Gründe
I.
1Der Angeklagte wurde am vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (3 BGs 128/20), mittlerweile aufgrund des am verkündeten Haftbefehls des (5 - 2 StE 7/20).
2Gegenstand des aktuell vollstreckten Haftbefehls ist neben einem tateinheitlich begangenen Waffendelikt der Vorwurf, der Angeklagte habe im Februar 2020 eine Vereinigung (§ 129 Abs. 2 StGB) gegründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord oder Totschlag zu begehen, und sich mitgliedschaftlich an dieser Vereinigung beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 52 Abs. 1 StGB).
3Am hat der Senat eine erste Haftbeschwerde des Angeklagten verworfen (StB 13/20). Mit Beschlüssen vom (AK 29/20), vom (AK 48/20) und vom (AK 19-28/21) hat er im besonderen Haftprüfungsverfahren jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Der Generalbundesanwalt hat am Anklage gegen den Angeklagten und elf Mitangeklagte erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens dauert die Hauptverhandlung seit dem an.
4Nunmehr hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom Beschwerde gegen den aktuell vollzogenen Haftbefehl eingelegt. Er wendet sich gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts sowie von Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
5Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
61. Der Angeklagte ist der ihm angelasteten Taten weiterhin dringend verdächtig. Im Sinne eines solchen Verdachts ist nunmehr von dem Sachverhalt auszugehen, den das Oberlandesgericht im angefochtenen Haftbefehl angeführt hat, auf den verwiesen wird. Im Vergleich zum ursprünglichen Haftbefehl, dem Inhalt der genannten Beschlüsse des Senats und der Anklageschrift hat sich eine Änderung dahin ergeben, dass die Angeklagten die in Rede stehende terroristische Vereinigung mit hoher Wahrscheinlichkeit erst am in M. und nicht früher gründeten.
7Der dringende Tatverdacht folgt im Wesentlichen aus den in der bisherigen Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen. Diese hat der Staatsschutzsenat im angefochtenen Haftbefehl und in seiner Nichtabhilfeentscheidung im Einzelnen dargelegt und seine vorläufige Beweiswürdigung, die von derjenigen der Beschwerde abweicht, nachvollziehbar und plausibel erörtert. Die tatgerichtliche Würdigung ist angesichts der laufenden Hauptverhandlung nur eingeschränkt überprüfbar (st. Rspr.; s. etwa , juris Rn. 11). Nach den insoweit anzulegenden Maßstäben (s. zu diesen etwa , BGHR StPO § 112 Tatverdacht 5 Rn. 16 f. mwN) ergeben sich keine Beanstandungen.
8Rechtlich ist der geschilderte Sachverhalt im angegriffenen Haftbefehl hinsichtlich der verwirklichten Straftatbestände zutreffend gewürdigt. Auf die konkurrenzrechtliche Einordnung, namentlich darauf, ob und inwieweit der Angeklagte Tathandlungen im Sinne des § 129a Abs. 1 StGB nur gelegentlich des Waffenbesitzes vornahm (vgl. u.a., juris Rn. 37 f.), kommt es für die Haftfrage nicht an.
92. Die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität liegen unverändert vor.
10a) Die Würdigung sämtlicher Umstände macht es nach wie vor wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung stellen wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
11aa) Von der konkreten Straferwartung geht weiterhin ein Fluchtanreiz aus; denn der Angeklagte hat noch immer eine zu vollstreckende Haftzeit von Gewicht zu gewärtigen. Das Oberlandesgericht hat hierzu ausgeführt, dass die bislang etwa zwei Jahre und acht Monate andauernde Inhaftierung des Angeklagten sich im Fall einer Verurteilung voraussichtlich im Bereich von zwei Dritteln der zu erwartenden Freiheitsstrafe bewege. Diese Beurteilung ist nachvollziehbar. Die mögliche Sanktion für den Angeklagten wird § 129a Abs. 1 StGB zu entnehmen sein, der eine Freiheitsstrafe zwischen ein und zehn Jahren vorsieht, wobei rassistische und fremdenfeindliche Beweggründe und Ziele strafschärfend wirken (§ 46 Abs. 2 StGB; vgl. im Übrigen BT-Drucks. 18/3007 S. 15; , BGHR StGB § 60 Absehen, fehlerhaft 1 Rn. 14 mwN).
