BGH Beschluss v. - 4 StR 508/21

Strafverurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer u.a.: Empfundene Zwangswirkung des Tatopfers durch vermeintlich entstehende Rechtspflicht

Gesetze: § 316a StGB

Instanzenzug: LG Aachen Az: 52 Ks 7/21

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Verabredung zum Mord in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer, erpresserischem Menschenraub, Geiselnahme, besonders schwerem Raub, besonders schwerer räuberischer Erpressung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, versuchtem Computerbetrug und mit Computerbetrug zu Freiheitsstrafen von sieben Jahren und sechs Monaten beziehungsweise neun Jahren verurteilt und sie im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es der Angeklagten K.   die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist zur Wiedererteilung sowie betreffend den Angeklagten W.   eine isolierte Sperrfrist angeordnet und Einziehungsentscheidungen hinsichtlich beider Angeklagter getroffen. Hiergegen richten sich die Rechtsmittel der Angeklagten, mit denen beide die Verletzung materiellen Rechts, die Angeklagte K.   daneben auch die Verletzung formellen Rechts, rügen. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und sind im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verfahrensrüge, mit der die Angeklagte K.   einen „Verstoß gegen §§ 338 Nr. 8 StPO i.V.m. 147 Abs. 1 StPO iVm. Grundsatz des fairen Verfahrens“ beanstandet, ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, denn die Ausführungen zu ihrer Begründung lassen die Angriffsrichtung der Rüge nicht eindeutig erkennen (vgl. zu den Anforderungen , juris Rn. 55 mwN [insoweit in NJW 2016, 419 nicht abgedruckt]; Urteil vom - 4 StR 473/13, juris Rn. 16 [insoweit in BGHSt 59, 292 nicht abgedruckt]; Beschluss vom - 4 StR 253/98). Die Revisionsbegründung beanstandet, dass der Strafkammervorsitzende die Angeklagte in der Hauptverhandlung, statt ihr die Möglichkeit zu geben, sich zusammenhängend zur Sache einzulassen, in der Weise vernommen habe, dass er ihr ihre Einlassung aus einer früher begonnenen und sodann ausgesetzten Hauptverhandlung anhand von Mitschriften der Kammer vorgehalten habe. Der Inhalt dieser Mitschriften sei der Verteidigung nicht bekannt gewesen; Anträge auf dienstliche Äußerungen der Kammermitglieder und auf Akteneinsicht habe das Landgericht abgelehnt, Letzteren mit der Begründung, dass es sich bei den Mitschriften um kammerinterne Unterlagen und nicht um Aktenbestandteile handele. In dem Urteil sei eine Einlassung der Angeklagten verwertet worden, die diese in der dem Urteil zugrundeliegenden Hauptverhandlung auf Vorhalt nicht bestätigt habe.

3Dieses Vorbringen lässt entgegen den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO offen, welcher Revisionsgrund geltend gemacht werden soll, nämlich ob sich das Rechtsmittel gegen die Art und Weise der Vernehmung der Angeklagten, die Weigerung des Landgerichts, seine Mitschriften zur Akte zu nehmen und Einsicht in sie zu gewähren, oder gegen die Verwertung nicht prozessordnungsgemäß eingeführter Einlassungsinhalte (Inbegriffsrüge) wendet.

42. Die auf die Sachrügen gebotene rechtliche Nachprüfung des Urteils führt hinsichtlich beider Angeklagter zum Entfallen des Schuldspruchs wegen - tateinheitlich begangenen - versuchten Computerbetrugs. Nach den Feststellungen hoben die Angeklagten mit der zuvor durch den Einsatz von Nötigungsmitteln erlangten „EC-Karte“ der Nebenklägerin S.   mehrmals Bargeld von deren Girokonto ab. Eine Minute nach der zweiten Geldabhebung blieb der Versuch, abermals Bargeld abzuheben, erfolglos. Wie der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften zutreffend ausgeführt hat, hat das Landgericht hierin zu Unrecht einen in (gleichartiger) Tateinheit zu dem vorangegangenen vollendeten Computerbetrug stehenden versuchten Computerbetrug gesehen. Stattdessen stehen beide Handlungen zueinander im Verhältnis der natürlichen Handlungseinheit, was zu nur einer Tat des (vollendeten) Computerbetrugs führt (vgl. ; v. Heintschel-Heinegg in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 52 Rn. 53). Der entsprechenden Schuldspruchberichtigung durch den Senat (§ 354 Abs. 1 StPO analog), die den Strafausspruch unberührt lässt, steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich die Angeklagten gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

53. Im Übrigen hat die auf die Revisionsrechtfertigungen gebotene Nachprüfung keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften nur das Folgende:

6Der Schuldspruch wegen eines (mittäterschaftlich begangenen) räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316a, § 25 Abs. 2 StGB) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

7a) Nach den Feststellungen fuhren die Angeklagten - als Fahrer und Beifahrerin eines Pkw - auf den von der Nebenklägerin S.   gesteuerten Pkw auf, um sie gemäß ihrem gemeinsamen Tatplan zum Anhalten ihres Fahrzeugs zu veranlassen und anschließend zu berauben. Die Nebenklägerin erkannte die deliktische Absicht nicht, sondern hielt die Kollision für einen zufällig geschehenen Unfall und sich infolgedessen für verpflichtet anzuhalten. Nachdem sie deshalb aus ihrem Fahrzeug ausgestiegen war, schüchterten die Angeklagten sie durch Zeigen einer mitgeführten Waffe ein und nahmen ihr unter anderem ihr Mobiltelefon und ihr Fahrzeug ab.

