BGH Beschluss v. - 4 StR 134/22

Computerbetrug durch unbefugtes Erlangen und Verwenden der zur Durchführung von Zahlungsvorgängen im Internet erforderlichen Kreditkartendaten; Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit bei Beihilfe

Gesetze: § 27 StGB, § 52 StGB, § 53 StGB, § 263 Abs 1 StGB, § 263a StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Essen Az: 52 KLs 2/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Computerbetruges in 109 Fällen, Betruges in vier Fällen sowie Beihilfe zum Betrug in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zwei Monate der Gesamtstrafe hat es aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für verbüßt erklärt. Zudem hat die Strafkammer den Wert von Tat-erträgen eingezogen. Die Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Dem Angeklagten war nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auf seinen – zulässigen – Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO). Nach den anwaltlich versicherten Gründen ist die Versäumung der Frist auf ein dem Angeklagten nicht zuzurechnendes Verschulden seiner Verteidigerin zurückzuführen (§ 44 Satz 1 StPO). Dem Vorbringen der Verteidigerin, dass ihr die fehlerhafte Fristeintragung am , dem Tag der Stellung des Wiedereinsetzungsantrags und der Nachholung der Revisionsbegründung, auffiel, kann entnommen werden, dass der Angeklagte selbst, auf dessen Kenntnis es ankommt (vgl. Rn. 3), jedenfalls nicht früher von der Fristversäumung erfahren hatte.

II.

3Das Landgericht hat – soweit vorliegend von Bedeutung – im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4Der Angeklagte beging im Zeitraum von Oktober 2016 bis August 2018 eine Vielzahl von (Computer-)Betrugsdelikten, um hierdurch seinen Lebensunterhalt und gleichzeitig seine Freizeitgestaltung zu finanzieren.

51. a) In einem Tatkomplex buchte der Angeklagte unter Verwendung seines eigenen Namens wiederholt über das Internet Zugfahrten bei der Deutschen Bahn bzw. Flüge bei der Lufthansa. Wie von Anfang an geplant, bezahlte er die Fahrscheine bzw. Tickets nicht. Diese wurden von den Buchungsportalen nach vollständiger Ausfüllung des Bestellformulars jeweils automatisch erstellt und dem Angeklagten unmittelbar digital zur Verfügung gestellt (Fälle III. 7.-17. und 24.-76. der Urteilsgründe; gewertet jeweils als Computerbetrug).

6b) In weiteren Fällen buchte der Angeklagte über das Internet unter missbräuchlicher Verwendung der Daten der Zeugin W.      Flüge bei der Lufthansa, wobei er erneut das für die Tickets vorgesehene Entgelt nicht entrichten wollte. Das System der Lufthansa erkannte die von dem Angeklagten verwendete E-Mail-Adresse jedoch als solche, die in der Vergangenheit zur Begehung von Betrugstaten verwendet worden war, weshalb die Buchung im Anschluss storniert und der von dem Konto der Zeugin W.     zunächst abgebuchte Betrag zurückerstattet wurde (Fälle III. 108.-110. der Urteilsgründe). Die Strafkammer hat den Angeklagten in diesen Fällen jeweils des (vollendeten) Computerbetruges schuldig gesprochen, in ihrer rechtlichen Würdigung aber ausgeführt, die Fälle seien als versuchter Computerbetrug zu bewerten.

72. In einem weiteren Tatkomplex leistete der Angeklagte Beihilfe zu den Betrugsdelikten seines Bruders S.     G.     , der – wie dem Angeklagten bewusst war – seinen Lebensunterhalt überwiegend dadurch finanzierte, dass er andere Personen über Verkaufsinserate unter Vortäuschung seiner eigenen Leistungsbereitschaft zu Vorkassenzahlungen veranlasste. In Kenntnis dessen stellte der Angeklagte seinem Bruder seine Kontoverbindung bei der P.   bank zur Verfügung. Diese verwendete S.     G.     , um Geschädigte in sechs Fällen täuschungsbedingt zu Vorauszahlungen zu veranlassen (Fälle III. 101.-106. der Urteilsgründe, gewertet als Beihilfe zum Betrug in sechs Fällen).