12bb) Eine hypothetische Aussetzung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB hat das Oberlandesgericht bei der Einschätzung der drohenden weiteren Haftzeit in den Blick genommen (vgl. dazu , BVerfGK 7, 140, 161 f.; vom - 2 BvR 644/12, BVerfGK 19, 428, 435; zur sog. Nettostraferwartung s. ferner , juris Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 112 Rn. 23), eine solche Aussetzung jedoch angesichts des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit für unwahrscheinlich erachtet (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB; vgl. , NStZ-RR 2018, 255 f. mwN). Der Angeklagte habe von seiner rassistischen Tatmotivation bisher keinen Abstand genommen. Auch diese Würdigung ist plausibel. Dem Tatgericht, das allein einen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten aus der Hauptverhandlung gewonnen hat, kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu (, NStZ-RR 2022, 209, 210 Rn. 11).
13cc) Der konkrete Tatvorwurf begründet zudem die besondere Gefahr, dass sich der Angeklagte in den Untergrund absetzen wird. Er verfolgte vor seiner Inhaftierung hochwahrscheinlich das Ziel, den deutschen Staat und seine Vertreter zu bekämpfen. Eine Bereitschaft zur freiwilligen Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden ist vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten. Der Angeklagte ist nach den bislang gewonnenen Erkenntnissen außerdem in der rechtsextremistischen Szene vernetzt und kann im Fall des Untertauchens auf deren Unterstützung zählen.
14dd) Fluchthemmende Umstände sind nach wie vor nicht ersichtlich. Die in der Haftbeschwerde angeführte Beziehung zur körperbehinderten und deshalb hilfsbedürftigen Lebensgefährtin bestand bereits im Tatzeitraum; sie hielt den Angeklagten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von dem Wunsch ab, sich "offensiv" an Terroranschlägen zu beteiligen, wobei er sich vorgestellt haben soll, dabei den eigenen Tod zu finden. Soziale Bindungen außerhalb der rechtsextremistischen Szene und deren Tragfähigkeit bleiben damit weiterhin unklar.
15b) Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) unverändert ebenso - mit dem Oberlandesgericht - auf den dort geregelten Haftgrund gestützt werden kann.
16c) Insgesamt kann der Zweck der Untersuchungshaft, wie bereits in den vorangegangenen Senatsbeschlüssen dargelegt, nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO). Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend.
173. Der Vollzug der Untersuchungshaft steht nach wie vor nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO; zu den insoweit nach st. Rspr. geltenden Maßstäben s. etwa , NStZ-RR 2022, 209, 210 mwN).
18a) Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung und -vollstreckung ist bei Berücksichtigung und Abwägung der Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens noch immer dahin aufzulösen, dass die Untersuchungshaft fortzudauern hat. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Verbrechen wiegen schwer. Die Gründung und die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im konkreten Zusammenhang mit der Planung von todbringenden Anschlägen aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven haben eine hohe Bedeutung. Vor diesem Hintergrund hat das in die Abwägung einzustellende Legalitätsprinzip, das die Aufklärung und Ahndung von Straftaten gebietet, besonderes Gewicht.
19b) Der Blick auf die konkrete Straferwartung von etwa 16 weiteren Monaten Haftzeit und die für den Fall der Rechtskraft nach den formalen gesetzlichen Voraussetzungen mögliche Aussetzung des Strafrests führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Erreichen des Termins des § 57 Abs. 1 Nr. 1 StGB hat für sich genommen nicht zur Folge, dass der weitere Vollzug der Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre (vgl. , StV 2022, 634 Rn. 25 mwN). Eine Strafrestaussetzung steht hier, wie ausgeführt, auch nicht zu erwarten.
20c) Dass es bisher nicht möglich gewesen ist, zu einem Urteil zu gelangen, ist dem Umfang und der Komplexität der Sache sowie der Vielzahl der beteiligten Personen geschuldet. Das Verfahren ist mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Insoweit wird auf die jüngst gegen einen Mitangeklagten ergangene Haftentscheidung des Senats verwiesen (, juris Rn. 21).
Berg Hohoff Erbguth
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:031122BSTB49.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-27317