BGH Beschluss v. - IV ZR 63/22

Instanzenzug: Az: 25 U 5724/21vorgehend LG München I Az: 25 O 2416/21

Gründe

1I. Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger gegen die Beklagte Ansprüche aus einer bei dieser seit 2011 gehaltenen Betriebsschließungsversicherung wegen der Schließung seiner Gastwirtschaft im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zustehen.

2Das Landgericht hat die Klage, mit welcher der Kläger Versicherungsleistungen für einen Zeitraum ab dem , in dem er seine Gastwirtschaft schließen musste, geltend macht, abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

3II. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

41. Mit Urteil vom (IV ZR 144/21, VersR 2022, 312-318) hat der Senat entschieden, dass bei einer Bedingungslage wie der dort maßgeblichen Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen besteht, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem in dem Klauselwerk aufgeführten Katalog (dort in § 2 Nr. 2 der "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008" (ZBSV 08)), der abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt. Die dortigen Ausführungen gelten im Streitfall entsprechend, dem im Wesentlichen identische Bedingungen zugrunde liegen.

5Damit ist die hier entscheidungserhebliche Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung geklärt, und der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts gegebene Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist entfallen.

62. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsurteil steht in Einklang mit dem vorgenannten Senatsurteil. Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

7a) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Kläger keinen Anspruch aus gewohnheitsrechtlicher Erfüllungs- oder Vertrauenshaftung.

8Dabei bedarf hier keiner Entscheidung, ob dieses Rechtsinstitut durch die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes mit Wirkung ab dem fortbesteht (bejahend OLG Frankfurt, VersR 2012, 342 [juris Rn. 39]; verneinend juris Rn. 119; zum Meinungsstand in der Literatur vgl. MünchKomm-VVG/Reiff, 3. Aufl. § 69 Rn. 101). Im Streitfall kommt ein solcher Anspruch unabhängig von der Beantwortung der Frage der Fortgeltung dieses Rechtsinstituts nicht in Betracht.

9Der Anspruch aus gewohnheitsrechtlicher Erfüllungs- oder Vertrauenshaftung ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn den Versicherungsnehmer ein erhebliches eigenes Verschulden an seinen irrigen Vorstellungen zum Inhalt der Vertragsbedingungen trifft; § 254 BGB ist hier nicht anwendbar (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 115/76, VersR 1978, 457 [juris Rn. 21]; , BGHZ 40, 22 unter II 2. [juris Rn. 12]). Ein solcher Vorwurf ist hier dem Kläger zu machen. Er hat vorgetragen, "den tatsächlichen Vorgang der Antragstellung" habe er "nur insofern begleitet, als dass er seine Unterschrift, auf Empfehlung von Frau W       , geleistet" habe. Diese habe geäußert, dass er "bei einer möglichen Betriebsschließung(en), z.B. wegen Bakterien und Viren, von einem Monat oder länger pauschal 66.000 € von der Beklagten erhalten würde". Insbesondere mit Blick darauf, dass der Kläger als Gewerbetreibender bei der Beklagten bereits andere Versicherungen unterhielt, musste ihm bewusst sein, dass der Umfang des Versicherungsschutzes im Wesentlichen von dem Inhalt Allgemeiner Versicherungsbedingungen bestimmt wird. Hier kommt entscheidend hinzu, dass die vorgebliche Beschreibung des Gegenstands der Versicherung durch die Versicherungsvertreterin der Beklagten erkennbar nur schlagwortartig und werbend erfolgt war (vgl. zu derartig werbenden Angaben zum Umfang des Versicherungsschutzes OLG Hamm VersR 2021, 1232 [juris Rn. 35]). Es bei dieser denkbar allgemein gehaltenen Beschreibung des Versicherungsschutzes zu unterlassen, sich nach Einzelheiten zu erkundigen und auf die Überlassung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor Antragsunterzeichnung zu bestehen, stellt eine erhebliche, dem Kläger zuzurechnende Nachlässigkeit dar, die zum Ausschluss des Anspruchs aus gewohnheitsrechtlicher Erfüllungs- oder Vertrauenshaftung führt (vgl. , BGHZ 40, 22 [juris Rn. 17]; Senatsurteil vom - IV ZR 115/76, VersR 1978, 457 [juris Rn. 22]).

