BGH Beschluss v. - StB 41/22

Instanzenzug: Az: AK 11/21vorgehend Az: AK 34/20 Beschlussvorgehend Az: 2 BGs 186/20

Gründe

I.

1Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache seit dem mit Ausnahme einer im August 2020 vollstreckten 18-tägigen Ersatzfreiheitsstrafe ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ), seit dem aufgrund des Haftfortdauerbeschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom selben Tag.

2Mit Beschlüssen vom (AK 34/20) und vom (AK 11/21) hat der Senat im besonderen Haftprüfungsverfahren jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

3Mit Urteil vom hat das Oberlandesgericht den Angeklagten der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig gesprochen und ihn mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten belegt. Im Anschluss daran hat es in Fortschreibung des Haftbefehls vom einen Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft (III-6 StS 1/21) verkündet, der sich nunmehr auf einen dringenden Tatverdacht nach Maßgabe der Verurteilung stützt. Gegenstand dieser Haftentscheidung ist danach unverändert der Vorwurf, der Angeklagte habe sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.

4Der Angeklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Inzwischen liegt das schriftliche Urteil vor. Derzeit läuft die Begründungsfrist für das Rechtsmittel.

5Nunmehr hat der Angeklagte außerdem Beschwerde gegen den Haftfortdauerbeschluss vom erhoben. Er wendet sich gegen die Annahme von Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft. Würde diese weiterhin vollzogen, wäre ihm jegliche "Behandlung und Resozialisierung" im Vollzug verwehrt, weil eine solche nur in Strafhaft stattfinde.

6Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom nicht abgeholfen.

II.

7Die statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 304 Abs. 1 und 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten "gegen den Haftbefehl des Oberlandesgerichts Düsseldorf in der Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses vom " ist dahin auszulegen, dass sie sich gegen den Haftfortdauerbeschluss des Staatsschutzsenats vom als die zuletzt ergangene den Bestand des Haftbefehls betreffende Haftentscheidung (s. dazu etwa , juris Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 117 Rn. 8 mwN) richtet, wenngleich dieser kein Haftbefehl des Oberlandesgerichts, sondern derjenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zugrunde liegt. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

81. a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

9Der tadschikische Angeklagte schloss sich spätestens Anfang 2019 mit Landsmännern in N.             zusammen, um die gemeinsame Teilnahme am "Jihad" auf Seiten der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) in Tadschikistan vorzubereiten. Im Folgenden nahm er in Kenntnis aller Umstände an ideologischen Schulungen der Organisation teil, die ein hochrangiger IS-Funktionär von Afghanistan aus per Messengerdienst in sogenannten Live-Chats für die Gruppe durchführte. Der Angeklagte wollte sich hierdurch in die Vereinigung eingliedern, ihrem Willen unterordnen und ihre Ziele fördern, womit der Funktionär im Namen des IS einverstanden war. Auf dessen Anraten bestimmte die Gruppe einen Anführer; auf Empfehlung eines weiteren hochrangigen IS-Mitglieds beschloss sie, sich nicht ins Ausland zu begeben, sondern für den IS in Deutschland Anschläge zu begehen. Der Angeklagte beteiligte sich in verschiedenen Zusammenkünften der Gruppe an entsprechenden Planungen - konkret in Rede stand zum Beispiel der Mord an einem Islamkritiker aus N.             - und trainierte mit den anderen den bewaffneten Kampf beim sog. Paintball.

10Den weiteren Vorwurf, der Angeklagte habe in Vorbereitung eines Anschlags einen US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt ausgekundschaftet, hat der Staatsschutzsenat nach § 154a Abs. 2 StPO behandelt. Auf diesen kommt es jedoch für die Haftfortdauerentscheidung nicht an. Der im Urteil festgestellte Sachverhalt trägt für sich gesehen den Vollzug der Untersuchungshaft.

11b) Der dringende Tatverdacht, den der Angeklagte nicht beanstandet, wird durch das verurteilende Erkenntnis hinreichend belegt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - StB 20/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 4; vom - StB 12/18, NStZ-RR 2018, 255 mwN). Es liegen derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die revisionsrechtliche Überprüfung die Verurteilung des teilgeständigen Angeklagten zu Fall bringen wird. Solche sind insbesondere nicht ohne Weiteres darin zu erblicken, dass die Verteidigung angekündigt hat, sie werde die Befangenheit der Mitglieder des Staatsschutzsenats aufgrund deren Vorbefassung durch die Prozessführung gegen einen gesondert verfolgten Mitbeschuldigten "thematisieren".

122. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität.

13a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

14Nach der Verurteilung hat sich die Straferwartung auf die verhängte Freiheitsstrafe konkretisiert (vgl. , juris Rn. 9). Der Angeklagte hat bei hypothetischer Rechtskraft seiner Verurteilung deshalb mit einer Inhaftierung von weiteren gut 14 Monaten zu rechnen. Das zeitnahe Erreichen des Zwei-Drittel-Termins des § 57 Abs. 1 StGB ändert an dieser Einschätzung nichts. Zum einen markiert dieser Zeitpunkt generell keine starre Grenze, bei deren Erreichen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stets ausscheidet. Zum anderen kommt dem Oberlandesgericht, das allein einen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten aus der Hauptverhandlung gewonnen hat, hinsichtlich einer hypothetischen vorzeitigen Haftentlassung ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. , NStZ-RR 2022, 209 mwN). Es hat eine solche in der Nichtabhilfeentscheidung nachvollziehbar als für unvereinbar mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit angesehen. Der Angeklagte sei nach wie vor in seiner radikal-islamistischen Gesinnung verhaftet und zu keiner Auseinandersetzung mit seiner Tat bereit. In den schriftlichen Gründen des Urteils findet diese ungünstige Legalprognose eine hinreichende Stütze (zur im Rahmen der Aussetzungsentscheidung gebotenen Wahrscheinlichkeitsprognose vgl. , NStZ-RR 2018, 126 mwN).