83. Schließlich erlangte der Angeklagte betrügerisch die Kreditkartendaten des Zeugen L.     , indem er vortäuschte, für die Belastungen der Karte aufkommen zu wollen. Tatsächlich nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf, dass er die mit den Daten von ihm bezahlten Rechnungsbeträge nicht würde erstatten können. Er verwendete die Kreditkartendaten bei insgesamt vier Gelegenheiten zur Zahlung verschiedener Leistungen bzw. Waren, ohne dem Zeugen L.     die Beträge zurückzuzahlen (Fälle III. 115.-118. der Urteilsgründe; gewertet als Betrug in vier Fällen).

III.

9Der Schuldspruch hält der revisionsrechtlichen Überprüfung auf die Sachrüge nur teilweise stand.

101. Die Feststellungen in den Fällen der Buchung unter „eigenem Namen“ tragen jeweils den Schuldspruch nicht.

11a) Der Anwendungsbereich der – hier allein in Betracht kommenden – Variante der unbefugten Verwendung von Daten gemäß § 263a Abs. 1 StGB ist unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Zwecks der Vorschrift durch die Struktur- und Wertgleichheit mit dem Betrugstatbestand bestimmt. Mit § 263a StGB sollte (lediglich) die Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die dadurch entstanden war, dass der Tatbestand des Betruges menschliche Entscheidungsprozesse voraussetzt, die beim Einsatz von EDV-Anlagen fehlen. Das Tatbestandsmerkmal „unbefugt” erfordert daher eine betrugsspezifische Auslegung ( − 2 StR 16/15, NStZ 2016, 149 Rn. 10; Beschluss vom – 4 StR 580/11, NStZ 2013, 281, 282). Unbefugt ist die Verwendung der Daten dann, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte (, NStZ 2013, 281, 282 mwN; MüKo-StGB/Hefendehl/Noll, 4. Aufl., § 263a Rn. 78 ff.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 263a Rn. 11).

12b) Daran gemessen tragen die Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung wegen Computerbetrugs in den Fällen III. 7.-17. und 24.-76. der Urteilsgründe nicht.

13Bestellungen oder Buchungsvorgänge im Internet unter unbefugter Verwendung von Konto- bzw. Kreditkartendaten können zwar grundsätzlich den Tatbestand des Computerbetrugs erfüllen (vgl. , NStZ-RR 2021, 214 [widerrechtliche Verwendung fremder Kreditkartendaten]; Urteil vom – 3 StR 94/20 Rn. 12; je mwN). Die Urteilsgründe lassen indes – auch bei einer Gesamtschau – Feststellungen zu den Zahlungs- bzw. Bestellmodalitäten in den genannten Fällen vermissen. Die Strafkammer hat vor diesem Hintergrund jeweils keinen konkreten vermögensrelevanten Datenverarbeitungsvorgang festgestellt, der eine Täuschungsäquivalenz zu begründen vermochte und auf dessen Ergebnis (Vertragsabschluss bzw. Bereitstellung der Tickets) der Angeklagte Einfluss genommen hätte. Eine Anknüpfung an die Angabe des eigenen (korrekten) Namens bei den Bestellungen scheidet insoweit offensichtlich aus.

142. Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Fälle III. 101.-106. der Urteilsgründe als tatmehrheitliche Vergehen der Beihilfe zum Computerbetrug begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

15Ob im Fall der Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt von der Anzahl der Beihilfehandlungen und der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Tatmehrheit nach § 53 StGB ist anzunehmen, wenn mehreren Haupttaten jeweils eigenständige Beihilfehandlungen zuzuordnen sind. Dagegen liegt eine Beihilfe im Sinne des § 52 StGB vor, wenn der Gehilfe mit einer einzigen Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines anderen Hilfe leistet ( Rn. 3).