10b) Soweit der Kläger erstmals in der Revisionsinstanz ergänzend einen Schadensersatzanspruch aus § 6 Abs. 5 VVG verfolgt, ergibt sich auch hieraus keine Erfolgsaussicht für sein Rechtsmittel. Die Beklagte hat keine Beratungspflicht im Hinblick auf mögliche Deckungslücken im Sinne von § 6 Abs. 1 und 4 VVG verletzt, da für eine entsprechende Beratung kein erkennbarer Anlass bestand (vgl. hierzu Rudy in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 6 Rn. 45 f.).

11c) Entgegen der Ansicht der Revision kann der Kläger seinen Anspruch auch nicht auf §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB stützen. Der Klage liegt die Auffassung zugrunde, der Kläger habe auf der Grundlage der Äußerungen der Versicherungsvertreterin einen Anspruch auf Zahlung der vollen Versicherungssumme unabhängig von der Dauer der Betriebsschließung; dies folgt aus der Geltendmachung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung durch den Kläger in dieser Höhe sofort nach Anordnung der Schließung am . Der Schadenersatzanspruch des Klägers in Gestalt der sog. Quasideckung (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 243/17, VersR 2018, 1119 Rn. 23) hätte somit unter anderem vorausgesetzt, dass die Versicherungsvertreterin einen solchen Anspruch als Gegenstand des Leistungsversprechens der Beklagten angekündigt hat. Hieran aber fehlt es. Nach dem Vortrag des Klägers soll die Versicherungsvertreterin der Beklagten geäußert haben, dass er im Fall einer Betriebsschließung "von einem Monat oder länger pauschal 66.000,00 € von der Beklagten erhalten würde". Ein sofort nach Schließung fälliger Anspruch auf die volle Versicherungsleistung lässt sich den vorgeblichen Äußerungen der Versicherungsvertreterin der Beklagten nicht entnehmen.

12Der Kläger hat auch nichts dazu vorgetragen, dass er das Risiko einer Betriebsschließung bei einem anderen Versicherer zu den der Klage zugrundeliegenden Voraussetzungen eines Leistungsversprechens (Zahlung der Höchstsumme der Versicherung sofort nach Beginn der Schließung) hätte versichern können (zu dieser Voraussetzung eines Schadenersatzanspruchs aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB vgl. MünchKomm-VVG/Reiff, 3. Aufl. § 69 Rn. 97). Nicht ausreichend ist entgegen dem Vorbringen der Revision, dass Betriebsschließungsversicherungen "am Markt" "mit dynamischen Verweisen auf das Infektionsschutzgesetz erhältlich" gewesen sein sollen. Insbesondere für das Jahr 2011 fehlt es an konkretem Vortrag des Klägers hierzu.

13d) Ohne Erfolg macht die Revision schließlich geltend, das Berufungsgericht habe das Prozessgrundrecht des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es den Kläger nicht darauf hingewiesen habe, sein Vortrag zu den Voraussetzungen eines Anspruchs aus gewohnheitsrechtlicher Erfüllungs- oder Vertrauenshaftung oder aus Schadenersatzhaftung in Form einer Quasideckung sei als nicht ausreichend und ergänzungsbedürftig anzusehen.

14Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (, BauR 2021, 1342 Rn. 10). So liegt es hier aber nicht, denn das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung weder auf Ansprüche aus der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungs- oder Vertrauenshaftung noch auf Schadensersatzansprüche aus § 6 Abs. 5 VVG oder §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB zurückgegriffen.

15III. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (vgl. dazu , NJW-RR 2005, 650 unter II 1 [juris Rn. 6 f.]).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:210922BIVZR63.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-28840