im angefochtenen Beschluss außerordentliche Belastungen des Kindes durch die Namensverschiedenheit angeführt sind, rügt die Rechtsbeschwerde ebenfalls zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerdegericht das betroffene Kind nicht persönlich angehört hat. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung unter anderem auf die erstinstanzliche Kindesanhörung abgestellt, wo das Kind stetig den Tränen nahe gewesen sei, wenn es um die Frage der Namensänderung gegangen sei. Damit hat das Beschwerdegericht die Anhörung des Kindes im Ergebnis abweichend vom Amtsgericht gewürdigt, das darin keinen hinreichenden Grund für die Erforderlichkeit der Einbenennung gesehen hat. Wegen dieser geänderten Beweiswürdigung hätte das Beschwerdegericht die Anhörung aber wiederholen müssen, um eine tragfähige Grundlage für eine abweichende, nicht zuletzt auch vom persönlichen Eindruck von dem betroffenen Kind abhängige Feststellung zu erlangen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 350/16 - FamRZ 2017, 1668 Rn. 23; vgl. auch Senatsurteil vom - XII ZR 54/97 - juris Rn. 17; - NJW 2000, 1199, 1200; Musielak/Voit/Ball ZPO 19. Aufl. § 529 Rn. 14, jeweils zur erneuten Zeugenvernehmung im Berufungsverfahren).

39dd) Auch bei unterstellter Erforderlichkeit der Einbenennung kann der angefochtene Beschluss im übrigen deswegen keinen Bestand haben, weil in diesem Fall die additive Einbenennung als milderes Mittel zu erwägen gewesen wäre. Die Möglichkeit der additiven Einbenennung ist vom Beschwerdegericht indessen außer Acht gelassen worden.

40Das Beschwerdegericht war dieser Prüfung nicht deshalb enthoben, weil die Kindesmutter keinen entsprechenden (Hilfs-)Antrag gestellt hat. Denn die mildere Möglichkeit der additiven Einbenennung ist unabhängig von der konkreten Antragstellung stets in Betracht zu ziehen, weil sie den berechtigten Interessen des Kindes bereits genügen und diese zugleich mit denen des namensgebenden Elternteils in einen angemessenen Ausgleich bringen kann. Da der namensgebende Elternteil keinen Einfluss auf die Antragstellung hat, könnte der antragstellende Elternteil anderenfalls entgegen der gesetzlichen Konzeption die Zahl der Entscheidungsmöglichkeiten unzulässig verengen und damit den vom Gesetz bezweckten schonenden Interessenausgleich verhindern.

41Wird der Antrag wie im vorliegenden Fall ohne Einschränkung gestellt, hat das Gericht den antragstellenden Elternteil auf die Sachgerechtigkeit eines auf die additive Einbenennung gerichteten Hilfsantrags hinzuweisen (vgl. Fahrenbach/Liceni-Kierstein NZFam 2020, 201, 204). Stellt dieser einen solchen Antrag hingegen nicht, obwohl die additive Einbenennung den berechtigten Interessen des Kindes entspricht, so ist der Antrag mangels Erforderlichkeit der beantragten Einwilligungsersetzung zurückzuweisen.

424. Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Das Beschwerdegericht wird nach der Zurückverweisung das Kind anzuhören haben, um die erforderlichen Feststellungen nachzuholen. Gelangt es aufgrund dessen erneut zu dem Ergebnis, dass die Einbenennung für das Kindeswohl erforderlich ist, so wird es zu erwägen haben, ob die additive Einbenennung zur Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Kindes ausreichend ist, und die Kindesmutter gegebenenfalls auf die Sachgerechtigkeit eines darauf gerichteten (Hilfs-)Antrags hinweisen müssen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:250123BXIIZB29.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 1215 Nr. 17
NJW 2023 S. 1219 Nr. 17
NJW 2023 S. 8 Nr. 10
LAAAJ-34067