BGH Urteil v. - VIa ZR 162/22

Instanzenzug: Az: 7 U 130/21 Urteilvorgehend Az: 3 O 303/20 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug der Marke Audi auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am von einem Audi-Vertragshändler einen Neuwagen Audi A5 Sportback 2.0 TDI zum Preis von 35.653,34 € brutto. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Motor des Typs EA 189 ausgestattet, der über die bekannte Umschaltlogik (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff.) verfügt.

3Am trat der Kläger seine bestehenden und künftigen Ansprüche "aus unerlaubter Handlung Audi" im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal an die financialright GmbH (nachfolgend: Inkassodienstleister) ab und ermächtigte den Inkassodienstleister, "diese Abtretung Audi anzuzeigen". Der Inkassodienstleister verfügt über eine Registrierung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) für den Bereich Inkassodienstleistungen und bietet Fahrzeugkäufern, die ein mit dem Motor EA 189 ausgestattetes Fahrzeug erworben haben, nach treuhänderischer Abtretung die außergerichtliche und gerichtliche Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche im Wege der Anspruchshäufung an. Als Vergütung ("Erfolgsprovision") für seine Tätigkeit erhält er im Erfolgsfall einen Anteil von 35% auf die tatsächlich in Ansehung der Entschädigungsansprüche durchgesetzten Beträge. Bei Erfolglosigkeit seiner Bemühungen sollen den Auftraggebern hingegen keine Kosten entstehen. Außerdem ist er zum Abschluss eines widerruflichen Vergleichs berechtigt. Im Falle des Vergleichswiderrufs sind die Auftraggeber dabei zur Zahlung der Vergütung verpflichtet, die beim Bestand des Vergleichs angefallen wäre. Zur Absicherung des Prozesskostenrisikos schloss der Inkassodienstleister einen Vertrag mit einem Prozessfinanzierer. Dieser stellte dem Inkassodienstleister ebenfalls gegen Zahlung eines Erfolgshonorars einen Geldbetrag von 30.000.000 € für die Prozessführung zur Verfügung.

4Der Inkassodienstleister erhob am beim Landgericht Braunschweig eine Sammelklage (3 O 2423/17*184*) gegen die Beklagte, mit der die Begehren mehrerer tausend Kunden gebündelt wurden. Die Sammelklage beinhaltete auch die Schadensersatzansprüche des Klägers. Auf Veranlassung des Inkassodienstleisters meldete der Kläger zudem am Schadensersatzansprüche zum Klageregister der beim Oberlandesgericht Braunschweig laufenden Musterfeststellungsklage (4 MK 1/18) an, die am beendet wurde.

5Unter dem erklärte der Inkassodienstleister die Rückabtretung der abgetretenen Ansprüche an den Kläger. Die "Sammelklage" wurde insoweit am zurückgenommen.

6Mit der am erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte zuletzt auf Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, hilfsweise Zahlung von 25% des Kaufpreises, sowie Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Einrede der Verjährung erhoben.

7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

8Die unbeschränkt zugelassene (vgl. , NJW 2022, 321 Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 5) und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die vom Kläger daneben vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist - wie die Revisionsbegründung zutreffend ausführt - gegenstandslos (vgl. , BGHZ 213, 52 Rn. 6).

I.

9Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

10Der Kläger habe gegen die Beklagte grundsätzlich einen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB, dem die Beklagte jedoch mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegenhalten könne (§ 214 Abs. 1 BGB). Die dreijährige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, die mit Schluss des Jahres 2016 zu laufen begonnen habe, sei mit dem abgelaufen. Durch die Beteiligung des Klägers an der "Sammelklage" des Inkassodienstleisters vor dem Landgericht Braunschweig sei die Verjährung nicht gehemmt worden. Denn eine materielle Berechtigung des Inkassodienstleisters zur Durchsetzung der Ansprüche des Klägers habe nicht bestanden, da deren treuhänderische Abtretung gemäß § 134 BGB nichtig gewesen sei. Die Rechtsdienstleistungstätigkeit des Inkassodienstleisters verstoße gegen das Verbotsgesetz des § 3 RDG, weil sie von vornherein auf die gerichtliche Durchsetzung tausender heterogener Forderungen gegen die Beklagte in Form der "Sammelklage" abgezielt habe und daher nicht von der Inkassodienstleistungsbefugnis gedeckt sei. Darüber hinaus verstoße das Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters gegen § 4 RDG. Es bestehe eine doppelte Interessenkollision: Zum einen sei der Inkassodienstleister dem kommerziellen Prozessfinanzierer zur möglichst gewinnbringenden Prozessführung und zur Zahlung eines Erfolgshonorars verpflichtet und zum anderen zugleich zigtausenden Auftraggebern zur bestmöglichen Durchsetzung ihrer vermeintlichen, heterogenen und zum Teil ungeprüften Ansprüche, was sich im Ergebnis zu Lasten der Auftraggeber auswirke. Außerdem sei im konkreten Fall keine Zustimmung der Auftraggeber zu einem Vergleichsschluss erforderlich, sondern es bestehe nur die Möglichkeit zum Widerruf bei gleichzeitiger Vergütungspflicht, weswegen der einzelne Auftraggeber einem erheblichen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt sei und nicht frei entscheiden könne. Aus der undifferenzierten Massenbündelung heterogener Ansprüche folge für die einzelnen Auftraggeber überdies das Risiko einer nachteiligen Befriedigung. Im Übrigen sei die Verjährung auch durch Anmeldung der Ansprüche des Klägers zum Klageregister der Musterfeststellungsklage mangels hinreichender Individualisierung der Ansprüche nicht gehemmt worden. Schließlich stehe dem Kläger gegen die Beklagte als bloße Motorenherstellerin kein Restschadensersatzanspruch aus § 852 Satz 1 BGB zu.

II.

11Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

121. Als frei von Rechtsfehlern erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe gegen die Beklagte im Grundsatz ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff.). Die Revision erinnert insoweit auch nichts.

132. Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die dreijährige Regelverjährungsfrist nach § 195 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen begonnen hat, sodass der Durchsetzbarkeit des mit der Klage vom erhobenen Anspruchs des Klägers aus §§ 826, 31 BGB grundsätzlich die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegensteht (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff., 29 ff.). Auch diese Beurteilung wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht angezweifelt.

143. Rechtlich zutreffend und von der Revision ebenfalls nicht in Zweifel gezogen hat das Berufungsgericht zudem eine Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB durch die Anmeldung der Ansprüche des Klägers vom zum Klageregister der Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig (4 MK 1/18) verneint. Denn die Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB lagen mangels hinreichender Individualisierung der Angaben zum Gegenstand und Grund des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses des Klägers (§ 608 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO) nicht vor, sodass die Anmeldung unwirksam war (vgl. VIa ZR 171/22, juris). Dies gilt unabhängig davon, wem im Hinblick auf die Abtretung vom der streitgegenständliche Anspruch am zustand.

154. Dagegen halten die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es eine Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die am vom Inkassodienstleister beim Landgericht Braunschweig erhobene Sammelklage verneint hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

16a) Der Senat hat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden, dass das Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters, sich massenhaft Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen der in den Motor des Typs EA 189 implementierten Software treuhänderisch abtreten zu lassen und diese primär in einer Sammelklage nach § 260 ZPO gerichtlich geltend zu machen, von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG umfasst und erlaubt ist (vgl. VIa ZR 418/21, WM 2022, 1835 Rn. 11 ff. mwN, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ) und nicht gegen § 4 RDG aF (nunmehr: § 4 Satz 1 RDG) verstößt, soweit der Inkassodienstleister gegenüber allen Auftraggebern jeweils zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet ist, angeblich heterogene Ansprüche bündelt und sich zur Durchsetzung der abgetretenen Forderungen der Unterstützung eines externen Prozessfinanzierers bedient (vgl. aaO, Rn. 48 ff. mwN).

17b) Davon ausgehend war die Tätigkeit des Inkassodienstleisters durch die ihm nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG und § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG in der Fassung vom erteilte Erlaubnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Bereich Inkassodienstleistungen gedeckt. Mithin war die Abtretung der Ansprüche an den Inkassodienstleister weder nach § 3 RDG i.V.m. § 134 BGB noch nach § 4 RDG aF i.V.m. § 134 BGB nichtig.

18c) Eine Nichtigkeit der Abtretung nach §§ 3, 4 RDG i.V.m. § 134 BGB ergibt sich entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht insoweit, als sich die angefochtene Entscheidung darauf stützt, dass die vom Inkassodienstleister eingereichten Unterlagen nicht nur zahllose Lücken, Widersprüche und Unstimmigkeiten aufwiesen, sondern auch offenkundig sachfremde und überflüssige Dokumente sowie defektes Datenmaterial enthielten. Denn anders als die Beklagte noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts weder die Schlussfolgerung, der Inkassodienstleister habe mit der vorliegenden Sammelklage in erheblichem Umfang unberechtigte Klageverfahren eingeleitet, noch die Schlussfolgerung, das Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters kalkuliere den Missbrauch der Rechtsweggarantie ein und sei darauf angelegt, streitige, aber tatsächlich unbegründete Ansprüche zu bündeln, um mittels hierdurch erzielter Verhandlungsmacht den Anspruchsgegner zum Abschluss eines so nicht mehr gerechtfertigten Vergleichs zu zwingen.