8b) Das Landgericht hat dieses Tatgeschehen zu Recht als räuberischen Angriff auf Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB gewertet. Hiernach handelt tatbestandsmäßig, wer zur Begehung eines Raubes (oder der weiteren genannten Vermögensdelikte) einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt.

9Voraussetzung der hier allein in Betracht kommenden Tatbestandsvariante eines Angriffs auf die Entschlussfreiheit ist, dass der Täter in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum bzw. Vermögen des Opfers richtet (vgl. zum Ganzen , NStZ 2015, 653; vom - 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 12 mwN).

10Hiernach hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass die Angeklagten einen Angriff auf die Entschlussfreiheit der Nebenklägerin verübt haben. Nach den Feststellungen hielt diese nach der Kollision ein Anhalten für „erforderlich“ und stieg aus ihrem Fahrzeug aus, was die Angeklagten sodann, wie von vornherein beabsichtigt, für ihre Raubtat ausnutzten. Die Tathandlung erschöpfte sich damit - obschon ihr auch ein täuschendes Element innewohnte - nicht in einer List, welche für sich genommen für einen Angriff auf die Entschlussfreiheit nicht genügen würde (vgl. , NStZ 2015, 653, 654), sondern entfaltete eine nötigungsgleiche Wirkung. Aus der maßgeblichen Sicht der Nebenklägerin stellte der durch die Angeklagten bewirkte Verkehrsunfall nicht bloß ein ihre - weiterhin als frei empfundene - Willensbildung beeinflussendes Motiv dar. Vielmehr sah sie sich infolge des Unfalls einem Zwang, nämlich der sanktionsbewehrten Rechtspflicht unterworfen, am Unfallort zu bleiben und Feststellungen zu ihrer Person zu ermöglichen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO, § 142 StGB). Die deliktische Absicht der Angeklagten, aus der sich objektiv ein Rechtfertigungsgrund für die Nichtbefolgung der entstandenen Haltepflicht (§ 34 StGB) ergeben konnte, war ihr nicht bekannt. Es entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats, eine solche nötigungsgleiche Wirkung, auch wenn sie - wie hier - durch eine Unkenntnis von Sachverhaltselementen mitbedingt ist, als für einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des geschädigten Kraftfahrers ausreichend anzusehen (vgl. BGH, aaO, S. 654).

11Dem steht im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass die empfundene Zwangswirkung nicht unmittelbar von einem durch die Angeklagten eingesetzten Nötigungsmittel, nämlich der in dem Auffahren liegenden Gewalt, ausging, sondern auf der hierdurch (vermeintlich) entstandenen Rechtspflicht beruhte, die Nebenklägerin sich also nicht dem Willen der Angeklagten, sondern einer gesetzlichen Verpflichtung unterworfen sah. Dieser Unterschied ist rechtlich ohne Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Senats, von der abzuweichen kein Anlass besteht, ist - wie durch den Begriff „nötigungsgleiche Wirkung“ zum Ausdruck gebracht worden ist - für die Tatbestandsvariante des Angriffs auf die Entschlussfreiheit maßgeblich nicht der Einsatz von Nötigungsmitteln durch den Täter, sondern allein die bei dem Tatopfer erzielte Nötigungswirkung. Dementsprechend hat der Senat bereits in seiner eine vorgetäuschte Polizeikontrolle betreffenden Entscheidung (vgl. BGH, aaO; ebenso bereits , juris Rn. 10 f.) nicht darauf abgestellt, dass dort mit dem Herauswinken des Tatopfers eine konkludente Drohung der Angeklagten verbunden gewesen sei, bei Nichtbefolgung Zwangsmittel anzuwenden, sondern vielmehr den Nötigungscharakter der Rechtspflicht, Weisungen von Polizeibeamten Folge zu leisten, als solchen für maßgeblich erachtet. Weder der Wortlaut noch der Schutzzweck des § 316a StGB legen eine Restriktion des Tatbestandes auf solche Fallkonstellationen nahe, in denen sich das Opfer den Nötigungsmitteln des Täters beugt, die Zwangswirkung also nach seiner Vorstellung gerade von dem Täter ausgeht (vgl. allein auf die objektive Zwangswirkung der Rechtspflicht abstellend auch Wolters, GA 2002, 303, 316; Steinberg, NZV 2007, 545, 550; Zopfs, NJW 2015, 2131, 2133; Sowada in LK-StGB, 13. Aufl., § 316a Rn. 11; aA Duttge/Nolden, Jus 2005, 193, 198; wohl auch Baur, NZV 2018, 103, 106 [hinreichende Zwangswirkung nur bei erwarteter alsbaldiger Durchsetzung des Rechtsgebots]). Insbesondere wird die erforderliche Beschränkung auf Fälle einer verkehrsspezifischen Gefahrenlage (vgl. , BGHSt 49, 8, 13) nicht allein durch die Auslegung des tatbestandsmäßigen Angriffs auf die Entschlussfreiheit, sondern daneben auch durch die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 316a StGB gewährleistet (so auch Steinberg, NZV 2007, 545, 550 gegen Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 198).

12Auch diese sind hier allerdings erfüllt. Insbesondere war die Nebenklägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Angriffs Führerin ihres Pkw und somit taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316a StGB. Die Angeklagten nutzten auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs aus, indem sie sich - bewusst - zunutze machten, dass der Nebenklägerin, die nach den Feststellungen ihr Fahrzeug unmittelbar vor der Kollision zum Abbiegen verlangsamt hatte, die Gegenwehr gegen den Angriff infolge der Beanspruchung durch das Lenken des Fahrzeugs wegen der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung erschwert war (vgl. , NStZ 2018, 469, 470 mwN).

134. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Der geringfügige Teilerfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Angeklagten auch nur teilweise von den durch ihre Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:070722B4STR508.21.1

Fundstelle(n):
BAAAJ-26825