Nachträglicher Verzicht auf Steuerfreiheit einer Grundstückslieferung löst keinen abweichenden Zinslauf i. S. des § 233 a Abs. 22 AO aus
Leitsatz
1. Der nachträgliche Verzicht auf die Steuerfreiheit einer Grundstückslieferung ist kein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 233 a Abs. 2 a AO 1977.
2. Der Lauf der Zinsen für die Umsatzsteuer wegen der rückwirkend steuerpflichtigen Grundstückslieferung beginnt nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977.
Gesetze: AO 1977 § 233 a Abs. 2, Abs. 2 aUStG 1993 § 4 Nr. 9 Buchst. a § 9 Abs. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte während einer Betriebsprüfung im Jahre 1996 - u, a. für Umsatzsteuer 1993 - auf die Steuerfreiheit für eine 1993 ausgeführte Grundstückslieferung verzichtet. Er erteilte dem Grundstückskäufer unter dem eine Rechnung und wies darin 532 518,75 DM Umsatzsteuer für eine Grundstücksveräußerung aus dem Jahre 1993 gesondert aus.
Der Kläger meldete die Steuer in einer Umsatzsteuervoranmeldung für September 1996 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) an. Der Grundstückskäufer trat dem Kläger die negative Steuer aus der Voranmeldung für September 1996 ab. Der Kläger rechnete mit dem abgetretenen Anspruch gegen seine Umsatzsteuerschuld aus der Grundstückslieferung auf. Das FA änderte die Umsatzsteuerfestsetzung für 1993 durch den (unanfechtbar gewordenen) Änderungsbescheid vom gegen den Kläger und setzte für diesen Besteuerungszeitraum die Umsatzsteuer einschließlich der Steuer für die erwähnte Grundstückslieferung fest.
Mit dem angefochtenen Zinsbescheid vom setzte das FA Zinsen zur Umsatzsteuer für 1993 in Höhe von 88 808 DM fest. Es ermäßigte den Zinsanspruch in der Einspruchsentscheidung vom auf 59 244 DM.
Die Klage auf weitere Herabsetzung der Zinsen auf 8 947,50 DM wies das Finanzgericht (FG) ab. Es führte zur Begründung u. a. aus, die auf Grund der Option zur Steuerpflicht entstandene Umsatzsteuer für die Grundstückslieferung sei gemäß § 233 a Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) vom an zu verzinsen. Der Zinslauf beginne nicht - abweichend von § 233 Abs. 2 AO 1977 nach § 233 a Abs. 2 a AO 1977 i. V. m. Art. 97 § 15 Abs. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) - erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten sei, weil der nachträgliche Verzicht auf die Steuerbefreiung der Lieferung nicht als ein solches Ereignis anzusehen sei. Die Ausübung des Verzichts auf die Steuerbefreiung einer Grundstückslieferung sei kein Umstand, der zur Anpassung einer schon eingetretenen endgültigen Regelung an die Sachverhaltsänderung zwinge. Deshalb sei der Verzicht auch nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft möglich.
Der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung sei kein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, sondern werde in § 175 Abs. 2 AO 1977 nur als solches fingiert und deshalb in § 233 a Abs. 2 a AO 1977 nicht erfasst. Eine analoge Anwendung von § 233 a Abs. 2 a AO 1977 scheide im Streitfall aus, weil keine planmäßige Lücke vorliege, sondern der Gesetzgeber die Nachbesserung in § 233 a Abs. 2 AO 1977 auf rückwirkende Ereignisse i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 beschränkt habe. Er habe für nachträglich ausgeübte Wahlrechte am Sollprinzip festhalten wollen.
Ein - etwa durch den Prüfer bestärkter - Irrtum des Klägers über die steuerlichen Konsequenzen seines Verzichts könne nur durch Billigkeitsentscheidung berücksichtigt werden. Eine Saldierung mit dem Vorsteuerabzugsanspruch des Abnehmers sei für die Zinsentscheidung nicht zugelassen.
Dem hält der Kläger in der Revision, die er auf fehlerhafte Anwendung von § 233 a AO 1977 stützt, entgegen, dass sich das in § 233 a Abs. 2 a AO 1977 erwähnte rückwirkende Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nach dem (BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634) nur auf die Voraussetzungen, aber nicht auf die verfahrensrechtlichen Erfordernisse dieser Vorschrift beziehe. Dies sei bei der Entscheidung über die Wirkung einer nachträglichen Option für die Steuerpflicht eines Umsatzes und die Folgen für eine Zinsentscheidung zu berücksichtigen.