19aa) Unbeschadet dessen, dass die Erhebung einer unzulässigen Sammelklage im Jahr 2017 nicht zu einer Unwirksamkeit der Abtretung der Ansprüche an den Inkassodienstleister im Jahr 2016 gemäß § 134 BGB führen könnte, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon nicht davon auszugehen, dass der Inkassodienstleister vorliegend mit der Sammelklage in erheblichem Umfang von vornherein unberechtigte Klageverfahren eingeleitet hätte. Denn das Berufungsgericht hat keinerlei Feststellungen dazu getroffen, wie viele Klageverfahren in der den Kläger betreffenden Sammelklage (3 O 2423/17*184*) gebündelt und wie viele davon von vornherein unberechtigt waren. Zwar hat das Berufungsgericht insoweit auf den Schriftsatz der Beklagten vom und die dazu vorgelegte Anlage BE 5 Bezug genommen. Diese bezieht sich aber nicht auf die den Kläger betreffende Sammelklage, sondern auf eine weitere vor dem Landgericht Braunschweig anhängige Sammelklage (3 O 5657/18 (903)), und rechtfertigt schon deswegen nicht die Schlussfolgerung, der Inkassodienstleister habe vorliegend mit der Sammelklage in erheblichem Umfang von vornherein unberechtigte Klageverfahren eingeleitet.

20bb) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung der Beklagten kann aus den zu einer anderen Sammelklage vorgetragenen Unstimmigkeiten auch nicht auf ein - unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Rechtsverkehrs gegen den in § 1 Abs. 1 Satz 2 RDG genannten Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes verstoßendes - Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters geschlossen werden, das den Missbrauch der Rechtsweggarantie einkalkuliere, und darauf angelegt sei, streitige, aber tatsächlich unbegründete Ansprüche zu bündeln, um mittels hierdurch erzielter Verhandlungsmacht den Anspruchsgegner zum Abschluss eines so nicht mehr gerechtfertigten Vergleichs zu zwingen. Anhaltspunkte dafür, dass der Inkassodienstleister bei der Abtretung der Ansprüche solche Ziele verfolgt haben sollte, sind weder dargelegt noch ersichtlich. Sind die mit einer Sammelklage gebündelten Ansprüche teilweise derart offenkundig unzulässig bzw. unbegründet, wie das Berufungsgericht vorliegend angenommen hat, ist auch nicht nachvollziehbar, warum dadurch eine erhöhte Verhandlungsmacht erzielt werden sollte. Angesichts der Ausgestaltung des Geschäftsmodells des Inkassodienstleisters, der eine Vergütung nur im Erfolgsfall beanspruchen kann, erscheint ein solches Vorgehen auch nicht eben naheliegend. Im Übrigen hat die Beklagte auch im Revisionsverfahren nicht dargelegt, warum der Anspruchsgegner oder auch Gerichte dadurch einer höheren Verhandlungsmacht gegenüberstehen sollten, weil das Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters die Bündelung einer Vielzahl von Einzelforderungen vorsieht, statt die Forderungen jeweils gesondert einzuklagen.

21cc) Im Übrigen kann gerade in einem gerichtlichen Verfahren einem etwaigen Missbrauch durch von vornherein unberechtigte Klageverfahren mit den zur Verfügung stehenden zivilprozessualen Mitteln, etwa § 145 ZPO oder Teilentscheidungen, am ehesten - mit den entsprechenden Kostenfolgen für den Inkassodienstleister - Einhalt geboten werden. Zudem besteht für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einer Mitteilung an die Aufsichtsbehörde zur Einleitung eines Widerrufsverfahrens nach § 14 RDG (vgl. , BGHZ 230, 255 Rn. 34).

III.

22Das Berufungsurteil, das sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, kann danach keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht zugleich Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zum Umfang der Abtretung der Ansprüche des Klägers an den Inkassodienstleister nachzuholen, insbesondere ob die Abtretung nach ihrem Wortlaut überhaupt auch Ansprüche gegen die Beklagte beinhaltete.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:241022UVIAZR162.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-29288