Verfahrensrecht | Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge im ADV-Verfahren (BFH)
Bei summarischer Prüfung bestehen
keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich
festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (entgegen
, und
:
; veröffentlicht am
).
Hintergrund: Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten im Hinblick auf den und 1 BvR 2422/17 zu § 233a AO i.V.m. § 238 AO betreffend die Vollverzinsung in fixer Höhe von 0,5 % pro Monat (BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303) über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen. Das FG der ersten Instanz äußerte ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ().
Die Richter des VI. Senats des BFH teilten die ernstlichen Zweifel nicht:
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Solche Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem und 1 BvR 2422/17 zu § 233a AO i.V.m. § 238 AO.
§ 233a AO und § 240 AO regeln unterschiedliche Sachverhalte.
Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann (vgl. BeckOK AO/Oosterkamp, 21. Ed. [], AO § 233a Rz 1). Nachzahlungszinsen sind dementsprechend - anders als etwa ein Verspätungszuschlag - weder Sanktion noch Druckmittel.
Säumniszuschläge sind demgegenüber ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen
Aufgrund der wesentlichen Unterschiede von Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen kann die Entscheidung des BVerfG zur Vollverzinsung auf § 240 AO auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden.
Angesichts der Unterschiede zwischen Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO und Zinsen nach § 233a AO vermag der Senat keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern durch die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge erkennen. Die in § 240 AO angelegte unterschiedliche Behandlung der beiden Vergleichsgruppen ist bereits durch die vom Steuerschuldner veranlasste Säumnis gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist daher insoweit nicht zu beklagen.
Gleiches gilt im Hinblick auf die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge. Die dahingehende Typisierung obliegt der grundsätzlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Sie ist erst dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die Höhe der Säumniszuschläge unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist, was hier nicht der Fall ist.
Auch unionsrechtliche Grundsätze (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) führen - jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung - nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer. Der Senat verweist zur Begründung auf den zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten , Rz 33 ff., dem er sich insoweit inhaltlich uneingeschränkt anschließt (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 21.7.2022 mit Anmerkung Heidner).
Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:
Anders als der VII. Senat des BFH und ihm nachfolgend der V. Senat hat der VI. Senat des BFH ausweislich der Besprechungsentscheidung (und einer Reihe weiterer Beschlüsse v. ) keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Und zwar auch nicht insoweit, als diese nach dem entstanden sind.
Der Beschluss des BVerfG zur Vollverzinsung v. – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 betreffend § 233a AO i.V.m. § 238 AO (Unvereinbarkeit der Vollverzinsung in fixer Höhe von 0,5 % pro Monat mit Art. 3 Abs. 1 GG ab - Fortgeltung bis ) kann solche aus Sicht des erkennenden Senats nicht begründen. Er hat deshalb die Vorentscheidung aufgehoben, den Antrag der Antragstellerin die Vollziehung der Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge (in voller Höhe und nicht nur wie vom FG hälftig) aufzuheben, abgelehnt.
Der Anrufung des Großen Senats des BFH bedurfte es wegen dieser „Abweichung“ nicht. Zwar ist der Große Senat des BFH nach § 11 Abs. 2 FGO zur Entscheidung berufen, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. Dies gilt jedoch nicht, wenn eine „Abweichung“ in einem AdV-Verfahren in Rede steht. Denn in einem solchen Fall können materielle Rechtsfragen nicht abschließend beurteilt werden (z.B. , BStBl II 2010, 971) und , BFH/NV 2019, 1060, jeweils m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Vielzahl weiterer AdV-Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (z.B. V B 51/22 (AdV), VIII B 64/22 (AdV), XI B 38/22, XI B 42 (AdV) beim BFH anhängig sind.
Der II. Senat des BFH hat jüngst in einem solchen ebenfalls keine AdV gewährt. Er hat dies damit begründet, dass es der Antragstellerin hierfür an dem erforderlichen besonderen Aussetzungsinteresse, das bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer Norm (wenn auch umstritten, so doch) erforderlich sei, fehle. Ein solches könne für Fälle des Vollzugs von § 240 AO jedenfalls nicht aus dem , 1 BvR 2422/17 zu § 233a AO i.V.m. 238 Abs. 1 Satz 1 AO zur Vollverzinsung gefolgert werden.
Die "Reaktion" der anderen mit der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge befassten BFH-Senate bleibt abzuwarten. Vorgeprägt sind sie jedenfalls nicht. Ebenfalls offen ist, wie der BFH in den (nachfolgenden) Hauptsacheverfahren (z.B. VII R 21/21 u.a. betreffend vor dem entstandene Säumniszuschläge und X R 30/21 u.a. betreffend nach dem entstandene Säumniszuschläge) entscheiden wird. Senate, die von der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Säumniszuschläge überzeugt wären, könnten - anders als im einstweiligen Rechtschutz - darauf jedoch nicht selbst erkennen. Sie müssten das Verfahren vielmehr nach Art. 100 Abs. 1 GG aussetzen und die Sache dem BVerfG vorlegen.
Quelle: ; NWB (il)
Fundstelle(n):
XAAAJ-27175