Der Kläger begehrt die Herabsetzung der im angefochtenen Zinsbescheid festgesetzten Zinsen auf 8 947,50 DM.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Gründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FA hat es rechtsfehlerfrei abgelehnt, die angefochtene Zinsfestsetzung zu ermäßigen.
1. Führt die Festsetzung der Umsatzsteuer zu einem Unterschiedsbetrag i. S. von § 233 a Abs. 3 AO 1977, ist dieser zu verzinsen (§ 233 a Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der für die Zinsberechnung maßgebende Unterschiedsbetrag ist die festgesetzte Steuer, vermindert u. a. um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233 a Abs. 3 Satz 1 AO 1977). Im Streitfall beträgt der Unterschiedsbetrag aufgrund der nachträglich festgesetzten Umsatzsteuer für 1993 unstreitig 587 600 DM (vgl. Einspruchsentscheidung vom ).
Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) beruht, beginnt der Zinslauf nach § 233 a Abs. 2 a AO 1977 abweichend von § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. § 233 a Abs. 2 a AO 1977 gilt gemäß Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 in allen Fällen, in denen das rückwirkende Ereignis nach dem eingetreten ist. Nach der Begründung zu § 233 a AO 1977 (Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BTDrucks 13/5952, S. 56) soll eine Verzinsung der rückwirkend entstehenden Steuerschuld bei Eintritt eines steuererhöhenden rückwirkenden Ereignisses nicht stattfinden, wenn der Steuerpflichtige bis zum Eintritt des rückwirkenden Ereignisses keine Zins- oder Liquiditätsvorteile ziehen kann (vgl. auch Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 233 a AO 1977 Rz. 29 ff.).
2. Die nachträgliche Erhöhung der für 1993 festgesetzten Umsatzsteuer beruht darauf, dass der Kläger im Jahr 1996 auf die Steuerfreiheit der Grundstücksveräußerung aus dem Jahre 1993 verzichtet hat (§ 4 Nr. 9 Buchst. a i. V. m. § 9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -). Denn er hat in einer Rechnung mit dem Datum des Umsatzsteuer über diesen Umsatz von 532 518,75 DM ausgewiesen. Dadurch hat er die Grundstückslieferung als steuerpflichtigen Umsatz behandelt (, BFHE 179, 480, BStBl II 1996, 338, m. N.). Der Verzicht auf die Steuerfreiheit bewirkt rückwirkend, dass der Umsatz steuerpflichtig ist.
a) Wegen der Bestandskraft der Steueränderungsfestsetzung für 1993, der eine steuerpflichtige Grundstückslieferung des Klägers zugrunde liegt, braucht im Streitfall nicht beurteilt zu werden, ob der Kläger noch wirksam verzichten konnte oder ob der Verzicht nach Eintritt der Unabänderbarkeit der Steuerfestsetzung (vgl. Abschn. 148 Abs. 3 Satz 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 - UStR -) für 1993 nicht mehr möglich war. Es braucht deshalb auch nicht entschieden zu werden, ob der nachträgliche Verzicht auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung der notariellen Form des Grundstückskaufvertrages (§ 313 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) bedurft hätte. Diese Fragen sind auch deswegen nicht mehr aufzugreifen, weil im Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung die Richtigkeit der Steuerfestsetzung nicht mehr erneut geprüft wird.
b) Nach der Rechtsprechung des , BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter 4. c zum nachträglichen Verzicht; vom XI R 84/92, BFH/NV 1995, 665, unter 1. und 3. zum Widerruf des Verzichts) ist der nachträgliche Verzicht auf die Steuerfreiheit einer Grundstückslieferung kein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Weder die Ausgabe einer Rechnung mit Umsatzsteuer noch die Änderung durchgeführter zivilrechtlicher Vereinbarungen sind als rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu beurteilen, das die Unanfechtbarkeit durchbricht (BFH in BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695; in BFH/NV 1995, 665). Wenn ein Wahlrecht wie der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung (§ 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1 UStG) oder der Widerruf des Verzichts nur zeitlich begrenzt bis zur Bestandskraft (oder Änderbarkeit nach § 164 Abs. 2 AO 1977) der Steuerfestsetzung des Lieferers oder des Abnehmers ausgeübt werden darf, ist die nachträgliche Ausübung dieses Wahlrechts kein Ereignis mit steuerrechtlicher Rückwirkung i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Dadurch würden die zeitlichen Grenzen für die Ausübung des Wahlrechts durchbrochen und Rechtsfolgen ausgelöst, die das Gesetz nur innerhalb der bezeichneten Grenzen (rückwirkend) eintreten lassen will (vgl. , BFH/NV 1999, 1335, unter 2.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 175 AO 1977 Tz. 27; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 175 Rz. 55).