16Daran gemessen hat der Angeklagte nur eine Beihilfe zum Betrug in sechs tateinheitlichen Fällen geleistet, indem er seinem Bruder S.    G.     das bei den später begangenen Betrugsdelikten verwendete Bankkonto zur Verfügung stellte.

173. In den Fällen III. 115.-118. der Urteilsgründe hält die konkurrenzrechtliche Bewertung als vier tatmehrheitlich begangene Taten des Betruges ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

18Erlangt der Täter – wie hier – im Wege der Täuschung die zur Durchführung von Zahlungsvorgängen erforderlichen Kreditkartendaten, erfüllt bereits dies den Tatbestand des Betruges im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB. Denn dem Angeklagten war hierdurch möglich, jederzeit Kontobelastungen vorzunehmen, sodass bereits ein Gefährdungsschaden eingetreten war (vgl. Rn. 30 mwN zu Girokarten). Die nachfolgenden Verwendungen der Kartendaten zur Bezahlung von Leistungen bzw. Waren führten daher jedenfalls dann zu einer Vertiefung des Betrugsschadens und waren als Ausführungshandlungen im materiell-rechtlichen Sinne Teil der Betrugstat (vgl. Rn. 6; Beschluss vom – 3 StR 63/21 Rn. 35), wenn – wie hier – zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass sich die durch die einzelnen Zahlungsvorgänge verursachten Schäden nicht bei den jeweiligen Vertragspartnern, sondern jeweils bei dem Zeugen L.     bzw. dessen Kreditkartenunternehmen manifestiert haben (vgl. UA S. 10).

194. Die Feststellungen in den Fällen III. 108.-110. der Urteilsgründe tragen jeweils keine Strafbarkeit wegen vollendeten, aber eine solche wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Computerbetrugs.

20Zwar bedingt ein durch unbefugte Datenverwendung zustande gekommener Personenbeförderungsvertrag für sich gesehen bereits einen Vermögensschaden – jedenfalls in Form der konkreten Vermögensgefährdung –, sodass es für die Vollendung des Tatbestands keines Fahrt- bzw. Flugantritts bedarf (vgl. – zu Onlinebuchungen bei der Deutschen Bahn – III-2 RVs 85/20, juris Rn. 16 ff. mwN). Allerdings ist den Feststellungen in diesen Fällen im Hinblick auf die erfolgte Stornierung jeweils schon nicht sicher zu entnehmen, dass ein Beförderungsvertrag überhaupt wirksam zustande gekommen ist.

21Eine Strafbarkeit wegen vollendeten Computerbetruges kommt – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – auch nicht zum Nachteil der Zeugin W.      im Hinblick auf die vorübergehende Belastung von deren Konto in Betracht, da den Feststellungen jedenfalls das für einen solchen Dreiecks-Computerbetrug erforderliche Näheverhältnis (vgl. , NJW 2013, 2608 Rn. 34; MüKo-StGB/Hefendehl/Noll, 4. Aufl., § 263a Rn. 178; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 263a Rn. 21) zwischen der Lufthansa und der Zeugin nicht entnommen werden kann.

225. Der Senat ändert – da bezüglich der Fälle III. 108.-110. der Urteilsgründe auch keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind – den Schuldspruch betreffend die Fälle III. 101.-106., 108.-110. und 115.-118. in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO entsprechend ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

IV.

231. Aufgrund der geänderten konkurrenzrechtlichen Bewertung entfallen die Einzelstrafen in den Fällen III. 102.-106. und 116.-118. der Urteilsgründe.