15Bei dem Angeklagten, der nach dem verurteilenden Erkenntnis an der Planung von todbringenden Anschlägen in Deutschland beteiligt war, besteht außerdem eine besondere Gefahr, dass er sich in den Untergrund absetzen wird. Das Oberlandesgericht hält nach seinem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck eine Rückkehr des Angeklagten nach Tadschikistan für möglich und wahrscheinlich. Eine freiwillige Kooperation mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden ist danach nicht zu erwarten. Im Fall des Untertauchens kann der Angeklagte mit Unterstützung aus islamistischen Kreisen rechnen, zumal sich Mitglieder der Gruppe auf freiem Fuß befinden sollen und die Mitangeklagten sich bereits im Tatzeitraum um die Freilassung in Tadschikistan inhaftierter Zellenangehöriger kümmerten sowie einen in Deutschland für die Abschiebung vorgesehenen Gesinnungsgenossen längere Zeit versteckten.

16Fluchthemmende Umstände sind nicht erkennbar. Der Angeklagte verließ bereits seine Heimat Tadschikistan unter Zurücklassung seiner Familie, so dass deren Aufenthalt in Deutschland ihn von einem Untertauchen voraussichtlich nicht abhalten wird, zumal allen Familienmitgliedern die Abschiebung droht.

17b) Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) ebenso auf den dort geregelten (subsidiären) Haftgrund gestützt werden kann.

183. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

194. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung und -vollstreckung bei Berücksichtigung und Abwägung der Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens weiterhin verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

20a) Die abgeurteilte Tat wiegt schwer. Der im Fall der Rechtskraft des Urteils nach Anrechnung der Untersuchungshaft derzeit noch zu vollstreckende Teil der Strafe beträgt zudem deutlich mehr als ein Jahr und damit einen beachtlichen Zeitraum. Insgesamt ist deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung des Strafvollzugs als hoch zu bewerten. Eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung (zu deren Berücksichtigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung s. etwa BGH, Beschlüsse vom - StB 12/12, NJW 2013, 247 Rn. 17; vom - StB 12/18, NStZ-RR 2018, 255) verstieße - hypothetisch betrachtet, wie dargestellt - ebenfalls gegen das Sicherungsinteresse der Allgemeinheit.

21b) Der vom Angeklagten angeführte Umstand, bei einer fortdauernden Inhaftierung bestehe nach einer möglichen Rechtskraft seiner Verurteilung kein ausreichender Strafrest mehr, um von nur in der Strafhaft vorgesehenen Resozialisierungsmaßnahmen zu profitieren, wiegt dagegen nicht schwer. Eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der eigenen Straftat hat der Angeklagte bisher nicht erkennen lassen. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache sind trotz des inzwischen siebenjährigen Aufenthalts in Deutschland schlecht. Außerdem droht dem Angeklagten - wie ausgeführt - die Abschiebung. Seine Erreichbarkeit für Resozialisierungsbemühungen des Staates ist vor diesem Hintergrund als niedrig einzustufen. Im Übrigen besteht kein Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der verhängten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies notwendig ist, um die noch nicht rechtskräftige Ahndung der Tat und die Vollstreckung der Strafe zu sichern (, juris Rn. 25 mwN).

22c) Das Verfahren ist nach der letzten Haftentscheidung des Senats weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden. Die 48 Sitzungstage umfassende Hauptverhandlung hat zwar etwas über ein Jahr beansprucht, so dass sich insgesamt ein Schnitt von knapp unter einem Sitzungstag pro Woche errechnet (zu diesem Erfordernis s. etwa , StV 2013, 640 Rn. 39 ff.; , NStZ-RR 2016, 217 f.; jeweils mwN). Zum einen haben jedoch Ferienzeiten bei der Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Verhandlungstage außer Betracht zu bleiben (vgl. , juris Rn. 11 mwN), zum anderen hat der Staatsschutzsenat das Verfahren mittels eines umfangreichen Selbstleseverfahrens gefördert (zur beschleunigenden Wirkung des Selbstleseverfahrens s. , juris Rn. 6; , juris Rn. 12). Hinzu kommt, dass die Verteidigung nach Abschluss des Beweisprogramms des Staatsschutzsenats und damit zu einem späten Zeitpunkt 70 Anträge gestellt hat, deren Bearbeitung die Verlängerung des Prozesses um etwa fünf Monate zur Folge hatte. Der Angeklagte hat sich erst am 43. Hauptverhandlungstag zur Sache eingelassen. Danach beruht der bisherige konkrete Verlauf der Hauptverhandlung zumindest auch auf dem Prozessverhalten des Angeklagten und seiner Verteidiger. Dies hat bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer Berücksichtigung zu finden, ohne dass hierzu eine Bewertung des Verhaltens als nicht sachdienlich erforderlich wäre (, juris Rn. 49 mwN). Die schriftlichen Urteilsgründe sind etwa dreieinhalb Monate nach Urteilsverkündung zu den Akten gelangt.

Schäfer                    Paul                    Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:051022BSTB41.22.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-24623