Entgegen der Ansicht des Klägers nimmt § 233 a Abs. 2 a AO 1977 durch den Klammerzusatz ,,(§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2)'' in vollem Umfang auf diese Vorschriften Bezug. Für die Unterscheidung des Klägers zwischen ,,Merkmalsvoraussetzungen'' und ,,verfahrensrechtlichen Voraussetzungen'' eines rückwirkenden Ereignisses ist deshalb kein Raum.
Es kann dahinstehen, wie weit das einschränkende Verständnis des § 233 a Abs. 2 a AO 1977 im Urteil des BFH in BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634 wegen der erstmaligen Beschlussfassung über eine Gewinnausschüttung für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr für die Festsetzung von Erstattungszinsen reicht. Der BFH hatte die Vorschrift in dem von ihm entschiedenen Streitfall - in einschränkender Auslegung - für nicht anwendbar angesehen, weil der Gewinnverteilungsbeschluss, der ,,im Gesetz angelegt und diesem gleichsam immanent'' für das abgelaufene Wirtschaftsjahr mit Rückwirkung getroffen werden muss, ein nachträgliches und zugleich rückwirkendes Ereignis darstellt, das aber den Lauf von Erstattungszinsen nicht beeinflussen soll, wenn es sich um einen Erstbeschluss und die erstmalige Ausschüttung und nicht um die Änderung eines ursprünglich gefassten Gewinnverteilungsbeschlusses und der ursprünglichen Ausschüttung handelt. Im Streitfall ist der (nicht notwendige und daher nicht im Gesetz angelegte) Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung aber kein nachträgliches Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
Ist somit der nachträgliche Verzicht auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, beginnt der Zinslauf nicht nach § 233 a Abs. 2 a AO 1977, sondern nach § 233 a Abs. 2 Satz 1 AO 1977.
Der Senat hat in dem Urteil vom V R 23/00 (BFH/NV 2001, 991, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 2001, 253) entschieden, dass sich die Vertragsparteien über Nachzahlungszinsen nach § 233 a AO 1977 zivilrechtlich auseinander setzen müssen. Das gilt nicht nur für den Fall, dass der Erwerber eines Grundstücks durch die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerpflicht durch den Veräußerer den Vorsteuerabzug verliert, sondern erst recht, wenn der Veräußerer nachträglich auf die Steuerfreiheit verzichtet. Er kann, die Vorteile, die er durch eine freiwillige nachträgliche Option erstrebt, gegen die mit der Zinsfolge des § 233 a AO 1977 verbundenen Nachteile abwägen.
3. Dieser Beurteilung steht Gemeinschaftsrecht nicht entgegen. Nach Art. 13 Teil C der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) können die Mitgliedstaaten den Umfang des Optionsrechts einschränken und die Modalitäten seiner Ausübung bestimmen. Dabei haben sie einen weiten Ermessensbereich (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EUGH -, Urteile vom Rs. C-381/97 - Belgocodex SA -, Slg. 1998, I-8153, UR 1999, 203, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht - UVR - 1999, 103, zum Umfang des Optionsrechts; vom Rs. C-396/98 - Grundstücksgemeinschaft Schlossstraße -, UR 2000, 336, zur rückwirkenden Verschärfung der Optionsvoraussetzungen). Einschränkungen für die Beurteilung des Zinsanspruchs infolge eines von einem Mitgliedstaat nachträglich zugelassenen Verzichts auf die Steuerbefreiung eines verzichtbaren Umsatzes enthält das Gemeinschaftsrecht ebenfalls nicht. Der Grundsatz der Belastungsneutralität gilt für die Umsatzsteuer, nicht für die Zinsen. Zinsen zur Umsatzsteuer haben keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter i. S. von Art. 33 der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. dazu , zur Veröffentlichung in BFHE bestimmt; vgl. auch Leonard, UR 2001, 469).
4. Fehler bei der Berechnung der Höhe der Zinsen sind nicht ersichtlich und auch nicht gerügt worden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 175
BB 2003 S. 347 Nr. 7
BFH/NV 2003 S. 363
BFH/NV 2003 S. 363 Nr. 3
BFHE S. 38 Nr. 200
BStBl II 2003 S. 175 Nr. 4
DB 2003 S. 1098 Nr. 20
DStRE 2003 S. 311 Nr. 5
INF 2003 S. 201 Nr. 6
KÖSDI 2003 S. 13641 Nr. 3
UR 2003 S. 195 Nr. 4
NAAAA-89439