24Zudem können die Einzelstrafen in den Fällen III. 77.-101. und 107. keinen Bestand haben, da die Kammer in diesen Fällen jeweils rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hat, dass dieser bereits rechtskräftig zu einer – ursprünglich zur Bewährung ausgesetzten – „Jugendfreiheitsstrafe“ verurteilt worden sei. Tatsächlich erfolgte die Verurteilung zu einer Jugendstrafe durch das Amtsgericht Essen erst am und somit nach der Tatbegehung in diesen Fällen. Dieser Rechtsfehler betrifft zugleich die in den Fällen III. 65.-76. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen, die allerdings bereits aufgrund des nicht von den Feststellungen getragenen Schuldspruchs der Aufhebung unterliegen.

25Darüber hinaus waren die in den Fällen III. 108.-110. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen aufzuheben, da die Strafkammer – vor dem Hintergrund der Annahme einer Strafbarkeit wegen vollendeten Computerbetruges – eine Prüfung des vertypten Milderungsgrundes des § 23 Abs. 2 StGB unterlassen hat.

26Der Wegfall dieser Einzelstrafen und die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen III. 7.-17. und 24.-76. der Urteilsgründe entziehen zugleich dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

272. a) Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen III. 7.-17. und 24.-76. der Urteilsgründe führt überdies (vorläufig) zum Wegfall der von der Strafkammer insoweit angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen. Demgegenüber wirkt sich die Schuldspruchänderung in den Fällen III. 115.-118. der Urteilsgründe nicht auf die Einziehungsentscheidung des Landgerichts aus, da die mittels der betrügerisch erlangten Kreditkartendaten erworbenen Waren und Leistungen im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB hier noch durch die Betrugstat erlangt waren (vgl. Rn. 6).

28b) Im Übrigen hält die Einziehungsentscheidung der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht vollumfänglich stand.

29aa) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Fällen III. 108.-110. der Urteilsgründe in Höhe von insgesamt 1.913,18 € erweist sich als rechtsfehlerhaft, da den Feststellungen ein wirksamer Abschluss der Buchungsvorgänge in diesen Fällen jeweils nicht entnommen werden kann, sodass der Angeklagte durch die rechtswidrigen Taten nichts erlangt hat (vgl. § 73 Abs. 1, § 73c StGB).

30bb) Hinsichtlich der Fälle III. 101.-106. bedarf die Einziehungsentscheidung der Änderung dahingehend, dass der Angeklagte bei der gegen ihn insoweit angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 4.112,98 € als Gesamtschuldner haftet. Nach den Feststellungen hatte neben dem Angeklagten auch sein Bruder S.     G.      Zugriff auf die Kontoverbindung, auf die die betrügerisch erlangten Geldmittel von den Geschädigten transferiert wurden. Aufgrund dieser faktischen Mitverfügungsgewalt über die Taterträge liegt eine Gesamtschuld vor (vgl. Rn. 3; Urteil vom – 2 StR 54/19, NStZ-RR 2020, 76). Der Senat ergänzt entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Einziehungsausspruch um die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten in Höhe dieses Betrages. Der individuellen Benennung des Gesamtschuldners bedarf es dabei nicht ( Rn. 3; Beschluss vom – 3 StR 308/20 Rn. 3).

V.

31Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer hinsichtlich der Fälle III. 7.-17. und 24.-76. der Urteilsgründe erneut zu einem Schuldspruch wegen Computerbetruges gelangen, wird sie das Konkurrenzverhältnis dieser Taten in den Blick zu nehmen haben. Mehrere Buchungen an einem Tag können Teil einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit sein, sofern sie in einem engen zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden (vgl. Rn. 17 mwN). Dies hat das Landgericht im zugrunde liegenden Urteil zwar teilweise bedacht (Fall III. 1. der Urteilsgründe). Demgegenüber hat es aber beispielsweise das Konkurrenzverhältnis in den Fällen III. 63. und 64. der Urteilsgründe – trotz eines geringeren zeitlichen Abstands der Buchungsvorgänge als im Fall III. 1. der Urteilsgründe – ohne nachvollziehbare Begründung als Tatmehrheit bewertet.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:121022B4STR134.22.0

Fundstelle(n):
wistra 2023 S. 161 Nr. 4
QAAAJ-26833